»Ne, fo'n Prachtkerl!" tief Kalle aus uuS ging entzücktVM den Tisch herum, wo die Masche stand.„Das is wirklichdas Beste, was Du uns mitbringen konnt'st, Bruder— daspaßt sich schon für das Kindelbier.„Likör von schwarzenFohannisbeeren"— und mit Vergoldung rund herum— dasmacht sich fein!" Er hielt die Etikette gegen das Licht undsah mit strahlenden Augen um sich. Dann öffnete er zögerndden Wandschrank.„Der Besuch mutz doch mal davon probieren!" sagte dießfrau.„Ja, da zerbrech' ich mir ja gerade den Kopf über," sagteKalle und lachte verzweifelt,—„natürlich müßtet Ihr das.Aber wird sie erst mal angeschenkt, dann schleicht es sich so pähum päh weg. Das kennt manl" Er langte langsam nach demKorkzieher an der Wand.Aber Lasse streckte abwehrend die beiden Hände aus; erwollt' um keinen Preis probieren. Das war nichts für so'narmen Schlucker, wie er, feinen Likör zu trinken und noch da-zu an einem gewöhnlichen Alltag! Ne, das ging nich an!„Ja. und zur Kindtaufe kommt Ihr ja so wie sol" sagteKalle erleichtert und stellte die Masche in den Schrank.„Aber'n Kaffeepunsch woll'n wir uns doch machen, denn hier is noch'n Schluck Branntwein von heilig Abend und Mutter kochtuns'ne gute Tasse Kaffee."„Ich Hab' schon Kaffee aufgesetzt!" antwortete die Frauverschmitzt.„Ne, hat nu woll einer je so'ne Frau gesehen? Nie kannman sich was wünschen, immer is es schon dal"Pelle vermißte seine beiden Kameraden von der Weide,Alfred und Albinus, sie waren auf ihren Sommerstellen, umAnteil an dem guten Festessen zu haben, und kamen nicht vorSt. Knud nach Hause.„Aber der da is auch nich zu ver-achten!" sagte Kalle und zeigte auf den langen Burschen in derBettbank.„Woll'n wir uns den mal ansehen?" Er zog einenStrohhalm heraus und kitzelte den Jungen damit in der Nase:„Na, mein lieber Anton, nu mach' man, daß Du raus kommstund spann Dich vor die Schubkarre, wir woll'n ausfahren!"Der Junge fuhr in die Höhe und fing an, seine Augenzu bearbeiten— zum großen Pläsier für Kalle. Endlich ent-deckte er. daß da Besuch war und zog die Kleider an, die ihmals Kopffissen gedient hatten. Pelle und er wurden gleichgute Freunde und fingen an zu spielen, und da kam Kalle aufden Einfall, daß die anderen Kinder auch Teil an dem Festhaben sollten: er und die beiden Jungen gingen herum undkitzelten sie alle zusammen wach. Die Frau erhob Einspruch,aber es war nicht weit her damit: sie lachte fortwährend undwar ihnen selbst beim Ankleiden behilflich, während sie wieder-holte:„Ne, so'n Unsinn! So was Hab ich doch mein Lebtagnich gekannt!— Aber dann soll die hier auch nich zurück-stehn!" sagte sie plötzlich und zog die Kleinste aus dem Alkovenheraus.�Fortsetzung folgt.ZlNachdruck verdaten. ZVer Tod und das JVladcben.Von Otto Ernst.Im vierten Stockwerk wohnte der Eisenbahndiätar JosephSimmel. Alle Frauen im Hause waren einstimmig in seinemLobe. Er war ein langer, hagerer, sanftmütiger Mann. Seinelangen, mattblonden Haare legten sich weich in den Nacken, unddurch die Gläser seiner goldenen Brille blickten zwei blöde, freund-liche Augen still-bescheiden in die Welt. Seine Züge waren faltigund ausdruckslos wie die einer alten schwachherzigen Frau, undmit seiner einförmigen heiseren Diskantstimme wußte er überdie kleinsten Dinge des eigenen und des nachbarlichen Haushaltsstundenlang zu plaudern. Und so solide! Immer zu Hause,immer bei seiner Familie! Und mit seinen 34 Jahren war erdoch noch ein junger Mann, der seine Freistunden sehr wohl außerdem Hause genießen konnte.„Ja, wenn alle Frauen solcheMänner hätten!" seufzten die Nachbarinnen. Seine einzigeLeidenschaft war seine Geige, die jeden Abend mit sanften, klagen-den Tönen oder mit lieblich jauchzenden Kadenzen durch das offeneFenster herabtönte. Nur mit den Büchern mußte die Geige zu-weilen seine Zuneigung teilen. Er arbeitete fleißig an seinerFortbildung, lernte Französisch aus einer fünfzig Jahre altenGrammatik und las mit besonderem Interesse medizinische Bücher,nach denen er seine Familie in Krankheitsfällen behandelte. Mitdrei guten Freunden war Herr Simmel zu einem Streichquartettzusammengetreten, das sich an gewissen Sonntagen versammelte>»d alsdann von vier bis zehn Uhr nachmittcqs ununterbrochen!musizierte. Dabei trug bann allerdings Frau Simmel«inGläschen Bier oder Punsch auf. Sie war eine schüchtern«, Hätz«liche und aus Zerstreutheit ctwaS unordentliche Frau; aber ihrenGatten, der sie geheiratet hatte, als er zwanzig und sie achtzehnwar, hörte man nie anders als in sanftem, bittendem oder dm»«erfülltem Tone zu ihr sprechen.„Willst du mir die Liebe tun, Schätzchen?— Es ist gut, meinEngelt" In der Tat. ein glücklicheres Paar und«ine traulichereExistenz waren kaum zu denten.Das war die eine Seite des Herrn Simmel. Aber er hattsnoch eine andere. Wenn er am Mittag oder am Abend nachHause kam, zitterten sein Weih und seine vier Kinder. Dasfünfte Kind wurde erwartet. Bei seiner frühen Verheiratungbesaß er einige hundert Taler, die aber bei den ersten Kinderndraufgingen. Seitdem mußte man sich kärglich behelfen. Simmelhatte ein ganz hübsches Talent für die Geige und war von einerrasenden Leidenschast für die Musik ergriffen worden, als zumehreren Malen einige gute Freunde sein Spiel gelobt hatten.Seit dieser Zeit war er der festen Ueberzeugung, daß er zuHöherem als zum Eisenbahnschreiber geboren sei und seineueigentlichen Beruf, den eines ruhmbckränzten Violinvirtuosen,jämmerlich verfehlt habe. Er schwankte beständig zwischen derHoffnung, vielleicht doch noch mit vierzig Jahren zu erreichen.was ihm bisher so schmählich versagt geblieben war, und dempeinigenden Gedanken, daß er niemals Zeit und Geld genugbesitzen werde, seine Pläne zu verwirklichen. Er nahm teurePrivatstunden, aber nur eine die Woche; mehr gestatteten ihmseine Mittel nicht, und er nährte schon darüber einen verbisseneuIngrimm. Aber vielleicht konnte man in der einen Stunde genuglernen; er bedurfte ja nur der notwendigen Fingerzeige; wennnur Zeit gewesen wäret Die wenigen Abendstunden waren soerbärmlich kurz. WaS man heute abend in den Fingern hatte,das war morgen wieder heraus, und die Fortschritte waren zumVerzweifeln langsam! Er stampfte mit dem Fuß. warf dieNotenblätter in die Zimmerecke und sank mit still wütender Re»signation auf den Stuhl. Wehe seiner Frau, wehe seinen Kindern,wenn sie ihm jetzt zu nahe kamen. Er schrie sie an und miß-handelte sie. Die„Bälge fräßen ihn auf",„dies dumme, schlotte-rige Weib" habe ihn„zum armen Manne gemacht". Daß er auchje so borniert gewesen war, auf eine Heirat hineinzufallen! SeineRoheit zwischen vier Wänden war noch größer als seine Liebens-Würdigkeit auf dem Treppenflur.„Wir müssen uns einfacher be-helfen, oder ihr bringt mich zur Verzweiflung und ich lauf eucheines Tages davon." Das„Wir" war Heuchelei; denn er ver-langte für seinen Gaumen das Beste und Teuerste, was zu er-schwingen war. Auch bei Tische wollte er wissen, daß er derHerr vom Hause sei, und er war nicht im entferntesten geneigt,seinem Appetit jemals zugunsten der Seinen einen Zügel an»zulegen. Die Frau ertrug alles; ihre Kopfschwäche, eine Folgeder letzten Geburt, machte sie noch willfähriger und ergebener»als sie es ohnehin war. Nur zuweilen, wenn sie in der Küche beiihrer Arbeit saß, beschlich sie plötzlich ein übermächtiges Gefühlvon dem Jammer ihres Daseins, und sie schüttete mit strömendenTränen ihr Herz gegen ihre älteste Tochter aus.Diese Tochter— Klara hatten sie die Eltern genannt— warein Kind von 13 Jahren. Sie war ein kleines und schmächtigesGeschöpf mit einem blassen, unbedeutenden Gesichtchen, das plotz-lich einen überraschenden Reiz erhielt, wenn die langen Wimpernsich hoben und ein Paar kindlich-tiefe, braune Augen darunterhervorblickten. Trotz ihres zarten Körpers nahm sie ihrer Mutteroft die schwersten Arbeiten ab und entledigte sich ihrer mit einemGeschick, das ihr weniger von Natur eignete, als sie es sich durcheinen unerschrockenen, rührenden Fleiß erwarb. Sie war nichtaltklug; doch überraschte oft, was sie sagte, durch die seltsameKlarheit einer ahnungsreichen und feinfühligen Kindesseele. Eswar mehr schmerzliche Erkenntnis der Welt und ihrer Leiden, alssorglose Träumerei, was aus diesen Augen sprach, und doch wardiese keineswegs verweht; mit letzten, anmutigen Blüten schmücktesie oft in Augenblicken deS Glückes die Gestalt des heranreifendenKindes. Sie gesellte sich gern im Spiel zu ihren Geschwistern,selbst spielend und mit ganzer Hingabe an die lächelnde Freudedes Augenblicks; aber willig und mit rührender Entsagung fügtesie sich in die Wünsche und Launen der Kleineren, sich alsdannplötzlich wie deren zweite Mutter fühlend. Namentlich für daSeinzige Brüderchen empfand sie eine leidenschaftliche Zärtlichkeit;als sein hübsches Gesicht durch die Blattern arg entstellt wurde.litt sie unter unsäglicher Trauer, und der Anblick des Kleinenentlockte ihr jedesmal bittere Tränen. Zwischen ihr und derMutter hatte sich seit langem jenes innige, weitgehende Verstäub-nis herausgebildet, das in der Regel die Mutter mit ihren helfen-den, der Vernunft zureifenden Kindern verbindet, wenn der Gatteund Vater sein Herz von den Seinen abwendet. Diese umfassendeVertraulichkeit, die dem natürlichen Verhältnis zwischen Elternund Kindern zuwiderlief, indem sie die Würde der Mutter herab-setzte und das Kind über seine eigentliche Sphäre erhob, enthieltdennoch für beide eine große Linderung des gemeinsamen Unglücks.Sie weinten sich gegeneinander aus. und wenn der scheinheilig-brutale Gewalthaber des Hauses sie durch längere Abwesenheiterfreute, atmeten f« erleichtert'mf und fühlten sich auf ihreWeise glücklich. Alsrnnn erzähltt die Mutter ihx:r Klara zumLo>jn für ihre unermüdliche Hifte die Kindheitvtzrlcbnisse der