seine Hauptnahrung doch Nadelholzsamen. Mtt deren Gedeihen stehen nicht nur die unregelmäßigen Wanderungen dieser Zigeuner- Vögel in ursächlichem Zusammenhang, sondern es wird durch sie noch eine weitere merkwürdige Eigentümlichkeit bedingt, nämlich die, daß der Vogel nicht verwest. Brehm berichtet, daß ein im Hochsommer geschossenes Exemplar in den Federn ein Jahr lang und ein anderes, das zur Mumie eingetrocknet war, 20 Jahre lang sich unverändert hielt. Diese Eigenschaft wird bedingt durch die Menge des Harzes, die der Vogel mit dem Holzsamen zu sich nimmt, wie daraus her- vorgeht, daß Individuen, deren Hauptnahrung in anderen Sämc- reien bestand, diese Eigentümlichkeit nicht besitzen. Noch eines ist es, das den Kreuzschnabel zu einem durchaus originellen Gesellen macht, nämlich sein Federkleid oder vielmehr die Farbenänderung in diesem. Erwiesenermaßen gibt es nämlich von der dritten Mauser an gerechnet kaum zwei männlicke Kreuz- schnäbel, deren Gesieder ein gleiches Aussehen hätte. In ihrem Jugendkleide tritt das Grau noch mehr zutage als in dem grau- grün gefärbten Habit des Weibchens. Beim jungen Männchen wird das Gefieder nach der ersten Mauser gelbgrün. Da in diesem Falle der Farbenwechsel nicht nur durch die Mauser hervorgerufen wird, sondern auch durch Verfärben, so wird das Kleid um so gelber, je länger es getragen tvird. Die Fahnen einzelner Feder- Partien, namentlich die der Brustfedern, erhalten nach und nach einen orangefarbenen Saum, während der übrige Teil die grau- grüne Farbe beibehält. Nach der zweiten Mauser ist das Klein- gefieder der jungen Männchen rot. wiederum zunächst am Fahnen- saum, während der Hauptcil der Feder graue Färbung ange- nommcn hat. Das Rote des Saumes verbreitet sich immer mehr nach dem Schafte hin, bis er schließlich die ganze Fahne überzieht und auch gesättigter erscheint; der bisher orangefarbene Saum wird nunmehr karminrot. Diese Verfärbungserscheinungen voll- ziehen sich aber sehr unregelmäßig, so daß, wie bereits gesagt, nach der dritten Mauser kaum zwei Männchen in der Färbung gleich sind. Die Weibchen erhalten nie ein rotes Gefieder, und auch Männchen, die im Käfig gehalten werden, kommen niemals über das gelbe hinaus, doch sollen sie das orangefarbene Kleid bekommen, wenn sie dauernd im Freien hängen. Andererseits verlieren völlig ausgefärbte, also hochrote Männchen nach der ersten Mauser, die sie im Bauer überstanden, ihre prächtige Färbung unö werden zum größten Leidwesen ihres Pflegers düster grünlichgelb. Das weist darauf hin, daß die Verfärbung der Vogelfedern unter ande- rem auch von der atmosphärischen Luft beeinflußt wird. Gleich dem männlichen Kreuzschnabel erhalten auch die Pirolmännchen und der Buchfinkenhabn im Käfig ihr Prachttleid nicht. Es gibt über die Ursache der roten Färbung des Kreuzschnabel- geficders eine Legende, die vielleicht dem Kopfe eines sinnigen ehe- maligen Insassen e'nes Klosters im Thüringer Walde. Reinhards- brunn, Georgcnthal oder Engclsbach, entsprungen sein mag. Diese alte Legende hat auch die mechanische Ursache der Schnabelbildung unserer Vögel, die eigentlich eine Mißbildung ist. sehr richtig auf- gefaßt, nur daß sie in poesievoller Weise dieselbe wo anders ge- funden zu haben glaubt, als wo sie zu suchen ist— nämlich, wie wir sahen, im Erwerb des täglichen Lebens. Nach den Mit- teilungen jenes alten Klosterbruders sind die Kreuzschnäbel ge- heiligte Vögel. Aber nicht aus diesem Grunde haben die Gebirgler sie zu Stubengenossen gemacht, auch nicht wegen der Kurzweil, die die kleinen gefiederten Turner in ihrem Käsig dem Vogelfreund bereiten, sondern aus— Aberglauben. Die Vögel sollen nämlich gewisse„Krankheitsstoffe" an sich ziehen, und zwar die rechten Krienitze die der Männer, die linken die der Weiber. Wo Kiefern mit Fichten und Tonnen untermischt stehen, kommt der Kiefernkreuzschnabel vor, dessen gleichfalls prächtig rotgefärbtes Gefieder in den virschiedensten Abstufungen vom Mennigrot bis zum dunklen Ziegelrot wechselt. Er ist kräftiger als jener, auch schwerfälliger, klettert aber doch gewandt an den dünnsten Zweigen auf und ab, hängt sich auck kopfabwärts daran und gebraucht Schnabol und Füße ganz nach Art der Papageien. Eine Kreuzschnabelgcsellschaft bildet jederzeit eine schöne Zierde der Waldbäume. Am prächtigsten aber nimmt sie sich auS. wenn dicker Schnee auf den Zweigen liegt und sich die roten Vög- lein von der weißen Last und dem düstern Nadelgrün lebendig abheben. Zu der ansprechenden Färbung gesellt sich ihr frische?. fröhliches Leben, ihre stille, ununterbrochene Regsamkeit. Die Männchen lassen das einfache, aus eigentümlich klirrenden und zwitschernden Tönen zusammengesetzte Liebeslied hören, produ- zieren sich auch in kleinen Flugkünsten, bis sie ein Weibchen ge- funden haben. Mlt diesem trennen sie sich von der Gesellschaft und richten die Kinderwiege her, die so schön und so fest und so dicht zusammengewirkt ist, daß man nicht begreift, wie sie dieser so ungeschickt aussehende Vogel mit seinem Kreuzschnabel hat an- fertigen können. Der Kreuzschnabel ist unbedingt eine der interessantesten Ge- stalten der einheimischen Bogelwelt, dabei zugleich einer der liebenswürdigsten Stubenvögcl, und sein Studium wie seine Pflege kann einem jeden Vogclliebhaber nur dringend ans Herz gelegt werden, dringender als das Steckenpferd der kostspieligen Zucht �«r meist langweiligen ausländischen Stubenvögel. Keraulw. Redaktu»: Richard Barth , Berlin.— Druck u. Verlag: kleines feuilleton. Literarisches. Eine neue Dickens-AuSgabe. In handlichem Format und gutein Druck bietet der Verlag von Albert Langen , München . eine neue Dickens -Ausgabe dar, von der die Weibnachtsgeichichlen und die bekannen Romane„David Copperfield ",„Bleakhouie" und „Die Pickwickicr" bereits vorliegen. Die beiden ersten Romane stehen in der Reihe der Schöpfungen deS großen englischen Humoristen an erster Stelle. Seinen sozialen Tendenzen nach betrachtet ist oder war DickenS Poel der kleinbürgerlicben Demokratie und teilt ihre Schwächen. Der Mitbegründer der radikalen„Daily NewS" hat das leidende Vrolelarial ergreifend zu schildern verstanden und eS an aufreizenden Worten zu seinen Gunsten nicht fehlen lassen. Aber der kämpienden Arbeiterbeloegung steht DickenS . wie sein sonst meisterhafter Roman.Harte Zeiten" zeigt, fast verständnislos und jedenfalls interesselos gegenüber.„Alles für den Arbeiter, nichts durch den Arbeiter"— so könnte man seine humanitären Bestrebungen charakterisieren. Bei alledem war Dickens jedoch nicht nur ein unübertroffener Humorist und kraftvoller Ankläger, sondern auch ein glänzender Satiriker, so daß er trotz seiner Schwächen auch ein Liebliugsschrift- iteller bedeutender Sozialisten werden konnte. Karl Marx schätzte leine Romane sehr, und William Morris zitierte ihn mit Vorliebe. Wie entzückend ist nicht auch die Verspottung deS insularen Dünkels in den„Podsnappery" betitelten Kopiieln von„Unterm gemein» kamen Freund", wie prächtig die Geißelung des politischen SnobtumS in„Bleakbouie", wie einschncidend die Bloßstellungen der Armen» bansbruialirälen und der Sckandwirti'chaft im Schulwesen Englands. Nicht zum geringen Teil ist es sein sozialer Radikalismus, der Dickens in den siebziger Jahren, wo das sozialpolitische Leben Englands sehr abstaute, als„unuiodern", als einen.Dichter für die Ungebildeten" erscheinen ließ. Aber daS Urteil hat nicht vorgehalten. In den neunziger Jabren erlebte die Wertung Dickens ' eine Nachprüfung, und leine Werke wurden auch in literarisch gebildeten Krei'en wieder stark ge- lesen. Viele seiner Figuren leben in der englischen Literatur, wie sie auch in ibren Gruudzngeii aus dem Leben genommen sind. Dickens ist in Deutschland ott als Karikaturist hingestellt worden, der sich im Vorführe» von Zerrbilder» gefalle, und daß er Schwächen und Sonderbarkeiten zu üderlrelbe» liebte, ist nicht zu bestreiten. Aber er hat bei weitem nicht in dem Maße übertrieben, als deutsche Leser anzuuebnien geneigt sind. Nirgends vielleicht findet man f« viele Sonderlinge, als wie in England, nirgends stößt man auf so starke Gegensätze intellektueller, moralischer und ästhelüch-kultureller Naiur— von den allbekannten ökonomischen Gegensätzen ganz zu schweigen nirgends auf so viel Romantch Sentimeuralitäl und Grüblerlum als im Heimatland des Dichters. All das spiegelt sich nun in seinen Roinanen wider. Wenn ihr ungeheuerer Reichtum an humoristischen und rührenden Elementen Dickens auch außerhalb Englands populär gemacht bat, so wird den Vollgenutz an ihnen doch nur haben, der Dickens Land und DickenS Sprache kennt. Denn DickenS ist nicht leicht zu übersetzen. Unserem Schrift» deutsch ist der volkstümliche Zug. den sich die englische Sprache in so hohem Grade bewahrt hat, leider verloren gegangen, und so erhält selbst bei fonnol-korrekter Uebertragung der Dialog leicht eine konventionell geleckte Färbung, wo er im Original im verrraulich naiven Volkston geholten ist. Noch schwerer bot eS der Uebersetzer und noch mebr Verstöße lverden doher begangen, wo Dickens seine Personen VolkSdialeklc sprechen läßt. Auch die vorliegende von Gustav Mehrink besorgte Uebersetzung ist unter diesem Gesichtspunkt nicht fehlerfrei. Es ist ihr nachzu- rühmen, daß sie sich flüssig liest. Der Leser merkt selten der Sprache an. daß er eine Uebersetzung vor sich hat. Der Reiz des Roman- inhaltS wird ihm durch undeursche Soybildungen selten geschmälert. Allerdings muß er dafür so gräßliche Sätze in den Kauf nehmen wie „wir vertieften uns in ein langes diesbezügliches Gespräch". (Copperfield II, 204), Und grausam hinweggeichwemmt wird oft bei dieser Flüssigkeit der Sprache die wundervolle Volkstümlichkeit, der treuherzige Ton der Dialoge, ivoriu Dickens Meister ist. Für diesen Mangel sind nicht lediglich die technischen Schwierig» keilen verantwortlich zu machen, die der Unterschied im Geist der beiden Sprachen unüberwindlich erscheinen läßt. Auch wo die Hilfsmittel der Neberwindung sehr nahe lagen, ist von ihnen ungenügend Gebranch gemachl worden. Im Copperfield spricht zu Anfang der alte Fischer Pegolty de» Dialekt der Norfolkküste. Meyrink übersetzt das in das Deutsch der Waterkant, was nur gutzuheißen ist. Aber wie dann der alte Mann nach dem Verschwinden seiner Pflegetochter aus einer humoristischen eine rührende Perlon wird, läßt Meyrink ihn plötzlich im Schriftdeutsch sprechen, das jedem Leitartikel Ehre niachen würde, wo Dicken» mit künstlerischer Naturwahrheit den Dialekt nur so weit abgetönt hat. wie es in solcher Sliinmnng daS Volk selbst zu tun pflegt. Bei DickenS behält Pegotlys Sprache die Heimatfarbe, bei Meyrink wird sie charaklerlos. Solches Verfahren würde selbst die Arbeit eines handwerksmäßigen Ueberfetzers verunzieren, um so mehr bätte man Besseres von einem Schriftsteller erwarten dürfen, der Anspruch auf Künstlerschaft erhebt. Ed. Bernstein. VorwärtsBuchdruckerei u.Verlagsanstalt Paul Singerj-Co., Berlin ZW.'
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28 (12.1.1911) 8
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