— 854—Nim, wo ihm das Vier die Zunge gelöst hatte, sprach er nichtniehr in abgehackten Sätzen, sondern fließend, wie aus einemBuch. Gleichsam war Schwung in ihn gefahren, der ihn fort-führte vonr Zllltag in den seligen Zustand der Vergessenheit.Er fand bilderreiche Worte, stieg und sank in seiner Empfin-dring, pfiff, stimmte ein Lied an und fühlte sich Plötzlich jungunter diesen Strebenden, die, eine vergnügte Nacht vor sichsehend, die Lobcshymne auf ihn in jeder Tonart sangen.„Es lebe der Meister, es lebe der Meister!"Die Gläser klirrten, und Nuschks blies einen Posaunen-'tusch dazu. Schmarr erhob sich und wechselte den Platz, dennder Gedanke, als Verwachsener neben einem ähnlichen zu sitzen,hatte ihn längst unruhig gestimmt. Diese beiden betrachtetensich immer mit feindlichen Blicken, ohne daß sie sich es merkeniiesten; gewissermaßen wollte jeder der Schönre von ihnenfein, machte der eine den anderen im stillen für das eigenellcbel verantwortlich. Trotzdem kamen sie gut miteinanderaus, sobald es sich um ihre Kunst handelte.Blankert setzte sich neben Walzmann und berichtete ihmvon dem Eigensinn des Kleinen, worauf sofort die Antwortkam:„Bravo, bravo, Schinarr! Lieber Kitscharbeit machen,Säulenheilige und Torherkulesse, wasserspeiende Frösche undPostamentgesindel. Nur nicht den personifizierten Stumpf-sinn verewigen. Deine Kurrendejungs, prinia fein! BrauchstTu Geld, brauchst Du Geld? Hier mein Junge, zier Dich nicht.Pumpen ist keine Sünde, nur das Wiedergeben."Er holte sein geblümtes Taschentuch hervor, in das erGold eingeknotet hatte, und schob ihm nun ein Zwanzigmarkstück hin. das aber Schinarr nicht nahm, obwohl seine großenAugen darauf haften blieben. Erst als Walzmann zartfühlendihm erklärte, daß er gern dafür einen Abguß seiner„Singen-den Knaben" haben möchte, streckte er den langen Arm ausund strich das Geld vergnügt ein. Gleich darauf zog ihnLorensen beiseite und setzte ihm leise auseinander, daß ihmdie Hälfte davon heute noch zufallen müßte als Abschlags-Zahlung für die Schuld. Kempen brauche davon nichts zuwissen, denn er halte ihn so knapp, daß er ihn selbst an denGroschen zum rasieren dreimal ermahnen müsse.„Gut, gut," raunte Schmarr zurück und hielt in seinerTasche das Goldstück krampfhaft fest.„Gehen wir nachherwechseln."Kempen dachte nicht daran, Kognak holen zu lassen, denndann würde die ganze Gesellschaft sicher betrunken werden undden Skandal noch vergrößern: aber knickrig, wie er war, hatteer sich doch einen Taler angeeignet, während er das andereGeld dem Spender wieder zusteckte. Draußen war FrauLemke mit Worten von ihm bestochen worden: ste kam herein,brachte Zigarren und frisches Bier und gebrauchte dabei dieAusrede, daß das andere Gewünschte nicht zu haben sei. So-fort sprang Walzmann auf, faßte sie unter und wollte sie mitGewalt zum Platz nehmen bewegen.„Setz Dich doch, meinKind, sei vergnügt mit uns. Das Leben ist so kurz! Hast Dunicht noch eine hübsche Tochter? Siehst Du, ich feiere heutemeinen Geburtstag."Das sagte er zehnmal im Jahre, trotzdem es nie wahrwar. Sie lachte und wehrte sich, entsetzte sich dann aber aufsneue über diese Wirtschaft, die sie noch nie erlebt hatte. Sicmüsse nun uni etwas Ruhe bitten. Das Fräulein nebenan,dos Fräulein!.(Fortsetzung folgt.):23)Die famüic Kra�e.Von Johann Skjoldborg.Autorisierte Uebcrsetzung von Laura Heldk.Da verbesserte sich die Stimmung im Zimmer. Krön Hvas,der dem Führer am nächsten saß, gab ihm unwillkürlich einenkleinen Stoß mit dem Ellenbogen und lachte leise. Und alle Männerlächelten auf einmal, als ginge derselbe Gedanke durch aller Hirn.Jürgen erinnerte daran, daß die Versammlung beginnenmüsse; sie erhoben sich. Der alte Anders, der mit dem Vieh draußengewesen war, kam zurück und in einiger Entfernung sah manSören Knak, der in gelindem Trab von seiner Posttour zurückkam,zim noch zur rechten Zeit da zu sein.Draußen, am Hausgicbcl, stazdcn mehrere Hundert Menschendicht um einen Wagen geschart, der als Rednertribüne dienensollte.Als der Abgeordnete und der fremde Politiker sich geigten,fingen die Leute an zu drängen und stellten sich auf die Zehen-spitzen, um besser sehen zu können. Einzelne liefen rings um denHaufen herum, Mi irgendwo eine Oeffnung zum Durchblicken zufinden.Dann ward es lautlos still in der Versammlung.Da waren junge Häupter, die grad und frei auf den Schulternsaßen und ergraute Häupter mit geducktem Nacken. Da warenGesichter, blank und glatt, gleich einer unbeschriebenen Tafel, aberauf den meisten standen in leichtleserlicher Schrift die Mühselig-keit des Lebens, der Kampf ums Brot und die täglichen Sorgen.Die Sonnenstrahlen fielen schräg herab auf alle diese verfchic-denen Häupter, die eine braune Haut und wie in Stein gemeißelteZüge zeigten. Zllle schauten nach demselben Punkt und die gleiche,ernste Erwartung lag auf den Zügen aller Anwesenden.Nachdem der Abgeordnete in seiner gewöhnlichen langweiligenArt eine llebersicht über die Verfassungsgeschichte gegeben hatte, wieer es stets zu tun pflegte, war es gum Schluß, als wache er auf.Er richtete sich auf und blickte über die Versammlung hin. Dannsprach er mit bewegter Stimme und stark rollendem„r":„Jetzt, in diesen Tagen, wollen sie uns wieder beschneiden, diegroßen Herren. Wir kennen sie wohl. Es sind der Kammerherrauf Knapholt— seine Hand wies in der Richtung, in der das Gutlag— der von Ruggaard und andere; sie wohnen hier mitten unteruns. Diese Art Leute sind es, die uns zerbrechen wollen, genau so,wie ihre Eltern unsere Eltern geknechtet haben vor langer Zeit.—König Friedrich war es, der uns die Verfassung vom b. Juni gab.Aber seitdem haben sie nicht ruhig schlafen können, die großenHerren. Sie können die Zeit nicht vergessen, da sie uns Bauernnoch auf das hölzerne Pferd spannen konnten und sie denken gewiß,es wäre schön, wenn die Zeiten wiederkommen könnten. Dochwir Bauern haben auch ein Gedächtnis und wir sollten nicht gernvergessen, daß es eine Zeit gab, wo unsere Vorväter die Treppendieser Leute hinaufkriechcn und vor den gemalten Pfosten dieserHerren den Hut ziehen mußten!— Sie reden ja jetzt ganz nett;aber Ihr dürft ihnen nicht glauben! Es ist des InspektorsPeitsche, die wieder in der Luft knallt!"Einigen Alten zitterten die Mundwinkel.Mads Peter begleitete seine Rede mit zustimmendem NickendcS länglichen, eigentümlichen jütischen Kopfes, dessen gebogeneNase und volles Kinn den Eindruck derber Kraft und Zuverlässigkeitmachten.„Aber wir Wcstjüten haben erst gewußt, was in uns steckte,nachdem wir damals von hier bis Fünen sämtliche Güter in Brandgesteckt und den König in Odense totgeschlagen hatten. Und nochimmer sließt warmes Blut in unfern Adern!"ES waren die Gesichter streitbarer Männer, die nun zu demSprecher aufblickten, und sie sahen so aus, als würden sie ihremFührer folgen, wohin immer er wolle. Ein Hoch zum GedächtnisFriedrich VII. beantworteten sie mit ohrenbetäubenden Hurrah-rufen, und die Köpfe wandten sich und nickten einander zu.Sowie aber der politische Führer auftrat, kehrten sich ihm alleKöpfe zu, wie von unsichtbarer Schnur gezogen, und wieder herrschtelautloje Stille.„Es gibt hier zulande zwei Sorten Menschen: Provisoristenund Nicht-Provisoristenl Leute, die das Gesetz erfüllen, und Leute,die es mit Füßen treten!" begann er und senkte in schräger Liniedie Stirn, als wolle er einen unsichtbaren Feind auf die Hörncrspießen.Es ging wie ein Ruck durch die Versammlung. Seine Hünen-gestakt, seine donnernde Stimme, sein eigenartiges Aussehen unddie Art und Weise, wie er diese einleitenden Worte hervorbrachte,machten einen tiefen Eindruck auf diese Menschen, von denen vielenoch nie eine öffentliche Versammlung mitgemacht hatten.„Kämpfen ist ehrlich. Wenn unsere Vorväter in den Zwei-kämpf gingen, zogen sie einen Kreis; das war der Boden des Gc-setzes. Innerhalb dieses Kreises war es eine Ehre zu siegen undeine Ehre zu fallen. Wer aber diesen Kreis verließ, der war ein— Ehrloserl"Bei dem letzten Wort schienen seine Augen aus den Höhlenzu treten. Der Schweiß perlte auf seiner Stirn, die Adernschwollen in seinem Antlitz, und der Wagen unter ihm erzitterte.Es war, als fauche jeder kleinste Teil seiner Gestalt und als kochees im Innern dieses gewaltigen Körpers.„Wenn ein Dieb einbricht und stiehlt, kann er nach dem Gesetzbestraft werden; wenn aber die obersten Hüter des Gesetzes mitfalschen Schlüsseln die Staatskasse erbrechen, was dann?— Wirkönnen sie in ihrer Gesetzlosigkeit belassen! Niemand kann näm-lich auf die Tauer herrschen, ohne auf dem Boden des Gesetzeszu stehen. Und wenn wir ihnen diesen Boden nicht geben, dannmüssen sie zugrunde gehen, denn der Rechtsbruch trägt in sich denTodI"Während er sprach, senkten sich die Köpfe mehr und mehr.„Gegen uns ist die Regierung mit einem Troß von Guts-bcsitzern, Beamten und Speichelleckern; aber für uns ist die Wahr-bcit und das Recht. Dadurch werden wir täglich stärker werden.Wir stehen auf der Seite des Lebens und des Fortschritts! �Es kann vielleicht lange dauern, wenn wir keine Gewalt anwendenwollen. Aber was sind zwanzig Jahre im Leben eines Volkes?— Sollten wir Aelteren von uns auch ohne Sieg in das Grabmüssen— so soll es von un» doch heißen, daß, wenn auch die Erstendes Landes das Gesetz mit Füßen traten, so hat doch der gemeineMann daran festgehalten!" Er senkte die Stirn und bohrte seinen