Nnterhaltungsblalt des vorwärts Nr. 13. Donnerstag den 26. Januar. 1911 CiaS&tul«tBoten-l 183 pelle der Sroberer. Roman von Martin Andersen Nexö . Autorisierte Uebersetzung von Mathilde Mann . Vorläufig mußte er sich schicken und fügen, sich bei den Großen einschmeicheln, wo er entdeckte, daß ein Riß in dem Verhältnis war, und diensteifrig sein. Er mußte das Hüten häufiger übernehmen als die andern und wurde bei den Mahlzeiten übervorteilt. Er nahm das als etwas Unvermeid- liches hin und setzte seine ganze kleine Person ein, um das möglichst Beste aus den Verhältnissen zu machen. Aber er gelobte sich, wie gesagt, eine ungeheure Genugtuung, wenn er erst groß war. Ein paarmal wurde es ihm zu heiß und er gab die Ge- Meinschaft auf und hielt sich für sich. Aber er kehrte schnell wieder zu den andern zurück. Sein kleiner Körper war zum Platzen voll von Mut und Leben und gestattete ihm nicht, sich zu drücken: er mußte seine Chancen hinnehmen— sich durchfressen. Eines Tages kamen zwei neue Jungen hinzu, die das Vieh von ein paar Gehöften auf der anderen Seite des Steinbruchs hüteten: sie waren Zwillinge und hießen Alfred und Albinus. Es waren zwei lange dünne Burschen, die so aussahen, als hätten sie als kleine Kinder gehungert; sie waren bläulich von Hautfarbe und konnten schlecht die Kälte vertragen. Flink zu Fuß und geschmeidig waren sie, sie konnten das schnellste Kalb einholen, konnten auf den Händen gehen und Tabak rauchen und Luftsprünge machen, ohne die Hände zu Hilfe zu nehmen. Zum Prügeln eigneten sie sich nicht recht; es fehlte ihnen an Mut, drausloszugehen, und ihre körperliche Geschicklichkeit ließ sie im Stich, wenn Gefahr im Anzug war. Die beiden Brüder hatten etwas Komisches an sich.„Da kommen die Zwillinge, die Zwölflingel" rief ihnen die ganze Schar an dem ersten Morgen, als sie sich blicken ließen, ent- gegen.„Na wieviel Mal habt Ihr denn seit vorigen Herbst zu Haus Kinder gekriegt?"— Sie waren zwölf Geschwister und darunter zweimal Zwillinge, das war allein eine un- erschöpfliche Quelle des Spottes— außerdem waren sie Halb- schweben. Sie mußten den Schaden mit Pelle teilen. Aber es machte nichts Eindruck auf sie, sie greinten über «alles und gaben sich nur noch mehr preis. Pelle konnte aus allem heraushören, daß für das Kirchspiel über ihrem Heim ein lächerlicher Schein lag: aber das machte ihnen nichts aus. Namentlich an die Fruchtbarkeit der Eltern hängte sich der Spott, und die beiden Jungen lieferten mit frohen Mienen die Eltern aus und fingen an, von den geheimsten Verhält- nissen zu Hause zu erzählen. Eines Tages, als die Schar besonders unermüdlich war, Zwölflinge zu rufen, erzählten sie greinend, die Mutter erwarte das Dreizehnte. Sie waren unverwundbar. Jedesmal, wenn sie ihre Eltern auslieferten, gab es Pelle einen Stich, er hatte in diesem Punkte seine heiligsten Gefühle. In allem, worüber er sich den Kopf zerbrach, waren sie ihm unverständlich: er mußte eines Abends damit zuin Water. „So, also sie machen ihre eigenen Eltern zum Gespött und Gelächter?" sagte Lasse;„da wird es ihnen hier auf Erden niemals gut gehen; denn man soll seinen Vater und seine Mutter ehren. Brave Eltern, die sie mit Schmerzen in die Welt gesetzt haben und hart arbeiten müsien, vielleicht sechst hungern und Not leiden, um ihnen Nahrung und Kleider zu sck)affen— ach, wie sündhaft ist das?-- Und sie heißen Karlsson mit Nachnamen, so wie wir, sagst Du? — Und wohnen in der Heide hinter dem Steinbruch? Aber dann müssen es ja Bruder Kalles Söhn« sein? Ja, bei meiner Seelen Seligkeit, ich glaub', daß es so is! Frag' DU sie doch morgen mal, ob ihr Vater nich''n Riß in dein rechten Ohr hat. Ich habe es ihm ja selbst mit'in Stück von einem Hufeifen gehauen, als wir noch kleine Jungs waren— einen Tag war ich wütend auf ihn. weil er mich vor den anderen lächerlich machte. Er war ganz akkurat so wie die beiden; aber er dacht sich nichts nich' dabei, da war nichts BöseS in ihn." Der Vater der Knaben hatte wirklich einen Riß in dem rechten Ohr. Pelle und sie waren also Geschwisterkindes und das war zum Lachen und zum Weinen, so wie sie und die Eltern zum Gespött waren. Das ging ja gewissermaßen auch über Vater Lasse her, und der Gedanke war beinah nicht zum aushalten. Die anderen Jungen entdeckten gar bald seine Verletz« barkeit und machten sie sich zu Nutzen; und Pelle mußte ab- lenken und sich in allerlei finden,<um den Vater außerhalb der Sache zu halten. Trotzdem gelang ihm das nicht immer. Wenn sie in der Stimmung waren, sagten sie ganz inS Blaue hinein alles mögliche über ihre gegenseitigen Familien: es sollte nicht für mehr genommen iverden, als es war, aber Pelle verstand in diesem Punkte keinen Scherz. Eines Tages sagte einer der größten Jungen zu Pelle:„Dein Vater hat ja seiner eigenen Mutter ein Kind angedreht." Pelle vcr- stand das Wortspiel in dieser Roheit nicht, aber er hörte das Gelächter der anderen und wurde blind vor Wut. Er ging auf den großen Kameraden los und stieß ihn dermaßen in den Unterleib, daß er mehrere Tage zu Hanse liegen inußte, Während der folgenden Tage war Pelle ganz heiß um die Ohren. Er wagte nicht, dem Vater zu erzählen, was ge- schehen war. da er dann geztoungen sein würde, auch die afö« fcheuliche Beschuldigung des Jungen zu wiederholen; und sa ging er denn umher und ängstigte sich vor den Verhängnis- vollen Folgen. Die anderen Jungen hatten sich von ihm zurückgezogen, um keine Schuld zu haben, wenn etwas dabei hemusbriet; der Junge war ein Bauernsohn, der einzig« in der Schar— und sie vermuteten die Obrigkeit hinter der Ge- schichte, vielleicht Rutenschläge auf dem Rathaus. So ging denn Pelle mit seinen Kühen für sich und hatte Zeit genug. sich mit dem Ergebnis zu beschäftigen: er nahm in seiner lebhaf- ten Einbildungskraft mit seinen Folgen einen immer größeren Umfang an und war schließlich nahe daran, ihn vor Grauen zu zersprengen. Bei jedem Wagen, den er auf der Land- straße einherfahren sah, kroch es inwendig in ihm; und bog er nach Steengaarden ein, so konnte er deutlich die Polizei unterscheiden, die drei Mann hoch und mit sicheren Hand- eisen kam— genau so wie damals, als Erik Erikson abgeholt wurde, weil er seine Frau mißhandelt hatte. Am Abend! wagte er kaum nach Hause zu treiben. Und dan i eines Vormittags kam der Junge mit seinen Kühen dahergetrieben. und ein erwachsener Mann begleitete ihn, nach den Kleidern und dem ganzen nahm Pelle an, daß es der Bauer war— es mußte der Vater des Jungen sein. Eine Weile standen sie da drüben und redeten mit den Hirten- jungen, dann kamen sie mit der ganzen Schar hinter sich drein herüber, der Vater hielt seinen Sohn an der Hand. Pelle brach in Schtveiß aus; er fühlte sich stark versucht, davonzulaufen, zwang sich aber, stekken zu bleiben. Vater und Sohn bewegten gleichzeitig die Hand und Pelle hob beide Ellenbogen in die Höhe, um zioei Ohrfeigen abzu, wehren. Aber sie streckten nur die Hände aus.„Verzeih mir," sagte der In ige und ergriff Pelles Hand;„Verzeih ihm!" wiederholte der Vater und umschloß seine andere Hand miß der seinen. Und Pelle stand verwirrt da und sah bald den einen, bald den anderen an. Im ersten Augenblick glaubte er, der Mann hier sei derselbe wie der. der von Gott gesandt war: aber es waren doch nur die Augen— diese sonderbaren Augen. Dann brach er plötzlich in Tränen aus und vergaß alles, indem er die schreckliche Spannung ausweinte; und die beiden sagten ein paar gute Worte und gingen ruhig ihrev Wege, um ihn allein zu lasten. Seitdem wurden er und Peter Kure gute Freund«: und als Pelle ihn näher kennen lernte, entdeckte er, daß der Junge zu Zeiten etwas von demselben Ausdruck in den Augen haben konnte wie dcr Vater, der<unge Fischer und der Mann, der von Gott gesandt war. Her sonderbare Verlauf der Be- gebenheit beschäftigte ihn lange. Eines TageS geschah es. daß seine Erfahrungen derartig Seite an Seite lagen, daß er den Zusammenhang zwischen diesem rätselhaften Augen« cmsdruck und den sonderbaren Handlungen entdeckte; all«
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28 (26.1.1911) 18
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