Lage in der Hofburg zu Wien mit kaiserlichem Glänze voll- zogen wird. Das gewöhnliche Leben der Greisin verfloß in gleich- Mäßiger, immer tiefer werdenden Stille. Sie beschäftigte isich viel mit dem Gedanken an ihren Tod. dem sie ohne Furcht und. trotz mancher quälenden Leiden und Beschwerden, ohne Ungeduld entgegensah. Sie hatte in ihren letzten An- ordnungen das Kloster zum Erben ihres Gutes Soleschau ein- gesetzt. Das Kloster, in dem Milada erzogen worden war, die. so es Gott und seinen Stellvertretern auf Erden gefiel, be- stimmt sein konnte, einst die oberste Leiterin des Hauses zu werden, in das sie vor Zeiten als der ärmste Zögling ge- treten war. Kein Bedürftiger der Gemeinde war im Testa- ment der alten Dame vergessen und auch keiner ihrer Diener. An sich hatte sie zuletzt gedacht, dann aber recht ausführlich, und das Zeremoniell, das sie bei ihrem Leichenbegängnis beobachtet wissen wollte, genau bestimmt. Die Gruft, die halb verfallen war, und für deren Erhaltung sie grundsätzlich nie etwas getan, sollte noch ihre Reste aufnehmen, dann zugemauert und der Eingang mit Erde und Rasen überdeckt werden. Die Leute, die da drinnen liegen, schließen sich mit Bergnügen von der heutigen Welt ab, meinte sie, ordnete jedoch an, daß die Kapelle, die den Grufthügel krönte, in gutem Stand erhalten werde und immer offen zu bleiben habe, damit jeder, dessen Herz danach verlangen sollte, an der heiligen Stätte ein Vaterunser für die alte Gutsfrau zu sprechen, diesem frommen Bedürfnisse nachkommen könne. Die Baronin sann jetzt oft darüber nach, wer von den Leuten, denen sie manche Wohltat erwiesen hatte, den Wunsch empfinden würde, für ihre ewige Ruhe zu beten, und gewöhnte sich, jeden, mit dem sie sprach, darauf anzusehen, ob er wohl zu denen gehöre, die ihrer vergessen, oder zu denen, die ihrer ge- denken würden. Und wenn auch nicht ausschlaggebend, war die Bejahung oder Verneinung der Vermutungen, die sie darüber anstellte, doch von großem Einfluß auf ihre Wert- Messung der Menschen. Eines Morgens, am Tage nach Pavels letztem Kloster- besuch— die Baronin saß bei ihrer Arbeit in der Mitte eines Kanapees, das bequem noch einem halben Dutzend Personen von ihrem Umfang Platz geboten hätte, hinter einem ebenso langen, schwerfälligen Tisch— öffnete sich die Tür des Zim- mers, und Matthias trat ein und meldete: /Der Holub ist schon wieder draußen." »Schon wieder?— meines Wissens kommt er ja nie." sagte die Schloßfrau, und Matthias erwiderte: «Ja— aber so halt." „Hm. hm, was will er?� „Sprechen mächt er." „Mit wem?" „Mit freiherrlichen Gnaden." „Soll kommen." befahl die Baronin, und bald darauf knarrten Pavels schwere Stiefel auf den Parketten, .(Fortsetzung folgt. jj IRaaaruit BnBctcn.l Der letzte feines Stammes. Von Hermann LönS . Mitten in dem einsamen Bergwalde liegt ein tiefer Erdfall. täh stürzen die grautveihen, zerborstenen Gipsfelsen an seinen iteilwänden ab. Eine Fichtendickung, ein schwarzer, verfilzter Klumpen, umringt ihn zur Hälfte. Ihr gegenüber am anderen Rande ragt aus weichem, leuchtendem Moose eine steinerne Säule empor, ein grober, ungeschlachter Block. Die Inschrift, die das Denkmal trug, ist nicht mehr zu deuten. Schwach hebt sich aus der grauen Jlechtenkruste ein kunstloses Kreuz ab, roh in den Stein gemeißelt, und ebenso grob hineingehauen ist das gestielte Dreieck daneben. ES soll ein Beil vorstellen. Kein Mensch weiß, zu wessen Gedenken der Blutstein gesetzt wurde. Aber er macht den Wald unheimlich. Kein Bauer, kein Holzarbeiter geht gern allein hier vorbei. Es geht da um. MKn hört es rascheln und sieht nicht, was da geht. Man hört es schreien und weiß nicht, von wem. In der Dämmerung tanzen grüne Lichter um den Stein. Der alte Waldwart hat sie oft gesehen. Auch heute, an diesem hellen Maienmorgen, steht er unhold auS, der graue Block. Unheimlich sind die Blumen, die um seinen Sockel blühen: blasser, gedunsener AaronSstab, menschenhaut- farbiger Schuppenwurz, der Vogelnestwurz, wachsgelbe Blüten» gespenster. der Nachtviole leichenfarbene Blumen. Das Reh. das am Rande des ErdlocheS entlang zieht, verhofft jäh, äugt nach dem Mordsteine, windet, tritt hin und her und flüchtet laut schreckend von bannen. Eine Märzdrossel, die mit einer bunten Schnecke im Schnabel auf einem Felsbrocken einfällt, läßt ihre Beute fallen und stiebt mit Gezeter ab. Ter Rotspecht, der vorüberschnurrt, hebt sich höher und schreit entsetzt auf. Der Holzschreier wendet jäh seinen Flug und kreischt voller Angst. Auch das Rotkehlchen flattert mit Furchtgeschrille davon. Der graue Felsblock am Sockel des Mordsteines, schwarz ge- streift von den Schlagschatten der EschenMeige, gelb gefleckt von einfallendem Lichte, hat Leben bekommen. Er reckt sich, streckt sich« läßt eine grau und schwarz geringelte Schlange sich winden und drehen, rundet sich, dehnt sich und bläht sich, wird lang und dünn und kurz und dick, läßt zwei grüngelbe Lichter aufblitzen, eine rote Flamme aufleuchten, duckt sich, schnellt sich empor und bildet Plötz- lich eine seltsame Bekrönung des unheimlichen Steins. Sie haben alle recht, die da sagen, bei dem Warloche gehe es um. da schleiche unhörbar ein Gespenst, da schreie ein unsichtbarer Kobold, da blitzten grüne Augen. Has und Reh, Eichhorn und Haselmaus, Drossel und Rotbrüstchen, sie kennen es allzugut, das graue Gespenst, das leise heranschleicht und lautlos zufaßt mit unfehlbarem Griffe und sicherem Biß. Die letzte Wildkatze des Tales ist es, die im alten Mutterbau auf dem Grunde des War-> loches haust, ein Kuder, so stark wie ein alter Fuchsrüde., Oben auf dem Denkmale bleibt er eine Weile sitzen, den Sonnenstrahl genießend, der durch das Eschenlaub auf seinen Rücken fällt. Dann stellt er sich aufrecht, reckt die Lunte steif empor, rundet den Rücken, macht ihn lang, reckt sich und gähnt, setzt sich, wäscht und putzt sich und ist iin Nu wieder am Boden, wo der alte Holunderbusch den schiefen Stamm über das Erdloch schiebt. Ter Kuder reibt, wohlig schnurrend, den Rücken an dem rauhen Stamm, dann fährt er zurück, springt vor, versetzt der Rinde einen Prankenhicb, zieht die Krallen durch die Rinde, ganz schnell viele Male und dann wieder ganz sacht, öiS die Rinde wund ist und stechender, dumpfer Duft ihr entströmt. Und da wirft sich der Wildtater schnurrend und murrend und knurrend gegen sie, streichelt sie zärtlich, drückt die Nüstern an sie, versetzt ihr grausame Krallenhiebe, reißt Bastfetzen herunter, wirft sich auf den Rücken und zerfetzt das starkriechende Laub mit langsamen Griffen und schnellt plötzlich auf alle vier Läufe, zu Stein erstarrt, die Gehörs steil aufgerichtet, und lautlos gleitet er an der Gipswand hinab. Es knickte ein dürrer Stengel, es knitterte ein trockenes Blatt, leise, ganz leise, aber doch nicht so leise, daß des Katers scharfes Gehör das Geräusch nicht richtig deutete. TaS war nicht Reh und war nicht Has', und war nicht Vogel und war nicht Maus, daS war nicht Bauer und war nicht Magd, das war die seltsam riechend« Sohle, die seit dem letzten Vollmond den Wald durchschleicht. Tief unter der Erde, hinter der steilen Gipswand, da liegt der Kater in sicherer Ruh. Kein Grabscheit stört ihn dort, kein Rauch erreicht ihn da, kein Hund kann zu ihm heran. Da sind Gänge, die der Dachs grub, den der Fuchs vertrieb, der die Flucht- röhren scharrte. To find jähe Spalten und steile Kanten, und hinter ihnen verrotten die Gerippe der Teckel, die an Dachs und Fuchs und Katze jagten und niemals wieder zu Tage kamen. Dort ist so weich der Mulm und so trocken der Loßboden, warm ist eS da zur Winterszeit und fommertags so kühl. Dort ist der heim- liche Jäger in guter Hut und kann den Tag verschlafen untj träumen, soviel er mag. Er schläft und träumt Die Rutenspitze zuckt, die Krallen! schlüpfen auS dem Sammet der Pranken heraus, greifen in di« Luft und verkriechen sich wieder. Alte Bilder brachte der Traum. Von jener Zeit, als der Kater noch ein Kätzchen war, daS mit seiner Mutter buschiger Lunte spielte als das erste der drei Ge- fchwister, das den Wert der Krallen erkannte. Er hatte als ersten die MauS an sich gerissen, die die Kätzin zu Baue trug, zuerst der, Siebenschläfer geknickt, die flügge Drossel gewürgt, den Junghasei, totgequält, ehe die Geschwister eS sich trauten. Und als erster hatte er geweidwerkt, sich an das Eichkätzchen herangebirscht, als eS Pfifferlinge suchte, eS im Sprunge gerissen und stolz zum War- loche geschleppt. Er erwacht, blinzelt um sich, reckt sich und steigt bedachtsam« über die Kanten und Spalten. Mitten in der kleinen Lichtung den Fichtendichtung mündet das Notrohr, daS der Fuchs fich scharrte. Kein Jäger sindet es; ein breitverzwcigter Fichtenast spreizt sich darüber hin. Immer ist eS dort überwindig und trocken, und eS kommt Sonne genug dahin. Und so weich ist daS rot« Nadel werk und da? seidene MooS. Da träumt es fich noch besser als unteq Tage, von heimlichen Birschgängen in lauen Sommernächten, vor, Fischweid im Februar am Klippe nufer des BachcS, wenn die Forelle laichdumm ist und fich so bequem auf daS Ufer angeln läßt. Ueber Minnefahrten läßt sich dort nachsinnen. Weit weg führten sie. in rauher Berge schwarze Fichtenwälder, denn ringS - umher lebte keiner mehr vom Geschlechte der freien Katzen. AlS die alte Kätzin todwund zu Bau gefahren kam mit zersplitterten Knochen, als sie kalt war und die Witterung verlor, da hatten fich die drei Geschwister zerstreut. Sie fanden fich nicht wieder zu- sammen, trotz des Aeltesten allnächtlichen SehnsuchtSrufeS einen ganzen Hornung hindurch. Da war er fortgezogen, hatte tagsüber in Fclslöchern und Dachsbauen geschlafen, zwei Zehen in tinein
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28 (23.5.1911) 98
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