NnterhalttMgsblall des Horwärts Nr. 75. Mittwoch, den 19. April. 1911 K?!-«druS Iw Das Gememäekinä. Erzählung v. Marie ö. Ebner-EschenbaD. Die Greisin war nahe daran gewesen, umzusinken, als sie statt des Stützpunktes, den sie suchte, einen Stoß erhielt. Mit einem Schrei der Angst klammerte sie sich an den in tiefster Ehrfurcht dargereichten Arm des Lchrers, der die gnädige Frau zu ihrem Sitz geleitete und dann bebend vor Unwillen die Faust gegen Pavel erhob: Was tust? was fällt Dir ein Spitzbube?" Pavel deutete m'hig nach der Schnur des Lüsters: Wenn das Strickerl reißt, ist sie ja tot," sprach er. Esell Esel fort! hinaus!" rief Hab recht, und der Junge gehorchte, ohne mit Abschiednehmen Zeit zu verlieren. Die Baronin beruhigte sich allmählich und sagte: Er ist blitzdumm, aber er hat wenigstens eine gute Ab- ficht gehabt." Das weiß Gott, " rief der Lehrer,wenn Euer .Gnaden nur nicht so erschrocken wären!" t*1 Ach was! daran liegt nichts." Sie zog das Taschen- tuch und drückte es an ihre Sttrn.Viel schlimmer ist, daß ich einmal wieder inkonsequent gewesen bin..- Wie oft habe ich mir vorgenommen: es bleibt dabei, meine Milada fcars ihren Bruder nicht mehr sehen und jetzt schicke ich ihn selbst zu ihr!... Keine Willenskraft mehr, keine Energie der geringste Anlaß, und mein festester Vorsatz ist wie weggeblasen." Kommt vom Alter, Euer Gnaden," fiel Habrecht in liebenswürdig entschuldigendem Tone einda können Euer Gnaden nichts dafür.,- Der Mensch ändert sich. Be- denken nur. Euer Gnaden! auch die Zähne, mit denen man in der Jugend die härtesten Nüsse knackt, beißt man sich im Alter an einer Brotrinde aus." Ein unappetitlicher Vergleich." erwiderte die Baronin: verschonen Sie mich. Schullchrer, mit so unappetitlichen Vergleichen." 7. In der Nacht vom Samstag auf den Sonntag schloß Pavel kein Auge. Er lag wie in Fieberhitze und meinte immer, jetzt und jetzt komme jemand ihm den Brief abzu- fordern, den ihm die Baronin am Abend überschickt hatte, und der ihm Einlaß ins Kloster verschaffen sollte. Sie konnte sich's überlegt, ihre Güte konnte sie gereut haben.., Pavel kauerte sich zusammen auf seiner elenden Lagerstätte und faßte wilde Entschlüsse für den Fall, daß seine Besorgnisse in Erfüllung gehen sollten. Indessen graute der Morgen, und Pavels eigene Hirn- gespinste blieben seine einzigen Bedränger. Dennoch verließ hie Unruhe ihn nicht. Schon um 4 Uhr stand er am Brunnen und wusch sich vom Kopf bis zu den Füßen, zog Hemd und Hose an und den Rock, der eine bedeutende Verschönerung er- «fahren hatte. Auf seiner schleißigstcn Stelle, gerade über dem Herzen, prangte ein bunter Flicken, ein handgroßes Stück Zeug, das beim Zuschneiden von Vinskas neuem Leibchen übrig geblieben war. Pavel nahm sich vor, es herabzu- trennen und der kleinen Milada zu schenken, wenn es ihr so gut gefiele wie ihm. Ud so zog er rüstig und freudig aus und begegnete keiner lebenden Seele im ganzen Dorf. An der Mauer des Schloß- gartens schlüpfte er besonders eilig vorbei, und nun ging's hergab und bergauf, immer mit der stillen Besorgnis: Wenn mir nur keiner nachläuft, um mich zurückzuholen. Auf der Höhe angelangt, von der aus er vor fast zwei Jahren dem Wagen nachgeblickt, der seine Schwester ent­führte. atmete er freier. Er besann sich, wie schön er damals die Türme der Stadt hatte glänzen gesehen. Heute lagerten Hcrbstnebel über ihnen und verbargen sie seinen Augen. Und auf dem Feld, das zu jener Zeit im Grün der jungen Halme geprangt, lagen große harte Schollen, vom Pfluge umgelegt, dessen Schaufel einen Metallglanz auf ihnen hinterlassen hatte. Er schritt weit«» isszlor sein Ziel oft aus den Augen, verfolgte es aber mit dem Instinkt eines Tieres: es fiel ihm! nicht ein. daß er's verfehlen könnte. Drei Stunden war er gewandert, da hörte er zum ersten Male deutlich den Schlag der Uhr von einem der Kirchtürme schallen, und langte bald t arauf bei den kleinen Häufern dex Vorstadt an. Eine Brücke lag vor ihm, unter der ein gewaltiges Wasser rauschte. Er hatte nicht gewußt, daß es ein so ge- waltiges Wasser gibt. Und das Wunder, das er anstaunt, Milada sieht es alle Tage, denkt Pavel: und Stolz auf die Schwester und Ehrfurcht vor ihr ergreifen ihn. Am Brückenpfeiler sitzt ein altes Weib und hat Aepfck feil. Gewiß ißt Milada Aepfel noch ebenso gern wie früher wie wär's, wenn er ihr ein paar mitbrächte? Die Hökerini kehrt ihm den Rücken zu: sie kramt eben in ihrer Vorrats» kiste: ein paar Aepfel wegzumausen, war eine kleine Kunst ... Soll er? soll er nicht? Eine innere Stimme warnt ihn: Gestohlenes Gut taugt nicht mehr für Milada,,. Er steht und zaudert.' Da wendet sich die Alte, sieht ihn. rühmt ihre Ware t. lädt ihn zum Kause ein. Ich Hab kein Geld," sagt Pavel zögernd. Mit der Freundlichkeit der Hökerin ist es sogleich vor- bei, und ihre Aufforderung lautet jetzt:«Wenn Du kein Geld hast, so pack Dich!" Das ist wieder gewohnter Klang. Pavel fühlt sich an- geheimelt, er fragt nun fast zutraulich nach dem nächsten Weg zum Fräuleinstift. Was willst Du im Fräuleinstift?" brummt das Weib. Wärst gestern gekommen. Am Samstag wird dort aus- geteilt." Pavel lügt: er weiß selbst nicht warum, und behauptet. das sei ihm wohl bekannt, wiederholt seine Erkundigung und wandelt, nachdem er Auskunst erhalten, einem Hause zu, das sich wie eine riesige gelb getünchte Schachtel am Ende des Platzes erhebt. Es hat anfallend kleine Fenster und an der Seite ein schmales Pförtchen, zu dem einige Stufen hinunter- führen. Ratlos steht er lange davor, pocht, rüttelt an der Klinke, aber die bleibt unbeweglich und sein Pochen ungehört. Eine Schar kleiner Jungen kommt daher: einer von ihnen springt die Treppe zur Klosterpforte hinab, hängt sich an den Glockenstrang, läßt ihn plötzlich zurückschnellen und läuft da- von. Ein Geläute, das gar nicht enden wollte, drang aus dem Innern des Hauses: das Pförtchen öffnete sich, Pavel trat ein und stand wieder vor einer geschlossenen Tür: doch hatte diese ein Glasfcnster und gewährte den Einblick in eine Halle, deren ziemlich niederes Gewölbe von freistehenden Säulen getragen wurde, und deren Wände mit Feuchtslecken bedeckt waren. Eine Nonne erschien, musterte den Besucher und fragte mit strenger Miene:Warum schellst Du so stark? Was willst Du?" Meine Milada." stammelte Pavel. Es überkam ihn plötzlich, daß er sich unter einem Dache mit seiner Schwester befand, und unleidlich wurde seine Ungeduld.Wo ist sie?" rief er. Wen meinst Du?" fragte die Klosterfrau.Es gibt hier keine Milada, Du bist wohl fehlgegangen." Schon wollte sie ihn abweisen, da erinnerte er sich des Talismans , den er besaß, und überreichte den Brief. Die Nonne betrachtete eine Weile die Aufschrift:Ja so," sagte sie.«Liebes Kind, Deine Schwester heißt bei uns Maria. Du kannst sie jetzt nicht sehen, sie ist in der Kirche." Pavel erklärte, er wolle auch in die Kirche, und dabei nahm sein Gesicht einen so entschlossenen und bösen Ausdruck an, daß der Pförtnerin angst wurde. Sie bemiihte sich, ihm begreiflich zu machen, daß er warten müsse, bis die Messe be- endigt sei. führte ihn in ein an die Halle stoßendes Zimmer, ließ ihn dort allein und schloß hinter ihm die Tür. Da war er ein, Gefangener. Der düstere Raum, in dem er sich befand, hatte keinen zweiten Eingang, dafür aber drei mit schweren bauchigen Gittern versehene Fenster. Sie öffneten sich auf einen mit Obstbäumen bepflanzten Rasen- platz, in dessen Mitte, altersgrau und verwittert, eine Mutter- gottesstatue stand, ein buntes Kränzlein auf dem Haupte,