- 386—Hier unterbrach ihn Pavel zum ersten Male:»Ist dennTraurigkeit unwürdig?"„Durchaus. Traurigkeit ist Stille, ist Tod: Heiterkeit istRegsamkeit, Bewegung, Leben." Er blieb vor dem Tischestehen, sah Pavel forschend an und sprach:„Sie fehlt Dir nochimmer, die Heiterkeit: Du bist nicht munterer geworden...Und wie geht es Dir im Dorfe?"„Besser," erwiderte Pavel.„Das läßt sich hören. Seit wann denn?"„Seitdem ich es ihnen einmal gesagt und gezeigt habe.„Gesagt, ol— gezeigt, o, ol... Wie gezeigt? Hastsie geprügelt?"„Fürchterlich geprügelt."„Ei, ei, ei!" Habrecht machte ein bedenkliches Gesichtund kreuzte die Arme.„Nun. lieber Mensch. Prügel sind nichtschlecht, aber nur für den Anfang, durchaus nur! und überHaupt nie mehr als ein Palliativ... Salbader freilich verstehen von Radikalmitteln nichts, leugnen darum auch, daßes solche gebe. Sei kein Salbader!" schrie er den erstauntenPavel an, der sich nicht einmal eine ungefähre Vorstellung vonhem machen konnte, was damit gemeint war.Und nun forderte Habrecht ihn auf, zu sprechen:„Ichhabe Dir meine Generalbeichte abgelegt, laß mich die Deinehören." Er begann ihn auszufragen, verlangte von dem Tunund Lassen seines ehemaligen Schützlings genaue Rechenschaftund erhielt sie, so rasch die Ausrufungen, Betrachtungen undguten Ratschläge, mit denen er Pavel fortwährend unterbrach,«S erlaubten. Dem aber war das ganz recht, störte ihn nichtmehr als das Geräusch eines murmelnden Baches getan hätte,und gab ihm Zeit, nach jedem Satze seine Gedanken zusammeln und einen passenden Ausdruck für sie zu suchen.Endlich hatte er doch sein fest verschlossenes, übervolles Herzin das seines wunderlichen Freundes ausgeschüttet.Sie befanden sich beide in feierlicher Stimmung. Deralte Mann legte dem jungen die Hände aufs Haupt und spracheinen warmen Segen über ihn.„Der Vernunft und Deiner Nährmutter, der Gemeindenach," schloß er,„hätte ein schlechter Kerl aus Dir werdenmüssen: statt dessen bist Du ein tüchtiger geworden. Mach sosort, schlag ihnen ein Schnippchen ums andere, arbeite Dichhinaus zum Bauer. Werde ihr Bürgermeister."Pavel machte größere Augen als je in seinem Leben undsah den Lehrer mit einem zugleich stolzen und ungläubigenLächeln an. Habrecht nickte hastig:„Ja. ja! Und wenn Du's bist, dann zahl ihnen mitGutem heim, was sie Ueblcs an Dir getan haben."Der Abend brach an, die Stunde der Abfahrt nahte, undHabrecht wurde von fieberhafter Unruhe ergriffen. Er forderteseine Rechnung, bezahlte, schenkte den Versicherungen desWirtes, daß es zum Aufbruch viel zu früh sei, kein Gehör.verließ das HauS und schlug, von Pavel gefolgt, der dasKofferchen, den Pelz und den Stock trug, im Eilmarsch denWeg zum Bahnhof ein.Als er dort anlangte und fragte, ob er noch zurecht kommezum Abendzuge nach Wien, wurde er ausgelacht, was ihn be-ruhigte.(Fortsetzung folgt.):Die Ausstellung der Sezeflion.Von Robert Breuer.II.Die Expressionisten. Ein verdöStigeS Wort, dielleichtgar ein dummes. Jndesien. wenn man'.? recht bedenkt, so bleibtjedem Wort, das Kunst und Leben begrifflich fange» möchte, einRest von Unzulänglichkeit. Solche Bezeichnungen sind eben keineabsoluten Werte, sind nur Hilfsmittel und erfüllen ihren Zweck am«Helten, wenn man sie möglichst harmlos, möglichst wörtlich anstatzt.Expressionisten also» das find Leute: die etwas ausdrücken wollen.Gewiß, jeder Maler will etwa?, ausdrücken. Wenn man nun aberfür richtig hält, diese Etikette einer besonderen Klasse vorzubehalten,so wird es sich dabei um Leute bandeln, die das Ausdrücken, daSzum Ausdruck Bringen in einem besonders starken Grade betreiben.Selbstverständlich, auch sie können nichts zeigen, was sie nicht ge-sehen hätten: aus des Menschen Hirn kann nichts heraus, eS sei dennzuvor hineingegangen. Aber: ich kann einen Eatz tonlos, ich kann,hn mit Betonung' sagen. Ich kann die Betonung bis zum Pathos,bis zur Groteske steigern. Art und Grad der Akzentuierung kannaus dem Impressionisten einen Expressionisten machen.Auf der Ausstellung hängen Bilder von Thomas TheodorHeine: wir hören das und wissen sofort: SimplizissimuS. MitVerwundern sehen wir dann eine Waldlandschaft, artig gemalt mitehrlicher Hingabe an die grüne Wirklichkeit und die flirrende Sonne.Bis wir zwei seltsame, weiß umfältelte, blau bebänderte, babydummeMenschenkinder entdecken, mitten in der Natur stehend und doch nichtzu ihr gehörend. Sie find in einem anderen, spezifischeren SinneProdukte des Malers. Nicht anders steht es um die Dame, die mitden drei Möpsen durch den Schloßpark spaziert; nicht anders umden Herrn, der in einem Lehnstuhl vor einer Gartenwand fitzt,während die rote Dogge, das steche SimplizisfimuSbiest, im Hinter»gründe knurrt. Hier spürt man deutlich, wie sich Wirklichkeit undAbsicht mischen: man spürt den Gradunterschied zwischen derindividuell gesehenen, individuell wiedergegebenen Natur und einerbewußt vollzogenen Neuschöpfung. Das rote Simplizissimusbiest istein Hund und als solcher wurde es gesehen: darüber hinaus ist esdie Projektion einer im Innern des Künstlers lebenden, von ihmunmittelbar ersehenen Schöpstmg. Dabei kommt eS gar nicht daraufan, zu erfahren, was sich etwa Heine unter den roten Köter gedachthat: das wird er vielleicht selber kaum wissen. Er wird nur empfundenhaben, daß dieses Rot. diese Durchmodellierung des Dickschädels, dieseVersteifung der Krummbeine ein sonderlich brutales Tempo, einenbissigen und giftigen Ausdruck in die Natur trägt. Oder umgekehrt:er wollte das Bissige und Giftige der Nattir ouszwängen und hatso seinen roten Hund erfunden. Wie er den Engel, den silbernen.und den bronzenen Teufel erfunden hat. Auch bei diesen beidenPlastiken blieb die Natur daS bildsame Material; entscheidend aberwirkte die AuSdruckSabsicht des schlimmen ThomaS Theodor. DerEngel ist köstlich anzusehen; er schraubt sich aufwärts mit sehn»süchtiger Rückenlinie und hektischer Begeisterung. Die asketischen,zerbrechlichen Beine stoßen von der Erde; die weit ausgebogenenFittige rauschen im Aether. Der Engel ist ganz Brustkorb, ganzsphärisch drommetende Kehle: jeder Odem ein Gesang. Der Teufelhingegen, schwarz und dunstig, ist ein vollgestesseneS Biech, einfallenschweres, verstttetes, asthmatisch pfeifendes Ungeheuer: demder Bauch sein Gott ist. Er klebt an der Erde und sein ewigschluckender Schlund ist ein Abgrund für die Treber und Lüste. Undwiederum: es ist nicht nötig, diesem Engel, diesem Teufel ein lite»rarisches Motiv zu mtterstellen; es lassen sich beide Plastiken voll»komnien aus einer Lust an bestimmten Körpergefühlcn, an kompli»zierten Verschiebungen der Massen und kapriziösen Brechungen derAchsen und Konturen verstehen Und in der Tat. das rst eS, worauses ankommt, was den Expressionismus ausmacht.Den Expressionisten interessiert nicht der Baum, sondern daöWurzeln dieses senkrechten Körpers im horizontalen Erdreich; ihninteressiert da? Ausbreiten der Zweige als Funktion, das per»spektivische Zusammenlaufen der Wiesen und Felder als motorischerVorgang, das Zusammenwachsen eines Hauses aus Flächen, ausschrägen Dächern. auS starren Mauern, aus spiegelnden Scheiben.Ohne Zweifel, hier lauern Gefahren; eS kann solche Zurückdämmungder schlicht sichtbaren Natur und deren Reduzierung auf Kontrast undHarmonie, auf Tonskalen und Raumabstecklmgen zu einer Entlcibungder Wirklichkeit, zu blutleeren Abstraktionen führen. Solche Gefahrenharrten aber auch des Michelangelo, als er sich unterfing, ausMen�chenleibern die Welt der Sixlinischen Decke zu bauen. Manmutz nur einmal recht begriffen haben, daß daS Wesentliche derbildenden Künste genau wie in der Musik nicht die Wiedergabe einesNatureindrucks sein mutz, vielmehr dessen Auflösung und Reuordnungsein darf, und man wird, ohne sich in ein Schema zu verirren, dieprinzipiellen Unterschiede zwischen einem, der wiedergeben, und einem.der ausdrücken will, zwanglos fühlen und verstehen. Dabei wäre e»nun töricht, entscheiden zu wollen, welche Kuiist die höhere sei, obMichelangelo oder Donatello, ob Rembrandt oder Terborch, obLiebermann oder Hobler.Und, um auch noch dies zu sagen: niemand wird bestreiten.daß unter denen, die der Natur ein neues Gesetz auflegen und siezur Dienerin eines inneren(letzthin auch natürlichen) Rhythmus(der Lugenseele) machen möchten, viele find, die schon morgen ver»gessen sein werden. Zum Exempel, was uns diese Ausstellung anfranzösischen Expressionisten der letzten Ernte zeigt, sowäre es gewiß falsch, sie alle für Meister zu achten. ES findStümper darunter. Schwächlinge und geschmacklose Anrempler. Diewerden gar bald unter die Räder kommen. Die andern aber werdenbleiben, denen zum Trotz, die in solcher neuen Lebensäußerung derKunst nicht eine logische Etitwickclung, nur eine Mode sehen. L eB e a u wird bleiben als ein Maler, der die Melodien der stillenHäfen, die Seligkeit des von roten Felsen nmar>nten Blau desMeeres sah und sehen ließ. Seine Bilder sind wie«in ständigesKreisen, wie ein Durcheinailderweben von Farben; wie ein Gewirkaus Grün sind die Bäume, wie ein blaues Aufzucken die Segel.ES ist ganz deutlich, daß es diesem Le Beau nicht auf eineSchilderung ankommt; daß er vielmehr aus der Leinwand spiegelnmöchte, was er im Gehirn an Erregungen, die ihm die Landschaftbereitete, geborgen trögt. Oder M a r q u e t; dessen„Notre Dame" istnicht aus topographischem Interesse gemalt worden, wohl aber um desReizes willen, den es bereitet, eine Architektur in Flächen aufzuteilen,sie aus dem Kubischen in zwei-dimensionale Elemente zu zerlege»und doch körperlich wirken zu lassen. Und Picasso, der eineGrrchpe von Dreien zu einen, Block komponiert. Ihn reizte dasIneinandergreifen und das sich Uebersckmeiden der Körper. Es istschrecklich billig, solch ein Kunstwerk als barbarisch und komisch