Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 241.
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Sonnabend den 10. Dezember.
( Nagbrud beraten.)
Was ist Rubm?
Roman von Mar Kreger. Runkel hatte ihn diesmal falsch verstanden.„ Tote Sache, nicht wahr?" rief er mit einem gewissen Vergnügen.
Im Gegenteil, Professor, viel Leben, meine ich!" ließ num Klorer dicht bei ihm seine Stimme erdröhnen.
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„ Ei, versteht sich, das ist so die Anschauung der Naturalisten. Weiß schon!" wehrte ihn der Kahlköpfige ab. Aber ich will Ruhe in der Kunst, sehen Sie doch den Löwen von Riß, an der Amazone vorm alten Museum." Er hustete, was er stets bat, wenn er seinen Groll herunterschlucken wollte. Der liegt doch nicht auf dem Rücken, Professor," erwiderte Klorer mit unerschütterlichem Ernst und holte sich aufs neue die Lacher heran.„ Und dann sehn Sie, mit dem Kerl da ist es ebenso. Der steht breitbeinig wie der Koloß zu Rhodus . Das werden Sie wieder unschön finden, aber es ist natürlich, weil er erschöpft ist. Der hält sich nur mit den Nerben aufrecht. Schließlich ist es doch auch feine Maulwurfsjagd. Stimmt doch, meine Herren, wie? Summa fummarum: Einer, der etwas kann. Den Namen wird man fich merken müssen." Da er aber noch nicht wissen konnte, wie fich die Mehrheit entscheiden und die Kritik dazu verhalten würde, so hielt er es schon aus persönlichen Gründen für notwendig, sein Lob bedeutend einzuschränken, indem er hinzufügte, daß es ja gerade kein Meisterwerf sei, aber trotzdem... nichts destoweniger... bei alledem, und wie gesagt: groß gedacht, sehr groß gedacht!... Und ein Zeichen von Arbeit, von fester, ferniger Arbeit!
Heilfe ließ sie ruhig reden, denn sie besorgten schon genügend seine Sache. Aber als die Meinungen immer wider. streitender wurden und Stenzel dafür sprach, daß man ,, immerhin" dieser Gruppe einen guten Play anweisen müsse, erwachte sein Gedächtnis merkwürdig rasch. Er nahm den greisen Runkel beiseite und tutete ihm etwas ins Ohr. Dieser rief Stenzel zu sich heran und teilte ihm das Gehörte mit. Was? Dieser Mensch sei gegen die Alten und habe sie für Stiefelputer des versoffenen Walzmann erklärt? Dieses Krakelers, der überall herumlief und behauptete, er habe die großen Hühner fett machen helfen? Dieses geschworenen Feindes jeder Solidität, der schon blau vor erger wurde, wenn er den Titel Professor hörte?
Leitner, berühmt auch als Medailleur, der auf Walzmann eine besondere Pike hatte, stand noch in der Nähe. Bald war man einig, und die Jüngeren wurden überstimmt. Von Ablehnung könne keine Rede sein, aber hinein in die Dunkelfammer! Dort konnte der Löwe in Ruhe verreden. Sie alle, die jetzt hier so friedlich zusammenstanden, als könnten sie sich gegenseitig fein Wässerchen trüben, waren schon neidisch auf das bessere Pläßchen, das der allernächste für sein Kunstwert bekam; um so weniger brauchtem sie sich um eines Fremden wegen in den Haaren liegen.
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Sagen Sie mal," quietschte Stenzel zum Schluß Heilfe noch an, da höre ich soeben, daß Sie diesen Kempen doch eigentlich kennen müssen, von wegen Ihres Schüßlings, des Lorensen. Das sind doch die beiden Kerle, die zusammenwurzeln.. das heißt, dieser Lorensen, der hat was los, verdiente feinen Plaz."
Heilfe schwieg sich aus. Runkel jedoch, der aufmerksam zugehört hatte, kam wieder mit seinem:„ Ei, versteht sich" und midte.
Das alles aber fonnte Klorer nicht abbalten, zum Schluß zu wiederholen:" Den Namen wird man sich merfen müssen." Und so hatte man den riesigen Löwenkämpfer in einem der verlorenen Räume an der Stadtbahnseite untergebracht, in einer sogenannten„ Totenkammer", wie der grausame Künstlerspott diese Rojen bezeichnete, wo er, umgeben von einigen in Gnaden aufgenommenen Porträts und Landschaften, als das Werk eines Namenlosen inmitten von Malern dritten und vierten Ranges kühn zur Dede strebte. Wenn die begierig schauende Menge der Neugierigen, unter denen die Kunstverständigen mit der Diogeneslaterne zu suchen waren, die großen Hauptsäle mit ihren sensationellen Schlagern durchwogt hatte und dann, das Auge schon müde vom vielen Sehen, sich hinauswünschte in die freie Luft,
1910
pflegte sie zerstreut diese Seitengänge zu durchwandeln, un. gefähr mit der Lässigkeit von Fremden, die flüchtig auch den Anblick von Nebendingen noch mitnehmen möchten, bevor sie sich mit der Beruhigung, daß ihnen nichts entgangen fei, wieder auf andere Dinge stürzen.
Es war, als hätte man einen Riesen in eine Hundehütte gesperrt, wo er, zusammengefauert, verfümmern müsse, unfähig zum Gebrauche seiner Gliedmaßen. Und die blöde Menge empfand das nur insofern, als sie sich selbst den Hals ausrecken mußte und sich auf die Beine trat, wenn sie, eng wie in einer Tretmühle, um den mächtigen Bau herumging. Zeitweilig bildete sich eine aufmerksame Gruppe, die längere Beit verweilte; aber sie galt nicht diesem festen Erguß einer Künstlerseele, sondern einem ultigen Familienbild hinten an der Wand, über dessen violette Gesichter gleich am ersten Tage in einer vielgelesenen Zeitung derb gespottet worden war. Vater, Mutter und Sohn saßen am Tisch, aßen Suppe und schienen sich vorher in Waschblau getunft zu haben, bevor sie sich wieder zur Magenfüllung zusammenfanden. Die Leute lachten, traten zurück, um besser sehen zu können, und rannten dabei gegen das Postament des Löwenkämpfers, auf den sie bei dieser Gelegenheit einen ärgerlichen Blick warfen, wie auf einen fantigen Störenfried. Weshalb hatte man das Ding auch auf diesen Fleck gestellt, wie in einer Rumpeltammer, wo man überflüffige Sachen aufbewahrte!
Dieses vielköpfige Ungeheuer, das man Publikum nannte, dessen Laune heute den einen in den Himmel erheben fonnte, um den anderen am nächsten Tage erbarmungslos in die Tiefe zu stürzen, folgte in seinem Urteil unbewußt den hohen Plazanweisern auf diesem großen Kunstmarkt, indem es fich sagte: Was wird daran sein, wenn es hier steht?" Dort vorn, im langgestreckten Skulpturensaal, wo zu beiden Seiten des Kuppelraumes das helle Licht verschwenderisch auf den weißen Büsten und Figuren lag, fonnte man besser schauen, sich nach Herzenslust spreizen und all die Schönheiten mit Muße in sich aufnehmen. Hier staute sich die Welt, die sich langweilt und die mit Behagen alles an sich herantreten läßt, um es mundgerecht zu empfangen. Diese Beda, hübsch, nicht wahr?"..." Einfach entzückend!" sehr nett, nicht wahr?"... Rei. Dieses Nymphenspiel Und dieser Zaun, einfach zend, wirklich reizend grandios!"- Meisterhaft finde ich ihn. Wer hat denn das gemacht?" Dem schönen Frauenmund half der Katalog nacy. Friz Lorensen. Wohl ein Ausländer?"..." Scheint so."
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Diese Vermutung gab dem Werk erst die richtige Weihe, denn ein fremder Namensklang warf den Deutschen anbetend in den Staub. Das erhob den eigenen Wert und ließ die Phantasie in unbegrenzte Weiten schweifen, nach dort, woher die Propheten kamen, die die großen Rätsel mitbrachten, die man, ach, so schwer manchmal lösen konnte, die aber etwas Mystisches enthielten; und die Mystik war nun einmal Mode geworden und befriedigte so schön die Wollust der Seele. Ea war immer dasselbe: ob ein Pariser Hut, ein Drama, ein Bild oder ein plastisches Werk nur die Marke mußte echt sein.
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Das Endwort all dieser Betrachter blieb immer dasselbe: „ Der Jaun , der Faun!" Lorensen hörte es selbst, wenn er unerkannt daneben stand und zufällig die Worte aufgriff. Ev hatte sich dermaßen in seine eigenen Werke verliebt, daß er jetzt früher wie sonst sein Atelier verließ und fast regelmäßig hinaus in die Ausstellung pilgerte, wo er, den weichen Filzbut auf, den luftigen Sommermantel lose über die braune Samtjoppe geschlagen, unter Ausmuzung der Freikarte bereits eine bekannte Figur spielte. Die Familie Heilfe war diesmal frühzeitig in die bayerischen Alpen gefahren, nicht ohne ihm den Wink zu hinterlassen, er möchte, wenn es ginge, ein Weilchen die Höhenluft in Garmisch mit ihnen teilen. Und so versuchte er bis zu seinem Aufschwung dazu, nach Möglichkeit die Zeit allein totzuschlagen. Vorläufig wartete er noch auf Rensdahl, der ihm geschrieben hatte, er wolle sich demnächst persönlich davon überzeugen, wie seine Gruppen sich inmitten anderer Kunstwerke ausnähmen.
Trotz alledem aber kam Lorensen zu feinem Genuß, denn niemals wurde er den Gedanken los, daß das größte Lob der Arbeit einem anderen galt, der still und bescheiden im Hinter grund blieb und seit dem Eröffnungstag die Ausstellung nicht