Rohrsko'ck auf das Pult zu schlagen. Cr war nur noch ein Schatten seines alten Ich. Sein Kopf wackelte beständig hin und her, und die Hände griffen leicht verkehrt. Die Zeitung brachte er noch innner mit und faltete sie zu Anfang der Stunde auseinander, aber er las nicht darin. Er verfiel in Sinnen, saß aufrecht da. die Hände auf dem Pult und den Rücken gegen die Wand gelehnt, und war völlig geistes- abwesend. Dann konnten die Kinder sich so lustig tummeln, wie sie wollten, er rührte sich nicht. Nur eine schwache Ver- änderung in dem Ausdruck des Auges zeugte davon, daß er überhaupt noch lebte. Es war jetzt ruhiger in der Schule, es verlohnte sich nicht, den Lehrer zu foppen er merkte es ja kaum. Dadurch ver- loren die Possenstreiche einen großen Teil ihres Reizes. Es hatte sich nach und nach eine Art Selbstjustiz unter den größeren Jungen gebildet, sie bestimmten den Gang der Schulstunden: Ungehorsam und Uneinigkeit über die Macht wurden auf dem Spielplatz ausgefochten mit geballten Fäusten und Holzschuhschnauzen. Der Unterricht setzte sich so wie ehedem fort, indem die Klügeren ihr Wissen auf die anderen übertrugen. Es wurde ein wenig mehr gerechnet und gelesen als zu des alten Fries Zeiten. Dafür mußten dann die geistlichen Lieder zurückstehen. Es geschah wohl hin und wieder einmal, daß Fries er- wachte und in den Unterricht eingriff.Singen!" rief er mit seiner halbverwelkten Stimme und schlug nach alter Ge- wohnheit auf das Pult. Dann legten sie ihre Sachen beiseite, um sich dem Alten zu fügen, und fingen an, irgendeinen Ge- sang herzuleiern sie rächten, sich, indem sie den einen Vers die ganze Stunde leierten. Das war ihr einziger wirklicher Scherz mit dem alten Mann, und das Vergnügen blieb auf ihrer Seite Fries begriff nichts mehr. (Fortsetzung folgt.), Die JVIöwe. Von Karl Franz.*) Die nächtige See liegt glatt wie ein Spiegel, am Horizont funkelt der Widerschein der Sterne aus dem dunkeln Wasier in schmalen Silberstreifen, die stille stehen, nur ab und zu von einem kaum merkbaren Zittern überlaufen, das ihre Linie nicht zu ändern vermag. Ein Kutter ruht nahezu regungslos mit seewärts ge» wendetem Kiel. Alle Segel haben sie gesetzt und kommen dennoch kaum merk- lich von der Stelle. Manchmal knarrt und ärfjzt es um die Moste und hoch oben in den Raaen, wenn ein zaghafter Hauch in der schwülen Luft rege wivd. Der Kapitän oder Nostromo, wie er in der Schiffersprache heiht, steht mit gekreuzten Armen und blickt finster gegen Osten. Dort zieht sich ein dunkelblauer Streifen am Horizont hin, das Land, die griechische Küste, die ihnen seit einem Tag im Rücken liegt und nicht verschwinden will. Zwar führt derSenofonte" keine Waren, die verderben können; Bauholzer lagern am Deck und trockene Häute im Laderaum. Aber Zeit ist Geld! Noch einmal schaut der alte Seemann   in den sterneklarcn Nacht- Himmel auf, dann wandert er kopfschüttelnd zum Kompaßhäuschen hin und legt sich dort auf eine Bank. Stille einige Zeit.   Selbst das Knarren und Aechzen im Takelwerk hat aufgehört, da und dort hört man die regelmäßigen Atemzüge Schlafender. Auch der Nostromo schläft. Am Hinterdeck löst sich eine schwarze Gestalt vom Boden und schleicht zum Kompaßhäuschen, betrachtet den Ruhenden einige Zeit und hastet dann auf nackten Sohlen lautlos weiter zu den anderen. Er kennt ihre Plätze. Sechs Mann sind es. Jedem sieht er ins Gesicht, überall horcht er auf die Atemzüge. Alle schlafen fest und tief. Nun klettert der Lauscher gegen das Vorderdeck, wie ein Raubtier zu Boden geduckt und bei jedem Geräusche innc- haltend Ein Schatten huscht an ihm vorbei nichts! Nichts! nur eine Möwe, die dicht vor ihm auf einer Strickleiter saß, hat er ver- scheucht. Mit einem heiseren Schrei segelt sie in die Nacht hinaus. Er schickt ihr einen wütenden Blick nach, preßt die Zähne aufcin- ander und ballt die Fäuste. Am Schiffe bleibt es still. Endlich ist er am Vorderdeck angelangt und sieht die andere Wache wenige Schritte vor sich am Boden niedergekauert. Sorgsam niedergebückt schleicht er sich hinter drei mächtige Balken, die ihn vollkommen decken. Da rauscht es über ihm und eine Möwe läßt sich am Ende des obersten Balkens nieder. So nahe sitzt sie ihm. daß er sie mit der *) Wir entnehmen diese Erzählung der Sammlung kurzer GeschichtenSonderbar und dennoch wahr", die im Ver- läge von Lothar Joachim in München   erschienen ist. Hand greifen könnte. Wenn er sie zu fassen vermöchte, fest Und sicher, daß sie zu keinem Schrei mehr Zeit fände! Doch das wäre gewagt; ihr Flattern und Flügelschlagen müßte ihn verraten. Er hält den Atem an und mißt die Entfernung mit den Augen, nimmt das Messer in die Rechte und schnellt mit einem hurtigen Satze vor. Ehe der andere noch recht den Kopf gewendet, steckt die Waffe in seinem Nacken, und er sinkt lautlos zusammen. Der Mörder hat alles vorbereitet, alles bedacht. Er achtet. daß kein Tröpfchen Blut den Boden bespritzt, verstopft die Wunde des Ermordeten und reinigt daS Messer mit einem Lappen, den er darauf fest zusammengeballt mit kräftigem Schwünge ins Meer schleudert. Die Möwe, zum zweiten Male aufgescheucht, umfliegt ihn währenddessen, stößt dazu ihre heiseren, kreischenden Schreie auS und kommt ihm einmal so nahe, daß er mit der Faust nach ihr schlägt. Bon den anderen rührt sich keiner. Möwenschreien weckt sie nicht, sie sind daran gewöhnt, und sonst war nichts zu hören. Der Mörder kniet bei der Leiche und arbeitet mit zitternder Hast. Sein erster Griff gilt dem blauen Gürtel des Gemordeten. Er zieht das Gewebe prüfend durch seine Finger, reißt es endlich entzwei und holt einige Papiernoten heraus, die er schleunig zu sich steckt. Dann umwindet er den Toten unter den Armen mit einem Seile, schieist ihn zur Bordwand und läßt ihn hinab in die stille, See, deren schwarzes Wasser sich fast lautlos über dem Opfer schließt. Fest und sicher arbeiten die sehnigen Arme des Mörders. Ein kurzes Aufspritzen und das freigegebene Ende des SeileS  verschwindet, von dem rasch finkenden Körper in die Tiefe nach- gezogen. Eine Viertelstunde später steht der Täter wieder am Hinter- deck auf seinem Platze. Sein Puls geht um keinen Schlag schneller, die Brust hebt sich ruhig wie sonst. Er fühlt keine Gefahr, es gibt kein Zeichen, das ihn verraten könnte, keines! Seine scharfen Augen hatten in der hellen Nacht noch zwei Blutflecken am Boden entdeckt, die er vorsichtig mit Teer über- strichen, seine Hände, sein Gewand weisen keine Spur Blutes auf, er betrachtet sie ganz genau. mit vorgebeugtem Kopfe, da streift seine Wangen ein Luftzug, ein dunkler Körper saust vorbei--. Die Möwe senkt sich in seiner Nähe auf die Bordwand; es ist, als sei sie ihm hierher gefolgt. Dummes Vieh!" murmelt er und verscheucht sie. Kreischend steigt sie in die Höhe und schwebt unausgesetzt über dem Hinterdeck. Die Sterne erblassen, in dem Takelwerk beginnt es zu flüstern und zu säuseln, die Brise wird stärker und stärker. Gut, denkt er, wir kommen von der Stelle! Der blaue Gürtel, der blutige Lappen könnten noch in unserer Nähe treiben. Ich hätte Eisenstücke hinein- wickeln sollen, doch nun geht es auch so. Ho. Achille!" Der Nostromo kommt auf ihn zu. «»Ja, Herr. Wind!" Wo der andere ist, frag' ich Dich!* Fehlt er?" Ja. er fehlt!"-- Alle sind auf den Beinen. Sie manövrieren in den Segeln, derSenofonte" schneidet eine funkelnde Lichtfurche in die See, deren muntere Wellen stahlblau im Morgensonnenschcin auf- leuchten. Die griechische Küste ist nach zwei Stunden nicht mehr sichtbar. Sonst arbeiten sie schweigsam, diesmal aber sprechen sie, sprechen unausgesetzt, sobald ihrer zwei gemeinsam hantieren. Achille sucht das Gespräch nicht zu meiden. Er erzählt jedem unaufge- fordert, daß er den Verschwundenen knapp vor dem Einfallen der Brise noch am Vorderdeck stehen gesehen und mit ihm vor Beginn ihrer Nachtwache eine Flasche schweren griechischen Wein geleert habe. Mehr wisse er nicht zu sagen, noch sei jemals ein Schrei oder sonst irgend etwas Besonderes während der Nacht zu vernehmen gewesen. Keiner zweifelt, daß der Verschwundene am Meeresgründe ruht, keiner hat an eine Ausfahrt des Beibootes gedacht, als das Fehlen eines Mannes entdeckt worden war, auch nicht der Nostromo. Würde einer bloß zufällig über Bord gefallen sein, stundenlang hätte er dem langsam fahrenden Segler folgen können; er hätte geschrien, sein Sturz, sein Ruf wären in der stillen Nacht von der ganzen Besatzung gehört worden. Alle wissen eS: hier war Gewalt am Werke, ein Mörder ist unter ihnen. Ihrer drei sitzen um die Mittagsstunde bei Polenta und Rot- wein, Achille darunter. Der Nostromo tritt zu ihnen. Leute", beginnt er, sie mit stechenden Blicken musternd,ich Hab es den anderen gesagt, ich sag eS euch: wir gehen in Bari  nicht ans Land, wir gehen nicht anS Land, bis nicht die Karabinieri an Bord waren. Ihr alle wißt, wie es steht. Der uns fehlt, führte fünfhundert Franken mit sich, die er im Hafen von Kvrfu von dem närrischen Engländer erhalten hat, dafür erhalten hat, daß er daS Kind aus dem Wasser zog. Es war nichts; er kam zufällig hin, brauchte nur die Hand auszustreck-n; kümmert uns aber nicht. Di« fünfhundert Franken waren sein Einer springt mit blitzenden Augen vom Boden auf. Herr, visitiert uns!" Ter Nostromo faßt ihn beim Arm; er kennt die Bewegung, er kennt seine Leute.Ich bin kein Richter, ich führ mein Schiff! Suchen und ausfragen mögen andere! Seine Sachen Hab ich einst,