Hlnterhaltungsblatt des vorwärtsNr. 211. Freitag den 23. Oktober. 1910(Nachdruck perd-.'rn.)2] Mas ift Ruhm?Roman von Max Kretzer.„Hör mal. Du bist'ne hübsche Kröte," sagte Lorensen mitder Offenheit eines Künstlers, der seine Erfahrung hinter sichhat und nicht viel Umstände macht. Zudringlich faßte er sieam Zopf, Kempen aber fuhr erbost dazwischen.„Laß das, undDu mach endlich, daß Du Dich verziehst. Sonst kommst Duschließlich nicht mehr ins Haus."„Ach, ich Hab'n Schlüssel," gab sie mit Unschuldsmienezurück, brennend rot geworden durch die Schmeichelei desBlonden.Lorensen lachte laut! Kempen aber knirschte ärgerlich mitden Zähnen, denn der Weiberhaß packte ihn wieder, der ihmum so notwendiger erschien, je mehr er Beweise für die früheVerderbtheit dieses Geschlechts bekam, das er niemals hatteverstehen lernen.„Was ist denn Dein Vater?" forschte Lorensen weiter.Und als sie erwiderte, daß er tot sei, daß ihre Mutter aberfür feine Leute Wäsche wasche und plätte, fügte er großspurighinzu:„Na, dann bist Du ja gerade an die richtige Adressegekommen." Und er schrieb sich ihre Wohnung auf und ließsie gehen. Mit einem Knicks gab sie jedem die Hand undschritt dann hinaus, gefolgt von Kempen, dem nun einfiel,daß der Wagen auf dem Hofe untergebracht werden müsse.Neugierig blieb sie unten stehen, bis er sein Werk verrichtethatte.„Ja, bist Du denn gar nicht fortzuknegen?" sagte ergutmütig.„Solltest Du Schelte kriegen, dann beruf Dichnur auf uns."„Ach, Mutter schimpft- nicht, die kennt mich schon. Ich binselbständig," erwiderte sie mit einem gewissen Stolz und liefdann eilig davon.„Ein richtiges Berliner Mädel," dachte Kempen und stiegnun wieder die Treppe hinauf, auf der das Gaslicht geradeverglimmte.Oben hatte Lorensen sämtliche Fenster aufgerissen, umdie muffige Luft, die noch in den Tapeten steckte, durch frischezu ersetZdii. Nun stand er in Hewdsärmeln mitten im Zimmer,umringt von dem Durcheinander ihres armseligen Daseinswie jemand, der nicht weiß, wo er zuerst mit dem Aufräumenanfangen soll.„Du, Hermann, das ist'n Kopp, was? Der mußnächstens'ran. Da ist Weichheit drin, so'ne Linie hinten.weißt Du, die io—. So was ist furchtbar echt." Wenn ernicht den richtigen Ausdruck fand, aber etwas ganz Besonderessagen wollte, dann wandte er diese Schlußredensart an, die,hart ausgesprochen, etwas Komisches in sich barg, was nochdadurch verstärkt wurde, daß er mit dem gebogenen Daumenkrampfhaft Luftlinien beschrieb, als striche er bereits vomweichen Ton etwas ab, um-die Form herauszubekommen.„Ach, Dir stecken bloß die Weiber im Sinn," knurrteKempen, und sofort schwebte ihm sein„Löwen kämpfer" undsein„Gefesselter Promecheus" vor— die beiden zukünftigenMeisterwerke, die er in kleinen Tonskizzen längst entworfenhatte und die ihm dereinst Geld und Ehren bringen sollten,sobald er in der Lage wäre, sie auszuführen.„Jeder nach seiner Art, Hermann," wandte Lorensen einund bat sich„auf ein paar Züge" die Tabakspfeife des Ge-nassen aus, da ihm die seinige heute früh zerbrochen tvar. Undmit Genuß paffend fuhr er fort:„Laß man— weiblichePuppen werden heute am meisten verlangt. Wir müssen erst's Ticrgartenviertel haben, das ist die Hauptsache. Ein halbesDutzend Nymphen, und wir sind schön raus. Dann kommterst das Große, das furchtbar Echte."„Ich seh Dich auch noch als Kitsch-Meier enden," stießKempen ivieder zwischen den Zähnen hervor, kniete niederund schnürte einen großen, alten Karton auf, in dem sich ihreSomitagsanzüge befanden. Und während er sie glatt strichund in den einsacken Mahagonischrank hängte, vergnügte sichLorcnsen über diesen Zornesausbruch, von dem er wußte, daßer weniger dem Künstler in ihm galt, als seiner leichten Auf-fassung von dem vorlaufigen Schwimmen mit dem Strom.So plänkelten sie manchmal, wenn ihre Naturen sich zeigten»die aber den festen Freundschaftskitt nicht brechen konnten.Frau Lemke kehrte zurück, stellte eine Flasche mit PS»troleumrest neben das brennende Licht auf der alten, noch zu«geklappten Waschtoilette, warf einen bedeutsamen Blick aufdie schmokende Pfeife des Blonden, wobei sie an die frisch ge-waschenen Gardinen dachte, und wünschte mit freundlichemLächeln gute Ruhe. Sie sah den offenen Schrank mit den!Kleidungsstücken, in dem sogar zwei lange Mäntel hingen,und ging nun mit der stillen Genugtuung einer stets um ihrWohl besorgten Wirtin, die einen kleinen Trost mit sichnimmt. Alte, gefüllte Pappkartons erschienen ihr plötzlichwertvoller, als große Koffer, in denen nichts drin war.Wirtschaftlich wie immer machte Kempen die Lampe zu-recht, zündete sie an und blies das Licht aus, um zu sparen.Dann legte er ebenfalls seinen Rock ab und rührte abermalsdie Hände, um rasch ein wenig Ordnung zu schaffen. Wenndie neue Herbergsmutter am anderen Morgen den Kaffeebrachte, sollte sie einen besseren Begriff von dem„Kunststall"bekommen, als am Abend vorher. Er säuberte mit eineinLappen den dreibeinigen Bock und stellte ihn vor das eineFenster: näßte die Leinwand um den Klumpen Modclliertonfrisch an und brachte ihn in einer Ecke unter; hob die Venus-bllste auf das Mahagonispind und breitete die Arbcitshölzerauf die wacklige Kommode unter dem Pfeilerspiegel aus. DieSkeletteisen wanderten in den Schrank, wo sie einstweilen vondem zukünftigen Gebrauch träumen"konnten. Dann ließ erdie kleinen, zusammengetrockneten Tonmodellskizzen auf demovalen Tisch eine Reihe bilden, wickelte sorgsam die wenigenGipsabgüsse klassischer Hände und Arme aus und legte sieauf das ausgesessene Sofa. Am andern Tage fdllten sie dieWände zieren, um den Eindruck dieses Philisterzimmers wllr-diger zu machen. Eine Kiste mit gewöhnlichem Werkzeug, mitTöpfen und Blechgefäßen, verschwand unter der einen Bett-stelle; und auch der freie Raum der andern mußte es sichgefallen lassen, mit ähnlichen Dingen gefüllt zu werden.Während dieser ganzen Zeit ließ Lorensen ihn ruhig ge-währen. Er hatte sich längst daran gewöhnt, daß.Kempen da?alles besser ohne ihn machte, viel sauberer und schneller, ohneAnspruch auf Hilfe. Höchstens,-das; er ein paar gute Lehrenausteilte, die aber nicht beachtet wurden. Der Blonde stopftesich die Pfeife aufs neue, ging im Zimmer auf und ab undlegte sich hin und wieder zum Fenster hinaus, um die Gegendzu studieren: dann schritt er an sein Jackett, das auf einemNagel am Türrahmen hing, nahm einen Brief heraus, setztesich und las ihn, wie er es an diesem Tage bereits mehrmal»getan hatte.So fand ihn Kempen, als er mit dem Gröbsten fertig warund nun einen großen Berg Papier, Stroh und alfe Lappenin den Ofen hineinstovfte, den er sich unergründlich wün'chte.„Na, es geht Dir wohl wieder nahe, wie?" stieß er pustendhervor, als er die letzte Arbeit glücklich verrichtet hatte undsich nun die Knie rieb.„Lies doch das Zeugs nicht mehr.Was will sie denn noch? Hübsche Sache, wenn es mal vonDir heißt:„Er war Bildhauer, und sie hatte auch nichts."lieber derartige eigene Scherze lachte er gern zuerst, undso gab er jetzt mit Vergnügen, kurz und bissig, auf diesemWege seine Weiberfeindschast zu erkennen, wobei er die Lampeauf einen andern Platz stellte; denn er empfand das Bedürf-ins, Wasser in die Schüssel zu gießen, um sich die zwar kleinen,aber derben Hände zu waschen, deren Finger mit breitenNägeln die Merkmale der Arbeit zeigten.Es handelte sich um eine Liebschaft Lorensens in Lübeck,der er schon vor längerer Zeit ein Ende gemacht hatte, an dieer aber heute durch einen acht Seiten langen Brief erinnertworden war.Schließlich aber kniffte er das Schreiben wieder zu-sammen und heftete die blauen Augen vor sich auf die Diele;dann erhob er sich mit einem Ruck, zerriß die Bogen undsagte dabei wie aufgescheucht aus einer Beklemmung:.„Daswollen wir uns noch ein bißchen beschlafen, Hermann. Erstaus diesem Luderleben heraus, das war wohl wichtiger, dächtich."Kempen stand mit weit zurückgestrichenen Hemdsärmelnmitten im Zimmer, trocknete sich die Hände mrd stieß dann