»ufjWe sich auf und rollte fürchterlich die Augen.WaS war's, wie lautet der Unsinn? O vermaledeiter Unsinn!... Kein Vernünftiger glaubt ihn, und doch lebt er vom Glauben, kugelt so weiter im Dunkel, in der Tiefe. Sie zählen sich ihn an den Fingern her. diejenigen, die selbst nicht mitzählen... Was hast Du gehört? sprich!" Er zog Pavel in die Höhe und rüttelte ihn; als der verblüffte Bursche jedoch anfangen wollte zu reden, preßte er die Hand aus seinen Mund und gebot ihm Schweigen. Was käme heraus?... Was ich weiß, bis zum Ekel weiß! was mich nicht schlafen läßt. Schweig," rief er,ich will einmal reden, ich elender Lügner, ich will die Wahrheit sagen, ich armer Zöllner will sie Dir. dem armen Zöllner jagen. Setz Dich, hör mir zu, beug Dein Haupt. Wenn es auch nur eine klägliche Geschichte ist und die Geschichte einer jämmerlichen Torheit, sie ist doch heilig, denn sie ist wahr." Er ging zum Wasserkrug, trank in langen Zügen und be- Tann dann leise und hastig zu erzählen. Er war ein Lehrers- lohn, war schon in früher Jugend Gehilfe seines kränklichen Vaters gewesen. Begabung, Verhältnisse, alles, was natürlich und vernünftig ist. bestimmte ihn, einst zu werden, was jener war. In seinem Herzen aber kochte der Ehrgeiz, prickelte die Eitelkeit, diese üblen Berater lenkten seine Sehnsucht weit ab vom leicht Erreichbaren, spiegelten ihm ein hohes Ziel als das einzig Erstrebenswerte vor. Die Zukunft eines großen Pro- sessors in der großen Stadt, die träumte er für sich, und sein schwacher Vater für ihn. und dieses Schattengebilde der Zu- kunft, es lebte und nährte sich vom Fleisch und Blut der Wirk- lichkeit, von der Kraft der Gesundheit, dem Schlaf der Ju- gend... Wie lange kann eine an beiden Enden angezündete Fackel brennen? Kein Mensch vermag ungestraft zwei Men- schcn zugleich bei Tag ein Lehrer und bei Nacht ein Stu- beut zu sein. Als der erste noch jung, als der zweite doch schon recht alt! denn mit entsetzlicher Geschwindigkeit verrann die Zeit, die er für seine Zwecke nur zur Hälfte ausnutzen durfte. Eines Morgens brach er an der Tür der Schulstube zusammen. Wie aus der Ferne hörte er noch einen zitternden 'Klageruf, sah wie durch dichten Nebel ein vielgeliebtes Greisen- antlitz sich zu ihm neigen, dann war alles Stille und Dunkel- ljcit, und wohltuend überkam ihn das Gefühl einer tiefen, bleiernen Ruhe. .lFortsetzung folgt. jZ In cler jüngsten Stadt. .Thalalta, Thalatta I Meer, Meer". Nein, ich stieß diesen Er- holnngsrus nicht aus, als ich am ersten Mai wieder die Nordsee sah , und vom Wilhelmshavener Deich ans den Blick über die Jade schweifen ließ. Ganz nüchtern und trocken dachte ich: Das ist doch wirklich nett, daß ich zufällig gerade Hochwasser antreffe". Wenn ich ganz nüchtern und trocken sage, bitte ich mir aus, daß da?.ganz nüchtern" wörtlich genommen wird, während trocken nur in übertragenem Sinne zu versieben ist; denn an der Nordsee wird man im Frühjahre, wo eine Regenböe die andere ablöst, überhaupt nicht trocken, lind immer kommt cS so hübsch von der Seile mit Sturm und Wetter, so daß auch der beste Ziegenschinn seinen Berus verfehlt. Auch am 1. Mai trieb das Wetter sein launisches Spiel. Bald grüßte lachender Sonnenschein den Maizug. bald rasielte ein abscheulicher OrdnungShagel auf uns nieder, bald fuhr uns schneidend kalter Regen ins Gesicht, um wieder der siegenden Sonne zu weichen. Wer die Nordsee kennt, macht sich nichts daraus. Bei der staub- und keimfreien herrlichen Luft, die sich wie ein Becher eiskalten GebirgSgnellS schlürft, ist ein Schnupfen auSgeschlosien. Da stand ich also wieder vor dem Meer und blickte in seine überwältigende Grenzenlosigkeit. Das heißt, weit her ist es ja mit der Grenzenlosigkeit des JadebufenS nicht. Nur wenn man ihn an der schmalen Stelle zwischen Wilhelmshaven   und Eckwarden   durch- kreuzt und nach Nordnordwest auSichaut, hat man kein Land mehr vor sich, da ist das Meer frei bis zum Nordpol  . Aber auch das Butjadinger   Gestade im Osten ist mit Ausnahme des neuen Leuchtturmes beute nicht zu sehen, so daß die Jade den umheimlicben Eindruck einer grenzen- losen Wasierfläche macht. Fahlgrau ist die ruhelose Salzflut, aus der die weißen Kämme der kurzen Windwellcn ausschießen. Das Meer klingt heute; eS sind richtig die musikalischen Wogen, von denen Heinrich Heine   sagt, daß sie wie Orgelpfeifen klingen. Als ob man über wunderbar gestimmte Gläser stciche, tönt eS, ivenn sich die spielenden Wasier an den Molen brechen. Jetzt blitzt die Sonne aus einem schmalen Wolkenspalt und färbt das Meer nsi* braungraugoldenen Streifen, während die beschatteten Flächen ins Blolette spielen. Aber <S ist lein stilles Gemälde. Alles tanzt und llingt. Die Grenzen zwischen Malerei und Musik sind verwischt. DaS imposanteste Ton­bild, das man sich denken kann. Es löst sich immer etwas Befreiendes, Aufjauchzendes, Groß» stimmendes in mir, wenn ich an den Ufern eines breiten Flusies stehe, der eine stattliche Stadt durchschneidet. Die Nordsee stimmt mich ander?. Aus ihr spricht eine gewallige Melancholie, sie drückt mich nieder und erweckt ein unsagbares Heimweh nach sonnigen Reb- Hügeln und buckiwaldbewachsenen, grün schwellenden, lachenden Bergen. Der Norddeutsche mag anders empfinden, aber im Empfindungsleben ist eben die Mainlinie noch nicht überbrückt. Der leichte, sprudelnde fränkische Sinn mischt sich mit dem norddeutschen Ernst nicht zu einem prickelnden Schorlemorle, sondern nur so wie Wasser und Oel, die man erst durcheinanderschütteln muß, wenn sie sich auf kurze Zeit vertragen sollen. Der verfluchte fränkische Leicht­sinn, dieses so herrliche und doch so gefährlich« restlose Aufgehen im Augenblick I Also die Nordsee drückt mich nieder, sie engt mich ein trotz ihrer scheinbaren Grenzenlosigkeit. Selbst die Möwen, diese gewandten Doppelwesen, die bald wie Adler segeln, bald wie Schwäne tauchen, find im Norden anders wie im Süden. Am Bodensee   fressen sie uns dreister als die Spatzen aus der Hand und balgen sich um die vorgehaltenen Brotbrvckchen. An der Nordsee find es scheue. menschenhallende Raubvögel, die unheimlich über der unheimlichen fahlgrauen Flut wie in die Luft versprengte Gischtflocken flattern. Ich muß den Blick wieder dem Lande zuwenden: ich werde sonst schwermütig. Da liegt der erweiterte neue Hafen, der durch einen breiten Deich von dem Meere abgetrennt ist, vor mir wie ein be- lebter Fluß. Wie zur Parade geordnet, liegen die schwarzen Torpedo» boote und Minenleger nebeneinander. Alles Eisen, eine in das Wasser gebettete Fabrik. Dazwischen huschen weiße Segelboote, blitzschnell durchkreuzen sie den stromartigcn Ems-Jadekanal, der sich an den Hafen anschließt. Das find andere Segler als die faulen Lastkähne r f dem Bodensee   mit ihrer viereckigen lateinischen Lein- wand. Abec es ist stimmungslose Fabrikpoesie, die auf dem finsteren Jadehafen ruht, während die breiten unpraktischen Ouadratsegel der Bodenseekähne, zu dem klaren, durchsichtigen, flalchen- ja weingrünen Wasser des Almannensees alS echte Naturpoesie harmonisch passen wie der blauadrige SänttS und die frisch wie Baumblüte schimmernden Schneekegel des Allgäu. Aber auch die Fabrikpoesie ist Poesie. Sie packt mich, wenn ich das Auge über den Jnnenhafen schweifen lasse, der vott viel- gestaltigen Backsteinbanten mit hochragenden, dampfenden Schloten umrahmt ist. Und mitten im Rahmen schaukeln die DreadnonghtS, die grauen Kolosse mit dem eisernen Panzerkleide. Nur ein Mißton stört das Ganze die alte Rattenhulk, der lächerlich überdachte Rumpf eines ausrangierten Kriegsschiffes, das als Kaserne dient. Ich nenne fie die Rattenhulk, weil sich aus ihr einst die Ratten in die Erbsensäcke eingefressen hatten und gemütlich in den kochenden Kessel geschüttet wurden, in dem man das Mannschaftsessen bereitete. Aus die Beschwerde der Matrosen hin kostete ein Admiral den Erbsenbrei und fand ihn so vorzüglich, daß er sich einen ganzen Napf leistete und die Beschwerde über schlechtes, ekelerregendes Esten als unbegründet abwies. Als jedoch die Matrosen weiter löffelten, kamen Rattenbälge und Rattcnknöchclchen zutage. Die rauhen Seebären trösteten sich mit einemlütten Sluck", der Admiral aber wurde, als er die Knöchelchcn in demselben Erbsenbrei sah, der ihm so gut gemundet hatte, schwer seekrank. Also die Rattenhulk stört das Hafenbild, das Bild de? von menschlicher Technik geweckten Leben«. Einst spielte die Jade mit dem Menschen, indem sie seine Dörfer niederriß und seine Wiesen in Salzwasiergnmd verwandelte. Heute spielt der Mensch mit der Jade, indem er sie durch Deiche und Hafenbauten so um- gestaltet, wie eS ihm beliebt, und ihr auch, wie Faust in seinen letzten Erdentagen, fruchtbares Reuland entreißt. Und doch macht der nur Kriegszwecken dienende Jade» Hafen nicht den erfreulichen Eindruck wie etwa der Ham» burger. In Hamburg   pulsiert der produktive Berkehr, in Wilhelmshaven   der unproduktive. Alle festen und schwimmenden Fabriken und ein Kriegsschiff sieht inwendig genau auS wie eine Fabrik haben den schrecklichsten Massenmord, den man sich nur denken kann, zum Zweck und verzehren die Kraft des BolkeS, statt fie zu beleben. Dieser Gedanke macht daS See- und Hafen- bild noch düsterer, als es schon, rein ästhettsch be» trachtet, ist. Und die ungeheuren Werstanlagen mit ihrer tief in die Stadt Wilhelmshaven   einschneidenden chinesischen Mauer dämpft nicht das bedrückende Gefühl, sondern erhöht eS noch. Fort von dem Wasser, wo ich als einziger Zivilist weile; denn die Wilhelmshavener sehen sich daS Meer nur sehr selten an und die große Strandhalle mit ihren Glaspavillons ist völlig menschenleer. Auch in den Straßen der Secbureaukratenstadt Wilhelmshaven herrscht Friedhofsruhe. Lebendig wird es erst an ihren Grenzen, wo sie un- merNich in die oldcnburgischen Vororte Bant und Heppen» übergeht, die sich am ersten Mai zu der neuesten Stadt Deutsch  » lands, st ringe n zusammengesunden haben. Rüstringen   ist Arbeiterstadt, aber aucb die Vergnügungsstadt für die Marine, in der die betriebsamen Geschäftsleute sowohl mit den Arbeitern, wie mit der Marine in Frieden zu leben suchen. D's ist nicht schwer, denn die Marinemannschaft sympathisiert in» gibßen ganzen viel mehr mit der klassenbewußten Arbeiterschaft, als es sich die Soldaten des LandheereS merken lassen dürfen.