Mterhaltungsblatt des Honvärts Nr. III. Dienstag den 13. Juni. 1911 (Nachdruck vervotea-Zl 7z Pelle äer Eroberer. Lehrjahre. Roman von M. Andersen N e x ö. Berechtigte Uebersetzung von Mathilde Mann . 1 Nein, Pelle wollte nicht mogeln, weder gucken noch über- schlagen, es hing ja soviel von diesem Anfang ab. Aber er gelobte sich teuer und heilig, seine Beine zu gebrauchen, sie sollten gefangen werden. Mann für Mann! Er war fertig mit dem Zählen und nahm die Mütze von den Augen— kein Laut.„Sagt mal piepl" rief er, aber niemand antwortete. Da suchte Pelle eine halbe Stunde zwischen Brettern und Warenschuppen, dann schlich er nach Hause und zu Bett. Aber in dieser Nacht träumte er, daß er sie alle fing, und sie er- wählten ihn zum Anführer für alle Zukunft. Die Stadt kam ihm nicht mit offenen Armen entgegen, in die er sich mit seinem kindlichen Vertrauen hineinstürzen konnte, um gleich weitergetragen zu werden. Hier verschwieg man offenbar die Heldentaten, die den Menschen anderswo Rückhalt verliehen, sie erweckten nur höhnisches Lächeln. Er versuchte es wieder und wieder, immer mit etwas Neuem! Aber die Antwort war beständig: Bauer! Seine ganze, kleine Person strotzte von gutem Willen, und er wurde kläglich abgewiesen. Pelle sah bald, wie sein ganzer aufgesparter Fonds ihm unter den Händen zerbröckelte: alles, was er sich daheim auf dem Hof, in dem Dorf an Respekt erkämpft hatte durch seine Kühnheit und seinen guten Willen, das ward hier zu nichts. Hier galten andere Verdienste, ein neuer Jargon, die Kleider waren anders, man setzte die Füße auf andere Weise. Alles, was er hoch gestellt hatte, wurde lächerlich gemacht, bis zu der hübschen Mütze mit den Nehren und den Erntegerätschaftcn darauf. Er kam so sicher in sich selbst ruhend und machte die schmerzliche Erfahrung, daß er eine lächerliche Erscheinung war. Jedesmal, wenn er mit dabei fein wollte, wurde er zur Seite geschoben: er hatte kein Recht, mitzureden— gefälligst in die allerhinterste Reihe. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als auf der ganzen Linie Rückzug zu trommeln, bis man in das Ganze ein- gedrungen war. Und so schwer wie es für einen flotten Jungen war, der vor Lust brannte, allem seinen Stempel aufzudrücken, Pelle tat es und bereitete sich getrost darauf vor, wieder hinauf zu krabbeln. Wie sehr er auch gerupft wurde, beständig blieb da ein hartnäckiges Gefühl eigenen Wertes zurück: das konnte ihm niemand nehmen. Er war überzeugt, daß es nicht er selbst war, sondern alle möglchen Dinge an ihm, woran es haperte, und er-machte sich rastlos daran, die neuen Werte herauszufinden und den Ausrottungskrieg gegen sich selbst zu führen. Nach jeder Niederlage nahm er sich selbst unverdrossen vor, und am nächsten Abend ging er wieder darauf los, bereichert durch so viele Erfahrungen— und erlitt seine Niederlage an einem neuen Punkt. Er w o l l t e siegen, was auch geopfert werden mußte! Er wußte nichts Prächtigeres, als dröhnend durch die Straße zu marschieren, die Hose in die Schäfte von Lasses alten Stiefeln gestopft— das war der Inbegriff von Männ- lichkeit. Aber er war Mannes genug, auch das zu unter- lassen, da man es hier als bäurisch betrachtete. Schwerer ward es ihm, seine Vergangenheit in sich hineinzuschlucken: sie war so unzertrennlich von Vater Lasse, daß ihn das Gefühl des Verrates überkam! Aber da war kein Ausweg: wollte er vorwärts kommen, so wußte er sich in alles hineinfinden, sowohl in Ansichten als auch in Vorurteile. Dafür gelobte er sich aber, ihnen das Ganze ins Gesicht zu schleudern, sobald er erst obenauf war. Was ihn am meisten bedrückte, war sein Handwerk, es war so wenig Ansehen dabei. Wieviel er sich auch auszu- richten vornahm, war und blieb der Schuster doch ein armer Tropf mit pechbesudelter Schnauze und zu großem Hinterteil. Hier nützte die persönliche Leistung nichts, man mußte sehen, daß man sich so bald wie möglich in etwas anderes hinüber rettete. Aber in der Stadt war er, und vis einer ihrer Eick» wohner— daran ließ sich nicht rühren. Und die Stadt wirkte sowohl groß als auch festlich auf ihn, wenn sie auch die märchenhaften Vorstellungen nicht einlöste, die er noch 'von damals hatte, als er und der Vater hier an Land gingen- Die meisten trugen ihre Sonntagskleider, und viele saßen da und verdienten viel Geld, ohne daß man wußte womit. Hier mündeten auch alle Wege, und die Stadt sog alles an sich: Schweine und Korn und Menschen, hier fand das Ganze seinen Hafen, früher oder später. Die Sau wohnte hier mit Rud, der in der Malerlehre war, die Zwillinge waren hier! Und eines Tages sah Pelle einen großen Jungen dastehen und in einem Torweg aus vollem Halse brüllen, die Arme vor dem Gesicht, während ein paar kleine Jungen auf ihn losprügelten: es war Heulpeter, er fuhr als Küchenjunge auf einer Galeasse. Hier floß das Ganze zusammen, Aber Vater Lasse war hier nicht! '4. Die Stadt hatte das an sich, daß es schwer war. zu Betk zu gehen und schwer aufzustehen. Hier drinnen stieg keine Dämmerung schauernd über der Erde auf und weckte alles- Das offene Antlitz des Morgens konnte nicht in-�die Häuser schauen. Auch der schwindende Tag goß nicht seine Abend- Müdigkeit schwer in die Glieder, trieb sie nicht dem Lager zu, das Leben ging hier in umgekehrter Richtung, die Leute wurden zur Nacht lebhaft. Um halb sechs Uhr klopfte der Meister, der unten latf. mit dem Stock gegen die Decke. Pelle, auf dem die Verant- Wartung richte, richtete sich mechanisch auf und klopfte mit der geballten Faust gegen die Seite der Bettstelle, dann fiel er wieder zurück, noch immer schlafend. Nach einer Weile wiederholte sich das. Aber dann riß dem Meister die Ge- duld.„Zum Teufel auch, wollt Ihr denn heut gar nicht aufstehen!" brüllte er.„Soll ich Euch am Ende den Kaffee ins Bett bringen! Pelle taumelte schlaftrunken aus dem Bett heraus.„Aufstehn, Aufstehn," rief er und rüttelte die andern. Jens kam leicht auf die Beine, er erwachte immer mit einem Ausdruck von Entsetzen und stützte seinen Kopf: aber in Emil und Peter, die sich in den Flegeljahren be« fanden, war kein Leben hincmzurütteln. Pelle eilte herunter und brachte alles in Ordnung, füllte den Einweichkübel und legte einen Sandhaufen auf den Fcnstertritt, damit der Meister dahinein spucken konnte- Er wunderte sich nicht mehr über die anderen, er war selbst morgensauer. An den Tagen, wo er gleich auf den Schuster- Hocker kriechen mußte, ohne erst ein paar Morgenbesorgungeg: zu machen, brauchte er Stunden, um aufzutauen. Er untersuchte, ob er am vorhergehenden Abend an irgendeine in die Augen fallende Stelle ein Kreidekreuz ge- macht hatte, denn dann war da etwas, woran er sich durch- aus erinnern mußte. Es haperte mit dem Gedächtnis, und daher hatte er diese geniale Erfindung gemacht. Dann galt es nur nicht zu vergessen, was diese Kreuze bedeuteten, denn dann war man noch ebenso weit. Wenn die Werkstatt in Ordnung war, lief er für die Madame hin und holte Morgenbrot für„sie selbst". Er be- kam einen Weizenzwieback zu seinem Kaffee, den er draußen in der Küche trank, während die alte Frau herumging und murrte. Sie war eingedörrt wie eine Mumie und bewegte sich stark vornüber gebeugt: wenn sie ihre Hände nicht ge, brauchte, preßte sie einen Unterarm gegen das Zwerchfell. Mit allem war sie unzufrieden und redete bis in Unendliche von dem Grab.„Meine beiden Aeltesten Hab' ich über'mi Meer, in Australien und in Amerika : die sehe ich niemals wieder. Und hier zu Hause stolzieren zwei Mannsleute herum, tun nichts und lassen sich aufwarten. Andres, der Aermste, ist krank, und Jeppe ist zu nichts mehr zu ge- brauchen, er kann sich nicht mal mehr warm im Bett halten- Aber Ansprüche machen, das können sie, und mich lassen sie ohne Hilfe herumgehen und rennen, und alles muß ich selbst tun. Ich will wahrhaftig Gott danken, wenn ich erst in meinem Grab liege. Was stehst Du nun da und reißt Mund und Augen auf, mach', daß Du wegkommst l" Dann trug Pelle
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28 (13.6.1911) 111
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