i.Aber das ist ja nur guk." sagte Marten beruhigend. ,,Ja, Du hast gut reden. Was verstehst Du wall davon? Wenn er seiner täglichen Arbeit nachgeht, dann weiß man doch, was das ist. Aber so wie jetzt. Ich bin so bange vor dem Rückschlag, wenn er sich eine Niederlage geholt hat. Glaub nur nicht, daß er sich verändert hat, es schlummert nur in ihm. Gegen Karen ist er so wie immer er kann es nicht aushalten, ihre verwachsene Gestalt zu sehen, sie erinnert ihn immer zu sehr a» alles, was nicht so ist, wie es sein sollte. Sie soll nicht auf Arbeit gehen, aber wie können wir ohne ihre Hilfe fertig werden? Leben müssen wir ja doch auch! Ich mag sie ihm gar nicht vor die Augen kommen lassen. Er ärgert sich ja über sich selbst, aber das Kind muß darunter leiden. Und er ist der einzige, aus dem sie sich etwas macht." Karen war in den letzten paar Jahren nicht gewachsen, war aber noch verkrüppelter geworden, die Stimme war ganz trocken und scharf, als fei sie durch erstarrte Einöden gegangen, ehe sie herauskam. Sie hatte es gern, wenn Pelle da war und sie ihn reden hören konnte; wenn sie glaubte, daß er am Abend kommen würde, beeilte sie sich, von ihrem Platz nach Hause zu kommen. Aber sie mischte sich nie in die Unterhaltung und nahm auch an nichts teil. Niemand konnte wissen, was in ihr vorging. Die Mutter konnte Plötz- lich zusammenzucken und in Tränen ausbrechen, wenn ihr Blick zufällig auf sie fiel. Sie sollte ja eigentlich nachgerade von dem Platz weg," sagte die Mutter oft.Aber der Doktor kriegt ein Kind nach dem andern, und dann bitten sie sie so flehentlich, ob sie nicht noch ein halbes Jahr bleiben will. Sie halten große Stücke auf sie, denn sie ist so zuverlässig mit den Kindern." Ja, wenn es Pelle wäre, der ließe sie gewiß fallen. Karen lachte knarrend. Etwas anderes sagte sie nicht, sie bat nie, fortkommen zu können, beklagte sich auch nicht. Ihr Schweigen wirkte wie eine stumme Anklage und ließ alle Traulichkeit ersterben, wenn sie zugegen war. Aber eines Tages kam sie nach Hause und warf etwas 'Kleingeld auf den Tisch.Jetzt brauch ich nicht mehr zu Doktors hin." Was ist denn los? Hast Du etwas Unrechtes getan?" fragte die Mutter entsetzt. Der Doktor hat mir eine an die Ohren gegeben, weil ich Anna nicht über denn Rinnstein trug, sie ist so schwer." Du kannst doch woll nicht weggejagt sein, weil er Dich geschlagen hat. Du hast gewiß eine Widerrede gehabt. Du bist so hart von Gemüt!" Nein, aber dann stieß ich den Kinderwagen mit dem kleinen Erik um, so daß er herausfiel, fein Kopf ist wie ein gemuster Apfel." Sie verzog keine Miene. Die Mutter brach in Tränen aus.Aber wie kannst Du das nur tun, Kind?" Karen stand da und sah sie heraus- fordernd an. Plötzlich packte die Mutter sie.Du hast es doch nicht mit Willen getan? Hast Du es mit Willen getan?" Karen wandte sich mit einem Achselzucken von ihr ab und ging auf die Bodenkammer, ohne Gutenacht zu sagen. Die Mutter wollte ihr nachlaufen. Laß sie gehen!" sagte die Alte wie aus weiter Ferne. 'Ucber die bast Du kein Recht! Sie ist in Härte empfangen!" lJortsetzung folgt. JVeuc BrzablungaUtcratur. Marco» Brociner: Das Volk steht auf,«in sozialer Roman.<Verlag A. B o n g u. 60.) Der rumänische Feuillelonist, Leitartikler, Novellist und Drama- tiker gibt in seinem Vorwort bekannt, daß ihn die rumänischen furcht- baren Bauernrevolten des Jahres 1907, bei denen 11 000 Bauern von der Gendarmerie niedergeknallt wurden, so erschüttert hätten, daß er beschloß, aus seinen Eindrücken ein Buch zu machen. Brociner ist als gewandter Buchsibreiber und Stückmacher bekannt, und stolz nennt er sein Eindrucksbuch eine» sozialen Roman. Er stellt dabei fest, daß er mit zeitgeschichtlichem Kolorit ein dichterisches Abbild der Wirklichkeit gegeben habe. Aber, mit Verlaub,Das Volk steht auf" ist nicht« weniger als das, was ein wirklicher sozialer Roman sein soll. Dazu fehlt ihm vor allem die Größe der Weltanschauung, die Nare Erkennung und Bloßlcgung der Zusammenhänge, daS dichterische Vermögen, die Triebkräfte der agrarischen Revolution in Rumänien   packend herauszuschälen und in ihnen daS Typische der großkapitalistischen Bodenentrechtnng für alle Kulturstaaten nachzu- weisen. Nebenbei vermißt man die Kunst sicherer Mcnschenschilderung, den Schwung einer künstlerisch gehobenen Sprache. Man muß sich eben hier, wie bei so vielen belletristischen Erzeugnisien, durcbaus an die gute Absicht halten, an eine fühlbare Wärme, aus der heraus die Gesckiichte entquoll, an die heiße Verfechtung der guten Sache. Allein wer mehr verlangt von einem Roman, als nur eine mit feuilletonlstischen Strohblumen geschmückte Schilderung eines politi- scheu Putsche?, in dem zudem noch alltägliche Liebesgeschichten und Damenintrigen einen breiten Raum einnehmen, wessen künstleri­scher Geschmack eine über Journalistendeutsch hinausgehend« AuSdrucksform begehrt: der wird sich von dem verheißungsvollen Titel nicht irreführen lasten. In der Charakteristik der handelnden Menschen, Träger verschiedener polstischer Anschauungen, herrscht daS Schema vor. Keiner lebt, keiner wird Persönlichkeit, weder der schwächliche Renegat Gregor Ponte, noch der politische Hochstapler Prinz Coco, nicht die.schone russische Terroristin" Anna Labow, nicht daS seichte Klassengeschöpf Helene. So bleibt kein nachhaltiger Ein- druck, da die gestaltende Kraft fehlt. Leonhard Schrickel  :Die Weltbrandschmied e�. sVerlag Egon Fleische! u. Co., Berlin  .) Wiederum der Versuch eines sozial-wirtschaftlichen RomanS. Der Kampf zweier Weltanschauungen soll bis in die letzten Konsequenzen vorgeführt werden. Die historisch-naturgesetzliche Entwickelung soll wieder einmal durch ein gewaltsames Experiment, fieilich nur auf dem Papier, beschleunigt und korrigiert werden. Alles Alte und Modrige soll versinken, alte Götter und Götzen fallen, als da find Geldgier, Machtlust, Kirchenglauben und Parteigcwalt. Und auS den Trümmern soll, wie schon so oft in den utopistischen Träumen hervorsteigen: der neue Mensch. Ans dem Hirn eines phantastischen Dichters geboren, will dieser neue Mensch, Erich Grupp mit Namen, in seiner.Weltbrandschmiede" die wirtschaftlichen Freiheitsideen deSZukunfiSstaates" verwirklichen. Besagter Erich Grupp, Gefäß des wirren Wahns Schrickels, verwendet daS große Vermögen, das er durch Erfindung eines brauchbaren Aeroplans gewonnen, zur Er- bauung eineS industriellen Werkes, einer.Nudelfabrik", in dem, ähnlich wie in den Jcnaschen Zeißwerken, die Arbeiter am Gewinn beteiligt sind. Da aber Erich Grupp und Schrickel ganz und gar nichts von Betrieb und Handel und Produktion verstehen, kommt auch hier, wa« kommen mußte. Die Luftschlöster fallen ein und der Welt« verbesserer steht auf den Trümmern seines Beglückungswahns. Der Moloch Großkapitalismus fraß wie überall und stets die Nudeln mitsamt der Nudelsabrik auf. So rettet der kühne Luftschiffer und Utopist am Ende nur sein tüchtiges, wackereS Weib, die sich aber in» sofern als schlechte Lebensgefährtin erweist, als sie dem Ideologen Kapitalien an die Hand gibt zur Erbauung einer Weltbrandschmiede Nr. 2. Denn Ideologen sind bekanntlich unverbesterlich. Zum Glück ist die Ausführung des RomanS bester als seine abgedroschene Idee. Schrickel ist, wie er die« schon mit seinem prächtigen.Goldenen Stiefel" bewies, ein Dichter und so wird bei ihm neben Marco- Brociner   das Umgekehrte wahr. Dort der Gedanke gut, die Form mangelhaft, hier der Stoff verbraucht und die Gestallung erfreulich. Volkstümlicher Humor, plastische Bildkraft, eine gerade herzhafte Sprache find treue Helfer des Autors. Friedrich Huch  : Enzio, ein musikalischer Roman. sVerlag Martin Mörike, München  .) Der Verfaster versucht hier, ähnlich wie eS Wolzogen einst in seinem Schlüsielroman»Der Kraftmeyer" tat, die Naturgeschichte deS musikalischen Schöpfertums zu enthüllen. Er stellt dem komponie- renden Kapellmeister, dem Musterbeispiel seichter Selbstzufriedenheit, zugleich auch Typ des rechtschaffen-pflichttreuen Rormalmenschen, seinen Sohn gegenüber: Enzio. Dieser Enzio ist der schöne Mensch und Fraucnliebling. das Talent, das sich nach einmaligem kurzem Auf- flammen erschöpft, weil ihm zumwahren Genie die Disziplin fehlt. Auf- gäbe deS Verfassers ist eS nun, diesen Typ des vermeintlichen Genies in seinen Abstiegsphasen zu zeigen und zugleich die differenzierte, schwankende, der geistigen Konzentration unfähige, der Selbstzucht stets wieder entweichende Natur, kurzum die.Künstlernatur" zu analysieren. Enzio, daS blondgelockte Talent, das sich auch von den Weibern mehr als seinem Schöpfertum gut ist. locken läßt, steuert mit der Selbstherrlichkeit einer solchen.Künstlernatur"(lies Schwächling, Genüßling) eines solchen.AuSnahniemenschen" flieS ungezüchteter Charakter) seiner seelischen und künstlerischen Zerrüttung zu, und gerät am Ende buch- stäblich unter daS Eis. sEin allzeit bequemer Romanschluß.) Auf dem Plan bleibt Richard, der Willensmensch, der ringend und arbeitend durch die harte LebenSschule geht. Es ist dem Verfaster weniger gelungen, mit seinem Enzio die Künstlerseele feinspürig zu sezieren, vielmehr interessiert sein Brüh hauptsächlich durch die recht interessanten Urteile, die besagter Richard von sich zu geben Hot über alte und neue Musik und ihre Meister, über Komposition als formales Kunstwerk, über die Art des musila- tischen Schaffens usw. Diese theoretischen Einlagen sind faßlich und geistvoll zugleich, so daß nicht nur der Berussmusiker, auch der Laie auf vieles Beachtenswerte stößt. Natürlich fehlt auch die LiebeSgcschichte nicht, die aber in der Luft hängen bleibt. Friedrich Huch  : Peter Michel(Martin MörikcS Verlag, München  ). Dieses Buch nennt der Verfasser einen.komischen Roman". ES ist aber immer nützlich, das Publikum vor dem Lesen schon auf eine bestimmte Stimmung gewistermaßen zu dressieren. Huch   hat hier das Leitmotiv der trefflichen Helene Bühlau aufgegriffen und in seiner Art weiter behandelt. Wie nämlich die Tragik des Alltag«, das ewige Einerlei kleiner Togesnöte und Berufssorgen die Schwung- kraft im Menschen langsam abtötet, wie mit der Zufriedenheit der enggesteckten, kleinlichen, vor Not zwar geschützten, aber gründlich eniidealifierten undentgötterten" DafeinSfion der geistige Hochflug gelähmt wird und die Seele eintrocknet. Und daß wir fast alle em