Nnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 23. Donnerstag, den 2. Februar. INtt (NaSdruS eetDottn.) 233 pelle der Gröberer, Roman von Martin Andersen Nexö . Autorisierte Uebersetzung von Mathilde Mann . „Ja. nu soll die Saat am liebsten schon gedroschen wer- den, wenn sie noch auf'n Halm steht, und die Kälber verkaufen sie im Mutterleibe." sagte Kalle.„Aber nu bist Du. weiß Gott , Schwarzer Peter geworden. Großmutter!" „Das kommt davon, wenn man den Mund lausen laßt und nich auf seine eigenen Angelegenheiten aufpaßt," sagte die Alte. „Großmutter soll schwarz gemocht werden?" riefen die Kinder. Die Alte bat und flehte, sie hätt sich gerade eben erst für die Nacht gewaschen. Aber die Kinder machten einen Kork im Ofen schwarz und umringten sie: sie kriegte ihren schwarzen Strich auf die Nase. Sie lachten alle, groß wie klein.„Ein Glück, daß ich es nich selbst sehen kaun," sagte Großmutter und lachte mit.„Nichts is so schlimm, daß es nicht zu was gut is. Aber ich möcht doch gern meine Augen wieder haben, bloß fünf Minuten, ehe ich sterb. Es war so schön, das Ganze noch einmal zu sehen, so wie Kalle sagt, daß die Bäume und alles heranwächst— das ganz? Land hock sich woll verändert? Und die kleinsten Kinder Hab ich ja noch gar nich gesehen." „Die Leute sagen, man könnt die Blindheit wegnehmen, da drüben in Kvpenbagen," sagte Kalle zu dem Bruder. „Das kostet woll Geld, kann ich mir denken?" fragte Laste. „Hundert Kronen kostet es woll allerwenigstcns," meinte Großmutter. Kalle sah nachdenklich ans:„Wenn wir nu den ganzen Kram verkauften, müßt ich mich wundern, wenn da nich hundert Kronen bei rauskämcn. Und dann Hütt Großmutter ihre Augen wieder." „Herr Gott soll unS bewahren.?" rief die Alte aus.„Haus und Hof verkaufen— Du bist woll nich ganz richtig im Oberstübchen. Du! Große Kapitalien an ein altes ausgelebtes Ding wie ich vcrschweudcn, wo ich doch schon mit einen Bein auf dem Kirchhof steh. Ich könnt es mir ja gar nich besser wünschen als ich es habl" Sie hatte Tränen in den Augen. „Gott soll mich bewahren, auf meine alten Tage solch Unglück anzurichten." „Ach was, wir sind ja noch jung!" sagte Kalle.„Wir könnten woll noch was Neues anfangen, Marie und ich" „Hat keiner von Euch gehört, was Jakob Kristians Witwe macht?" sagte die Alte ablenkend.„Ich Hab es so in Gefühl, daß sie zuerst daran muß und dann ich. Ich Hab die Krähen vorige Nacht da drüben rufen hören." „Das is unser nächster Nachbar drüben auf der Heide," sagte Kalle erklärend.„So, sollt es mit ihr zu Ende gehn? Ihr Hot doch den ganzen Winter nichts gefehlt, soviel ich weiß." „Du kannst mir glauben, es is so," sagte die Alte sehr bestimmt.„Laß doch morgen mal ein von den Kindern rüberlaufen.".' „Ja, wenn Großmutier Mnnng hat— Jakob Kristian selbst hat sich auch deutlich gemeldet als er hinging und starb. Wir sind ja auch oll die Jahre so gute Freunde gewesen, er und ich." „Hat er sich gezeigt?" fragte Lasse feierlich. „Ne, aber eine Nacht— wir hatten so'n recht böses Ok° tcbcrwetter— da wach ich davon auf, daß es an die Haus- tür klopft: das sind nu gut drei Jahre her. Marie hat es auch gehört, und wir lagen da und sprachen davon, ob ich aufstehen sollt. Es blieb beim Schnacken, und wir waren gerad dabei, wieder einzuschlafen, als es wieder klopft. Ich sprmg auf, fahr in meine Hosen und mach die Tür ein ganz klein bißchen auf, aber da war keiner. Das is doch schnurrig. sag ich zu Marie und kriech wieder ins Bett rein: aber ich bin noch nich mal unter das Oberbett gekommen, als es zum dritten Male klopft. Da wurd ich ärgerlich, ich steckte die Laterne an und ging rund um das Haus herum; da war nichts zu sehen und zu hören. Aber am Morgen kam ja Be- scheid, daß Jakob Kristian in der Nacht gestorben war, gerad um die Zeil." Pelle saß da und lauschte der Unterhaltung, er drängte sich ganz an den Bater heran vor Furcht. Aber Laste selbst sah auch nicht gerade tapfer aus.„Mit den Toten is nicht immer gut fertig zu werden." sagte er. „Ach was, wenn man kunem Menschen nichts nich getan hat und wenn man immer jedem gegeben hat, was ihm zu- lommt, was können sie einem da woll tun?" sagte Pelle. Großmutter sagte nichts, sondern saß da und wiegte viel. sagend den Kopf hin und her. Jetzt kam die Frau herein und stellte eine Kruke mit Schmalz und ein großes Schwarzbrot auf den Tisch. „Das is die Gans," sagte Kall « und stach ausgelassen mit seinem Dolchmesser in das Brot,„wir haben sie noch nicht angeschnitten— sie is mit Zwetschen gefüllt. Und das da is das Gänseschmalz. Langen Sie zu, meine Herrschaften!--" Lasse und Pelle mußten jetzt daran denken, nach Hause zu kommen, sie fingen an, ihre Tücher um'den Hals zu binden. Die andern wollten sie noch nicht weglassen; sie redeten hin und her, und Kalle machte Witze, um sie noch eine Weile zurückzuhalten!. Wer auf einmal wurde er grabesernst— man hörte Jammern draußen in dem kleinen Gang, jemand faßte an die Tür und gab es wieder auf.„Wahrhastig in Gott, das is Spuk!" rief er aus und sah ängstlich von dem einen zu dem andern hinüber." Da jammerte es wieder, und die Frau schlug die Hände zusammen.„Das is ja Anna!" rief sie aus und öffnete schnell die Tür. Anna trat weinend ein. Sie fielen von allen Seiten mit verwunderten Fragen über sie her, sie anttvortete nicht, sondern weinte mir. „Und Du hast Zeit, uns Weihnachten zu besuchen?— und kommst weinend nach Haus. Du bist mir die Rechte," sagte Kalle lachend.„Nee, so'n Gör— Du mußt ihr«inen Schnuller machen, Mutter!" „Ick) bin ja weggejagt!" brachte das Mädchen endlich schluchzend heraus. „Das bist Du doch woll nicht!" rief Kalle in ganz ver- ändertem Ton aus.„Aber warum denn?— hast Du gestohlen? Oder bist Du frech geworden?" „Nee, aber der Bauer sagte, ich hätt'ne Liebschaft mit dem Sohn aufn Hof." Wie ein Blitzstrahl glitten die Augen der Mitter von dem Gesicht des Mädchens an ihrer Gestalt hinab— dann brach auch sie m Tränen aus. Kalle konnte nichts sehen, aber er fing die Gebärde seiner Frau auf und begriff.„Ach so," sagte er leise,„ach so!" Der kleine Mann glich einem großen Kinde, sein Ausdruck wechselte, es kam und ging, zitternd in seinem gutmütigen Gesicht. Tann siegte das Lächeln wieder.„Na. aber dann is ja alles gut!" rief er aus und lachte laut.„Gute Kinder sollen ja auch den Eltern die Mühe abnehmen, wenn sie heran- wachsen und es können. Zieh Dick) ans, Anna, und setz Dich hin, Du bist woll hungrig. Es könnt sich gar nicht besser passen, wir müssen die Madam ja doch holen lassen!" Lasse und Pelle zogen die Halstücher vor den Mund in die Höhe, nachdem sie sich rings in der Stube verabschiedet hatten. Kalle umkreiste sie und schwatzte eifrig, er hatte keine Ruhe.„Kommt bald wieder, Ihr beide, und noch vielen Dan? für den Besuch und die Flasche, Bruder Lasse!— Ja." sagte er dann plötzlich draußen in der Haustür und lachte ganz ausgelassen,„und das wird ja ganz fein, Du! mit dein Bauer verschwägert, geivissermaßen! Zum Dcubel auch. Kalle Karlsson, Du und ich, wir werden in Zukunft die Nase woll hoch tragen!" Er gab ihnen eine kleine Strecke Wegs baS Geleite, beständig schwatzend; Lasse wurde ganz traurig zu Sinne dabei. Pelle wußte recht gut, daß das mit Anna als große Schande betrachtet wurde, und begriff nicht, daß der Oheim Kalle die Sache so vergnügt nehmen konnte.„Ja, ja," sagt« Laste, indem sie stolpernd ihren Weg zwischen den geschlagenen Steinen hindurch fanden,„Kalle is genau so, wie er immer gewesen is. Er lacht da, wo andere weinen." Es war zu dunkel, um querfeldein zu geben, sie schlugen den Fahrweg nach Süden zu ein, um an die Landstraße hinab zu gelangen. Hier am Kreuzwege, dessen vierter Arm nach dem Dorfe hinunter führte, lag der Kaufmannsladcn, der ■ gleichzeitig eine geheime Schenke war.
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28 (2.2.1911) 23
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