Ilnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 6. j Dienstag, den 10. Januar. 1911 lNachdru« pcrvsien.1 6) PeUe der Gröberer. Roman von Martin Andersen Nexö . Den ganzen langen, lichten Tag war das Weinen aus den Stuben von Steengaarden herausgesickert: ho, ho, hol so wie der Refrain eines traurigen Volksliedes. Jetzt war endlich eine Pause eingetreten. Lasse machte sich auf dem unteren Hof gu schaffen ihm lag noch immer der Klang im Ohr. Trüb- selig, ach, so trübselig war es mit diesem ewigen Frauen- weinen, als sei ein Kind gestorben, oder als säße eine mit ihrer Schande da. Und was konnte da wohl zu weinen sein, wenn man einen Hof von mehreren hundert Tonnen Land hatte und in dem großen Haus mit zwanzig Fenslern wohnte Reichtum, das ist eine Gabe von Gott, Doch Armut, das ist eine Belohnung. Wer den Reichtum hat, Hat das Leben oft satt, Der Arme, der ist immer zufrieden! Kaina sang das dadrllben in der Milchstube, und weiß Gott , das war wirtlich wahr! Wenn Lasse bloß gewußt Hütt', woher er das Geld für einen neuen Kittel für den Jungen nehmen solle, so wollt' er nie einen Menschen hier auf der Welt beneiden. Wenn es auch ganz angenehm sein könnt', Geld zu Tabak und zu einem Schnaps hin und wieder zu haben, wenn man anderen deswegen nicht zu nahe zu treten braucht. Lasse glättete den Misthaufen: er war mit der Mittags- arbeit im Stall fertig und ließ sich gute Zeit. Dies war nur etwas, toas er dazwischen schob. Hin und wieder sah er frei- lich doch zu den hohen Fenstern empor und griff mit einein Ruck zu, aber die Müdigkeit war doch am stärksten: eine kleine Nachmittagsruhe hätte gut getan, aber er wagte es nicht. Es war still auf dem Hof, Pelle war noch dem Kaufmann gelaufen, um für die in der Küche etwas zu holen, alle Mannsleute waren auf dem Felde, um die letzte Sommer- jaat unterzupflügen. Man war weit zurück auf Steengarden. Da kam der Landwirtschaftseleve schnobernd aus dem Stall, er war anders herumgegangen, um Lasse von hinten zu uberraschen, der Verwalter hatte ihn geschickt.Bist du da, du fauler Polizeispion," murmelte Lasse, als er den Eleven sah,eines schönen Tages schlag ich doch noch tot!" Aber er uahm die Mütze tief vor ihm ab. Der lange Eleve ging über den Hof, ohne ihn anzusehen und fing an, mit den Mäd- chen unten im Brauhaus zu schäkern. Das ließ er hübsch bleiben, wenn die Knechte zu Hause waren das Gespenst! Kongstrup trat da oben auf die Treppe hinaus, er blieb eine Weile stehen und sah nach dem Wetter, dann ging er auf den Kuhstall zu. Herrjemine, was für'ne Gestalt er füllte die ganze Stalltür aus. Lasse stellte die Mistgabel hin und eilte hinein, um zur Hand zu sein. Na, wie gehts, Alter?" fragte der Gutsbesitzer freund- lich,kannst Du mit Deiner Arbeit fertig werden?" Ach ja, das geht woll," sagte Lasse.Aber viel kann man ja nich' machen. Es is'n großer Viehstand für e i n e n Mann." Kongstrup blieb stehen und befühlte das Hinterteil einer Kuh.Du hast ja den Jungen zur Hilfe, Lasse. Wo ist er übrigens? Ich sehe ihn nicht." Er ist für die Frauenzimmer nach dem Kaufmann." So wer hat ihn dahin geschickt?" Die Frau selbst, glaub' ich." Hm ist er schon lange weg?" Ach ja, er muß woll gleich wieder hier sein."- ..Halt' ihn an, wenn er kommt, und schick ihn mit den Einkäufen zu mir herauf hörst Du?" Pelle war nicht mutig zu Sinn bei dem Gang nach dem Arbeitszimmer: die Frau hatte ihm außerdem befohlen, die Flasche gut unter der Bluse zu verstecken. Es war sehr hoch bis zur Decke dadrinnen, an den Wänden hingen feine Jagd- gewehre: und oben auf einem Bort standen Zigarrenkisten, eine über die andere, ganz bis an die Decke als wenn es ein Tabaksladen wäre. Aber das Sonderbarste war doch, daß sie eingeheizt hatten, jetzt, mitten im Mai und bei offenen Fenstern. Sie wußten wohl nich, wo sie all ihr Geld lassen sollten! Aber wo woll die Geldkisten waren? Dies alles und noch viel mchr beobachtete Pelle, während er auf seinen bloßen Füßen an der Tür stand und vor lautep Verlegenheit die Augen nicht aufzuschlagen wagte. Da drehte sich der Großbauer auf seinem Stuhl herum und zog ihn am Kragen zu sich heran.Laß doch mal sehen, was Du da unter, der Bluse hast, kleiner Kerl," sagte er freundlich. Das is Kognak!" sagte Pelle und holte die Flasche heraus.Tie Frau hat gesagt, ich sollt' es keinem zeigen." Du bist ein tüchtiger Junge," sagte Kongstrup und streichelte ihm die Wange,aus Dir wird schon was werden. Gib Du mir jetzt die Flasche, dann will ich sie meiner Frau hinbringen, daniit niemand sie zu sehen bekommt." Er lachte herzlich. Pelle reichte ihm die Flasche. Dort auf dem Schreib- tisch stand Geld in einem ganzen Stapel, dicke, runde Zwei- kronenstücke, eins über dem anderen. Warum bekam denn Vater Lasse nicht den Vorschuß, um den er so sehr gebeten hatte? Nun kam die Frau herein, und Kongstrup ging gleich hin und schloß das Fenster. Pelle wollte gehen, aber sie hielt ihn zurück.Du hast ja etwas für mich geholt?" sagte sie. Ich habe das Geholte bereits in Empfang ge» nommen," sagte Kongstrup.Du sollst es haben, sobald der Junge gegangen ist." Aber sie hielt die Tür zu. Der Junge sollte gerade blei- bcn und Zeuge davon sein, daß ihr Mann ihr die Waren vorenthielt, die sie in der Ltüche brauchen mußte. Alle sollten es wissen. Kongstrup ging auf und nieder und sagte nichts. Pelle erwartete, daß er sie schlagen würde: denn sie nahm böse Worte in den Mund, viel schlimmer als Mutter Bengta, wenn Lasse aus Tommelilla nach Hanse kam und angeheitert war. Aber er lachte nur.Jetzt wird es wohl genug sein," sagte er, führte sie von der Tür fort und ließ den Knaben heraus. Lasse war gar nicht wohl dabei. Er hatte geglaubt, der Herr mische sich dahinein, um zu verhindern, daß alle den Jungen schickten wo er seine Hilfe bei dem Vieh doch so nötig hatte. Und nun nahm es eine so liederliche Wendung. Ach so, es war Kognak," wiederholte erja, dann kann ich es verstehen. Aber daß sie so frei herumgehen kann, wo s i e doch mit so'n Laster behaftet is er muß ein gut- wütiger Bär sein." Er mag ja auch selbst gern was Starkes," meinte Pelle. der allerlei von den Gewohnheiten des Gutsbesitzers gehört hatte. Ja, aber'n Frauenzimmer, Du, das is doch ganz was anders. Bedenk doch, das sind feine Leute. Ja, ja, ja, ja! Es kommt uns woll nich zu, über die Herrschaft zu räson- nieren, wir haben genug mit uns selbst zu tun. Aber ich würd' viel dafür geben, wenn sie Dich nich' wieder ausschicken wollt'! Wir können leicht da zu sitzen kommen, wie die Laus zwischen zwei Nägel." Lasse ging an seine Arbeit. Er seufzte und schüttelte den Kopf, während er Futter heranschleppte, ihm war gar nicht froh zu Sinn. 3. Es war belebend mit all' dem Sonnenschein, der den Raum von allen Seiten füllte, ohne von einer entsprechenden Hitze begleitet zu sein. Die Dämpfe des Frühlings waren aus der Luft weggeblasen, und der Wärmenebel des Sommers war noch nicht gekommen. Es lag nur Licht über den grünen Aeckern und dem Meer da draußen, Licht, das die Linien der Landschaft klar in der blauen Luft abzeichnete und eine milde, angenehme Wärme ausatmete. Es war an einen? der ersten Tage des Juni, der erste richtige Sommertag. Und es war Sonntag. Steengaarden lag da und schwelgte in Sonne. Ucberall durfte sie eindringen mit ihrem hellen, goldigen Schimmer: und wo sie nicht hingelangen konnte, da zitterten dunkle Farbentöne gleich einem heißen, verstohlenen Atem in den Tag hinein. Luken- und Türöffnungen standen gleich der,