Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 83.
Sonnabend, den 29. April.
Lambrud berboten.)
18] Das Gemeindekind..
Was soll der Bub auf dem Bezirksgericht?" Gestehen."
Was denn?"
" Daß er dem Bürgermeister etwas gebracht hat." Das gesteht er ja ohnehin."
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" So?" sprach der Pfarrer, das hat er Ihnen ge
„ Er würde es auch Ihnen gestehen."
Erzählung v. Marie 6. Ebner- Eschenbach. Bei dieser Stelle seiner Erzählung brach Beter regel- standen?" mäßig in ein rasendes Weinen aus. Er warf sich über die Leiche seines Vaters, und der rohe, harte Bursche wimmerte wie ein Kind:„ Schon lange ist mir meine Mutter gestorben, und jetzt hab ich auch keinen Bater mehr. Eine Waise bin ich und ganz verlassen!"
Im Publikum, das mit Spannung den Ausbrüchen feines aufrichtigen Schmerzes lauschte, erhoben sich anklagende Stimmen gegen Pavel. Der schlechte Bub hat die Hand im Spiel bei dem Unglüd mit dem Bürgermeister. Dem schlechten Buben, der bermutlich lieber auf der faulen Haut liegt als arbeitet, ist der Dienst beim Hirten zu schwer gewesen, er hat fort gewollt, aber nicht dürfen ohne Erlaubnis des Bürgermeisters, und weil er unerbittlich geblieben ist und die Erlaubnis nicht gegeben hat, so oft der Bub sie auch von ihm berlangt, so hat der schlechte Bub sich jetzt gerächt und den Bürgermeister aus der Welt geschafft.
Die Legende war bald fertig, berbreitete fich rasch im Dorfe, fand Glauben und stachelte die Leute auf zur Entfaltung einer ungewöhnten Energie. Die ihres Oberhauptes beraubte Ortsbehörde entsandte einen Boten nach dem Bezirksamt, um für alle Fälle den Gendarm zu holen, während einige Heißsporne nach der Schule liefen, um- auch für alle Fälle den Giftmischer durchzuprügeln. Indessen fanden sie das Haus gesperrt. Der Lehrer hatte, gleich nachdem das für Pavel so bedrohliche Gerücht zu ihm gedrungen, ein Verhör mit dem Burschen angestellt, ihn dann in die Schulstube eingeschlossen und sich zum Doktor begeben. Bei demselben waren bereits der Herr Pfarrer, der Peter, Anton der Schmied und einige Bauern versammelt.
Der Pfarrer faß in dem großen, schwarzen Lehnstuhl, in einer Ede des Fensters; in der anderen, die Hände auf dem Rücken, hielt sich der Doktor. Den beiden Honoratioren gegenüber standen, einen regelmäßigen Halbkreis bildend, die Bauern.
„ Ach, da kommt ja der Herr Lehrer," sprach der Pfarrer mit seiner leisen, etwas heiseren Stimme.
Sie werden wohl bereits wissen, um was es sich handelt," bemerkte der Doktor, um dessen bläuliche Lippen ein kaum wahrnehmbares Lächeln spielte.
Peter rief: Der Pavel hat meinen Water vergiftet!" Weiß man noch nicht," murmelte Anton.
" Und muß ins Kriminal," fuhr Peter fort, und Anton wiederholte:
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Weiß man noch nicht," worauf Peter den Trumpf fekte:
Ich steh nicht ab, er muß ins Kriminal." Borläufig," sagte Habrecht, habe ich ihn in die SchulStube eingesperrt."
Der Pfarrer stubte. So glauben auch Sie?..." Er hielt fast erschroden inne, wie jemand, der sich verschnappt hat und dem das sehr unangenehm ist.
Habrecht bemerkte es und hielt sich schadenfroh an das bedeutungsvollste Wort in dem übereilt ausgesprochenen Sate. Auch?" wiederholte er nachdrücklich; nämlich wie Euer Hochwürden?"
Eine leichte Nöte erschien auf den eingefallenen Wangen des Priesters.
Ich dachte an die vox populi," sagte er. Ja so!-die entstellte vox Dei."
Nun öffnete fich die Tür, ein großer, som Alter schon gebeugter Mann mit graugelbem Haar und ziegelrotem Geficht, der Viertelbauer Barosch, trat ein. Er ging auf den Pfarrer zu, tüßte ihm die Hand und meldete, der Gendarm tomme schon.
Was soll der Gendarm?" fuhr Habrecht ihn an, und Barosch richtete seine starren, immer erstaunten, immer um Verzeihung bittenden Branntweintrinferaugen demütig auf den Lehrer und antwortete:
Den Buben aufs Bezirksgericht führen."
Da wäre ich doch begierig, Herr Lehrer. Da möchte ich Sie doch bitten, lassen Sie ihn rufen, haben Sie die Güte." Ich geh, um ihn!" schrie Betec und wollte schon davon eilen; Anton hielt ihn fest: Nicht Du, Du bist wie ein Narr. Ich geh, Serb
Lehrer."
Aber Habrecht dankte auch ihm für das Anerbieten, verließ die Stube und kehrte nach einer Weile, von seinem Schüßling begleitet, zurück.
Peter fonnte nur mit größter Mühe verhindert werden, über den letzteren herzufallen, drohte ihm und rief, so laut die atemraubende Wut, die ihn beim Anblick Pavels er griffen hatte, es erlaubte:" Schaut ihn an, den Hund Sieht man ihm nicht an, was für ein Hund der Hund ist?"
Und wirklich fonnte der Zustand, in dem der Junge vor die höchsten Instanzen seines Dorfes trat, ein günstiges Vorurteil für ihn nicht erwecken. Der Stopf schien ihm zu brennen, eine scheue und finstere Qual sprach aus dem glühenden Antlig und entseglicher, unftillbarer Haß aus den Bliden, die er, hinter halbgeschlossenen Ridern hervor, auf seinen Hauptantläger, auf Peter, warf.
Habrecht legte die Hand auf seine Schulter und schob ihn vor sich hin in die Fensterecke, zwischen den Pfarrer und den Doktor hinein.
Der Pfarrer betrachtete den Jungen schweigend, räusperte fich und fragte ruhig und geschäftsmäßig: it es wahr, daß Du Dich gestern abend in das Haus des Bürgermeisters geschlichen und ihm etwas gebracht hast?"
Pavel nickte, und durch den Kreis der Bauern lief ein Geflüster triumphierender Entrüstung.
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Was war das, was Du ihm gebracht hast?"
Es war eine gute Medizin."
Wie bist Du zu der guten Medizin gekommen?" fiel nun Habrecht ein.
Babel schwieg, und der Lehrer fuhr fort: Hat Dich nicht vielleicht jemand zum Bürgermeister geschickt mit dieser guten Medizin?"
Der Junge erschrak und bersegte rasch: Nein, ich habe sie von mir selbst gebracht."
Woher weißt denn Du auf einmal etwas von guten Medizinen?" mischte der Doktor sich ins Verhör, und Bavel erwiderte: „ Ein Hirt weiß immer was."
Er lügt," erklärte der Lehrer; er will oder darf die Wahrheit nicht sagen."
Und was halten Sie für die Wahrheit?" fragte der Pfarrer, dessen Gelassenheit vorteilhaft abstach von der nervösen Unruhe Habrechts. Dieser sprach:
Für die Wahrheit halte ich, daß der Junge zum franken Bürgermeister geschickt worden ist, und zwar durch die Kurpfuscherin, die Frau des Hirten."
Babel schrie auf: Sie hat mich nicht geschickt! Ich bin von selbst gegangen," und Peter wiederholte zornig:
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Von selbst, er gibt's zu, aber der Herr Lehrer nicht. Der Herr Lehrer will unschuldige Leut hineinbringen. as verzeih Gott dem Herrn Lehrer. Der Bub hat mit den Leuten, die der Herr Lehrer hineinbringen will, schon lang nichts mehr zu tun; der Bub ist schon lang beständig beim Herrn Schullehrer in der Schul."
Mich wundert nur," entgegnete ihm der Doktor, daß Dein Bater das Mittel, das der Bub ihm von sich aus ge bracht hat, so ohne weiteres eirgenommen haben soll; außer er hätt's ertra beim Buben bestellt, was mir auch nicht recht einleuchten will."
Sag ganz genau, wie es zugegangen ist," wendete der Pfarrer fich an Bavel:„ Du hast Dich also gestern in die Stube des Bürgermeisters geschlichen?"