und dunklen Nachmittage da? Gemüt traurig stimmen, wenn im Winter lange Wochen und Monate hindurch das monotone Schmutz- undMatschwetter" herrscht, wenn im Frühjahr immer wieder rauhe Winde die Lenzfreude ertöten und die Oefen bis tief in den April und Mai hinein nicht erlöschen dürfen. Zwar wenn man alle diese Bemängelungen und Beschwerden zusammenfaßt, so könnte man glauben, Mitteleuropas Klima dahin charakterisieren zu müssen, daß es in der Regel 7 Monate keinen Winter und b Monate keinen Sommer habe. Aber dennoch, wenn man sich freimacht von pessimistischen Vorurteilen und gerecht abwägt, was die Laune der Wettergottheit unseren Landesteilen an Witterungseigenart zu- gedacht hat, so kann man nicht umhin, anzuerkennen, daß wir ein glückliches Los gezogen haben. Daß die nur mätzig hohen Frostgrade der meisten Winter und die in der Regel nur kurze Dauer wirklich strenger Kälte klima- tisch und dementsprechend auch wirtschaftlich eine Wohltat sind, bedarf nicht erst des Nachweises. Doch auch die Tatsache, daß die Winter nicht allzu milde sind, daß Frost und Tauwetter sich in bezug auf ihre Häufigkeit durchschnittlich etwa die Wage halten, ist erfreulich, denn die Erfahrung lehrt, daß die Länder mit weichem, warmem Winterklima für Leib und Geist der Bevölkerung auf die Dauer nicht entfernt so gesund und erfrischend sind wie die, in denen zuweilen ein frischer, fröhlicher Frost und eine weiß- blinkende Schneedecke das Regiment führen. In treffender Weise hat Richard Lepsius in seinem schönen Vortrag überKultur und Eiszeit" auf dem Frankfurter Naturforschcrtage(1896) die Bedeu- tung dieser Tatsache für ein hochentwickeltes Kulturleben hervor- gehoben, wenn er sagt:Darum wollen wir uns unseres regen- reichen, gemäßigten Sommers und unseres kalten Winters er- reuen; denn wir stammen aus der Eiszeit, und Schnee und Eis, as sind die Elemente, aus welchen wir wie aus einem unerschöpf- lichen Borne jedes Jahr unsere körperlichen und geistigen Kräfte erneuern." Richtig ist hierin betont, daß auch unsere oftver- regneten" und kühlen Sommer klimatisch als eine Wohltat ange- sehen werden müssen, denn sie bescheren den Früchten des Feldes das segnende Naß, das diese in so zahlreichen anderen Teilen der Erde aufs schmerzlichste entbehren müssen, und sie erhalten dem Geist und dem Körper die Spannkraft, die in der beständigen Hitze so leicht verloren geht. Ein anhaltend schöner, heißer und dürrer Sommer mag der Ferienreisenden Entzücken sein(obwohl auch diese erfahrungsgemäß sehr rasch nach vorübergehendem, kühlendem Regen zu lechzen beginnen); für das Wirtschaftsleben und die Arbcitstätigkeit eines Volkes stellt er eine Katastrophe dar, wie sie größer selbst eine Ersäufung aller Felder in unaufhörlichen Regen- fluten nicht sein kann. Gerade die Tatsache, daß unser Klima im Sommer wie im Winter gleichmäßig die goldene Mittelsiratze zwischen schädlichen und verderblichen Extremen einzuhalten pflegt, ist volkswirtschaftlich ein wahrhafter und großer Segen. Dessen möge man sich bewußt sein, ehe man einstimmt in die beliebten Klagen über unser trübseliges Klima und in die Lobpreisungen anderer Lande,wo ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht", denn jenes warme, wohlige Klima, das uns oft so begehrenswert vorkommt, ertötet nur gar zu leicht die Schwungkraft des Geistes, und Kulturfortschritte werden in irdischen Paradiesen nicht ge- boren! Daß die Hauptursache für unser merkwürdig mildes Winter- klima der Golfstrom ist, ist allbekannt. Er trägt den nördlichen Küsten Europas einen guten Teil der Wärme zu, die die Tropen- sonne unten im Mexikanischen Golf in die Meeresgewässer hinein- strahlt. Genaue Forschungen über Richtung, Temperatur, AuS- dehnung und Lage des Golfstromes werden erst seit Verhältnis- mäßig kurzer Zeit systematisch angestellt; über diese Elemente und ihre etwaige Veränderlichkeit lassen sich daher bestimmte Angaben noch nicht machen. Sollten sich aber später jährliche Schwankungen herausstellen, so wird wohl auch einmal eine Hauptquelle unserer Klimaveränderungen in ihren Ursachen erkannt werden. Dann wird man vielleicht auch in die Lage versetzt sein, aus Bcob- achtungen, die man am Golfstrom macht, für Monate im voraus die Witterungsverhältnisse in Mitteleuropa , wenigstens in groben Umrissen, voraussagen zu können! Vorläufig sind wir aber noch nicht so weitl_ Kleines f euilleton* Anatomisches. Riesen. Die Beantwortung der Frage. waS ein Niese ist, kann nur durch eine mehr oder weniger willkürliche Uebereinkunft geschehen. Gulliver, dieser berühmte Märcheuheld, war bei den Zwergen selbst ein Riese, bei den Riesen dagegen ein Zwerg. So richtet fich alles nach dem Vergleich. Immerhin sind die Größen- Verhältnisse de? Menschen wie ja auch jedes TiereS in gewisse Grenzen eingeschlossen, und innerhalb dieser läßt sich ungefähr fest- setzen, was als ein ungewöhnliches Maß oder als Riesen- wuchs zu bezeichnen ist. Ja einem Vortrag in London hat Dr. Artur Keith den Satz aufgestellt, daß den Anspruch auf den Titel eines Riesen nur ein Mensch haben sollte, der wenigsteits 208 Zentimeter groß ist. Natürlich könnte man fast mit gleichem Recht etwa auch die Höhe von 209 Zentimetern annehmen. Außerdem müßte wohl für das weibliche Geschlecht schon eine etwas Kerantwortl. Redakteur� Albert Wachs, Berlin. Druck u. Verlag: geringere Größe als Riesenwuchs betrachtet werden. Vom wissen- schaftlichen Standpunkt ist die Scheidung deshalb wichtig, weil fich daraus ergibt, daß es aller Wahrscheinlichkeit nach niemals ein Volk oder eine Rasse von Riesen auf der Erde gegeben hat, wenn der Be- griff in jenem Sinne aufgefaßt wird. Die Nachrichten von Riesenvölkern, die namentlich in älteren erzählenden oder auch lehrreichen Werken verzeichnet wurden, haben sich stets als übertrieben herausgestellt. Die Bewohner von Patagonien beispielsweise galten lange Zeit als ein Volk von Riesen. Je besser aber das Land bekannt wurde, desto mehr schrumpfte das Volk zusammen, und jetzt weiß man bestimmt, daß die Patagonier nicht größer sind als andere Völker von nor- malem Wuchs. Auch die Vorstellung, daß in vorgeschichtlicher Zeit Riesen lebten, die an Zahl wie an Größe alles übertrafen, was später je vorgekommen ist, muß in das Gebiet der Fabel ver- wiesen werden. Die menschliche Einbildungskraft hat es eben stetS geliebt, weit entlegene Räume oder Zeiten mit ihren eigenen Schöpfungen zu bevölkern. Vor 200 Jahren konnte sogar ein Philosoph die lleberzeugung haben und in seinen Schriften veröffentlichen, daß der Menschenvater Adam in einer Körperlänge von 40 Metern über die Erde gewandelt wäre. Der größte Mensch, von dem genaue Messungen vorliegen, war der noch vor wenigen Jahren in Schaustellungen angestaunte Riese Machnow, der die un- gebeuerliche Höhe von 263 Zentimciern besaß. Der einzige Neben» bnhler dieses Mannes in der Geschichte der Riesen war, wenn nur glaubwürdige Nachrichten in Betracht gezogen werden, ein Kind der grünen Insel Irland, namens O�Brien, der im Jahr 1782 im Alter von 22 Jahren 250 Zentimeter maß. Eine so ungewöhnliche Entwickclung wird nach den Erfahrungen stet» mit schweren Unzulänglichkeiten des körperlichen und auch des geistigen Gesundheitszustandes erkauft. Die Riesen sterben innner jung und sind außerdem von furchtsamem und argwöhnischem Wesen, so daß ihre Betrachtung bei einsichtsvollen Menschen stets ein aus Mitleid und Komik gemischtes Gefühl erweckt. Die wiffen- schaftlichen Forschungen haben auch gezeigt, daß der Riesenwuchs als eine Art von Krankheit aufgefaßt werden muß. Genau untersucht wurde in dieser Hinsicht zuerst der sogenannte Wasserkopf, und der englische Anatom Profeffor Cunningham war der erste, der vor 30 Jahren nachwies, daß die Ueberentwickelung der Stirn, der Kiefer und auch der Hände mit einem krankhaften Zustand des Hirn« anhangS zusainmenhängt. Früher war die Bedeutung dieses Gehirn- teils überhaupt unbekannt gewesen, während es jetzt als feststehend zu berrachten ist, daß von ihm eine Ausscheidung ausgeht, die sich dem ganzen Körper mitteilt und sein Wachstum bestimmt. Man bat daraus auch die Erwartung geschöpft, daß es mit Hilfe dieser Ausscheidung möglich sein könnte, das Wachstum nach Belieben zu befördern, vielleicht sogar bei einzelnen Körperteilen. Medizinisches. Die Bekämpfung der Masern. Die Masern nehmen unter den häufigen Krankheiten insofern eine eigenartige Stellung ein, als sie zu wenig gefürchtet werden, während die meisten anderen Leiden eher eine Ueberschätzung ihrer Gefährlichkeit erfahren. Kann man doch oft genug hören, e» sei ganz gut, wenn ein Kind die Masern bekomme, damit es diese Krankheit dann ein für allemal ab» gemacht habe. Abgesehen davon, daß eine Wiederholung der Er» krankung auch bei Maseln nicht selten ist, sind die Fälle von schweren und sogar tödlichen Masernerkrankungen viel hänsiger, als man giaubt. Auch darin unterscheiden sich die Masern zu ihrem Nachteil von anderen ansteckenden Krankheiten, daß ihre Erforschung bis auf den heutigen Tag ungenügend geblieben ist und der Arzt eigentlich wenig zu ihrer Hebung tun kann. Ein Leitartikel desLancel" spricht es geradezu au», die Bekämpfung der Masern sei weniger eine Aufgabe der Medizin als der Krankenpflege. Kennt man doch trotz aller Nachforschungen noch nicht einmal den Erreger der Masern. Ist aber jener Satz richtig, so ergibt sich daraus die Notwendigkeit, mehr als bisher dafür zu sorgen, daß die Kinder aus ärmlichen Familien, wenn sie an Masern erkranken, eine möglichst gute Pflege erhalten. Die Zahl der an Masern sterbenden Kinder ist immer noch erschreckend groß, und viele von ihnen, vielleicht die Mehrzahl, sterben nur, weil die Eltern auS Unerfahrenheit oder anderer Unfähigkeit nicht imstande find, ihnen die richtige Pflege zuzuwenden. Auch die Zahl der Erkrankungen ließe sich wohl vermindern. Die Gleichgültigkeit, die den Masern gegenüber auch von vielen Aerzten und GesundheitSbeamten beobachtet wird, wird durch die Annahme veranlaßt, daß die Ansteckung der Um- gebung durch einen Krankheitsfall nicht zu vermeiden sei, weil' die Krankheit früher ansteckend wird, als sie durch Auftreten des Haut- ausschlagS oder anderer Merkmale erkennbar wird. DaS ist richtig, aber dasselbe gilt auch für andere Krankheiten, Scharlach, Diphtherie oder Typhus, und diesen Leiden gegenüber wird, nur weil sie mehr gefürchtet werden, trotzdem eine erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet. Hauptsächlich sollten die Schulärzte darauf achten, eine Benach- richtigung über das Auftreten von Masern zu erhalten und zur Ein« leitung schützenderMaßnahmen zu benutzen. Durch strengste Fernhaltung auch der krankheitSverdächtigenKindcr aus der Schule oder durch vorüber- gehende Schließung einiger Klassen ließe sich gewiß die Ausbreitung mancher Masernepidemien verringern. Auch sollte mehr Bedacht auf die Einrichtung besonderer Abteilungen für Masernkranke in den Krankenhäusern genommen werden.__ vorwartsBuchdruckerei».VerlagSanstalt Paul SingerärCo.,BerlinSW,