Mnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 234. Donnerstag� den 1. Dezember. 1910 (NachdruS verboten.) 25z Alas ist R.ukm? Roman von Max Kretze� tt. Die Attacke auf das kalte Büfett begann. Lorensen nahm sich Kentens in rührender Weise an.Nur nicht blöde sein. hier greift man ordentlich zu. Hermann," sagte er und kleckste ihm von dem Beluga-Kaviar gleich zwei große Holzlöffel voll auf das Tellerchen, weil ve wußte, daß der Schweigsame trotz aller Mäßigkeit auch einmal gern von solchen Dingen schleckerte, sobald es nichts kostete. Und kaum hatte sich Kempen  an einem kleinen Tisch im Nebenraum niedergelassen, als Lorensen auch schon mit anderen schönen Dingen angestürmt kam, worunter sich zwei halbe Hummer befanden, die vor- läufig seinem eigenen Geschmack am meisten entsprachen. Beide saßen allein zusammen und bekümmerten sich bei dieser wichtigen Arbeit wenig um die anderen, vor allem Lorensen nicht, dem die ganze Welt ein großes, verlegtes Kuckucksei war, sobald er seinen Gaumen kitzeln konnte. Er winkte den Diener heran, der leichten Mosel eingießen mußte: und kaum sah er, daß Kempen   den Kaviar nicht mehr mochte, so zog er ihn wieder mit sich fort in das große Speisezimmer, wo das lange Tischlein-deck-dich vor dem kostbaren, ge. schweiften Büfett stand, auf dessen Auslagen das Silber und Zinn in Teller- und Humpenform blinkte und glitzerte. Kempen   war zaghast: Lorensen jedoch raunte ihm ermunternd zu:Latz man. hier wird stirchtbar gestessen. Er hat's ja dazu. Wer's nicht tut, ist einfach-dumm... So'n paar halbe Hummer könnten wir uns eigentlich noch mitnehmen. Woll'n mal sehn... Du, hier die Gänseleberpastete, das ist so was... Furchtbar echt, weitzt Du. Und das da, siehst Du, das ist Auerhahn mit Schnepfen garniert. Ich hörte es vor- hin. Man zu, man zu! So was bleibt nicht lange." Und Kempen  , der wie ein großes Kind dal ei stand und kaum wußte, wie er denGarnierten" recht anpacken sollte, brauchte nur stillzuhalten. Er duldete auch alles, denn der Mund war ihm gehörig wässerig geworden: rmd unwillkürlich dachte er daran, was wohl Sörgel sagen würde, wenn er sie hier bei dieser Erstürmung erblickte. Dann fiel ihm die Zeit ein, wo sie manchmal kein Mittag­essen hatten, von Kaffee, Brot und einem Stück Speck lebten und dieses karge Mal durch den Glauben an ihre Ideale würzten. Wenn dieser Zustand dann zu lange andauerte, wußte Lorensen, der Schlaue, guten Rat. Sie gingen einfach zu einem Bekannten, der es übrig hatte, und luden sich selbst zum Mittagessen ein, so daß die Hausfrau, eingeschüchtert durch diesen Ueberfall, alles herholte, was man noch vorrätig hatte. Lorensen war in dieser Beziehung nicht tot zu kriegen: er begann mit dem Wunsch nach Pellkartoffeln und fing mit dieser Bescheidenheit das Weibchen, so daß es in seinem Mit- leid nicht mehr an den anderen Tag dachte. Einmal, als sie niemand zu Hause trafen und hungrig Unter den Linden" spazieren gingen, begegneten sie einem wohlhabenden Herrn, der Lorensen von Lübeck   her kannte. Er wollte gerade speisen gehen, und Lorensen, der die Absicht verriet, das gleiche tun zu wollen, bat um die Erlaubnis, sich ihm anschließen zu dürfen, ganz in der Art eines Mannes, der über ein wohlgespicktes Portemonnaie verfügt. Sie gingen auch alle drei in ein vornehmes Restaurant, wo die beiden alles mit herunteraßen, was das Drcimark-Diner gestattete: tranken auch vom besten Wein, der Lorensen um so redseliger machte, je mehr Kempen   sich ausschwieg, mit Bangen harrend des großen Augenblicks, in dem der Freund diesen dreimal verwickelten Knoten lösen würde. Und Lorensen durchschlug ihn einfach mit einem scharfen Streich, wie weiland Alexander der Große   den gordischen, indem er kaltlächelnd zum Schluß sagte, als der große Zahlungsaugenblick unvermeidlich war: Ach, hören Sie, Herr Soundso, Sie könnten einmal auslegen für uns. Ich habe ganz vergessen, mir Geld ein- zustecken..." Er suchte in den Taschen und kam dann plötzlich auf etwas anderes zu sprechen:Wissen Sie, ich möchte mal'ue Büste von Ihnen machen. Bleiben Sie mal 'n Augenblick sitzen. Sie haben so was... ein femes Profil!" Der Biedere fühlle sich geschmeichelt, lachte und ver- scheuchte alle Sorgen. Und als dann Kempen  , der, peinlich berührt, auf einige Minuten den Tisch verlassen hatte, mm wieder zurülKehrtr, fand er alles in bester Ordnung. Die Büste, die niemals das Licht der Sonne erblickte, wurde sogar noch mit einer extra feinen Flasche begossen. Und was Lorensen hier wieder bei Heilke bewies, war eigentlich nur eine Fortsetzung dieser alten, guten Kamerad­schaft, durch die er seine Beforgtheit um das Wohl des Freundes aufs neue in seiner Art hervorkehrte. Kempenl verstand ihn auch: durch solche kleine Züge wollte er seine sonstigen Fehler gut machen, wenn auch abermals auf Kosten anderer. Es war nicht zu äiwern: er war und blieb ein prächtiger Kerl, wenn er auch manchmal fünf gerade sein ließ. Die ganze Gesellschaft hatte sich aufgelöst und dann wieder in kleinen Teilen zusammengefunden. Man, trank, schwatzte und kümmerte sich nur um die engste Nachbarschaft. Tie Herren erhoben sich zeitmeilig und eilten wieder an den Tisch, um die Wünsche der Damen imd ihre eigenen zu be- friedigen, unter Hilfe der beidenkalten Feen", die teller  - klappernd und besieckklirrend ihre Dienste verrichteten. Der Diener schwirrte durch die Räume, immer neue Pullen in den Händen; man sah seine Frackschöße bald nach hier, bald nach dort verschwinden. Die Frau Professor sah nach dem Rechten und tauchte bei dieser und jener Gruppe auf, um es mit nie- mand zu verderben. Der Geruch von kaltem Braten und saurer Sauce mischte sich mit dem starken Parfüm der Menschen und steigerte den Wärmednft, der wie die Ablage- ruuug einer verfeinerten, mitten im Genuß steckenden Gesell- schaft durch die Zimmer drang. Unter dem Glühlicht leuchteten die Gesichter, die schlanken Hälse und die Kleider der Damen, blitzte der Schmuck und warf zeitweilig Funken. strahlen scheinbar in die Luft. Rensdahl hatte sich glücklich mit dem Baron zusammen- gesunden, natürlich der schönen Frau wegen, bei der er sich am besten einzuführen glaubte, wenn er über seine Kunstlieb- habevei spräche. Lorensen hörte deutlich, wie er von seinem Götter-Park" erzählte, von demMarmor-Hain", von der Nymphen-Halle", von derFaunecke" und von sonstigem hübschen Unsinn, den sein aufgeregtes Gemüt erklärlich machte. Der Ehemann, der ihn anscheinend nicht ernst nahm, lächelte fortwährend überlegen und blickte kaum vom Teller auf: die zugängliche Frau jedoch war äußerst munter geworden, warf fortwährend lusttge Bemerkungen ein und ließ ihr helles Lachen erklingen, sobald ihr ein Witz annehmbar erschien. Dann ging von ihren Augen ein eigentümliches Leuchten aus, das der alte, gewiegte Lebenskünstler wie einen stillen Trost für sich auffing. Meine Gnädige, ja eh. lvas gibt es schönres als die Frauen und die Kunst," gackerte er laut auf.Das sind, wissen Sie, die beiden Sonnen, ja eh, an denen ich mir stets die Flügel verbrannt habe. Mir immer anjenehm gewesen... Darauf woll'n wir mal anstoßen, Herr Baron  . Sie trinken ja gar nicht... doch nicht Abstinenzler? Das bin ich nur zu Hause auf meiner Kitsche, wenn ich für meine Atelierwaisen. knaben sparen muß. Da drüben sitzen auch so ein paar, ja ch, der eine kann was, der andere nischt. Der mit den blonden Locken, das ist'n Heller Kopp, mit'ner Zukunft. Wollen Sie glauben, meine Gnädigste, der macht noch mal meinen Sarkophag... Nach fünfzig Iahren natürlich, so lange will ich die Menschen noch ärgern. Ja wohl, ineine Gnädigste, mit Wohltun bringt man auch Aerger ins Haus. Einer gönnt dann dem andern nichts. Denn, sehn Sie, der zweite da, der Löwenbändiger, der kann mich nicht leiden. Das babe ich längst gemerkt, ja ch. Ich bin nun einmal nicht für Wüsten- tiere. Uebrigenö ist er auch Mädchen für alles. Na, trotz- dem... Prosit!" Die Aufmerksamkeit der beiden Freunde war ihm nicht entgangen, und so erhob er sein Glas und trank ihnen zu. besonders aber Lorenfen, der Kempen   zuraunte, solche Dinge nicht krumm zu nehmen. Wenn er nur zahlt," brummte dieser, ohne eine Miene zu verziehen.