Staube. Der Junc�e wälzte sich an der Erde umher und lag i>a und schrie, von dem oberen Ende der Straße konnte Pelle sehen, wie sich die beiden anderen abmühten, um ihn wieder auf die Beine zu bekonimen. Er selbst hatte ein blutunter- laufenes Auge. „Hast Du Dich nun schon wieder geprügelt. Du Teufels- junge?" sagte der junge Meister. Nein! Pelle war nur gefallen und hatte sich gestoßen. Am Abend trieb er sich am Hafen herum, um den Dampfer abfahren zu sehen und Abschied von Peter zu nehmen. Er war schlechter Laune, die Ahnung von irgend etwas Schlimmen lag bedrückend auf ihm. Am Dampfer wimmelte es von Menschen, über die Ree- ling hing eine Schar frischgebackener Gesellen dieses Jahr- ganges, die mutigsten unter ihnen; die anderen waren schon zu anderem Erwerb übergegangen, waren Landbriefträgcr oder Knechte auf dem Lande geworden.„Da ist ja keine Per- Wendung für uns im Fach," sagten sie mißmutig, indem sie sanken. Sobald sie das Gesellenstück hinter sich hatten, hieß es Reißaus! neue Lehrlinge auf der ganzen Linie. Aber diese hier wollten in die Hauptstadt hinüber und im Fach weiterarbeiten. Tie Hunderte von Lehrlingen aus dem Städtchen waren da und riefen jeden Augenblick Hurra! dies waren ja die Helden, die auszogen und das Glücksland für sie alle eroberten.„Wir kommen Euch nach!" riefen sie. '„Verschaff mir einen Platz, Du!— Verschaff mir einen Platz!" Emil stand dort an dem Schuppen zwischen ein paar anderen Hafenarbeitern und sah ihnen zu, seine Zeit war längst verpaßt. Der Geselle hatte nicht den Mut gehabt aus- zufliegen, er war jetzt Landbriefträger im Südlande und flickte des Nachts Schuhe, um leben zu können. Jetzt stand Peter droben, Jens und Pelle standen unten und sahen be- wundernd zu ihm auf.„Adieu, Du, Pelle!" rief er. Grüß Jeppe und sag, Montag kann er mich küssen." Einige von den Meistern wazierten da unten herum, um acht zu geben, daß keiner von den Lehrlingen des Städtchens Reißaus nahm. jlFortsehung folgt.j, (Nachdruck verbolen.) JNTaturlebcn. Von N i l s K j a e r. In der Hauptbahnhofhalle in Kristiania drängten sich die Leute um eine Zigeunerbande, die es sich auf den Fliesen vor den ge- drängt vollen Pakcträumen bequem gemacht hatte. Braunhäutige und dunkelblickende Fremde zwischen sommersprossigen und blaß- üugigen Zuschauern: buntscheckige Lumpen und wild wachsendes Haar, umringt von einer Neugierde, die selbst ihre Abneigung igegen Läuse überwindet. Ein Mann in Hemdärmeln aus einem unkenntlichen Stoffe, ein priesterlich beleibter Mann, das Ober- Haupt der Familie, schlendert zwischen Billcttschalter und Lager umher. Die Nachkommenschaft wimmelt in der Sommerhitze um ihn her. Eines der Kleinen raucht eine Zigarette, ein ganz Kleines verrichtet jenes kleine Geschäftchen, das eine keusche Feder bloß anzudeuten wagt, indem sie an ein Detail eines Rubensfchcn Bildes erinnert, und das Allerkleinste zappelt auf dem Schoß einer der Gattinnen, eines schönen Mädchens, das aus einer Flasche Bier trinkt und, während sie den Boden derselben empor- kehrt, das Kind auf die Dielen fallen läßt. Es entsteht eine Art Kommunikation zwischen den Gaffenden und den Begafften, soweit es die gegenseitige Verachtung erlaubt. Ein paar Frauen äußern sich über das Unverantwortliche in der Kinderbehandlung der jungen Mutter, und eine von ihnen stempelt sie einfach als Schwein. Die Mutter antwortet mit einem gleich- gültigen Blick und einem unziemlichen Wort. Aufmunternde Lach - salven und Zurufe aus dem Kreise; Zündhölzchen für den Ziga- rcttenraucher; schon wartet und wittert die Roheit. So oft aber einer aus der Bande sich durch die Menge drängt, zieht jeder sich vorsichtig aus der Berührungsweite zurück. Die-bürgerliche Selbstzufriedenheit und die nomadische Lebensgenttgsamkeit messen einander. Der Zigeuner ekktfaltet sein Privatleben unter hundert Augen; ihr Blick erreicht ihn nicht. Führen auch die Launen der Wege ihn zwischen die Häuser der Seßhaften, so schränkt er darum seine Wüstengewohnheiten nicht ein. Diese Uncrschütterlichkeit wirkt wie eine Unverschämtheit. Es verletzt die Selbstachtung der Gescllschaftsmcnschcn, daß diese Vagabunden sich nicht vor ihnen genieren, sie nicht sehen, sie nicht beneiden. Ein Landstreicher mit zwei Kebsweibern und einer un- ehelichen Kinderschar— pfui, welche Frechheit! Und die Menge mit ihren Steuern und Lasten, ihrem Stimmrecht und ihrer Bodcnständigkcit ist doppelt beleidigt, weil sie selbst dem Zigeuner seine obdachlose Freiheit und sein gesetzloses Glück mißgönnt. Die Moral der Achtbarkeit,— man kennt sie an ihrem Auf- schrei: Rein, dies ist zu argl— entsteht durch Zusammenstöße wandernder Menschen und seßhafter Ackerbauer. Landbebauet und Landstreicher sind Feinde den Naturfügungen zufolge. Der Seßhafte fühlt sich als der höhere Typus, aber er hat nicht ansässig werden können, ohne sich zu binden, ohne sich in Zwang zu fügen, ohne die Freiheit aufzugeben. Staat ist Unfreiheit. Gesetz ist Unfreiheit. Eigentum ist Unfreiheit. Aber unter dem irregeleiteten Egoismus, der sich in dem Besitz ein Ideal und in der Arbeit eine Freude geschaffen hat, schlummert die dunkle Mannigfaltigkeit der Gelüste, träumen die weichenden Himmelssäume, lockt die unend- liche Fülle an Lebensmöglichkeiten. Und begegnet der festgebannte Mensch je diesem beständig Lustsuchenden, unstet Lustfolgenden, diesem Freien und Frechen des nomadischen Lebens oder der ewig nomadischen Kunst, dann reckt sich sein Verlangen nach ihm und er ballt die Fäuste hinter ihm her und sagt: Das ist zu argl Das ist zu arg, daß irgendeiner das tut, wozu ich Lust Habel Das ist die Moral der Achtbarkeit I »• » Das Dampfschiff legt an der Landungsbrücke des erwartungs- vollen kleinen Badeortes an. Es bringt die gewohnte kostbare Sonnabendladung von Ehemännern aus Kristiania. Alle die weiß, gekleideten, florärmeligen Damen winken und wehen und rufen. Ein Schrei der Wirtschaftssorge durchbohrt die Luft: Du hast doch wohl die Melone nicht vergessen! All die kleinen Kinder sind seit den letzten acht Tagen noch dicker und brauner geworden, und eine Frau hat seit letztem Male fünf Kilo in die See abgelegt. Die Landung erfolgt unter der üblichen beispiellosen Verwirrung; Päcke und Körbe werden her- ausgefunden, vertauscht und wiedererkannt, zwei Flaschen Whisky sind in der Rauchkabine vergessen worden, die Träger stürmen und die Schiffsleute werden bestürmt— endlich aber klingelt es zur Abfahrt. Die Familien finden sich in dem Wirrwarr um je ihren glücklichen, schwitzenden Papa zurecht, und nach und nach löst der Triumphzug sich oben zwisthen den weißen Hüten auf. Man ist mitten in den hellen Nächten. In den kleinen Vor- hallen und den Lusthäuschen der dunklen Kirschengärten sitzen die Herren mit ihren großen und die Damen mit ihren kleinen Gläsern— lange, lange! Ueber die Waldwege wandern einsame Paare, draußen auf dem Fjord dämmert ein Segel. Eine Stunde später sind die Türen geschlossen, und das Dörfchen liegt inl mystischer Stille unter dem hleichen Himmel. Das Dampfschiff stößt von der Brücke ab mit seiner unvcr- meidlichen Sonntagsladung von Ehemännern, die es nach Kri- stiania verfrachtet. Alle Frauen winken und wehen, und dem Brückenkopf draußen entringt sich ein Möwenschrei: Daß Du mir ja die Melone nicht vergißt! Weißbraunrote Kiesel, weitzbraune Menschenkörper, weißrote Badetrachten, dahinter der Föhrenwald, eine gleichmäßige Span- nung in dem glatten Wasscrkörper, fern draußen überm Wasser die Inseln schwimmend in Luststille und Sonnenbrand. Es funkelt in den Sandkörnchcn, und die Hitzcwogen zittern sichtbar am Waldessaume. Von allen Befreiungen ist die Befreiung von den Kleidern die höchste. Alle Sorglosigkeit ist von dem bekleideten Menschen ver» bannt und kehrt zu dem nackten zurück. Alle menschliche Häßlichkeit kommt von der Kälte, die dem Menschen die Wolle aufzwingt. Wolle ist gestohlene Haut. Sie ist das Zeichen, daß der Mensch der Sonne den Rücken gekehrt und sein animalisches Glück und seine sagenhafte Unschuld eingebüßt hat. Hundert Schritte von uns— sowie der Schatten einschrumpft, je höher die Sonne steigt, so nimmt die Schamhaftigkeitsdistanz mit der wachsenden Hitze ab(zu Beginn der Badezeit betrug sie tausend Schritte)— hundert Schritte von uns badet ein korpu- lenter Herr, ein Familienoberhaupt, und die Nachkommenschaft wimmelt in den Wellen um ihn her. Er hat die Rechnungen ver- lassen und ist zur Natur zurückgekehrt. Er ist nicht mehr Bürger, sondern Triton, und sein Weib hat Tang im Haare. Zwischen flachen und runden Steinen blinkt ein grüner Flaschenscherben. Er hat lange hier gelegen und im Sande ge- scharrt, die Kanten sind rund geschliffen und für bloße Füße un- gefährlich. Die Natur hat ihn zurückgenommen. Die Natur nimmt alles zurück. Dies ist die optimistische Reflexion, die sich aus unseren sonnendämmernden Vorstellungen löst. Die Flaschen- scherben, zwischen denen wir wandeln, werden einst glatt werden. GroKe KerUner Kunstausstellung. Von Robert Breuer. II. Ein Bild, auf dein nichts anderes zu sehen ist, als möglichst korrekt abgemalte Natur, langweilt uns; eine Plastik, die nichts anderes sein möchte als feftgcivordene Wirklichkeit, wirkt auf den Liebhaber der Künste unerträglich. Bei dem geistlosesten Bilde muß immmerhin eine bestimmte geistige Arbeit geleistet worden sein: die Uebersetzung der Dreidimensionalitär in die Fläche. Bei der Plastik kann der Gipsabguß auch diese Leistung deS Vorstelle»« durch eine mechanische Hantierung ersetzen. Betrachtet»ran solch eine sich an den Zufälligkeiten der Natur ergötzende Plastik. fo fragt man uuivilllüclich: warum hat der Mann
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28 (20.7.1911) 138
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