send'. Er drückt die Augenlider auS ganzer Kraft zusammen. Etwas brennt ihm in den Augen, etwas Ealziges, Bitteres,,. ES brennt und sticht... .Hörst du nicht, Alter?" wiederholt der Todi-Mayer noch lauter. „Hat dir jemand die Joppe ausgeborgt, oder gehört sie dir?" Kunz Wunderli hat endlich vernommen. Er wird befangen. sieht sich selber an, beginnt schnell mit den roten Augen zu blinzeln und wirft verstohlene Blicke nach der Ecke, wo der AmtSdiener steht. Der Tödi-Maher schlägt mit der Faust gegen die Gitterstäbe. „Aber das ist ja Betrug!" ruft er wütend aus. „Ganz richtig!" stimmten die anderen bei. Im Saale wächst das Geräusch; die Entrüstung teilt sich allen mit. „Wenn ein Mensch Mitleid hat." ruft der Tödi-Maher und legt seine großen, roten Hände auseinander,„wenn ein Mensch Mitleid hat und sich für dieses Spottgeld solch eine Bürde auf den Hals lädt, so hat er wenigstens das Recht, zu fordern, daß das Geschäft ehrlich sei." „Ganz richtig!" bestätigen viele Stimmen. Sprüngli spricht am lautesten. In das Gesicht des Herr» Rat schießt eine Zornes- flamme. „Zieh den Oberrock aus!" schreit er, und Kunz Wunderli be- ginnt hastig die Knöpfe zu lösen. Aber das geht nicht leicht. Seine Hände zittern, die zusammen- Sekrampften Finger treffen nicht gleich zu den Knopflöchern. Der imtsdiener hilft ihm. indem er ärgerlich die Aermel herunterzieht. Als Ecmeindebeamter fühlt er fich beinahe ebenso betroffen, wie der Herr Rat selber. „Krautkopf! Taugenichts!" flüstert er mit gedämpfter ärgerlicher Stimme, indem er abwechselnd bald an dem einen, bald an dem anderen Aermel des unglücklichen Oberrocks zerrt. Als das Oberkleid fällt, wird das nackte Elend der eingefallenen Brust und der ausgetrockneten Rippen sichtbar, die von einem jämmerlich ge- flickten Hemde und den Trümmern einer leichten Weste notdürftig verdeckt sind. Ter alte Wunderli zittert stark, teils vor Kälte, teils aus Furcht. Es ist an den Tag gekommen.», Was soll nun geschehen? Alles ist an den Tag gekommen... In seiner ungeheuren Verwirrung erhebt er die zitternden Hände zum Halse und bemüht sich, die vom Amtsdiener so kunft- voll geknotete Schleife zu lösen. „Auch das Tuch gehört nicht dir?" schreit der Tödi-Maher, ganz wütend vor Enttäuschung. „Gehört nicht mir." antwortet mit kaum hörbarem Geflüster Kunz Wunderli. Der Amtsdiener reißt ihm das Tuch aus der Hand'. ..Krautkopf... Esel... Schafskopf.. knurrt er mit Nach- druck durch die Zähne. Die Geschichte mit dem Tuche erzürnt ihn noch mehr als iene mit dem Rocke . Die Idee, dem Kandidaten einen Rock auszuborgen, war nicht sein Eigentum, der Herr Rat hatte sie ihm im Vorbei- gehen eingegeben mit der Bemerkung, der Kandidat wäre zu schlecht gekleidet, um sich im amtlichen Teile des Saales zeigen zu können. Aber das Tuch! Das Tuch war der eigne Einfall des Amts- dienerS. Er hatte es selber geknotet, hatte in dieses Werk etwas von seinen künstlerischen Instinkten, etwas von der eignen Seele hineingelegt. Es war übrigens gar nicht nötig, das Tuch abzu- legen, keiner beargwöhnte es, keiner fragte danach. Ter Amts- diener ist so gereizt, daß er diesen blauen Baumwollfetzen in der Hand zerknüllt und ihn mit Abscheu unter den bei der Tür stehenden Rechen wirft. Er kann in diesem Moment seiner Entrüstung und Verachtung keinen kräftigeren Ausdruck verleihen. Und Kunz Wunderli steht indessen vor dem Publikum beschämt. gebeugt, jeglichen Zaubers entkleidet. Jetzt erst kann man seine Kniee betrachten, die so sehr nach vorne gekrümmt sind, daß die ganze Gestalt mehr zu sitzen als zu stehen scheint; jetzt kann man seine ausgedrehten, schweren Füße sehen und die Ellbogen, deren Knochen durch die Haut schimmern. Aber der Hals des Alten macht einen erheiternden Eindruck. Er ist so dünn, daß es den Anschein hat, man könnte ihn mit einem Peitschenhieb durchschneiden. Dieser Hals verleiht dem Alten das Aussehen eines gerupften Vogels, um so mehr, als der Kopf, nicht mehr durch den steifen Knoten gestützt. bei diesem dünnen, welken Halse ungeheuer groß und schwer er- scheint. Er sinkt bald auf tte eine, bald auf die andere Seite, in die tiefgefurchte Höhle des Schlüsselbeins, lEchluß folgt.) Gegen den Sport, für das Spiel! Das Gegengewicht gegen die heutige Art der Sportsfexcrei ist die SSiederbelebung und Erstarkung deS reinen Spieltriebs.»Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielk." Das sagt kein Geringerer als Schiller. In erster Reihe wollen uns Bewegungs» spiel ' und Reigentänze großen Stils im Freien zweckmäßig er- scheinen, die weiteren BolkSkreisen wieder Rhythmus und Schwung. körperliche Disziplin und organisatorische Zucht im Bunde mit freier Luft und Lebensfreude beibringen, die fie au? ihren dunkeln Klausen und Trinkstuben herausholen nnd in freier, frischer Luft in harnionischer Bewegung wieder aufatmen lehren. Die einzige organisierte lörper- liche Volkserziehung, die wir habe», besteht einerseits in der ganz einseitigen militärischen Zucht und Disziplin, andererseits in der turnerischen Bewegung, die in den alljährlich großen Turnfesten gipfelt, die ober auch längst sportlich entartet sind.(Bon den Festen der Arbeiter-Turnvereine darf man zwar nicht das nämliche sagen, aber auch dort wäre manches zu beherzigen. waS der Verfasser ausführt. Red.) Als Gegenstück zu diesen sportlichen Turnfesten würden wir VollSbewegungSspiele großen Stils empfehlen, besonders Tanz- und Reigenspiele großen Stils von Frauen und Mädchen. Der Sport, wie er heute betrieben wird, ist eine einseitige Be- tätigungsweiie und jede Einseitigkeit wirkt verändernd, verzerrend auf den Organismus zurück. Er hat sich zu einer Pedanterie großen Stils ausgewachsen, und jede Pedanterie wirkt degenerierend. Man hat neuerdings herausgefunden, daß einseitige LebeiiSiveise wie ge- wohnheitsmäßiger Genuß weit verhängnisvoller für die Nachkommen- schaft werden als gelegentliche Exzesse. Früher war man in dein Irrtum befangen, die Insassen der Zucht- und Irrenhäuser ausschließlich für Abkömmlinge von Trunkenbolden und Wüstlingen zn halten. Inzwischen hat sich ergeben, daß die zumeist ohne Nachkonimenschast bleiben oder eine solche zeugen, die nicht lebensfähig ist und früh wegstirbt. Die Insassen jener Anstalten aber sind nicht zum wenigsten als Abkömmlinge biederer Philister, Pedanten und Stammtischbrüder erkannt worden, die allabendlich ihr Onantum Alkohol gesund verdauen. Solch ein gewohnheitsmäßiger Genuß wirkt weit mehr zerrüttend auf die Fortpflanzungskräfte als dann und wann ein scharfes Trinkgelage. Und wie alles Gewohnheitsmäßige, so hilft aller einseitige pedantische Lebenstrieb, ob nun großen oder kleinen Stils, die Fülle der stumpfsinnigen und unfähigen Existenzen erzeugen. Denn auch diese Lebensweise rächt sich, wie Häckel dargetan hat, immer erst an der Nachkommeuschaft, während die gegenwärtigen Stützen der Gesellschaft sehr wohl dabei gedeihen mögen.„Gewisse Veränderungen des Organismus", sagt Häckel,„die durch den Einfluß der Nahrung und überhaupt der äußeren Einwirkungen bewirkt werden, äußer» fich nicht in der individuellen Formbeschaffenheit des betreffenden Organismus selbst, sondern in der seiner Nachkommen". Daher auch die zumeist minderwertige Nachkommenschaft der Familien, die die sogenannte„Gesellschaft" ausmachen. SS ist erwiesen, daß die Familien der oberen Stände selten länger als zwei Gene- rationen ausdauern, in der dritten gehört ihre Nachkoinmenschast meistens nicht mehr der„Gesellschaft" an und ist deklassiert, in der vierten stirbt sie in der Regel aus. Wenn die Gesellschaft nicht un- aufhörlich auS den unteren Volksschichten durch frische, kräftige, auf- strebende Elemente ergänzt würde, hätte fie längst zn existieren aus- gehört. DaS Volksleben läßt sich mit dem Champagner vergleiche», der unoufhörend moussierend Blasen nach oben treibt, die. sobald sie die Oberfläche erreichen, platzen. So ergeht es den Individuen, sobald sie mit dem Gesellschasts- leben und teiner Konvention, seiner Pedanterie und dein einseitigen Lebensbetrieb in Berührung kommen. Das Spezialisteuleben hat das moderne Geistesleben zerrüttet und zerstückelt. Der Verhängnis- volle Spezialismus für das körperliche Leben ist der einseitige Sportsbetrieb, der sich noch anders an der Nachkommenschast rächen wird. Der Sport erhitzt und überreizt; er verbildet den Körper, in- dem er einzelne Organe vor anderen entwickelt. Der Spiel hingegen, unter dem wir besonders das freie Bewegspiel verstehen, hält das ganze körperliche Leben gleichmüßig in Aktion und treibt das Blut erwärmend durch alle Adern und Poren; eS erschöpft nicht, eS belebt und bringt das� körperliche Leben zu seiner höchsten Blüte. Man vergleiche die Sportsleute damit, sie sehen nicht frisch und froh auS, sondern bleich und abgespannt, sie atmen dumpf und schwer, sie keuchen. Vom freien Spiel aber kommen die Menschen mit glühenden, blühenden Gesichtern, leuchtenden Augen und tiefatmenden Lungen. Kein besseres Zeugnis dafür, WaS ungesund und was gesund ist. So können wir denn allein vom Spiel eine Erneuerung und Ver- jüngung unseres Volkes erwarten, das auf Höhen führt, die eS nicht mehr fern im Gebirge zu suchen braucht, um sich zu erfrischen und freie, reine Luft zu atmen— und es lehrt die Höhe, Naturschönheit und Harmonie nicht mehr nur draußen, sondern in sich selbst zu suchen und zu gewinnen, sie einer Nachkommenschaft zu übermachen. die nicht mehr oder doch immer weniger in irgendwelchen Snstalten geborgen zu werden braucht. Hemrich DrieSmannS. Der Schmied. Fast überall im Altertum, und noch jetzt bei den, Völkern niedriger Zivilisation, nimmt der Schmied eine von den übrigen Voltsangehörigen abgesonderte Stellung ein. Vielfach steht sein Gewerbe i» hoher Achtung; meist aber verbindet sich mit dieser Achtung eine Scheu, die nicht selten ganz absonderliche Formen annimmt. Von Hephästoö, dem göttlichen Eisenschmied der Griechen, berichtet der alte Sänger Homer in feiner JliaS mit bewundernden Worten. Ihm entspricht in der germanischen Mythologie der hinkende Wieland der den Götterp und Helden ihre todbringenden Schwerter schmiedet. DaS erst? Buch Mosis erwähnt ausdrücklich Tubal-Kam, den Meister in allerlei Erz- und
Ausgabe
28 (19.4.1911) 75
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