.Ich hätte so elend ausgesehen�---»Hm und Ihre 80 Cents hätten--" dachte ich. Mit verlegenen Verbeugungen trat er ins Dunkel zurück. Die Lorgnette drehte sich wie das Licht der Zoll- grenzfeuer nach anderen Seiten. Luino , rief es, der Zug stand bereit. Im ersten Licht der Sonne knatterte der Zug mit italienischer Heftigkeit durch die Lombardei , nicht eher mit seinem heftigen Atmen aussetzend, als bis er in der mächtigen Bahnhofshalle Mailand zum Stehen gebracht war. Einige Stunden später sab ich ausgeruht im Cafesessel auf dem Trottoir der Weltstadt, ihren Lärm so durstig aufnehmend, wie zwei Monate zuvor die Stille der Berge. Es war nicht die Schönheit der Stadt, die etwa solche Freude verursachte. Die Vorstellungen, die man sich bei dem schönen Namen im Zusammenhang mit ihrer interessanten Geschichte macht, werden häufig durch�1>ie Wirklichkeit über den Haufen geworfen. Lange öde Strafien mit weiten gleichförmigen Steingebäuden, mit einem gleich- förmigen Schmutzton überzogen, Berlin sicher ähnlicher als Rom . Die Wucht der Steinmassen in den Gebäuden, ihre Palast-Portale, die Durchblicke in hohe Bogengänge der Höhe treten erst bei längerem Betrachten in Erscheinung. Dazu die grellen, harten Eindrücke der Straßenbahnen nein. der historische Sinn kommt unter solchem Gegenwartslärm nicht hervor. Auch der Doin konnte ihn nicht erwecken, zu hoch schlugen gerade um ihn die Wellen des Lebens und mit welchen Ge- räuschen. Nicht nur. daß gegen zwanzig der Straßenbahnlinien an ihm, «m ihm endeten, also ständig herangeklingelt kamen und mit Pfeifen und Schreien rangierten und abfuhren, noch eine besondere Melodie erhob sich aus dem allgemeinen Lärm. Es war ein unendlich lächer- licher Anblick. Da standen in langer unabsehbarer Reihe viele Esel an zweirädrige Karren gespannt, die wiederum je ein llavierartiges Instrument trugen, aus denen durch eifriges Drehen an einer Kurbel eine schmetternde, jubelnde, krähende Galoppmusik kam, mit Mandoliuenbegleitung und Paukcnschlag. Bedenkt man, daß der- ort gegen vierzig enganeinander gereihte Instrumente sich dergestalt übergaben, jedes rücksichtslos gegen das andere nach nur größerer Geschwindigkeit und lautem Lärm trachtend, so wird man schon die Seligkeit, die diese Lebenszeichen der Menschheit der ab- gestorbenen Phantasie gab, begreifen oder ahnen. Allein der An- blick der großen Heubündel, die am Klavier stir den Esel hingen und die Versunkenheit der mit geschlossenen Augen die Kurbeln wirbelndenMusiker' wirkte erheiternd, bis freilich un- behagliche Gedanken aufstiegen. ES mar dies ihre Börse. Man sah, wie aus den Zuhörern, die dichte Kreise bildeten, einzelne traten und mit den Erfolgreichsten unterhandelten und die für eine Kneipe derart Engagierten den Esel in Trab setzten und abzogen. An anderer Stelle hörte man ähnlich Ziehharmonika und Maitdolinen bis in den späten Abend ihre Reklamemusit machen. nicht alle erfolgreich. Das sah man bald, die Straße gehört dem Volk und nicht den Launen alberner Verordnungsbonzen. Nicht daß es an Ordnern fehlte. Ich sah nicht weniger als drei Sorten uniformietter Schutz» organe. In langen sauberen Röcken, mit einem Stock in der Faust, an Londons berühmte Beamte auch in ihrer Ruhe und Entschlossen- heit erinnernd, die einen, der größte Auflauf verlief ruhig, wenn ste langsam hindurchgingen, nach links und rechts ruhige, höfliche Er- inncrungen richtend. Daneben standen auf Brücken und sonstigen markanten Punkten mit ihren malerischen Umhängen, mit Dreispitz und.Klunkern daran', am Sonntag auch mit hohen bunten Federbiischen, gleich denen der Begräbnispferde, die Karabinieri, meist zu Zweien in an- genehmem Zwiegespräch, das man nicht gern störte. Endlich, und diese bilden die Mäste und erinnern auch in ihren Uniformen am ehesten an die unsrigcn die gewöhnlichen Polizisten. .Meist Neapolitaner', sagt man mir,und sehr verachtet', während die anderen Gruppen respekttert sind. In der Tat merkwürdige Burschen. Russischer Akzent. Man versäume nicht, das Dach des Doms zu besteigen," stand neben vielem altmodischen Geschwätz im Führer. Ich versäumte. Von unten sah das alles so hübsch aus: diese steinernen Tannen- spitzen, auf denen je eine Puppe stand. Ich konnte ganz gut auch Napoleon mit verschränkten Armen boshaft und verachtend unter den merkwürdigen Heiligen stehen sehen, wie er schließlich sich auch unter die Legitimen Europas gestellt hatte, die genau wie er, nur zehnmal so langsam aus dem Nichts hervorgebrochen waren, in das sie nur leider ebenso langsam zu verschwinden beginnen. Aber drinnen gab es einen kleinen Kampf, und die Gegenwart unterlag für eine Weile. Ich schämte mich dieser Niederlage nicht. Die Herzen, denen einst dieses Werk der Anbetung entsprang, schufen dies im glücklichen Feuereifer innerster Ueberzeugung. Daß sich aus diesem Urwald mit dem tiefen Dunkel, mit den magischen Farben des fernen Wipfellichtes auch nach dem Verlöschen der reinen GlanbenSflamme die Augen nicht mehr an das Licht de? Tages ge- wöhnen wollen, hier vermögen wir es zu verstehen. Uebrigens hat man in Basel aus einer kassierten Klosterkirche wunderschöne zweck- mäßige Räume für ein historisches Museum gewonnen. Neben dem Dom besitzt Mailand seinen alten FestungSgraben, der unbedingte Beachtung verdient, da diese italienischen Orte bekanntlich fast jede hygienische und sonstige Verbesserung nur auS Rückficht auf die Fremden einführten, die ihrem Lande jährlich 600 Millionen Lue Anlvesenheitsgelder zahlen. Dieser Graben, durch schleujenartige Einrichtungen in diele Teile zerlegt, gibt allerdings Anlaß zu vielen das Stadtbild belebenden Brücken; deren kaum eine jedoch das Auge erfreut, außer durch die Kucken- und Orangenverkäufer, die auf ihren Geländern sitzen. Zwei oder drei der Teile sind zeitweilig mit einer trüben Flüssigkeit erfüllt; in der in hohen Stiefeln mit langen Stangen Ketten von Arbeitern umherstochern, um Unrat zu fischen. An sich schon ein den Appetit des Fremden wenig anregender Anblick. Die meisten Teile aber liegen morastig, und bergen Scherben und Abfälle. Man versteht nicht, daß es solche Schwierigkeiten machen sollte, ausreichende fließende Wassermasten herzuleiten, noch daß man so wenig Kunst auf die Brücken wendet. Blickt man auf die schaurigen Rückseiten der angrenzendenPaläste", so wünsckt man nur einige Quadratmeter des Bodens in Grabenhöhe einem Hygieniker» kongreß vorlegen zu dürfen. Nicht nur in Mailand darf der Berliner sich dazu begluck« wünschen, daß er in einer verhältnismäßig jungen Stadt wohnt. Man betrete das berühmte Scala-Theater. Welch lächerlicher, sinnloser, mittelalterlicher Zustand! Ein zehnstöckiger Bogenbau, bis zum achten Stock alles in Händen derFamilien", d. h. der reichen Erben. Für alle, die Kunst nicht nur zur Verdauung und zum Zeigen der Toilettdn benutzen, sind die unendlich bühnenfernen Dach» giebel und das zynisch teuere Erdgeschoß. Nach solchen Schatten aber genoß man wieder die Sonne von seinem Caftplatze und das nicht weniger als ihr Oakö neio jSchwarzes Cafe) prickelnde Stadtleben: Das Vorbeitrippeln der hohen Stiefeletten, das Aufglühen in den Augen einer schönen Signorina, das Spielen und Jagen der reifenden Geschöpfe, mit ihren elastisichen Gliedern, in stolzer glücklicher Haltung. Artigkeit, Grazie und eine schöne Ruhe ging durch alle Bevölkerungsteile. Man konnte sich im auffallendsten Bergkostüm in der Mittagsstunde mitten unter der Masse ergeben, ohne ein einziges unartiges Wort zu erhalten.... Nicht ganz wie bei uns--- Welch' ein Temperament in ihnen steckt, zeigen ihre Denkmäler. Da gerade vor dem Dom sitzt hoch oben ein Reiter. Gleichgültig, wer es ist, aber was ist das für eine Auffastung gegen die unserer offiziellen Gaulfafrikanten. Mit einem Ruck ist das feurige Tier zum Halten gebracht, es zittert vor lebendiger Kraft; während man der lahmen faulen Mähre vor dem Kaiser-Friedrich-Museum gern etwas Juckpulver beibrächte, nur um zu sehen, ob sie nicht schon krepiert ist ihr oder dem Künstler. Der letzte Fetzen deS Karnevals flattert über den Platz. Kinder in Masken werden von ihren dummeitlen Eltern geführt. Durch die ziemlich sinnlos gigantischen Pastagen wälzen stch Hunderte, um drei oder vier Masken zu sehen, die stolz zu ihrem Ball gehen. Aber an der Ecke sehe ich ein großes rotes Plakat VolkS- vorlesuugen über Naturwistenschaften und WinschaftSprobleme unv Hygiene ankündigend. La vörite ea marclie auch in Mailand. ?. Lt. Das fflima Veutfcblanäs. Das Klima Deutschlands und ganz Mitteleuropas ist bedeutend günstiger, als es für einen um den 80. Breitengrad gelagerten Teil der Erde eigentlich erwartet werden darf. Es ist in allen Jahreszeiten, zumeist aber im Winter, ganz beträchtlich wärmer, als es dem Breitengrad zukommt, im Frühling durchschnittlich etwa um 5 Grad, im Sommer um 3 Grad, im Herbst um 4'A Grad, im Winter um 8 Grad C. Normal für diese Breitengrade ist etwa das Klima von Petersburg wir sind also gut daran! In einer geographischen Breite, auf der an gar manchen Stellen der Erde schon ein sehr rauhes und kulturfeindliches Klima herrscht ein Stück von Labrador, das südliche Kamtschatka, ein großer Teil Sibiriens liegt z. B. mit Deutschland aus gleicher geographischer Breite ist die Witterung bei uns in Mitteleuropa überwiegend angenehm: die Winter sind, von seltenen Ausnahmen abgesehen, nicht allzu streng, den Sommern fehlt die unablässige, gerade in ihrer Ausdauer erschlaffende, sengende Hitze; in allen Jahreszeiten fallen die Niederschläge mit erfreulicher Gleichmäßigkeit, und am ergiebigsten gerade in den Monaten, die ihrer aus wirtschaftlichen Gründen am meisten bedürfen, im Sommer, und dennoch sind Regen und Schnee auch wieder nicht ständige Gäste in Mittel- europa , und nicht trieft dort die Luft gewissermaßen von Feuchtig- keit, wie es in so zahlreichen anderen Gegenden der Erde und auch Europas , sei es jahraus jahrein(wie z. B. in Bergen in Norwegen und in anderen norwegischen Orten), sei es in gewissen Jahres- zeiten(wie z. B. in England), mit seltenen Unterbrechungen der Fall ist. Gar oft hört man zwar über unser Klima räsonieren und klagen, wenn im Sommer längere oder kürzere Epochen reg- nerischen und kühlen Wetters erhoffte Festtags- und Ferienfreuden beschneiden, wenn im Herbst die melancholischenfrühen Abende" *) Wir entnehmen diesen Aufsatz dem soeben erschienenen 349. Bündchen der Sammlung Aus Natur und Geisteswclt:Gut und schlecht Wetter". Von Dr. Richard Hennig(Ver- lag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin . Mit 40 Abbil- düngen. Geh. 1 M., in Leinwand geb. 1,25 M.), das eine Schil- derung des Jahresverlaufes des Wetters in Deutschland mit seinen verschiedenen Möglichkeiten gibt und deren Ursachen und B«s> knüpfungen zu erkennen lehrt,