Ter Bibkotheksmann setzte sich zu den beiden und kam mit Kempen wieder auf Hamburg zu sprechen, wobei er allein die Kosten der Unterhaltung trug. Drüben in der hübschen Ecke am Erker ging daZ Gespräch flott weiter.„Einen Faun hat mir dieser Lorensen gemacht, meine Gnädigste, einen Faun...!" meckerte Rensdahl aufs neue,„den müssen Sie mal sehn bei mir. Zoppen Sie doch mal rüber zu mir, Herr Baron, wenn Sie nichts Besseres zu tun haben. Soll mir eine Ehre sein, Frau Gemahlin und Sie in meinem Tuskulum zu haben, ja ch... Eüvas für Götter, dieser Nymphen-Don Juan . Sozusagen ein Ueber- komiker, ja eh, ein köstlicher Galgenstrick... Bringen Sie Sie mir doch gleich'n Bild mit, Herr Baron ." „Das macht er," warf sie vergnügt ein.„Sie können auch gleich zwei bekommen. Nicht wahr, Egon? Männchen, tau doch auf. Hörst Du denn nicht? Herr von Rensdahl schwärmt für Deine Bilder, Du willst sie doch immer los sein." „Die sind nicht für Epikureer," sagte der Baron endlich Und ast lächelnd weiter. „Dann stiften Sie doch eins für meine neue Dorfkirche," ermunterte ihn Rensdahl, der sich fortwährend den Kopf darüber zerbrach, wie dies« beiden Menschen zusammen»- gekommen sein mochten. „Ich male nur Landschaften," erwiderte der Baron und sah jetzt Rensdahl mit einem Blick an, als wollte er sagen: Du Dummkopf, hast Du das noch nicht gewrißt? Plötzlich mischte sich Köstlin ins Gespräch, ein junger, schwarzbärtiger Bildhauer, der an einem Nebentischchen saß und schon wiederholt seiner Dame Rensdahl für einen großen Spaßvogel erklärt hatte. Er arbeitete in Heilkes Atelier und wurde von ihm sehr bevorzugt, konnte aber Lorensew nicht leiden, weil er merkte, daß dieser hinter Marianne her war, die seine eigenen stillen Träume ausfüllte. „Der Faun ist ja gar nicht von ihm, Herr Baron, den hat Kempen gemacht. Ich weiß es von einem Modell." (Fortsetzung folgt.). (RaAdrua»euoieu.l Bpifodcn aus dem Irrenkaufe. In zwanglosen Abschnitten soll hier von einer Geistesstätte erzählt werden, die kennen zu lernen zum Glück wenigen Menschen zuteil wird. Verfasser dieses, der viele Jahre in großen Irren- «nstalten zugebracht hat, will versuchen, das Leben und Treiben in einer solchen zu schildern, Ernstes sowohl als auch Heiteres, denn auch viel des letzteren bietet diese traurige Stätte. 1. Wie man ins Jrrcnhatls kommt. Die sonst im Bureau der Firma St. herrschende Stille ist heute durch ein wirres Hin und Her unterbrochen. Ursache hierzu gibt ein 38 jähriger Angestellter der Firma, ein als pflichtgetreu und fleißig bekannter Kaufmann. Schon seit mehreren Tagen war seinen Kollegen sein unstetes Wesen, seine mitunter befremden- den Fragen und Antworten aufgefallen. Als nun aber mittags der Kaufmann einem Lehrling Jnvaliditätsmarken zum Frankieren der Briefe gab, sowie eine Depesche, auf der er ein vergoldetes Automobil bestellte, holte man einen Arzt, der die Ueberführung in die Heilanstalt verordnete. Einer solchen konnte der Kranke nur durch einen Trick zugeführt werden. Man redete ihm ein, daß ein Verwandter von ihm verunglückt und ins Krankenhaus gebracht sei und ihn dringend zu sprechen wünsche. Erst in der Heilanstalt merkte der Kaufmann die Täuschung und konnte nur durch die Ueberredungskunst der Aerzte beruhigt werden. Vor dem Schlosse geht ein Mann auf und ab. Plötzlich klingelt er am Schloßtor und erwidert dem ihm öffnenden Soldaten auf die Frage, was er wünsche:„Ich bin Prinz Karl und von Seiner Königlichen Hoheit zu einer Audienz befohlen." Der Soldat führt den Geisteskranken— denn ein solcher ist es— in die Wachtstube und holt einen Schutzmann, und aus der fürstlichen Audienz im Schlosse wird ein ärztliches Verhör auf der Polizcilvache. In wenigen Minuten hat der PhysikuS amtSattestlich die Unterbringung des Mannes in die Heilanstalt angeordnet. Der Polizeitelcgraph meldet der Anstalt:„Der geisteskranke Mann wird abgeholt." Nach einigen Stunden kommen dann zwei Jrrenpfleger auf die Polizei- wache und fahren mit dem Kranken per Droschke der Anstalt zu. Die Polizei ersucht um Abholung eines geisteskranken Mädchens von 18 Jahren, das sich auf der Straße sehr auffällig benommen hat. Soloohl auf der Polizeiwache und während der Droschken- fahrt, als auch bei der Ankunft in der Anstalt spricht das Mädchen kein Wort. Der Aufforderung einer Pflegerin, in den Aufnahme- badcraum zu gehen, kommt die Kranke ivillig, aver schweigend nach. Even will sie in die Badewanne steigen, da—«u Entsetzen der Pflegerin, Hilferufen, Entfliehen! Das Mädchen war ein— Mann! Ter junge Bursche hatte, wie er nachher dem Arzt erzählte, nur aus Scherz Frauenkleider nebst Perücke angelegt. So spielen sich die Vorgänge ab, die eine Einlieferung in die Irrenanstalt zur Folge haben. Tag für Tag rollen Droschken. Sanitätswagen und Kranlenautomobile durch das Anstaltstor; ja selbst„der grüne Wagen" der Polizei oder Tragkörbe dienen als Transportmittel. Heute bringt ein Vater seinen Sprößling, der die Portokass« seines Lehrherrn für Eintrittsgelder in den„Kino " verbrauchte, und der Vater glaubte daher,„daß der Junge im Kopfs nicht ganz richtig sei"; morgen liegt aus der Bahre des Kranken» Wagens ein Lebensmüder, der sich die Pulsader öffnete oder der dem Wasser wieder entrissen wurde, oder ein Trunkenbold, der inb Delirium zu Hause alles demolierte; endlich bringt man eine alte Frau, deren Aufnahme aber durch den diensthabenden Arzt ver» weigert wird, weil der Tod sie auf der Fahrt ereilte; sie wird, weil unbekannt, vorerst dem Leichenschauhause überwiesen. 2. Die Einrichtung der Irrenanstalt. Am Anstaltstor fitzt in seinem Diensthäuschen der„zweite Portier" und kontrolliert den ein- und ausgehenden Personen- und Wagenverkehr. Jede Aufnahme meldet er dem„Hauptporticr" in» Verwaltungsgebäude, der wiederum den tagesdiensthabenden Arzt. einen Negistrawrbeamten und einen bis zwei Pfleger oder Pflege- rinnen ins Aufncchmezimmer bestellt. Der Bureaubeamte stellt die Personalien des neuen Kranken fest, der Arzt den„Aufnahme- befund"; dieser lautet z. B.:„Patient ist total betrunken und nicht vernehmungsfähig";„Patient hat Angstgefühle, glaubt sich verfolgt und bedroht";„Patient ist ruhig, zeitlich und örtlich zwar orientiert. macht aber einen dementen Eindruck";„Patient ist äußerst erregt. nimmt aggressive Haltung an, verlangt sofortige Entlassung, er sei nicht krank" usw. Hierauf bringen die Pfleger bezw. Pflegerinnen den Kranken auf das sogenannte„Aufnahmehaus". Außer diesem gibt es noch folgende Häuser: Haus für Schwer- kranke, meist Unheilbare, verbunden mit einem Pavillon für die in absehbarer Zeit Sterbenden; das Trinkerhaus(„Spritpavillon" scherzweise genannt); das„freie Haus" für gebesserte und demnächst zu entlassende sowie für harmlose und nicht fluchtverdächtige Kranke; endlich das„feste Haus" für gerichtlich und polizeilich zu- geführte, aber fluchtverdächtige und meist gemeingefährliche Kranke. Ueber dieses Haus soll in einem besonderen Abschnitt die Rede sein. — Im Aufnahmehause unterscheidet man bezüglich der Stationen „ruhige Säle", Wachsäle. Tobsäle und Zellen. In den ruhigen Sälen sind Leute, die keiner großen Aufsicht bedürfen und meist bald auf das freie Haus verlegt werden. Die Wachsäle haben Tag und Nacht starke Bewachung: auf zwei bis drei Kranke kommt ein Pfleger; im Tobsaal fallen auf jeden Patienten ein bis zwei Wärter. Die Zellen werden halbstündlich kontrolliert. Sie dürfen nie von einem Pfleger allein betreten werden, nur zwei bis vier Wärter dürfen gemeinsam eine belegte Zelle aufschließen und bc- treten; vorher überzeugt man sich durch das an der Tür befindliche Guckloch, wo der Kranke steht oder liegt und was er treibt. Ein wohl 1l) Meter langer Korridor führt zu den einzelnen Sälen, aus denen zeitiveise ein Stimmengewirr dringt, wie aus einer unbeaufsichtigten Schulklasse. In langen Lazarettröcken und Hosen laufen einige Gestalten teils stumpfsinnig oder lächelnd, teils vor sich hinsprechend oder gestikulierend, zum Teil aber auch unauffällig hin und her. Hier liegt einer auf dem Fußboden, eine Zeitung verkehrt haltend und lesend; dort sitzen einige Kranke, die sich von einem Mitpatienten„dessen neueste patentierte Er- findung, ein verstellbares Notizbuch" erklären lassen; hier lauscht ein Mann um die Ecke und spricht mit einer dort gar nicht vor- handenen Person, während sich ani Fenster zwei Schnapsbrüder begrüßen, von denen der eine bereits zum 52. Male, der andere aber„erst" zum 39. Male aufgenommen wurde, und streiten sich darüber, wer sich draußen länger halten kann. 3. Die Wach- und Tob säte; die Zellen. Interessanter als auf dem Korridor, ist es in den Kranken- sälen. Sehen wir mal in die Betten: Im ersten liegt ein Greis; hilflos wie ein kleines Kind, bedarf er der besonderen Wartung und Pflege; er wird gewaschen, gefüttert, geführt und gestützt; er lallt unverständliche Worte, erkennt seine Angehörigen nicht usw.; Greisenwahn ist seine Krankheit. Das Nebenbett ist ein„Kastenbett" mit anderthalb Meter hohen gepolsterten Wänden für„bett- flüchtige" Kranke. Eben will jemand neugierig hineinsehen. „Mensch, laß die Pferde in Ruhe/ schreit es ihm entgegen und ein aufgedunsenes, rotes, schweißtriefendes Gesicht taucht am oberen Bettrande ans. Mit stark zitternden Händen wirft der Kranke seine beiden Bettdecken aus dem Bett, und zwar derart, als ob er Pferde damit zudecke.„Weg da vom Wagen," brüllt er jetzt. Es ist nämlich ein Kutscher, der im Delirium sein Bett für sein Fuhrwerk hält. An einem anderen Kastcnbett halten am Kopf- ende zwei Pfleger Wache bei einem hartnäckigen Selbstmord- kandidaten. Jeder Versuch, sich kopfüber aus dem Bett zu stürzen oder mit dem Kopf gegen die Wand oder mit Gesicht und Armen in ein Fenster zu lausen, wird durch sauste und schnelle Gewalt- griffe der Wärter verhindert. Ein wimmcrartiges Aufschreien veranlaßt einige Pfleger, dein Bette eines Mannes zuzueilen, der einen heftigen Krampfanfall hat. Bis dieser vorüber ist, muß der Kranke festgehalten werden, weil er sich sonst die Hände zerschlagen würde; uns dem Munde quellender, blutg-unschter Schaum wird
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27 (1.12.1910) 234
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