Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 77.

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Freitag, den 21. April.

1911

Pavel bildete sich ein, zwischen den beiden Frauen fei ( Nadbrud berboten. es hin- und hergeflogen wie ein Blick stillen Einverständnisses,

Das Gemeindekind. Erzählung v. Marie 6. Ebner- Eschenbach. Da sprang er auf, stieß die Laienschwestern, die ihn fest Halten wollten, zur Seite und stürmte Milada in die Halle mach. Bleib!" fchrie erhast Du vergessen, was wir tun wollen, was geschehen muß? Bleib da und sag's den Kloster­Frauen!"

Er wurde immer ungebärdiger und bedrohte die Dienerinnen, die sich anschickten, ihn mit Gewalt fortzu­schaffen. Die friedliche Klosterhalle stand in Gefahr, der Schauplab eines kleinen Handgemenges zu werden, als die aus dem Garten hereinführende Tür geöffnet wurde und einem langen Zuge von Nonnen Einlaß gewährte, an dessen Spize die Oberin zwischen den zwei nächsten Würdenträge­rinnen schritt. Ein mildes Lächeln auf dem schönen Gefichte, die großen klaren Augen mit dem Ausdruck leisen Staunens cuf die erregte Pförtnerin gerichtet, tam sie bis zum Ein­gange des Sprechzimmers und blieb vor demselben stehen. Die Pförtnerin war wie versteinert, die Laienschwestern fnigten bis zur Hälfte ihrer natürlichen Größe zusammen, Milada neigte fich in tiefer Verbeugung, lehnte das Köpfchen auf die Schulter, errötete und erbleichte.

Was gibt es denn? was geschieht hier?" fragte die Oberin, und so wohl dem Auge der Anblick ihrer edlen Züge, so wohl tat dem Ohr der reine Metallflang ihrer Stimme: Warum ist unsere kleine Maria noch nicht in die Klasse zurückgekehrt?"

Die Pförtnerin gab eine etwas verworrene Erklärung deffen, was sich eben zugetragen; sie schonte dabei Pavels nicht, und die hohe Vorgesetzte hörte ihr zu, mit nicht mehr Ungeduld, als ein Engel hätte verraten dürfen, und ließ nachsichtig wie ein solcher ihren Blick auf dem verklagten Uebeltäter ruhen.

Mit den Klosterfrauen willst Du sprechen?" sagte sie zu ihm: so sprich, mein Kind, da sind die Klosterfrauen."

Bavel erbebte vor Entzücken und Hoffnungsfreudigkeit bei diesen gütigen Worten; aber zu tun, wie ihm geheißen, vermochte er nicht. Zagend blinzelte er zu der Ehrwürdigen empor, die vor ihm stand, so licht und hehr in ihren dunklen Gewändern. Ihm war, als hätte er in das Antlitz der heiligen Jungfrau geschaut... und als fein Blick im Niedergleiten ihre Hände streifte, da meinte er, zwischen den schlanken, über dem Gürtel gefalteten Fingern den Schlüssel zum Himmel blinken zu sehen... Wie gepackt und niedergeworfen von einer gewaltigen Faust lag er mit einemmal auf seinen Knien, und seine Lippen murmelten leise und inbrünstig: Erlösen! Erlösen!"

Im nächsten Augenblick kniete seine Schwester neben ihm und begann auch zu rufen, nur lauter, nur fühner als er: Erlösen! Erlösen!... Ehrwürdige Mutter, erlösen Sie ihn!"

Die Angeflehte machte eine Bewegung der Abwehr. Sie reichte Milada beide Hände, zog fie in die Höhe und sprach: Ich weiß nicht, was Ihr wollt, und so bittet man nicht. Auch Du, Bursche, steh auf und sage vernünftig, was Du zu sagen haft."

Babel erhob sich sogleich; seine Wangen glühten braun­rot, Schweißtropfen perlten an den Wurzeln seiner Haare, er wollte sprechen, brachte aber nur ein heiseres und un­deutliches Gemurmel hervor.

Sprich Du für ihn, was er will?" wendete die Oberin fich an Milada.

,, Er möchte so gerne hier bleiben," erwiderte das Kind bewegt und fleinlaut; er möchte ein Knecht sein bei den Rühen   oder bei den Pferden."

Die Ehrwürdige lächelte, und ihr Gefolge, die großen und die kleinen Nonnen, die breiten und die schmalen, die freundlichen und die strengen, lächelten gleichfalls.

Wie fommt er auf den Gedanken? hat ihn jemand Hergewiesen?... Fräulein Dekonomin, ist eine Stelle frei in der Wirtschaft?"

Reine" antwortete die Angeredete.

als die Oberin von neuem fragte:

Vielleicht denkt aber der Maier daran, einen des Knechte zu entlassen? Der Bursche kann früher davon gehört haben als wir; wäre das nicht möglich?"

,, Nein. Ich weiß ganz bestimmt, daß der Maier nicht daran denkt, einen Knecht zu entlassen."

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Sofo," versette die Oberin; nun denn, mein Kind, da ist nichts zu tun, da war der falsch berichtet, der Dich zu uns geschickt hat. Geh denn heim, mein Kind, geh mit Gott, und Du, kleine Maria, in die Klasse! in die Klasse." Sie wollte sich abwenden und ihren Weg weiter ver folgen. Pavel warf sich ihr entgegen; ehrfurchtsvolle Schen hatte bisher seine Zunge gebunden, die Angst der Verzweif lung löfte sie.

"

Um Gottes willen, gütige, gebenedeite Klosterfrau," rief er und faßte die Oberin am Kleide, um Gottes willen, behalten Sie mich! schicken Sie mich nicht ins Dorf zurück .. Meine Milada sagt, daß ich brav werden soll, im Dorf fann ich nicht brav werden... Hier will ich's sein, behalten Sie mich hier. Im Dorf bin ich ein Dieb und muß ein Dieb sein..

Kind, Kind, was sprichst Du?" entgegnete die Ehr­würdige:" Niemand muß ein Dieb sein, jeder Mensch kann sein Brot redlich verdienen."

" Ich nicht!" schrie Pavel und wehrte sich mit allen Kräften gegen zwei Nonnen, die vorgetreten waren, und das Gewand der Oberin aus seinen Händen zu lösen suchten ,,, ich nicht!... Was ich verdiene, nimmt der Virgil und ver fauft's, und ich muß auch seine ganze Arbeit tun und be fomme nichts... die Gemeinde sollte mir Kleider geben und gibt mir nichts... und wenn die Virgilova hingeht und sagt: Der Bub hat kein Hemd, der Bub hat keine Jade, sagen fie: Und wir haben kein Geld aber wenn sie auf die Jagd gehen wollen und ins Wirtshaus, dann haben sie immer Geld genug

Ungläubig schüttelte die Oberin den Kopf und machte Einwände, die Pavel widerlegte. Der wortfarge Junge sprach sich in eine derb zutreffende Beredsamkeit hinein. Was er vorbrachte, war nicht die Frucht langen Nachdenkens; die Erkenntnis feines ganzen Elends kam ihm zugleich mit der, daß es eine Rettung geben könne aus diesem Elend, und jede neue Anklage gegen seine schlechte Adoptivmutter, die Gemeinde, und jeden neuen Ausbruch der Entrüstung und des Jammers schloß er mit dem leidenschaftlichen Beschwören: Behalten Sie mich! schicken Sie mich nicht ins Dorf zurüd!" Allein ob seine Augen sich angst- oder hoffnungsvoll auf die hohe Frau richteten, der er die Macht zuschrieb, sein trost loses Schicksal in eir glücklicheres zu verwandeln, immer be­gegneten sie demselben Ausdruck sanfter Unerbittlichkeit. Und wie sie vor sich hinblickte, unendlich fromm, unendlich teil­nahmslos, so tat ihr ganzes Gefolge, und der schwer be greifende Pavel begriff endlich, daß all sein Flehen ver­geblich sei.

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Geh, mein Kind," sprach die Oberin, geh mit Gott  und bedenke, wo immer Du wandelst, wandelst Du unter Seinen Augen und unter Seinem Schuß. Und wenn er mit uns ist, was vermögen die Menschen wider uns? was ver­mag ihr böses Beispiel, und was die Versuchung, in die ihr böses Beispiel uns führt? Geh getrost, mein Kind, und der Herr geleite Dich."

Sie gab der Pförtnerin einen Wink; diese eilte, die Tür der Halle zu öffnen. Stumm, ohne Gruß, schritt Bavel dem Ausgang zu. Da ertönte plöblich ein durchdringender Schrei. Milada, die regungslos dagestanden, ohne den Blick, ohne das ein wenig heuchlerisch zur Seite geneigte Köpfchen auch nur einmal zu erheben, rannte ihrem Bruder nach: Warte, ich geht mit Dir!" rief fie, hing sich an seinen Hals, tüßte ihn und schluchzte: Armer Bavel! Armer Pavel!" Ganz außer sich schlug sie mit den kleinen Fäusten nach den Nonnen, die an sie herantraten und sie in sanft beschwichtigender Weise zur Ruhe ermahnten. Sie beuchte, sie wimmerte: Lassen Sie mich! Ich will mit ihm gehen, weil er arm ist,