Zlnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 246. Sonntag, den 18. Dezember. 1910 (ZZachdruck»erlotni.1 n] Mas ift Ruhm? Roman von Max Kretzer  . Sie saßen m dem klemen Vorgärtchen. das man künstlich auf Bohlen und durch verstellbare Rankengewächse gebildet hatte. Um diese Zeit waren die ersten Morzengäste bereits fort, und so befanden sie sich allein in der Ecke und konnten ungestört plaudern. Vergnügt schleckerte sie die Schlagsahne ihrer Schokolade, mit einer gewissen Achtsamkeit, wie sie Kinder manchmal bei dem frommen Wunsche haben, es möchte der köstliche Trunk nicht so rasch alle werden. Lange hatte sie nicht so behaglich gesessen, denn niemals hatte sich Kempen  zu einer solchen Einladung aufschwingen können. An der- schiedenen Abenden waren sie während der letzten Wochen zu- sammen ausgegangen, gewöhnlich in einen Garten, wo es schlechtes Freikonzert gab. Dann hatten sie bei einem Glase billigen Bieres die Zeit gehörig geschunden, nachdem im Atelier gegessen worden war. Sie trank ein Glas und Kempen  zwei: kam es hoch, so schwang er sich zum dritten auf, was schon dafür sprach, daß er besonders gut aufgelegt war. Mit den Tampfwolken feiner Zigarre hüllte er sich auch in Schweigen, und sprach er, so geschah es mit wenigen Worten und fast immer über seine Arbeit. Manchmal wurde er nur gesprächig, wenn er den Kellner herbeirief oder bezahlte. Um elf Uhr brachte er sie nach Hause und nannte beim Abschied regelmäßig die Stunde des andern Tages, wo sie im Atelier sein sollte, was ihr eigentlich überflüssig erschien, denn es war immer dieselbe Zeit. Ostmals, wenn sie so an seiner Seite ihre Gedanken spann, dachte sie darüber nach, für was die Leute sie beide wohl halten könnten, namentlich die jungen, keck blickenden Männer, die verwegen die Augen nach ihr spielen ließen und manchmal bedeutungsvoll das Glas zu ihr erhoben, als wollten sie sagen:Komm doch her zu uns. Du frisches Ding. Was sitzt Du da bei dem Maulfaulen und langweilst Dich nach Noten." Dann waren ihre Gedanken zu Lorensen gegangen, und sie malte sich aus, wie munter es an ihrem Asch her- gehen würde, wenn er seine Redeuhr aufgezogen hätte. Und nun hatte sie es erreicht: er faß dicht neben ihr und machte seine drolligen Bemerkungen, um sie zunächst bei Laune zu erhalten, was er eigentlich gar nicht nötig gehabt hätte, denn sie war so vergnügt, daß sie hätte quietschen mögen. Es war so schön, hier zu sitzen, lauschig versteckt das Gebrause der Straße zu hören, durch die Blattliicken die Menschen vor- überhuschen zu sehen und sie beim Einsteigen zu beobachten, wenn die Pferdebahn gerade hielt. Drüben blickte eine Dame, noch in der Morgenjacke, zum zweiten Stockwerk hinaus, einen fetten Mops neben sich, den sie wie ein Kind umärmelt hatte. Und ein Haus weiter stand ein Leutnant am offenen Fenster und strich sich den Schnurrbart. So etwas sah sie auf ihrem Hofe nie, wo man sich erst den Hals ausrecken mußte, um sich an dem Stückchen blauen Himmels hoch oben zu erfreuen. Und die frische Luft hier im Schotten, die helle Morgensonne dort drüben und die dicke Schokolade mit der süßen Schlag- sahne! Es dauerte nicht lange, so girrte er sie mit einer gewisien natürlichen Verschlagenheit an. die er immer bereit hatte, so- bald er derartige lose Schmetterlinge beäthern wollte. Dann kam es ihm auf ein paar Treuschwüre mehr oder weniger nicht an, immer von der Selbst»»?- rede durchdrungen, daß die andre Seite es ja ebenso machen könne. Nichts trübte den Blick feiner blauen Augen, die unschuldsdoll wie die der- fchwiegenen Waldseen seiner Heimat leuchteten. Die Leicht- fertigkeit schon im Blute, dachte er sich gar nichts Schlimmes dabei, wenn er die fremden Trauben nahm, sobald sie ihm mundgerecht genug hingen: seine Entschuldigung blieb immer dieselbe: daß die Künstler eine a.idere Moral hätten als die Philister, die dafür auch die Bezeichnungbrave Bürger" verdienten. Sie lachte zwar dazu, denn alles, was Kempen   versäumt und worauf sie. erfüllt von Wohlgefallen, vergeblich genzartct hatte, holte dieser hier gründlich in einem Atemzug nach. Und selbst als er die dreistesten Worte gebrauchte, zeigte sie keine üble Laune, weil es unter vier Augen geschah und sie sich nicht mehr darüber zu ärgern brauchte. Nachdem sie als Modell die letzte Ueberwindung gezeigt hatte, war sie mit den Tagen unempfindlicher geworden, gleichsam vertrauter mit dem, was die Zukunft nun bringen würde. Wohl wußte sie. daß sie ein armes Mädel bleiben und daß keiner dieser Künstler sie anders als die Geliebte betrachten würde, sobald sie einmal von dem Tugendpfade abwiche. So wollte sie sich wenigstens die Achtung vor ihnen bewahren, um als etwas Besonderes zu gelten und später bester bezahlt zu werden. Kempen  , in seiner Offenheit, hatte ihr schon mehr alS einmal zu verstehen gegeben, was für Anerbieten ihr dis Großen und Berühmten machen würden, falls man erst ein, mal hinter ihre Schönheit gekommen wäre: und Wunderdinge hatte sie zu hören bekonimen von der Anhänglichkeit mancher» Künstlers an sein Modell, das jede Forderung hätte stellen können, weil es ihm zum täglichen Brot in seiner Knnst gc* worden war. Das alles hatte sie mit Märchengedanken er­füllt, und so wartete sie begierig auf den Tag. wo man sie zuni ersten Male ausstellen loörde, und wo sie dann, die staunende Menge vor Augen, zu sich sagen könnte:»Seht her. das bin ich, die Perle unter den Modellen." So träumte sie init offenen Augen, wenn Kempen   lautlos schaffte und nur ihren Körper sah. ohne ihr einfältiges Seelenleben zr  » studieren. Also- sag mal, Klärchen... Ich darf doch Du zu Dir« sagen?" fuhr Lorensea eifrig fort, indem er ihre schmale. weiche Hand streichelte. Wenn es niemand hört, warum nicht?" erwiderte sie lustig niit der Sorglosigkeit der Jugend, die noch ihre Schritte überallhin lenken kann.Verschnappen Sie sich nur nicht im Atelier, denn sonst bin ich wieder Schuß mit Ihnen." Lorensen fuhr auf und verfiel sofort in den alten Ton. Ja, denken Sie denn, ich habe Furcht vor ihm?" Ruhig leckte sie erst die Schokolade vom Löffel.Na, ein bißchen doch wohl... Ilebrigens, wissen Sie. ich habe mir die Sache überlegt. Ich werde ihm einfach sagen, daß wir hiev zusammen waren. Das ist doch eigentlich gar nicht gefährlich. Ich bin doch nicht seine Sklavin. Die Bude war eben zu, da sind wir spazieren gegangen, nicht? Mit der Wahrheit fährt man immer am besten." Lorensen wollte jedoch nichts davon wisten, nahm aber das WortSklavin" lebhast aus. Und nun stimmte er laut das Lied an, das er solange in Gedanken gesungen hatte: von der Zweieinteilung ihrer Modellgefälligkeit und von seinem Wunsche, etwas aus ihr zu machen, was die Welt entzücken und mit Bewunderung erfüllen solle, ganz etwas andres als Kempen   schaffe: etwas Süßes, Heiliges, Himmlisches und Schönheitstrunkenes I Es werde nur an ihr liegen, denn wenn sie ihren Willen dazu zeige, müste Kempen   einfach den Mund halten: und behandle er sie rauhbeinig, so brauche sie sich durchaus nichts daraus zu niachen: dann bleibe sie eben sein, Lorensens, Modell. Und einmal im Zuge, ganz Hingeristen von feiner Lebens, aufgäbe, fand er die schönsten Worte, um die Erhöhung seines jungen Ruhmes von ihrem Entgegenkommen abhängig zi» machen. Brennende Sehnsucht nach ikjr sprach aus ihm. die ihr Mitleid erweckte. Aber nun, da sie das Gefühl der Siegerin hatte, die Wohltaten erweisen konnte, wollte sie ihr» noch ein wenig zappeln lassen, und so sagte sie schnippisch. indem sie ihre Erregung dämpfte:Warten Sie doch, bis Sie mit Fräulein Heikle verheiratet sind: dann lassen Siq Ihre Frau Modell stehen. Kommt doch sehr oft vor." Das ist dann auch danach." erwiderte er lächelnd, ohne ihr den Einwurf zu verübeln: denn noch dachte er daran, wie er sie bei einem ähnlichen Hinweis angefahren hatte. Und er zürnte ihr auch nicht, als sie sich laut vergnügte bei dev Vorstellung, wie Marianne sich später mal entpuppen könnte, schwamm vielmehr in den Wogen seiner Begeisterung ruhig fort. Schon sah er, wie sie halb bezwungen war, und es hätte erst gar nicht seiner Herzenswort« bedurft, um sie? sich zu stimmen. Später, später!" rief sie wie benebelt aus.Weshalb soll ich Ihnen beiden nicht dienen, die sich immer so treuz