Wnlerhaltungsblatt des Worwärls Nr. 32. Mittwoch den 15. Februar. 1911 lZiachdru» veresiea.7 S2] pcüe der Eroberer. Roman von Martin Andersen Nexö . -„Wo ist das geschehen?" fragte ein großer Junge. Fris erwachte mit einem Seufzer— er ging da auf und nieder und dachte an diesen Jungen, der sich um alles herumgedrückt hatte und dann der tüchtigste Schiffsjunge des Dorfes geworden war: an alle die Prügel, die er ihm hatte zukommen lassen, und an die traulichen Winterstunden, die sie später zusammen verbracht hatten, wenn der Bu-iche von der langen Reife nach Hause kam und am Abend bei seinem alten Lehrer einsah. Da war alles mögliche gewesen, was Fris wieder hatte in Ordnung bringen müssen, mancherlei verhängnisvolle Geschichten, die er in aller Heimlichkeit für den Jungen wieder hatte einrenken müssen, damit er nicht einen Knacks fürs Leben davontragen sollte— und— „Es war in der Nordsee," sagte er,„sie waren in Eng- land gewesen, glaub ich." „In Spanien mit Stockfisch I" sagte ein Junge.„Und von da gingen sie nach England mit Apfelsinen— und nahmen eine Kohlenladung für die Heimat ein." „Ja, so war es auch wohl," sagte Fris.„Es war in der Nordsee, und da wurden sie von einem Sturm überfallen. Peter sollte hinaufklettern—" „Ja, denn die Trokkadej ist so rank: sobald es ein bißchen weht, miissen sie rauf und die Segel raffen." sagte ein anderer Junge. „Und da ist er denn hinuntergefallen." fuhr Fris fort, „und gegen die Reeling geschlagen und ins Meer gestürzt. Da wären Spuren von seinen Seestiefeln an der Reeling. Sie braßten, oder wie man es nun nennt, und legten um: aber es dauerte eine halbe Stunde, bis sie an der Stelle waren. Und als sie endlich da waren, versank er gerade vor ihren Augen. Eine halbe Stunde hatte er in dem mit Eis vermischten Wasser gekämpft— mit Seestiefeln und in Oel- zeug— und dann doch—" Ein langer Seufzer ging durch die Klasse.„Er war der beste Schwinimer am ganzen Strand," sagte Henrik.„Er ging rückwärts kopfüber von der Reeling einer Bark, die hier auf der Reede lag und Wasser einnahm— und kam auf der anderen Seite des Schiffes wieder heraus. Er kriegte zehn Schiffszwicback von dem Kapitän dafür." „Er muß schrecklich gelitten haben," sagte Fris.„Es wäre fast besser für ihn gewesen, wenn er nicht hätte schwim- »nen können." „Das sagt mein Vater auch." sagte ein kleiner Junge. „Er kann nicht schwimmen, denn er sagt, es ist das beste für einen Seemann, wenn er es nicht kann,— er quält sich bloß!" „Mein Vater kann auch nicht schwimmen," rief ein anderer aus.—„Meiner auch nicht! Er könnte es recht gut lernen, aber er will nicht." So fuhren sie fort und hielten die Hände in die Höhe. Sie selbst konnten sämtlich schwim- men, aber es stellte sich heraus, daß fast keiner von den Vätern es konnte— ein Aberglaube hinderte sie daran.„Vater sagt, man soll Gott nicht versuchen, wenn man Schiffbruch er- leidet," fügte ein Junge hinzu. „Aber dann tut man ja nicht sein Bestes!" wandte eine unsichere Stimme ein. Fris kehrte sich jäh nach der Ecke um: Pelle saß da und wurde dunkelrot bis in den äußersten Zipfel seiner Schlappohren. „Sieh mir einer den kleinen Mann an!" sagte Fris be- troffen.„Und hat er nicht recht gegen uns alle? Hilf dir selbst, dann hilft Gott dir!" „Vielleicht!" sagte eine Stimme— es war Henrik Bödker. „Ja, ja. ich weiß ja auch, daß er hier nicht geholfen hat— aber trohdem: man soll nun einmal tun, was man kann, in allen Verhältnissen des Leben. Peter Funk hat sein Bestes getan, und er war der tüchtigste Junge, den ich jemals gehabt habe." Die Kinder lachten sich zu, sie dachten an dies und an jenes— Peter Funk hatte es einmal gar so weit getrieben, daß er mit dem Lehrer gerungen hatte aber sie wagten nicht, daran zu erinnern.„Er kam nie weiter als bis zum 27sten Gesang!" sagte aber doch einer von den Größeren halb im Scherz. „So, also weiter kam er nicht!" höhnte Fris,„weiter nicht! Du denkst wahrscheinlich, daß Du tüchtiger bist? Dann laß uns mal sehen, ob Du weiter gekommen bist!" Fris griff mit zitternder Hand nach dem Gesangbuch? er litt es nicht, daß etwas über die abgegangenen Knaben ge- sagt wurde. »» Der Vlaubeutel blieb an Pelle haften, nie hatte ihn etwas so gebrannt wie dieser Name. Und er war nicht abzu- schütteln, ehe der Sommer kam— das hatte lange Aus- sichten. Eines Tages liefen die Fischerjungcn in der Pause draußen auf der Mole herum. Ein Boot war gerade mit einer unheimlichen Last durch das Schraubeis gekommen— mit fünf steifgefrorenen Männern, von der eine tot war und im Spritzenhaus lag: die vier anderen waren rings umher in den Hütten untergebracht, wo man sie mit Eis rieb, um den Frost herauszutreiben. An all der Herrlichkeit hatten die Bauernjungen keinen Anteil. Die Jungen aus dem Fischer- dorf gingen aus und ein und sahen das Ganze, jagten sie weg, wenn sie sich näherten, und verkauften karge Nachrichten für teures Geld. Das Boot hatte einen finnischen Schuner draußen auf der See treibend angetroffen, ganz übereist und mit festge- frorenem Ruder. Es hatte zu tief geladen, so daß die Wellen gerade darüber hingingen und festfroren: das Eis hatte ihn dann noch mehr niedergedrückt. Als sie ihn fanden, schwamm das Deck gerade noch auf der Wasserfläche: fingerdicke Taue hatten infolge von Uebereisung eines Armes Dicke bekommen, die Männer, die in dem Takelwerk festgebunden saßen, waren ganz unförmlich durch die Eiskruste. Sie glichen Rittern in Rüstung mit geschlossenem Visier, als man sie herabnahm. Man mußte ihnen die Kleider vom Leibe trennen. Jetzt waren drei Boote ausgegangen, um den Versuch zu machen, den Schuner zu bergen: da würde eine Unmasse Geld zur Ver- teilung kommen, wenn das gelang. Pelle wollte sich nicht außerhalb der Sache halten lassen, und wenn sie ihm auch die Schienbeine zertraten, er hielt sich lauschend in der Nähe. Die Jungen redeten feierlich und setzten eine finstere Miene auf, die Leute hatten was durch- gemacht, vielleicht mußte man ihnen Hände und Füße ab- nehmen wegen kalten Brandes. Jeder Bursche gab sich den Anschein, als trage er seinen Teil an den Leiden, sie sprachen männlich und mit tiefer Stimme.„Mach', daß Du weg- kommst, Ochs!" riefen sie Pelle zu— sie konnten keine Blau- beute! ertragen in diesem Augenblick. Pelle hatte Tränen in den Augen, aber nachgeben wollte er nicht: er trieb sich am Bollwerk entlang. „Mach', daß Du wegkommst!" riefen sie wieder und griffen drohend nach Steinen,..scher' Dich zu den-anderen Bauern." Sie kamen hin und pufften ihn.„Was stehst Du da und glotz'st in das Wasser? Du kannst schwindlig werden und Dir den Kopf ausfallen! Scher' Dich zu den anderen Bauern, hörst Du. Du Blaubeutel!" Pelle war wirklich schwindlig, so kräftig umklammerte ein Entschluß sein kleines Gehirn.„Ich bin nich' mehr Blau» beute! als Ihr," sagte er.„Ihr habt ja nich' mal den Mut, ins Wasser zu springen!" „Hör' einer den mal an! Er glaubt, daß man aus lauter Pläsier mitten in' Winter ins Wasser springt und den Starr- krampf kriegt!" � Pelle hörte eben noch ihr höhnisches Gelächter, als er über die Mole setzte und das mit Eisgrütze angefüllte Wasser über ihm zusammenschlug. Die obersten Spitzen seines Haares tauchten wieder auf, er machte ein paar Bewegungen wie ein schwimmender Hund und versank. Die Knaben liefen verwirrt hin und her und schrien. Einer von ihnen holte einen Bootshaken. Dann kam Henrik Bödker gelaufen, er sprang kopfüber im Laufen hinein und verschwand: ein Eisstück tanzte auf der Wasserfläche da- hin, er hatte es mit seiner Stirn getroffen. Zweimal stieß er den Kopf durch das Grützeis, um Luft zu schnappen, dann
Ausgabe
28 (15.2.1911) 32
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten