lSiwer C1e RehNechsek entlang, und da Kar der Teckel des Försters auf seine Witterung gekommen, und hatte es mit Hellem Halse durch die Trümmerwilonis des riesigen Wildbruches gehetzt. Und alS eS sich in einer einsamen Klippe gesteckt hatte, hatten Menschen- stimmen es verscheucht, und wieder war eS bergan geflüchtet, bis er über den rauhen Hang gelangte, der alte Kuder aus dem Tale. Bis in den Spätnachmittag hatte er in einer Spalte geschlafen, aber dann hatte ihn der Hunger hinausgetrieben, und auf Samtsohlen war er, bald eilig, bald langsam, durch die Wildnis geschlichen, an den Mooren entlang, zwischen den Klippen hindurch, unter den Sestürzten Fichten her, über die Blöcke, Rinnsale und Spalten inweg, ohne mehr zu erwischen, als eine einzige Spitzmaus, vor deren Moschusgeruch es ihn so ekelte, daß er sie liegen ließ. Wohl war er auf die Witterung von Auerflügel gestoßen, aber soviel er auch suchte, er fand kein einziges Stück, und es gelang ihm noch nicht einmal, einen armseligen Pieper oder eine Braunclle zu greifen, denn das dichte Heidelbeergestrüpp schützte die Schläfer zu gut. So war der Kater dann oben über den rauhen Hang gekommen und hatte mit hungerig leuchtenden Sehern dem Hasen nachgeäugt, den das Edelwild fortgetreten hatte. Mit aller Macht zog es ihn zu Tale, wo das Leben sich leichter lebt als im harten Berge. Dort unten wimmelte es im Niederwald von Mäusen, da ist ein Feld- Huhn zu erwischen, eine Forelle zu angeln; aber leider gibt es dort auch Förster, die Eisen stellen, und Teckel, die hetzen. Immer- hin ist es dort noch besser als hier, wo es keine Grünröcke und leine Hunde, aber auch nichts zu reißen gibt, wo'der Nebel jeden Halm biegt und der Wind in schnöder Weise pustet. Kleinvögel sind hier wenig genug, und das große Geflügel, das hier seinen Stand hat, mehr als alte Witterung hat der Kater davon nicht gehabt heute abend auf seinem Birschgangc. Mißmutig äugt er von der Klippe in das Tal hinab und will gerade umdrehen, um wieder gesegneteren Gegenden zuzuwechseln, da saust es über ihn fort, und dicht vor ihm, in der alten, krummen Eberesche, fällt es polternd auf. Ehe der Hahn um sich geäugt hat, ist der Kater verschwunden. Stand er bisher hoch aufgerichtet auf der Kante der Klippe, so ist er jetzt völlig mit ihr verschmolzen. Wie ein langer, flacher, grauer Stein liegt er da. Die Seher sind, bis auf einen schmalen Spalt, geschlossen, die Schulterblätter ein ganz klein wenig hochgezogen, die Flanken heben sich beim Luftholen kaüfn, und nur das aller- äußerste Ende der Rute zuckt ab und zu ein klein wenig. So liegt er und äugt nach dem Hahne hin. Der äugt rund um sich her, reckt den Kragen, senkt ihn wieder, schüttelt sein Gefieder, ordnet es, wirft seine Losung ab, daß sie lautaufklatschend auf die Klippe fällt, überstellt sich, würgt einigemale leise, ordnet hier und dann noch eine Feder, wird mit einem Ruck lang und schmal, läßt die Flügel fallen, entfaltet sein Spiel ein wenig, sträubt den Kragen und beginnt erst schüchtern, dann kräftiger zu balzen. Zweimal hat es den Kater schon durchzuckt, zweimal hat er sich bezwungen. Doch jetzt, Ko der Hahn den Hauptschlag und das Schleifen beginnt, fliegt, wie von stählerner Feder getrieben, der Kater durch die Luft. Haarscharf hat er den Sprung bemessen, so scharf, daß seine Hinterpranten an dem Stamme der Eberesche noch Halt fanden, während er die Vorderpranten um den Kragen des Hahnes schlug. Mit heiserem Angstlaut will der Hahn abreiten, aber zu fest hält der böse Feind, zu scharf sind seine Krallen, so spitz die Fänge; wild mit den Fittichen schlagend, rasselt der Hahn, den Kater am Halse, durch das Geäst des Baumes den Hang hinab, daß das Edelwild, das sich dort an den jungen Sprossen äste, entsetzt von dannen flüchtet und mit langen Hälsen aus sicherer Entfernung vernimmt, wie das Rascheln und Rauschen, Brechen und Knistern nach und nach schwächer'wird und schließlich ganz aufhört. Im Nebel verschwindet der rauhe Hang; die Lichter im Tale erlöschen, der Abendwind pustet hohler, ein Reh schreckt irgendwo, ein aufgestörter Pieper klagt ängstlich. Schncewasser kluckst zwischen Gestein, in schneller Folge schlägt Tropfcnfall auf eine Klippe, wie ein Uhrwerk tickend, weit, weit weg johlt im Tale die Bahn. Es wird Nacht im Berge. Es wird wieder Tag werden. Hinter dem Hornfclskcgcl wird es rosig schimmern: von der Wctterfichte an der kahlen Wand wird die Misteldrossel singen, unter der hohen Klippe wird ihr die Zippe antworten, Fink und Pieper werden wieder schlagen, Zaunkönig und Braunelle werden singen, aber niemals wieder wird von der alten Eberesche am rauhen Hang sein ritterlich Minnelied in den grauen Morgen erschallen lassen, der es seit sieben Jahren hier sang. Das Jubiläum cler italiemlcben Smigung. ' Am 27. März Kar ein halbes Jahrhundert verflossen, seit Italien zu einem einigen Königreiche mit Rom als Hauptstadt proklamiert wurde. Diesen Tag hat das dritte Italien als Nationalf�st feierlich begangen. Aller offizielle Klimbim und der Ueberschwang an Worten, die bei solchen Gelegenheiten nie fehlen, dürfen uns aber nicht die geschichtliche Größe und die weittragende Bedeutung des Ereignisses verhüllen, dessen Gedenktag man feiert. Versinnbildlicht sich doch in ihm die Wiedergeburt der nationalen Einheit eines Landes und die Todesstunde einer vielgestaltigen Knechtschaft, die als Theokratie, Fremdherrschaft und Absolutismus auf Italien lastete und den Schatten ihres Anachronismus über ganz Europa warf. Wohl hat die nationale Einheit nicht ein einheitliches Volkstum, das Ende der politischen Knechtschaft nicht die soziale Freiheit geboren, aber nichtsdestoweniger war es ein« Bewegung von großer revolutionärer Bedeutung, die mit dem An» schlag Pisacancs begann und an der Bresche der Porta Pia endete, Wohl stehen noch heute Hunderttausende abseits, zu sehr von der Mühsal des Daseinskampfes erdrückt, zu sehr aus dem Kulturgewebe der Nation ausgeschlossen, um ein Vaterland zu haben und seiner Erlösung von den Fesseln der Fremdherrschaft und der geistigen Knute zujubeln zu können; aber trotzdem waren es große und dauernde Werte, um die es bei dem Ringen uig die italienische Einigung ging. Was die Proklamierung Roms zur Hauptstadt eines gccinigten Italien alles an verwirklichtem und noch zu verwirklichenden Hm* stürz einschloß, das vergegenwärtigt man sich am besten, renn man sich das Gewimmel absolutistischer Kleinstaaten, das gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts Italien beglückte, ins Gedächtnis ruft. All das Geschmeiß der kleinen Potentaten, die von Oester« reich ihre Befehle empfingen, und zum Dank für den Verrat! am eigenen Volke im Gegensatz zu dem Streben und den Jnter* essen ihres Landes auf ihrem wurmstichigen Thron erhalten wurden« Das chronische Spitzel- und Angeberwesen, mit dem sich die fremden wie die eingeborenen Aussaugcr des Landes als Herrscher be* haupteten, selbst unfrei und frciheitsfeindlich aus Selbst* erhaltungstrieb. Und als Krönung des Ganzen die Fremdherr- schaft in der Lombardei und in Venetien und der mittelalterliche Druck des päpstlichen Szepters im Kirchenstaate. In der Tat handelte es sich darum,„Italien sich selbst zu geben", wie es in dem Kriegsmanifest Napoleons vom 4. Mai 1859 hieß. Nur daß dieses Werk nicht durch die Gnade oder Macht eines anderen Volkes vollzogen werden konnte, sondern im direkten Gegensatz zur Di» plomatie aller Staaten durch einen revolutionären Akt erfolgen mutzte. Brachen doch alle europäischen Großmächte die diploma* tischen Beziehungen zum Königreich Sardinien ab. nachdem Viktor Emanuel an der Seite Garibaldis in Neapel eingezogen war. Als fast 5 Monate später die Proklamierung des einigen König- reichs erfolgte, wurde dieses zunächst nur von England anerkannt. Der Parlamentsbeschluß, der Rom als Hauptstadt ausrief« schloß die Anerkennung der ganzen Revolution ein und die Ueber- nähme einer geschichtlichen Verpflichtung, die an der Bresche von Porta Pia eingelöst wurde.(Durch diese Bresche zog das ita- lienische Heer 1879 in Rom ein.) Wenn das italienische Risorgi» mento nichts anderes vollbracht hätte, als den Sturz der weit- lichen Herrschaft des Papsttums, so würde ihm das allein einen dauernden Platz in der Wcltgesch'hte sichern. Denn dieser Sturz bedeutet nicht nur, daß über einen überlebten, morschen, im Innern faulen, dem Volke verhaßten Staat das zur Einheit er- wachte Italien Meister geworden war: es bedeutete weiter, daß in ganz Europa die geistige Knute nicht mehr genug vermochte« um ein einziges Heer zur Vertretung der weltlichen Macht deS Papstes aufzubringen. Der ohnmächtige Bannfluch, den Pius IX. am 26. März 1866 gegen alle schleuderte« die an dem Eingriffe in die päpstlichen Staaten Anteil hätten, war die letzte politische Acußcrnng einer Macht, die possenhaft endete, nachdem ihr jähr- hundertelang eine entscheidende Rolle im Drama der Weltgeschichte zugefallen war. Aber die italienische Einigung bedeutete gleichzeitig das Ende der Fremdherrschaft und Ausbeutung, das Herrscher und Be- herrschte in gleicher Weise erniedrigte, einen Haß erzeugte, der beide Teile vergiftete, das Ende eines Regimes, das das Erstarken des nationalen Bewußtseins durch die Entziehung aller politischen Rechte hintanzuhalten suchte und Knechtsinn brauchte als Gewähr seiner Dauer. Daß ein solches Regime in höchstem Maße tultur- feindlich ist und elementare Rechte eines Volkes antastet zu aus- schließlichcm Vorteil der herrschenden Klassen des anderen, bedarf keines Beweises. Das Volk Oesterreichs hatte wahrscheinlichi keine Interessen in der Lombardei und Venetien zu vertreten; ihm fielen nur die Kriegslasten der Fremdherrschaft zu. WaS sich in der italienischen Einigung vollzog, das entsprach sowohl den Interessen als den Idealen der arbeitenden Klassen ganz Europas . Dn Interessen, weil das zerfetzte und wehrlose Italien eine be- ständige Kriegsgefahr darstellte; den Idealen, weil das Recht der nationalen Selbstbestimmung i>as elementarste politische Recht bildet, dessen Antastung jenen Nationalhaß auslöst, der der Ver- wirklichung der proletarischen Ideale des Internationalismus! hemmend in den Weg tritt. Gewiß hat das italienische Bürgertum, das in dem Kampf um Einigung und Verfassung nicht unrühmlich seine» Mann ge* standen bat, die Ziele, unter deren Fahne es gekämpft, nicht er» reicht. Wie die Bourgeoisie aller anderen Länder hat auch dio italienische für Freiheit und Volksrechte gerungen, um nach ihrem Siege nur Privilegien und Klasscnrechte zu verwirklichen. Uni» deshalb ist es kein Nationalfest im eigentlichen Sinne des� Wortes» das in diesen Tagen gefeiert wird, es ist kein Nationalfest, weil ein Land, das in zwei Klassen zerfällt, von denen eine die Lasten» und die andere die Vorteile unserer Kultur hat, keine Nation darstellt, keine lebendige Kultureinheit bildet, nicht als ein GanzeSl einem Tage zujubeln kann, dessen Licht nur einer Minderheit zu»
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28 (28.3.1911) 61
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