Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 81.
16]
Donnerstag, den 27. April.
( Nachdruck verboten.I
Das Gemeindekind.
en Erzählung b. Marie v. Ebner- Eschenba
Virgil und fein Weib gehorchten schleunig, trafen aber schon am Ausgang der Stube mit Beter und dem Arzte zufammen. Dieser ließ die unbefugte Kollegin hart an mit der Frage, was sie hier zu suchen habe. Nicht minder mißtrauisch und viel derber wies Peter die beiden Alten hinweg.
Das Ehepaar legte den Heimweg schweigend zurück. In der Hütte angelangt, begab die Frau sich sogleich zu ber Truhe, Framte eine schmutzige, in Lumpen gehüllte Schachtel hervor und entnahm ihr zwei Fläschchen. Das eine trug die Etikette der städtischen Apotheke mit der Aufschrift: Samillengeist". Der Inhalt der zweiten war von gelb grauer Farbe und hatte einen dicken weißlichen Bodensat. Aufmerksam prüfend hielt die Frau das Fläschchen gegen das Richt und begann es langfam in ihren Fingern zu drehen. Virgil hatte sich auf die Bank gefekt." Was tust?" fragte er plöglich. Was willst ihm helfen? Laß ihn." Dem kann niemand helfen," antwortete das Weib," Der muß fterben."
hinein."
-
Muß sterben? Was willst also?... Misch Dich nicht Sie zudte die Achseln:" Dreiviertel Jahr oder ein ganzes Kann er's schon noch machen."
„ Oder ein ganzes?" wiederholte Virgil bestürzt, dachte nach und rief auf einmal voll Grimm:" Haft gesehen, wie sein Bursch mit uns war?"
-
1911
Der Hirt, der ihn begleitet hatte, lehnte an der Wand und rührte sich nicht. Bei den Nachbarn herrschte Stille, mun unterbrochen durch das kräftige Schnarchen Arnosts, dessen Lagerstätte in der Nähe des Fensters stand.
Birgilova erschien auf der Schwelle: Die Vinska schlafe schon," sagte fie, jest fannst sie nicht mehr sehen, warum fommit so spät. Mußt auch gleich zum Bürgermeister." Schu
"
Sollst ihn selbst bitten, daß er Dich beim Lehrer last und sie senkte die Stimme zu kaum hörbarem Geflüster, ,, und mußt ihm auch ein Mittel bringen."
Aha! Pavel begriff sogleich, um was es sich handelfe Er war oft genug seiner Prinzipalin verschwiegener Bote bei Kranten gewesen und teilte mit dem ganzen Dorfe den Glauben an ihre Stunst und an die Heilfraft ihrer Medika mente. So streckte er die Hand aus und sprach: Gebt her." Sie reichte ihm das Fläschchen mit dem harmlosen Inhalß und schärfte ihm umständlich die Vorsichtsmaßregeln ein, unter denen es auf dreimal" zu leeren fei.„ Geh durch den Garten," schloß sie, als der Zunge ungeduldig zu werden be gann und ihr nur noch mit halbem Ohre zuhörte: halt Dich weit von der Straße, daß Dich der Nachtwächter nicht fieht. Die Magd weiß, daß Du kommst, und wird Dir aufmachen."
Augenblic hob sein dunkler Schatten sich vom bleigrauen Horizont ab, dann war er verschwunden.
Mit ein paar Säßen war Pavel auf dem Feldrain, einers
Virgilova trat auf ihren Mann zu, faßte ihn am Arm und zog ihn einige Schritte mit sich fort. Sekt laufst dem Buben nach und sagst ihm: Bald hätt die Frau vergessen: das da muß er zuerst austrinken und das Flascherl gleich Aus lauter Angst vorm Vater," versetzte das Weib. Er wieder zurückschicken, damit die Frau es im Mörser zerstoßen möcht uns prügeln aus lauter Angst... Und sie friegt auch und das Pulver auf fieben Maulwurfshügel streuen kann, noch Prügel von ihm dann!" Sie legte ungemeines Gefonst hilft alles nichts. So sagst ihm und das gibst ihm." wicht auf dieses Wort und zwinkerte mit ihren blassen Kaben- Sie drückte ihm etwas kleines, kaltes in die Hand, bek augen. Dann wenn die Verliebtheit verraucht sein wird, dessen Berührung ihn schauderte. und die verraucht bald, wie die Bursche schon sind, die schlechten Kerls. Pad Dich, wird's dann heißen, ich hab nichts mehr mit Dir zu tun! Und das Mädel weiß, daß es so tommen Fann, und wenn's so kommt, dann geht das Mädel in den Brunnen."
-
Virgil stieß einen heiseren Laut hervor und befreuzte sich breimal nacheinander:" Gered! albernes Mädelgered!"
Von unserer ist's fein Gered," erwiderte das Weib mit innigfter Ueberzeugung, die tut's."
Tut's nicht."
Laß nur d'rauf ankommen." " Ich schon. Meinetwegen braucht sich der Nader nicht Bu fchinieren."
So soll sie gehen.' s wird halt auf der Welt um ein armes Mädel weniger geben. Mich hätt's mur g'freut, wenn Der Alte früher gestorben wäre, jest! so lang noch der Peter, wenn er dürft, wie er wollt, fie nehmen tät... Und wenn fie ihn nur hätt'! wenn nur!" Das Weib brach in ein GeLächter aus, dann wär er's, der Prügel bekäm."
"
Birgil nahm zuerst teil an ihrer lauten Seiterkeit, doch hielt er bald inne, verzog heuchlerisch den Mund und sprach tief auffeufzend: Gott geb's, daß der liebe Gott den armen Herrn Bürgermeister bald erlöst."
" 1
Vielleicht gibt er's," verfette rauheren Tones die Frau, md jett mach fort und hol den Buben."
Er geht nicht."
" Sag, daß der Bürgermeister es befiehlt." Er geht doch nicht."
So fag, daß die Vinska um ihn schickt."
-
Der Hirt stand auf und schlich dem Ausgang zu. Dort blieb er stehen, wandte sich und sprach:" Du hörst helfen follst ihm just nicht, was Unrechtes geben aber auch nicht." Höhnisch blinzelte sie ihn an: Werden schon sehen;" um ihre dünnen, über das vorstehende, noch gut erhaltene Gebiß fest gespannten Lippen flog ein grünlicher Schatten.
"
Den Mann überlief's, er humpelte sachte davon. Zwei volle Stunden ließ Pavel auf fich warten. Es war beinahe Nacht, als er endlich fam, an die Tür klopfte und nach Vinska fragte. In die Hütte einzutreten, war er nicht ar bewegen
Um Gotteswillen, ist da was Unrechtes drin?" ' s is was gegen die Schmerzen; die werden gut davon." Wie den Naken ihre," sagte er und fügte plötzlich in Born geratend, hinzu:" Warum haft Du's nicht gleich dem Buben mitgegeben, warum soll ich's hintragen?"
Sie ficherte:" Daß Du nicht sagen kannst, wenn's auf fommt: Ich weiß nichts davon: daß Du mich nicht sizen laffen kannst, wie Du gern möchtest, wenn's schief geht; darum, Du Feigling. Und jetzt lauf."
Er trat von ihr weg. ch geh nicht," sagte er.
So laß ihn leiden!... Niemand weiß, was der noch leiden muß. Sein eigener Sohn könnt ihm nichts Befferes tun, als ihn erlösen. Er wird zu seinem Sohn noch sagen: Bring mich um, oder ich fluch Dir!... Lauf, lauf! Willst noch nicht?... So laß ihn leiden wie einen gebissenen Hund, damit er Zeit hat, die Vinska in den Brunnen zu iagen und den Sohn um sein Glück zu fluchen und sich selber ums ewige Leben."
Sie sprach leise mit heftiger und furchtbarer Beredsam keit, und Virgil zudte unter dem Schwall ihrer Worte wie von tausend Nadeln gestochen. Ein Liebeswert," schloß fie, ein Werk der Barmherzigkeit, den zu erlöfen; was ein rechter Mann wär, tät's um Gotteswillen."
Er feuchte, es war ihm gräßlich zu sehen, daß die Augen feines Weibes in der Dunkelheit glimmten von eigenem fahlen, weißlichen Licht.
Um Gotteswillen?... Um Gotteswillen also," wieder. holte er, wendete sich und trat seine Wanderung an.
Das Gäßchen, dem er zucilte, wurde von der Rückwand einiger Scheuern und vom Zaun des Bürgermeistergartens gebildet. An der Ecke des lepteren angelangt, blieb Virgik Ein Geflüster stehen. Hinter dem Baun regte sich's drang an des Alten Ohr, ein zärtliches Liebesgeflüster, ein Seufzen, Kosen, Küssen, ein Abschiednehmen für eine Nacht, als wär's für die Ewigkeit Es sind die Zwei, dachte Birgil, es ist der Racer, der da küßt und herzt der Rader, für den ich hingehen und tä'en muß... Muß ich? War gestern bei der Beicht und geh aufs Monat wieder Und das könnt ich nicht beichten, und dafür gibt's keine Abfolution, dafür gibt's nur die Hölle. Am
-