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Und dabei dachte fie an jenen Tag vor fahren, wo sie in Ser Kleinen Bude der beiden saß und seine Hand rauh nach threm zarten Halse griff.
Lorensens blaue Augen lachten, als er sie so in stolzer Verwirrung sah, denn er konnte sie nicht begreifen. Sie sind mal gut," sagte er dann heiter. Das ist doch nicht so schlimm. Nur die Schultern."
Und dann ein bißchen mehr, nicht wahr?" warf sie Spöttisch ein.
Mit gut gemachtem Ernst setzte er ihr auseinander, daß fie fich eigentlich nicht weiter zu enthüllen brauchte, als wie jede hübsche Balldame, die ihre Neiderinnen herausfordern wolle. Und was da jeder freche Gaffer anstaunen könne, was im hellen Licht der Lampen manchem als Entweihung dünke, fei hier im kleinen Heiligtum der Kunst etwas Notwendiges, worüber man sich mit Seelengröße hinwegsehen müsse. " Sehr gut gesagt," brummte Kempen , der hinter der Leinwand stand und seinen Löwenkämpfer in Ueberlebensgröße anivarf, so daß man das Klatschen der Tonmassen hörte. Während er emsig schaffte, den schönen Adolf zur Seite, ließ er sich kein Wort entgehen, das drüben gesprochen wurde. Dann, als erhöhter Widerstand folgte, verzog er den Mund zu einem Grinsen der Genugtuung.
„ Das ist ganz etwas andres," sagte sie wieder. Erlaubt ist, was sich schickt."
ein.
" Ich erlaube es Ihnen ja," warf Lorensen herablassend
Sie lachte laut auf. Wie gnädig von Ihnen, aber eins schickt sich nicht für alle. Banten wir uns doch nicht darüber." Lorensen wurde ärgerlich. Dem Reinen ist alles rein," fuhr er auf und warf einen Schemel zur Seite, so daß er follerte. Wenn Sie so eigensinnig sind, kann ich nicht weiterarbeiten."
"
Tut mir leid, Serr Lorensen, dann muß ich gehn. wäre die lette, die Sie in Ihrer Kunst störte."
Ich
Dummheit. Bleiber. Sie nur," rief nun Kempen aus, der diese Auseinanderseßung peinlich fand, da Sörgel fich fortwährend darüber bergnügte.
Lorensen, der nun sah, wie sie den Stuhl rüdte, und schon alles verloren glaubte, lenfte ein. Ein Rätsel stand vor ihm, das er nicht zu lösen vermochte. Längst hatte er sich gesagt, daß er ihr nicht gleichgültig sein müsse, denn sonst hätte sie Kempen nicht angelogen, um ihm, Lorensen, gefällig zu sein. Ob aus Furcht oder aus Scham, darüber wollte er sich nicht den Kopf zerbrechen. Tatsache war, daß er ihre Ohnmacht unter seinen heißen Küssen empfunden hatte. Aber so waren fie feiner Meinung nach alle: fie verstellten sich erst, bis sie fich schließlich wunderten, daß man so viele Umstände mit ihnen machte. Dieses Fräulein Simperlich aber gab ihm besonders zu denken.
Weshalb sträuben Sie sich denn eigentlich?" fragte er spöttisch. Haben Sie schiefe Schultern?"
Sörgel lachte so laut, daß Kempen ihm das verwies. Klara jedoch blieb ruhig. Für Sie immer," erwiderte fie; dann aber, heiter davon berührt, fügte sie lustig hinzu:" Das sollten Sie doch schon längst bemerkt haben."
Lorensen stieg das Blut zu Kopf; an dem Leuchten ihrer Augen sah er, daß sie ihn damit nur reizen wollte. Und in diefer Stimmung befam er einen Einfall, den er schwer unter. drüden fonnte. Ja, dann muß ich Kempen schon bitten, ein gutes Wort für mich einzulegen. Vielleicht hat er mehr Glück bei Ihnen."
Kann schon sein," fiel fie vergnügt ein; und laut rief fie nach der anderen Seite hinüber:" Nicht wahr, Herr Kempen , wir würden uns schon besser vertragen."
Lorensens lautes Lachen erstarb, er wußte nicht, geschah es aus Groll oder aus Mitleid mit dem Freund, der in dieser Weise aufgezogen werden sollte.
Aber schon nach zwei Tager war er anderer Meinung. Als er erst gegen Mittag in das Atelier kam, da Heilke ihn in irgendeiner Angelegenheit zu sich gebeten hatte, stand Kempen vor der Skizze und modellierte ihre nackten Schultern. Hinter dem Rücken des Freundes hatte er sich rasch an die Arbeit gemacht, um ihn, wenn er käme, mit der vollbrachten Tat zu überraschen. Einige Augenblicke nur sah Lorensen ihre Haut leuchten; dann hatte sie sich rasch nach einem leichten. Aufschrei mit einem Zuch verhüllt.
Nun hättest Du auch noch bleiben können," stieß Kempen , ber im besten Zuge war, ärgerlich hervor. Der Triumph des Künstlers sprach aus ihm, dem das gewährt worden war, was man dem andern verweigert hatte.
( Fortsetzung folgt.))
Hänfel und Gretel.)
Es war einmal ein Holzbauer, der lebte mit seiner Frau und zwei Kindern in einer Waldhütte. Obwohl sie sich beinahe alle zwei Tage fatt essen fonnten, waren die Leute doch sehr unzufrieden. Das ist kein Wunder, denn der Mann war im Verband der Land-, Wald- und Weinbergarbeiter organisiert und mußte mit seinen Arbeitergrofchen August Bebel , Paul Singer und Roja Luxemburg mästen.( Es half aber nichts, denn die drei waren zu gefräßig und wurden nicht fett.)
Die
Die Kinder bießen Hänsel und Gretel. Eines Abends, es war nach der letzten Finanzreform, hegte der Mann seine Frau auf und fagte: Ad Frau, wie wollen wir nur die Kinder durchbringen, da der Winter herankommt, und wir für uns selbst nichts haben. Mutter las gerade in der" Gleichheit" und darum fagte sie natürlich: Führe sie in den Wald, gib jedem noch ein Stüd trockenes Brot, mach' ihnen ein Feuer und überlasse sie ihrem Schicksal". demokratische Kinder heucheln von klein auf. Gretel fing an zu Die Kinder hatten nur so getan, als ob fie schliefen, denn sozial flennen, aber Hänsel sagte, sie solle nur ruhig fein. Dann ftand der frübverdorbene Bengel auf, stahl in des reichen Nachbars Garten dieichönsten weißen Kieselsteine vom Wege und legte fich wieder schlafen. Am Morgen ging der Vater mit den Kindern in den Wald. Hänsel ging zulegt, und als man die Hütte nicht mehr sehen konnte, ließ er alle paar Schritte ein Steinchen fallen, wodurch die freie Goitesnatur wahrhaftig nicht verschönert wurde. Das machte er ganz heimlich, wie er es bei seinem Vater gesehen hatte, wenn diefer gottlose Mann Sonntags während der Kirchzeit Flugblätter
verbreitete.
Als sie im tiefen Walde waren, begingen fie Holzfrevel, indem fie lauter Reisig stahlen, und zündeten ein Feuer an, obwohl die Forstverwaltung das extra verboten batte. Der Vater fagte zu den Kindern:„ Legt Euch schlafen, ich will Holz fällen. Das war aber gelogen wie in einer sozialdemokratischen Versammlung, denn der Mann ging einfach nach Hause. Als die Kinder erwachten, war es schon Mittag. Sie aßen ihr Brot und warteten auf die Eltern. Gretel nicht etwa, wie artige Kinder es getan hätten, zu Bett, fonAber die kamen nicht. Als es dunkel wurde, gingen Hänsel und dern sie strolchten durch den Wald nach Hause, wobei ihnen die vom Mond beleuchteten gestohlenen Kieselsteine den Weg zeigten. Erst gegen Morgen tamen fie zu Hause an. Die Eltern hatten es schon mit der Angst gekriegt wegen der Polizei und taten ganz froh, daß die Kinder wieder da waren, ehe jemand etwas gemerkt hatte.
Aber bald danach, als der Vater wieder einmal seinen ges waltigen Beitrag für die sozialdemokratische Raise bezahlt hatte ( er steht jeden Monat in der Partei- Quittung als A. D. mit 100 Mart!), da hatten fie natürlich wieder nichts horchten die ungeratenen Kinder, wie ihre schlechten Eltern zu beißen. Wieder Es ging ganz wie beim ersten Mal. berieten. Aber diesmal hatte die schlaue Mutter Heimtüdisch die Türe zugemacht und Hänsel fonnte nicht hinaus, des reichen Nach bars Steine stehlen. Doch der verschmigte Junge wußte Rat. Auf dem Wege durch den Wald hielt er fein Stüc trodenes Brot hinter dem Rüden und zerbrödelte die schöne Gottesgabe, denn er glaubte in seiner Dummheit, die Krumen würden da nachher noch liegen und ihnen den Weg weisen. Aber es fam anders. Als Hänsel und Gretel( schon die Namen zeigen, was für gewöhnliche Kinder es waren) sich am Abend aufmachten, waren die Strumen verschwunden. Die Waldvögel batten sie natürlich aufgefreffen. Kinder aus guter Familie würden auch nie fo töricht gehandelt haben, sondern hätten ihr belegtes Brot für sich behalten. Die beiden fingen denn auch richtig an zu heulen und schliefen hungrig im Wald, wie richtige Strolche. Am anderen Morgen stahlen sie sich Erd- und Waldbeeren, obwohl sie feinen Erlaubnisschein zum Pflücken hatten, und aßen Dann irrten sie umber, bis sie ein fleines fich damit voll. Säuschen fanden, das ganz aus Brot gemacht ist. Nur das Dach bestand aus Eierkuchen, und die Fenster waren von durchsichtigem Kandiszuder. Das war etwas für die gierigen Näscher. Sie aßen nicht etwa, wie es armen Kindern zukommt, vom Brot, sondern gleich vom Eierfuchendach. Natürlich machten sie auch awei Fensterifcheiben faput und fraßen sie radikal auf.
Aber Gott läßt sich nicht ungestraft spotten. Eine Stimme er tönte innen: Knusper, fnusper, fneischen! Wer knuspert an meinem Häuschen?" Die verlogenen Kinder antworteten frech: Der Wind, der Wind, das himmlische Kind!"
und schlangen weiter, weil sie als richtige Sozialdemokratenlinder eben nie genug friegen fonnten.
Da ging die Türe auf und eine alte Dame fam herans. Hänsel und Gretel, feige und mit schlechtem Gewissen, wie solche Kinder find, erschrafen sehr. Aber die alte Dame lud fie ein, hineinzukommen. Drinnen trug fie ihnen viele gute Sachen auf, die Kinder genierten fich feinen Augenblid, sagten auch nicht danke, sondern stopften fich gierig voll. Schließlich wurden fle von der alten Dame in zwei weiße Bettchen
*) Aus der Sammlung„ Deutsche Märchen". Bearbeitet und für die nationale Kinderwelt herausgegeben vom Reichsverband gegen die Sozialdemokratie . Leipzig 1911.