104 Bereitung der Metalle hat sich die wisset* fchaftliche Chemie erfolgreich beschäftigt. DaS letzte auf diesem Gebiet ist eine neue Sorte von Eiken, das Elektrolyt- eisen, da? sich durch seine außerordentliche Reinheit von allen anderen bekannten Sorten, die im Handel find, unterscheidet. Die organische Chemie, die alle die komplizierten chemischen Stoffe im Pflanzen- und Tierkörper umfaßt, ist mit der Riesenaufgabe beschäftigt, mit Hilfe der organischen Synthese auS wenigen Elementen, unter denen der Kohlenstoff hervorragt, nach Wunderbaren Methoden alle die Kombinationm der organischen Welt aufzubauen, ähnlich wie der Baumeister aus demselben Backstein die verschiedensten Gebilde erstehen läßt. Die Zahl der genau unter- suchten organischen Verbindungen läßt sich heute auf 150 000 schätzen, und jedes Jahr kommen 89000 hinzu. Es läßt sich des' halb ausrechnen, daß am Ende dieses Jahrhunderts die organische Chemie den Formenreichtum der Lebewelt, Pflanzen- und Tierreich zusammengenommen, erreicht haben wird. Durch die künstliche Her- ftellung von Eiweißstoffen. Kohlenhydraten, Fetten usw. steht die organische Chemie in engster Beziehung zu den biologischen Wissenschaften, so daß sie berufen ist, an der Löiung der großen Rätsel des LebenS mitzuarbeiten, an den Problemen der Ernährung, des Wachstums, der Vererbung, des Alterns und der mannigfachen krankhaften Störungen des nornic/en Zustandes. Da­neben hat aber die organische Chemie auch fär die chemische Industrie und viele andere Gewerbe den reichsten Nutzen ge- stiftet. So ist z. B. eins der häufigsten Kohlenhydrate, die Zellulose, das Material für unzählige Jndustrieprodukte geworden. Papier , Kollodium, Zelluloid, pbotographische Films, rauchloses Pulver, künst- liche Seide, künstliche Haare, künstliches Leder das alles wird auS Zellulose verfertigt. In der F a r b st o f f i n d u st r i e hat die Arbeit deS Chemikers den natürlichen Farbstoff schon fast völlig verdrängt. DaS synthetische Produkt ist nämlich nicht nur viel reiner und schöner, sondern auch erheblich billiger. Die Kultur der Indigo- pflanze ist beispielsweise in Indien schon auf ein Sechstel des früheren UmfangeS zurückgegangen und wird voraussichtlich bald ganz verschwinden. Auch die Asiaten färben heute ihre Woll- und Baumwollstoffe mit deutschem Indigo, von dem im Jahre 1909 für 83 Millionen Mark exportiert wurde. Die Untersuchung der wichtigsten Farbstoffe der Lebewelt, des Blattgrüns und deS B l u t f a r b st o f f e S, hat das merkwürdige Resultat ergeben, daß die beiden Stoffe chemisch nahe verwandt sind, daß also eine Art Bluts- Verwandtschaft zwischen Tier- und Panzenreich besteht. Großartige Perspektiven für das Aufblühen neuer Industrien eröffnen die künst- liche Herstellung von Kautschuk und Kampfer, der jetzt be- reit? im großen künstlich gewonnen wird. Sehr wichtig ist auch die Auffindung n e u e r H e i l m i t t e l, um die die synthetische Chemie sich im engen Bunde mit der Medizin bemüht. Das Verona !, daS Adrenalin, das Salvarsan Ehrlichs sind solche durch die Chemie ge- wonnene, für die Heilkunde sehr wichtige Mittel. Die Synthese deS im Tee und Kaffee enthaltenen belebenden chemischen Stoffes, des KaffeknS, stellt auch die Möglichkeit in Aussicht, diese Getränke künstlich zu bereiten, wenn man erst so weit ist. auch das Aroma des Tee und Kaffee synthetisch herzustellen. Großes hat die Chemie in der R i e ch st o f s- I n d u st r i e geleistet, die heute allein in Deutschland Waren im Werte von 4045 Millionen Mark pro- duziert. ES gehört schon eine feine Nase dazu, um die künstlichen Produkte von den natürlichen Düften deS Flieders, Jasmins, Mai­glöckchens und der Rose zu unterscheiden. kleines Feuilleton. Kulturgeschichtliches. Narrentiere. Die Narrenzeit, in die wir nun wieder Hineingeraten sind, hieß bei unseren Altvordern auch dieaSsn-kt". Denn der Affe galt als das Symbol des Narren; und dieses Schicksal teilten mit ihm der Esel und der Kuckuck oderGauch". Ein altes BerSlein sagt darum:Ich bin ir narr, ir gauch, ir äff, in esels wiS ich si angaff..." Wie mit dem WorteNarr" so bildete man namentlich auch mit demAffen" allerlei Zusammensetzungen, wie z. B. affentanz, affenwort, offenhochzit, affenkleit, offenhut, äffen- dank usw. Sehr gebräuchlich war auch der AuSvruck affenzagel oder Affenschwanz:Affenschwänz und Eselsohren tragen in der Welt Viel Thoren", hieß es. Gerade diese Zusammensetzung lebt noch im Volke weiter. EinenAffenschwanz" nennt man mancherorts ein albernes oder auch possierliches Kind. Der Kuckuck oder Gauch galt hauptsächlich als Sinnbild des verliebten Narren und wohl deshalb, weil der Kuckuck in einer gewiffen Beziehung zu den Liebespärchen stand. Sein Rufen be- deutet nämlich fiir sie eine Wahrsagung. Auf den Frühlingsfesten, bei denen sich nach altem Brauch unter den jungen Leuten die Maipaare bildeten, die für die Dauer des nächsten Sommer oder des ganzen JahreS zueinander hielten, wurde der Kuckuck als Lenz- verkünder gefeiert. War nun aber kein Vogel zur Stelle, um den Liebenden wahrzusagen, so machte sich mancher närrische Bursch kurzerhand selbst zumGauch", indem er auf die Bäume kletterte und den anderen lustigkuckuckend" wahrsagte. DieGäuchmatt" hieß übrigen« auch eines der Hauptwerke von Thomas Murner Perantw. Redakteur: Richard Barth , Berlin. Druck u. Verlag: (14751587). In dieser Satire läßt der Dichter alle verliebten Gäuch» auf einer Matte bei Basel zusammentreffen. DieGauch- matt" ward im 16. Jahrhundert sehr populär. Auch mit dem Namen des drittenunwisen" Tieres, des Esels, benannte man die Narren. Und wenn darum in der Narrenzeit jemand allzuarg verspottet und geärgert ward, so durste er sich trösten mit dem Sprüchlein:Was ein Esel von mir spricht das acht' ich nicht". Wollte man aber jenem zu verstehen geben, daß er ein Narr sei, mit dem zu reden sich nicht verlohne. sostreckte man ihm den Esel", das heißt man hielt ihm den Zeigefinger und den kleinen Finger ausgestreckt entgegen und schlug die anderen ein. Diese Eselsohrgeste war nicht mißzuver- stehen. Auch Eselscheltworte waren im Mittelalter ganz besonders beliebt, soEselskopf, Eselsjurist, Eselreiter" usw. Das Eselreiten galt bekanntlich als schimpfliche Strafe, die namentlich auch im Schtilleben eine große Rolle spielte. Den lebensgroßen, hölzernen Schulesel" vertrat später ein Täfelchen mit einer Darstellung Freund LangohrS, das man den kleinen Misietätern um den Hals hing. Aber daß diesesunwise" Tier in pädagogischer Hinsicht oftmals versagte, beweist uns Fritz Reuter in seinemSchurr- Murr". In launiger Weise schildert er hier, wie sehr ein Mitschüler den andern um dce Strafe des Eseltragens beneidete. Denn wenn sich ein solcher Verurteilter mit seinem Eselein vor die Schultür auf die Straße stellen mußte(oder vielmehr durfte), so sammelte sich um ihn bald eine Schar von Kindern, die nichts sehnlicher begehrten, als auch einmal für einen Augenblick sich den Esel um den Hals hängen zu dürfen, und die dem Glücklichen als Lohn für diese Vergünstigung gern ihren roten Apfel gaben oder ihm wenigstens allerhand schöne Dinge für die Zukunft versprachen. Sprachwissenschaftliches. Schneeschuh, Ski oder Schi?Da streiten sich die Leut' herum" ob es richtiger sei, Ski oder Schi, Skier oder Schier zu schreiben I In der Zeitschrist des Deutscheu Ski- VerbandesDer Winter" wird dem WortSchier" nach- gerühmt, daß eSeine korrekte norwegische Pluralform" fetl Man sollte aber im deutschen Sprachgebiet deutsch sprechen vom Schneeschuh, in der Mehrzahl von den Schneeschuhen, vom Schneeschuhlauf, von Schneeschuhvereinen usw.. ganz ähn« lich wie man vom Schlittschuh und vom Schlittschuhlauf spricht. Wenn man sich erinnert, wie die deutsche Jugend beim Fußballspiel mit englischen Brocken um sich wirst, wird man gerne zugeben, daß es nicht wünschenswert ist. wenn die Schneeschuhläufer nun in einer weiteren fremden Zunge, nämlich norwegisch reden. Da» beste Beispiel, wie wir eS in Deutschland halten sollen, hat uns Nansen gegeben, der sein be« rühmtes Werk in der Uebersetzung für die Deutschen Auf Schneeschuhen durch Grönland" genannt hat. Der Schneeschuhlauf soll und wird sich, namentlich im deutschen Mittelgebirge , immer mehr auch bei dem einfachen Manne einbürgern; warum ihn also nicht mit dem deutschen Namen nennen, den jeder- mann versteht und jedermann richtig ausspricht, waS von dem norwegischen Wort Ski nicht gesagt werden kann? Gerne ruft man da und dort kräftigSn Heil", aber daß immer mehr um sich greifende Ski-Kauderwelsch vom Skiern, vom Starten, vom Slalom-( Bogen-) Fahren, von den Junioren und den Senioren usw. wirdschier" zu arg. Wir spielen doch auch nicht Football ", sondern Fußball I Trotzdem wird ein norwegisch- eng­lischerSki-Club" um den andern gegründet. Naturwissenschaftliches. Die Schärfe de» Jnsektenauge». DaS Auge hat beim Menschen die höchste Vollkommenheit eines Sinnesorgan« er- reicht und muß als eins der größten Wunderwerke der Natur be­zeichnet werden. Damit darf aber nicht gesagt sein, daß e« um die anderen Lebewesen bester bestellt wäre, wenn sie ähnliche Augen besäßen wie der Mensch. Jede» Tier hat feinen bestimmten Lebens- und Wirkungskreis, an den all feine Eigenschaften angepaßt find, und wenn man irgendwo einsehen lernen kann, daß es keinen Zufall gibt, so ist e» in der Betrachtung der Zoologie. Besonders wundersame Apparate find die Augen der Insekten mit ihrer Vielheit von Linsen, die wie die Flächen eine? reich geschliffenen Diamanten facettenartig neben einander stehen. Allein durch die» Auge kann, wie Dr. Best vor der Gesell- schast für Natur- und Heilkunde in Dresden ausgeführt hat, die Be- dingung erfüllt werden, daß das damit begabte Tier sowohl in der Nähe wie bei schnellem Flug auch auf größere Entfernung gut sehen muß. Die Sehschärfe steht außerdem natürlich in einem gewiffen Zu- sammenhang mit der Größe des TiereS, so daß eS nicht überraschen kann, wenn eine Biene ungefähr auf ein Zentimeter Abstand ebenso gut sieht wie ein Mensch auf ein Meter. Dafür ist die Sehschärfe aber auch eine sehr beträchtliche, und zwar ganz besonders in den ge- ringsten Entfernungen vom Auge. So hat Dr. Best festgestellt, daß Insekten dunkle Punkte unmittelbar vor ihrem Auge noch bemerken können, wenn sie nur eine Größe von 1 bis 8 Tausendstel Milli- meter befitzen. Wenn das Auflösungsvermögen de« menschlichen AugeS als die Einheit genommen wird, so beträgt es bei der Libelle 60, bei der Biene 80, bei der Fliege 270, bei der Ameise 492 und beim Ohrwurm 804. VorwärtsBuchdruckereiu-Verlagsanstalt Paul SingeräcCo., Berlin LW,