Nnterhaltungsblatt des DonvärtsNr. 12. Mittwoch den 13. Januar. 1911(Nachdruck verbalen.)121 pelle der Eroberer.Roman von Martin Andersen Nexö.Unten in der Kammer saß Karna und stopfte GustavsPose aus englischem Leder. Gustav lag auf der Bank undschlief, die Miitze über dem Gesicht. Er hatte seine dreckigenFüße auf Karnas Schoß gelegt— ohne auch nur die Schuheauszuziehen! Und sie saß da und machte ihren Schoß bequem,damit seine Schenkel nicht heruntergleiten sollten.Lasse setzte sich neben sie und versuchte, sich angenehm zumachen, er hatte ein solches Bedürfnis nach ein wenig Ge-mütlichkeit. Aber Karna war nicht nahe zu kommen— diedreckigen Knöchel des Bengels verdrehten ihr den Kopf. UndLasse hatte das vergessen, oder auch es fehlte ihm an Sicher-heit— jedesmal, wenn er eine freundliche Annäherung ver-suchte, wies sie ihn ab.„Wir könnten es so gemütlich zusammen haben, wir beidenalteren Menschen," sagte er hoffnungslos.„Ja, und ich könnte woll einen Ausweg für das schaffen,was da fehlt," sagte Gustav und guckte unter der Mütze her-vor. Der Schlingel, der da lag und mit seinen siebzehn Jahrenprotzte!— Lasse hatte die größte Lust, sich auf ihn zu stürzenund es noch einmal auf die Kräfte ankommen zu lassen.Aber er begnügte sich damit, dazusitzen und ihn anzusehen,bis die roten wimperlosen Augen ihm überliefen. Dann stander auf.„Ja, ja. Du hast heut Abend Lust auf Jugend, Du!" sagteer bitter zu Karna—„aber Deinen Jahren kannst Du nichweglaufen. Du auch nich! Am Ende leckst Du man bloß denLöffel hinter den anderen ab."Er ging in den Kuhstall hinüber und ließ sich mit dendrei Häuslerfrauen in ein Gespräch ein, die über nichts weitersprachen als über Krankheit und Elend und Tod, als gäbe esnichts weiter auf der Welt Lasse nickte und sagte:„Ja, ja,so is-cs!" Er konnte das aus vollem Herzen alles unter-schreiben, und er konnte noch gar vieles zu dem der anderenhinzufügen. Das goß Wärme in den alten Körper: ihm wurdeganz behaglich zu Sinn— so wohlig.Aber als er auf dem Rücken im Bett lag, kehrte das Be.drückende wieder, und er konnte nicht schlafen. Für gewöhn-lich schlief er wie ein Stein, sobald er sich hingeworfen hatte,aber heute war Sonntag, und er hatte ein quälendes Nagenin sich, daß das Dasein ihn übergangen hatte. Soviel hatteer sich von der Insel hier versprochen, und dann war da nichtsweiter als Arbeit und Mühe und Sorge— auch nicht die Bohnemehr.„Lasse is alt, ja!" sagte er plötzlich laut, und die Wortefuhr er fort zu wiederholen, indem er sie immerwährend einwenig variierte, bis er einschlief:„Alt is er, der Aermstekann nich mehr mitspielen!— Ach, so alt!—" Die Worteumschlossen das Ganze.Er erwachte wieder vom Gesang und Gekreische drübenauf der Landstraße:„Und der Junge, den ich Dir geborenMit pechschwarzem Lockenhaar,Der ist jetzt groß geworden,Ja groß geworden, ist groß geworden,Ein schmucker Bursche gar!"Es waren einige von den Knechten und Mägden vom Hof,die von einer Lustbarkeit heimkehrten. Als sie in den Fahr-weg zum Hofe hinauf einbogen, verstummten sie.Es hatte eben angefangen zu dämmern, die Uhr konntewohl zwei sein.4,Um vier Uhr waren Lasse und Pelle in den Kleidern undschlugen die Tür vom Kuhstall nach dem Felde hinaus auf.Da draußen rollte sich die Welt aus ihrem weißen Nachtaten,heraus, und der Morgen erhob sich verheißend. Lassestellte sich gähnend in die Stalltür und bestimmte dasWetter für den Tag: aber Pelle ließ die verschleiertenTöne der Luft und den Lerchengesang— alles das, wasaufftieg— gegen sein kleines Herz schlagen. Mit offenemMjunde und unsicheren Augen sah er in das Unfaßliche hinein,das jeder Tag mit allen seinen undenkbaren Möglichkeitenwar.„Heut mußt Du Deinen Rock mitnehmen, denn zu Mittagkriegen wir Regen," sagte Lasse dann wohl: und Pelle guckt«in die Lust hinauf, um dahinte'-z,'kommen, woher der Vatev�as nun wohl wissen mochte. Dum es pflegte einzutreffen.Dann fingen sie an, den Kuhstall auszumisten. Pell«kratzte unter den Kühen heraus und fegte den Fußboden nachund Lasse lud auf die Schubkarre und fuhr sie hinaus. Umsechs Uhr aßen sie ihre Morgenmahlzeit— salzenen Heringund Su"ve.Dann trieb Pelle das Jungvieh hinaus, er hatte den Pro.viantkorb am Arm und die Peitsche mehrmals um den HalZgeschlungen. Der Vater hatte ihm einen kurzen, dicken Ring.stock gemacht, mit dem man warnend rasseln, und den mannach dem Vieh werfen konnte; aber Pelle zog die Peitsche vor.weil er noch nicht Kräfte genug hatte, um den Stock zu ge-brauchen.Klein war er und es hielt zu Anfang schwer. Eindruck au?die großen Mächte zu machen, die er unter sich hatte. Erkonnte seine Stimme nicht schreckeinflößend genug machen,und das Hinaustreiben war eine harte Arbeit, namentlich obenin der Nähe des Hofes, wo die Saaten zu beiden Seiten desFeldweges hoch standen. Das Vieh hatte Morgenappetit,und die großen Kühe hatten nicht die geringste Lust, sich vomFleck zu rühren, wenn sie erst das Maul im Korn begrabenhatten und er dastand und mit dem stumpfen Schaft der Peitscheauf sie losprügelte. Die sechs Ellen lange Peitschenschnur,die in einer geübten Hand dem Vieh die Haut in kleinen drei.eckigen Löchern herausschnitt, konnte er gar nicht schwingen,und schlug er die Kuh mit seinem Holzschuh an den Kopf, soschloß sie nur gutmütig die Augen und graste ruhig weiter,den Hintern ihm zugekehrt. Dann brach er zusammen in ver-zweifeltem Gebrüll, oder hatte kleine Wutanfälle, wo er blind.lings angriff und es auf die Augen der Tiere abgesehen hatte— aber es half nichts. Die Kälber konnte er immer dazukriegen, daß sie weggingen, indem er ihnen den Schwanz um-drehte, aber die Schwänze der Kühe waren zu kräftig.Aber er weinte nie lange auf einmal über das Versagenseiner schwachen Kräfte. Eines Abends ließ er sich von demVater einen Stachel in die Schnauze des einen Holzschuhsschlagen: von nun an wurde sein Schlag respektiert. Teils vonselbst, teils durch Rud lernte er auch die Stellen an den Tierensinden, wo sie empfindlich waren. Die Färsen hatten ihrenwunden Punkt in den Eutern und den Leisten, die Stier-kälber in den Hoden; ein wohlgezielter Schlag gegen ein Hornkonnte die großen Kühe dazu bringen, daß sie vor Schmerzbrüllten.Das Hinaustreiben war eine saure Arbeit, aber das Hütenselbst war ein Herrenleben. Wenn das Vieh erst auf der Weidezur Ruhe gekommen war, fühlte er sich wie ein General undließ seine Stimme unaufhörlich über die Wiese schallen,während sein kleiner Körper sich vor Stolz und Machtgefühldehnte.Es ward ihm schwer, vom Vater getrennt zu sein. Er kamnicht zum Mittagessen nach Hause, und während er mitten imschönsten Spielen war, konnte ihn eine Verzweiflung befallen;dann bildete er sich ein, daß dem Vater ein Unglück zugestoßensei, daß der große Stier ihn auf die Hörner gespießt habe—oder dergleichen. Dann ließ er alles im Stich und ranntebrüllend nach Hause, dachte aber noch rechtzeitig an die Peitsch«des Verwalters und trabte wieder zurück. Er suchte der Sehn-sucht abzuhelfen, indem er seinen Standpunkt so wählte, daßer die Felder da oben im Augen behielt und den Vater sehnkonnte, wenn er hinausging, um die Milchkühe vom Fleck zutreiben.Er lernte schnitzm. Schiffe und kleine Feldgerätschaftenund Handstöcke mit gemusterter Rinde— er hatte eine ge»schickte Hand für das Messer, und er gebrauchte es fleißig.Stundenlang konnte er auch auf der Spitze eines Bautasteinsstehen— und er glaubte es sei ein Zaunpfahl— und ver»suchen, das schußähnliche Knallen mit der Peitsche herauszu.bringen. Er mußte hoch hinaufklettern, damit nur überhauptdie Peitsche die Erde nicht berührte.Wenn sich das Vieh mitten am Vormittag lagerte, war erauch in der Regel müde. Dann setzte er sich auf die Stirneiner der großen Kühe und hielt sich an den Spitzen ihrer