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the noch auffiel, war, daß alle anderen Mäher von Zeit zu Beit einen Schluck aus einem Fläschchen taten, das sie unter einem Haufen abgelegter Kleider hervorzogen und wieder darin ver. bargen. Mischka war der einzige, der, diesen Quell der Labung verschmähend, sich aus einem irdenen, im Schatten des Gebüsches aufgestellten Krüglein erquidte. Meine Großmutter rief den Kammerdiener. Was haben die Mäher in der Flasche?" fragte fie." Branntwein, hochgräfliche Gnaden."- und was hat Mischka in dem Krug?""

Friz verdrehte die runden Augen, neigte den Kopf auf die Seite, ganz wie unser alter Papagei, dem er ähnlich sah wie ein Bruder dem anderen, und antwortete schmelzenden Tones: Mein Gott, hochgräfliche Gnaden- Wasser!"

Meine Großmutter wurde sogleich von einer mitleidigen Re­gung ergriffen und befahl, allen Gartenarbeitern nach vollbrachtem Tagewert Branntwein zu reichen. Dem Mischka auch", sette sie noch eigens hinzu.

Diese Anordnung erregte Jubel. Daß Mischka teinen Brannt­wein trinken wollte, war einer der Gründe, warum man ihn für dummlich hielt. Jebt freilich, nachdem die Einladung der Frau Gräfin   an ihn ergangen, war's aus mit Wollen und Nichtwollen. Als er in seiner Einfalt sich zu wehren versuchte, ward er mores gelehrt, zur höchsten Belustigung der Alten und der Jungen. Einige riffen ihn auf den Boden nieder, ein handfester Bursch schob ihm einen Keil zwischen die vor Grimm zusammengebissenen Zähne, ein zweiter setzte ihm das Knie auf die Brust und goß ihm so lange Branntwein ein, bis sein Gesicht so rot und der Ausdruck desselben so furchtbar wurde, daß die übermütigen Quäler sich selbst davor entsetten. Sie gaben ihm etwas Luft, und gleich hatte er sie mit einer wütenden Anstrengung abgeschüttelt, sprang auf und ballte die Fäuste... aber plöblich fanten seine Arme, er taumelte und fiel zu Boden. Da fluchte, stöhnte er, suchte mehrmals vergeblich fich aufzuraffen und schlief endlich auf dem Fled ein, auf den er hingestürzt war, im Hofe, vor der Scheune, schlief bis zum nächsten Morgen, und als er erwachte, weil ihm die aufgehende Sonne auf die Nase schien, kam just der Knecht vorbei, der ihm gestern den Branntwein eingeschüttet hatte. Der wollte schon die Flucht ergreifen, nichts anderes erwartend, als daß Mischka für die gestrige Mißhandlung Rache üben werde. Statt dessen recte sich der Bursche, sieht den andern traumselig an und lallt: Noch einen Schluck!"

Sein Abscheu vor dem Branntwein war überwunden. Bald darauf, an einem Sonntagnachmittag, begab es sich, daß meine Großmutter auf ihrer Epazierfahrt, von einem hübschen Feldweg gelodt, ausstieg und bei Gelegenheit dieser Wanderung eine idyllische Szene belauschte. Sie sah Mischka unter einem Apfelbaum am Feldrain sizen, ein Kindlein in seinen Armen. Wie er selbst, hatte auch das Kind den Kopf voll dunkelbrauner Löckchen, der wohlgebildete Kleine Körper hingegen war von lichtbrauner Farbe und das armselige Hemdchen, das denselben notdürftig be­deckte, hielt die Mitte zwischen den beiden Schattierungen. Der fleine Balg frähte förmlich vor Vergnügen, so oft ihn Mischka in die Höhe schnellte, stieß mit den Füßchen gegen dessen Brust, und fuchte ihm mit dem ausgestreckten Zeigefinger in die Augen zu fahren. Und Mischka lachte und schien sich mindestens ebensogut zu unterhalten wie das Bübchen. Dem Treiben der beiden jah ein junges Mädchen zu, auch ein braunes Ding und so zart und zierlich, als ob ihre Wiege am Ganges   gestanden hätte. Sie trug über dem geflicten kurzen Rocke eine ebenfalls geflicte Schürze und darin einen fleinen Vorrat aufgelesener Aehren. Nun brach fie eine derselben vom Stiele, schlich sich an Mischka heran und ließ ihm die Aehre zwischen der Haut und dem Hemd ins Genic gleiten. Er schüttelte fich, sette das Kind auf den Boden und sprang dem Mädchen nach, das leicht und hurtig und ordentlich wie im Tanze vor ihm floh; einmal pfeilgerade, dann wieder einen Garbenschober umkreisend, voll Aengstlichkeit und dabei doch neckend und immer höchst anmutig. Allerdings ist bei unseren Landleuten eine gewisse angeborene Grazie nichts Eeltenes, aber diese beiden jungen Ge­schöpfe gewährten in ihrer harmlosen Lustigkeit ein so angenehmes Schauspiel, daß meine Großmutter es mit wahrem Wohlgefallen genoß. Einen anderen Eindruck brachte hingegen ihr Erscheinen auf Mischka und das Mädchen hervor. Wie versteinert standen beide beim Anblick der Gutsherrin. Er. zuerst gefaßt, neigte sich bei nahe bis zur Erde, fie ließ die Schürze samt den Aehren sinken und berbarg das Gesicht in den Händen.

( Fortießung folgt.)

( Nachdruck berboten.)

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Hort und Pfleger aller von unten her zun Lichte empordrängenden Triebe und Kräfte.

Darum aber müssen wir sein Wirken sehr viel anders bewerten. Aus dem Schoße der sozialdemokratischen Arbeiterschaft erwachsen neue Maßstäbe der Beurteilung, ringt sich allmälig eine neue Schöns wissenschaft auf, die mit nur bürgerlicher Anschauung entsproẞter Aesthetif" wenig mehr denn vereinzeltes Wurzelwert gemeinsam hat. Reicher, kräftiger, selbstherrlicher bilden sich und brechen die Knospen einer ausgesprochen sozialistischen Dichtung am alten Stamme auf. Wer's zu leugnen wagt, dem ist dies Wissen noch niemals aufgegangen. Und wer immerfort faseln zu dürfen glaubt von der künstlerischen oder dichterischen Unfraft des Proletariats, der vergißt vollständig, daß sich dies neue Geschlecht erst sein eigenes Rüstzeug schaffen muß, bevor es zu schöpferischer Reife gelangen tann. Was man aber sagen möge: auch hier führt der Weg gipfelwärts. Solches lehrt weniger der überreiche Strom proletari fcher Pyrit als ihre Bertiefung.

Allerdings vor knapp anderthalb Jahrzehnten stand sie noch

völlig unter dem Banne der jüngstdeutschen Literaturrevolution. Was fich bis dorthin und weiter herwärts als Dichtung von Arbeitern für Arbeiter auftut, ist versifizierte Oppofition ein getreues Spiegelbild des proletarischen Klassenkampfes gegen reaktionäre Ge walten. Spärlich fließen die Quellen, die wohl Johann Most   zum allerersten Male 1872 als Neues Protetarier- Liederbuch" gesammelt herausgab. Außer je einem Gedicht von Herwegh  , Freiligrath  , Schenkendorf, Hoffmann von Fallersleben  , Harro Harring   und Alfred Meißner   stammen die meisten der 50 Lieber von August Geib, Andreas Scheu, Karl Weiser, Raphael Schüß, Karl Hirsch, Jakob Audorf. Uhlich, Borrmann, K. Miegleb, J. J. Bapf, Ferd. Braun, A. Otto- Walster, Alice Reynard und verschiedenen ungenannt ge bliebenen Verfassern. Rudolf Lavants Vorwärts- Sammlung, während des Ausnahmegejezes von der Schweiz   ber heimlich maffen­haft nach Deutschland   verbreitet, ist sodann die erste Zusammenfassung der revolutionären Dichtung. Anfangs der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts erschien bei Dieß das Sammelwerk: Deutsche Arbeiterdichtung", das die Gedichte von Audorf, Frohme, Hasenclever, Regel, Lavant  , Lepp und Scheu in sich vereinigt. Da die Anfänge der proletarischen Lyrik bis ins sechste Jahrzehnt des verflossenen Säfulums hinaufreichen, so kann diese Arbeiterdichtung sehr wohl als Lehrmeisterin der sozialen Kunstlyrik aus den achtziger und neunziger Jahren gelten. Mit dieser lepteren hebt aber zugleich eine neue Periode der tendenziösen" Dichtung überhaupt an. Es bleibt das unbestreitbare Verdienst Karl Hendells, nunmehr die hervor ragendsten Dichterstimmen verschiedener Zeiten und Völker in feinem Buch der Freiheit" bereinigt zu haben. Insofern, als Hendell auch gerade die soziale und sozialistische Lyrik bis zur Schwelle des Jahres 1893 berücksichtigte, erfüllte sein Sammelwerk eine höchst wertvolle literarhistorische Mission. Wohl dauerte es Jahre und Jahre, bis die allerdings ansehnliche Auflage vergriffen war; aber das Buch trug reichliche Früchte.

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Inzwischen tam eine Epoche des rapiden Wachstums der Partei nach außen und innen, eine Zeit propagandistischer Arbeit, der es allmählich gelang, Millionen Köpfe für den Sozialismus empfänglich zu machen. Davon hat natürlich auch die Arbeiterdichtung eminenten Borteil gezogen. Nicht nur, daß ihr eine starte Phalanx an Be gabungen aus dem Broletariat entstand die sozialistische Shrit felbst nahm ein neues Ziel zur stofflich- menschlichen Seite hin, ohne ihren oppositionellen Standpunkt zu verrücken. Sie erhielt mehr und mehr bodenständigen Charakter, echtere Züge, auch in rein fünstlerischer Hinsicht. Noch vor wenigen Jahren war von alledem so gut wie nichts zu verspüren; weshalb die Wiederholung eines Unternehmens nach Art des Hendellschen Buches der Freiheit noch als tühnes Wagnis erachtet werden konnte.

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Jetzt aber war ein günstigerer Zeitpunkt gekommen; und ihm hat das zweibändige Sammelwert: Von unten auf", das unier Dresdener   Genosse Franz Diederich   soeben im Verlag der Buchhandlung Vorwärts, Berlin  , herausgebracht, vollauf Rechnung getragen.

Schon der Titel dentet an, von welchen Prinzipien der Heraus geber geleitet wurde. Es durfte ihm nicht darauf ankommen, nur als Fundament benutzen wollte, um auf ihm einen modernen Bau einfach Hendels Freiheitsbuch wiederhoiend zu erneuern. Wenn er's auszuführen, so mußte er einerseits die Fortentwickelung, den gegen­wärtigen Stand der sozialistischen   Arbeiterdichtung im Auge behalten und doch zugleich eine Anordnung treffen, die historisch sowohl der Entfaltung der freiheitlichen Poesie als speziell der Entwickelung des Sozialismus wie der sozialistischen   Weltanschauung nachspürte. Der

Ein Pantheon fozialer Dichtung. Schwerpunft lag ja doch von Haus aut darin, daß weder eine den

Dichtern noch einem bürgerlichen Lesepublikum mundgerecht gemachte Anthologie", sondern ein wahrhaftiges und würdig erlesenes Freiheits­buch für die iozialdemokratische Arbeiterschaft zutage trete. Sehen wir jegt einmal, wie der Herausgeber diese schwierige Aufgabe zu lösen unternommen hat.

So oft wir Umschau balten auf dem Saatacker der deutschen oder der fremdländischen Poesie, fühlen wir uns gedrungen, nachzu­prüfen, in welchem Verhältnis sich die einzelnen Dichter zu den Dingen ihrer Zeit bewegen. Weltfernes Infichielbstversuntensein, inbrünstiges Aufgeben in den Kult abstrakter Schönheit und gärender Buvörderst fällt die Aufteilung des Werkes in zwei ihrem Um­Erotit; oder eine abseitige Anschauung, die ängstlich bemüht ist, es fang nach fast gleich starke Bände ins Ange. Solches geschah aber um feinen Breis mit den herrichenden Klassen zu verderben: will feinesfalls aus technischen oder buchhändlerischen Absichten, sondern und kann uns weder mehr als Ausdruck noch als Aufgabe eines unter Beachtung historischer Gesichtspunkte. So entspricht es der modernen Dichters gelten. Sondern als Künder und Kämpfer geschichtlichen Entwickelung, wenn der erste Band den halbhundert­wollen wir ihn sehen: das ist die hohe Mission, die ihm der Sozia- jährigen Zeitraum revolutionärer Volksaufstände zwischen 1789 bis lismus autveift. Wie im heroischen Menschheitsalter soll er wieder 1849 umfaßt. Bei diesem äußerlichen Merkmal ist Diederich jedoch boran seinem Volte gehen: ein Rufer im Streit, ein verläßliches nicht stehen geblieben, so leicht und bequem es ja gewesen wäre,