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Aber wo sie waren und wo sie gingen war die Luft um sie herum dick wie vor einem Gewitter. Ormhild ging zwischen ihnen wie in Extase. Sie war stets in Bewegung. Und sie sprach fortwährend. Und lachte oft. Sie bekam von beiden kaum eine Antwort. Und doch redete fie weiter. Und sie wanderte von einem zum anderen, rastlos, als hätte fie Angst, an jedem Flecken festzutvachsen, auf den sie ihren Fuß fekte. Waren sie zusammen draußen, dann konnte sie es plötzlich so einrichten, daß sie ganz nahe bei Orm etwas zu tun hatte, als wollte sie sich an ihn schmiegen, wie eine Katze, die einen trummen Rüden macht und spinnt.

Und im nächsten Augenblid war sie wieder von ihm fort. Und ihre Augen hingen jetzt an Brynjulb, als wollten sie ihn niemals Loslassen. Des Abends in der Stube fonnte sie plötzlich über das Licht flagen und dann ihren Spinnrocken zu der Bank rücken, wo Brynjulv saß und ein Forellennetz ausbesserte oder eine Vogel­falle drehte.

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Dann saß sie eine Weile da und sprach mit ihm. Ihre Augen Strahlten ihm entgegen. Und sie achtete nicht darauf, daß das Schnurren des Rockens allmählich erstarb und das Nad zuletzt stehen blieb.

Bis sie zu Orm hinüberblickte und sein Gesicht vor Raserei beben sah.

Da begann fie, den Rocken hin- und herzuschieben. Er steht nicht fest", sagte sie.

Und dann stand sie auf und wechselte den Plak, daß sie dicht bei Orm zu fiben kam. Während sie nun den Roden trat, bog sie sich hintenüber, daß ihr Rücken an seinem Knie lehnte.

Er mußte die Arbeit sinken lassen. Denn er saß meist und be­ftielte Harken oder Sensen oder schnitzte Beilgriffe.

Er hatte sonst nicht viel Geduld. Aber er faß doch ganz still, solange sie sich an ihn lehnte.

Er blidte zuweilen zum Bruder hinüber. Und seine Augen gligerten in bösem Triumph.

Seine Lippen verzogen fich zu einem Grinsen, wenn er Brynjulb fluchen hörte, weil ihm die Fäden zwischen den Fingern zerrissen.

Aber es geschah eines Abends, als das Mädchen sich an den Webstuhl gesetzt hatte und Brynjulb ihr ganz nahe saß, daß das Messer Orms Hand entglitt und sich ihm in den Schenkel bohrte, daß ihm das Blut ins Gesicht sprite.

Als er verbunden und das Blut geftillt war, bat Torbjörg Brynjulb, mit ihr in den Stall hinüberzugehen.

Da sprach sie lange und ernsthaft mit ihm: Dies müsse ein Ende nehmen! Ja, es müssel Und Orm sollte doch das Mädchen haben. Dagegen war nichts zu tun. Lange sprach sie mit ihm. Sie fämpfte für Leben und Wohl­fahrt ihrer Söhne. Und es fam ein Stolz und eine Straft über fie, daß jeder seiner Einwände und jede feiner zornigen lagen unter ihren starken bebenden Worten zunichte wurde.

Er müsse fort!

Dagegen sei nichts zu tun, meinte sie.

Sie ftand ganz ruhig und sah ihn an mit einem festen und machtvollen Blick in den großen blauen Augen.

Am folgenden Tage zog Brynjulb mit dem Ranzen voll Weg­gehrung auf dem Rüden in eine Sennhütte auf dem Gebirge. Dort blieb er, bis die Wege im Gebirge für Pferde fahrbar waren. Dann zog er hinüber zu seines Großvaters Hof.

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( Schluß folgt.)

Volksfestspiele.

Im Münchener Ausstellungspart stehen ein Goliath und ein David der Architettur fich gegenüber: Ein zierlich würdiges Kunst: tempelchen, von dessen amphitheatralischen Ringen" Stammermufit fich hören läßt, als ob fie eine persönliche Widmung des Schöpfers jedem einzelnen, allein für ihn selbst ins Ohr ge­raunt würde, und ein horizontal umgefallener Eiffelturm, eine riefige Ausstellungshalle, die man, seitdem man ihre ungeheure Blöße mit hölzernen Sizbänken verdedt hat, eine Festhalle nennt, und die natürlich auch in Ringen" zu kunstvoll abgestuften Preisen gen Himmel steigt.

Man sage nicht, daß diese beiden Baulichkeiten gewöhnliche Unterkunftsräume für ein gewöhnliches Publikum sind. Wanderer, der du zur Theresienhöhe emporflimmst, knide deine nie ehr­fürchtig ein, als wärest du ein klerikaler Reichsrat auf dem bal paré: Es find heilige Stätten, zwischen denen deine Augen wan­dern; denn von beiden ist je eine ausgewachsene Revolution der Kunst ausgegangen, zwei polarisch entgegengesetzte Revolutionen: eine intime und eine extensive Revolution, das Theater der Zwei­hundertundfünfzig und das Theater der Fünftausend; die Bühne, die schmal ist wie ein Hotelbett, und die Bühne, die sich grenzenlos bis zu den Ringen" oberhalb der Schneegrenze meitet; die flache Reliefbühne( ersonnen von ersten Künstlern") und die unermeß­liche Bühne, die sich mit dem Zuschauerraum vermischt; die Bühne des Flüsterns und des Diskreten, und die Bühne des Brüllens

und des Indiskreten; die Bühne, auf der die flutende Bevölkerung einer ganzen Stadt zu einem Männlein und drei Weibchen vera dichtend stilisiert wird, und die Bühne, auf der das Kammerzofena forps einer griechischen Königin zu der Kriegsstärke der deutschen Armee anschwillt. Kurz: das Künstlertheater und die Volksfestspiel halle. Das holde Räumchen wurde gebaut, weil die intime Sezession der Kunst einer Unterkunft bedurfte. Der Ursprung der Volkss festspiele war umgekehrt: Erst war die leere, unbenutzbare, zins fressende Halle da, und dann wurde für sie, zu ihrer Füllung und angemessenen Berzinsung die andere Sezession erfunden: das Volksfestspiel. Kurz, wir erlebten auf diesem gesegneten Flecken Erde erst den" Faust" im Rahmen eines Hotelbetts und dann den " Dedipus" in den Dimensionen eines Truppenübungsplatzes. Und wunderbar: beide Revolutionen, Sezessionen, Epochen wurden von denselben Kunstdentern ausgehect und von demselben Kunst­praktiker verwirklicht. Der Erfinder war in beiden Fällen Georg Fuchs und der Ausführer allemal Mag Reinhardt. Es muß nun leider gesagt werden, daß die intime Revolution an den intimen Preisen gescheitert ist. Dagegen hat sich die er­tensive Revolution als anpassungsfähig an die Bedingungen des tapitalistischen Theaterbetriebs erwiesen; nur der Kunstidealismus hat auf die Dauer Bestand, der mindestens 6 Proz. abwirft. So hat die Volksfestspielhalle das Künstlertheater verdrängt, und der Zirkus- Dedipus den Relief- Faust. Die funftrevolutionäre Finanz­tednik hat die große Erfahrung gelehrt, daß 5000 Plätze leichter auszuverkaufen sind als 250, daß Holzbänke volksvermehrend, die Klubsessel malthusianistisch wirken. Und Oedipus wuchs zum nationalen Erlebnis empor, und nur die vom Fluch belasteten Städte werden nicht des Glückes teilhaftig, Max Reinhardts Dedipus( nach Motiven des Sophokles!) die Augen aufreißen zu sehen und seine schlechtgeölte Palaftpforte schaurig, aber schidsals boll wimmern zu hören. Alle Oberbürgermeister und Profefforen haben sich zusammengerottet, um in einem flammenden Aufruf Voltsfestspiele zu fordern, und kein Zweifel, der geniale Regisseur dieses Kunstorfans wird als Kunstlebensretter der erste Träger der Carnegie- Stiftung werden müssen.

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Mar Reinhardts Oedipus- Erfolg wird einem ebenso flugen wie fimplen Einfall verdankt. Reinhardt beobachtete inmitten der allgemeinen Theaterflucht das goldsaugende Glück des Zirkus. Bei näherer Untersuchung entdeckte er die Ursachen dieses unzera störbaren Segens. Erstens: die Masse bringt es; das Volk ren tiert( auf den entlegenen Ringen"), also die Kunst dem Volke auf der potenzierten Galerie. Biveitens: das Publikum will mitten in dem wogenden Lärm bunten Geschehens sizen, gleich­sam als zur Familie der Tausendkünstler gehörig; Eingeweihte, Teilnehmer hinter den Kulissen. Als Reinhardt einmal die quir­lende Mädchenherde zwischen dem Publikum hindurch in den Zirkus unter Wasser freischend jagen sah, erstand in seinem Hirn die göttliche Vision seines Oedipus . Das war's: Einheit von Publi­tum und Schauspielern, eine Animierkunst, die lockend und geheim­nisvoll am Tische des beklommenen Gastes niedersitzt. So entstand die erhabene Kreuzung von Zirkuslärm und Kammerspielstimmung. Bald werden wir Beethovens legte Streichquartette als Quadrille reiten sehen, und Schumanns Alte Laute" werden wir von tausendstimmigem Chor brillanter Schlittschuhläufer im Eispalast ( unter Direktion von Richard Strauß !) erbrausen hören. Daß übrigens der Volksfestspiel- Dedipus auch bei ernsteren Leuten Er­folg hatte, schuldet Reinhardt seinem ursprünglichen Autor, deffers verteufelte Dramentechnik welch naher Weg von Sophokles aw Jbsen selbst im Zirfus nicht umzubringen ist. Nun ist aber der Oedipus- Mode auch der tiefsinnige Systema­tifer erwachsen. Der Radau ist zur Epoche aufgetrieben. In einem Mar Reinhardt gewidmeten Büchlein") beginnt Georg Fuchs von dem Oedipus der Münchener Ausstellungshalle eine neue Zeits rechnung der Kunst. Das heute vom Schauplab abtretende lite­rarische Drama" steht, fulturell betrachtet, auf einer Ebene mit der heute so verachteten Geschichten-, Gedanken- und Anekdoten­malerei von 1880, mit dem Problem- und Genrebild historischen, sozialen, lyrischen, erotischen, humoristischen, psychologischen In­halts, welches durch den Ansturm echter, malerischer Stunst im Laufe der letzten Jahrzehnte überwunden wurde. Und wie der Europäer von Kultur heute nur noch die Malerei betrachtet, welche nichts anderes erstrebt, als die reine malerische Form so wird er auch ganz folgerichtig im Drama dazu geführt, rein dramatische Form zu fordern.... Die Kunst der Schaubühne, eben weil sie Stunst ist, wirft nicht durch die Stellung, welche fie einnimmt zu den Grundproblemen der Menschheit oder ihrer Beit, sondern sie wirft einzig und allein durch Kunstformen." Ibsens Irrtum ist, daß er die Schaubühne bemußte, um psychische Brozesse, um fittliche Probleme aufzurollen und zu durchstrahlen". Er wollte das Gegenteil von dem, was Kunst will: er wollte den moralischen Kampf". Und Jbsens tragischer Epilog spricht wahrhaftig, so deutet ihn Georg Fuchs ! die Neue des Dichters aus, daß er seine Zeit mit Literatur- Dramen" vergeudet, an statt Boltsfestspiele für Max Reinhardt zu schreiben. Literarisch das ist das automatische Schimpfwort, daß alle pinselnden Kultur- Europäer aufwenden, wenn sie den Kitsch" ( der Erfolgreichen) verächtlich machen wollen; man ist nicht lite­

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*) Die Gezession in der dramatischen Kunst und das Volks festspiel. Mit einem Rückblick auf die Passion von Oberammergau . München 1911.( Georg Müllers Berlag).