Anterhaltungsblatt des JorwärtsNr. 142. Mittwoch, den 26. Juli. 1911383 pelle der Gröberer.Lehrjahre.Roman von M. Andersen N e x ö.15.Den ganzen Winter hatte Jens seine Oberlippe mitHühnerdung eingeschmiert. jetzt sproßte der Bart und er legtesich eine Braut zu; sie war Kindermädchen bei Konsuls.„Dasist furchtbar ulkig l" sagte er. Du solltest Dir auch eine an-schaffen. Wenn sie küßt, steckt sie die Zunge vor. wie einkleines Kind."Aber Pelle wollte keine Braut haben, erstensmal wollteihn wohl niemand haben, gebrandmarkt wie er war, und dannhatte er auch Kummer.Wenn er den Kopf von der Arbeit erhob und quer überden Dunghaufen und den Schweinekoben hinwegsah, lag dadie grüne Halbdämmerung drinnen unter dem Apfelbaum.in die er sich hineinträumen konnte. Das war eine verzauberteWelt, mit grünen Schatten und stummen Bewegungen: un-zählige gelbe Raupen hingen da und schaukelten sich hin undher, jede an ihrem dünnen Faden; Goldammern und Buch-sinken schwangen sich unaufhaltsam von Zweig zu Zweigund schnappken bei jeder Schwingung eine Raupe hinweg,aber es wurden darum nicht weniger. Sie rollten sich ohneUnterlaß von den Zweigen hinab, hingen dort so verlockendgelb und wiegten sich in dem weichen Hauch des Tages undwarteten darauf, verspeist zu werden.Und tiefer draußen in dem grünen Licht, wie auf demBoden eines Sees, gingen drei hellgekleidete Mädchen undspielten. Hin und wieder schielten die beiden jüngsten einmalhinüber, zogen aber sofort die Augen zurück, sobald er sieansah; Manna ging so erwachsen und beherrscht einher, alsexistiere er gar nicht.Manna war schon längst konfirmiert; sie trug ein halb-langes Kleid und spazierte ruhig die Straße entlang, dieFreundinnen unter dem Arm. Sie spielte nicht mehr, schonlange hatte sie dagestanden mit einer fast erwachsenen Er-kenntnis, daß dies, weiß Gott, nicht mehr anging. Inwenigen Tagen sprang sie von Pelles Seite in das Lagerder Erwachsenen hinüber. Sie wandte sich in der Werkstattnicht mehr an ihn, und wenn er sie auf der Straße grüßte,sah sie nach einer anderen Richtung hin. Manna kam nichtmehr wie eine Wildkatze dahergesprungen und riß Pelle vomStuhl, wenn sie etwas gesucht haben wollte: sondern ginggesittet bis an den Platz des jungen Meisters, den Schuh inPapier eingewickelt. Aber im Geheimen kannte sie ihrenSpielkameraden noch, wenn es niemand sah, konnte sie ihnganz hart in den Arm kneifen und die Zähne zusammen-heißen, wenn sie vorüberging.Aber Pelle war zu schwerfällig, um den Uebergang zubegreifen und zu sehr Kind, um den Sprung in was Licht-scheue hineinzutun. Er blieb allein zurück und grübelte der-ständnislos über den neuen Znstand der Dinge nach.Aber jetzt kannte sie ihn auch im Geheimen nicht mehr;et existierte gar nicht mehr für sie. Und Dolores und A>nahatten die Hand von ihm gezogen; wenn er hinaussah,wandten sie den Kopf nach der andern Seite hin und zucktenmit den Achseln:„Hühl" Sie schämten sich, daß sie jemalsetwas mit so einem zu tun gehabt hatten, und er wußte wohlsveshalb.Eine eigene Wollust war es gewesen, von so feinen.fürsorglichen Händen behandelt zu werden, er hatte vieltrauliche Erinnerungen von da drüben. Es war wirklich schöngewesen, so mit offenem Munde dazusitzen und von ihnenallen dreien mit Leckereien vollgestopft zu werden, sodaßer nahe daran war, zu ersticken. Hinunterschlucken durfte ernicht, sie wollten sehen, wieviel in ihn hineingehen konnte;dann lachten sie und umtanzten ihn und die rundlichen Mäd-chenhändc nahmen seinen Kopf, jede von ihrer Seite, umihm den Mund zuzupressen. Nun, Pelle war allmählich imbürgerlichen Sinne eine ganze Elle gewachsen. Er wußtesehr wohl, daß er von viel gröberem Stoff war als sie, unddaß dies ein Ende haben mußte, auch ohne das mit demRothdus.Aber weh tat eS darum doch, es war, als säße er be»trogen hier, und eigentlich sollte er gar keine Nahrung zu sichnehmen, denn Manna— war sie nicht schließlich doch sein«Braut? Er hatte niemals darüber nachgedacht I Dieswaren Licbesschmerzen. Und so sahen sie also aus! Ob wohldie, die sich das Leben aus unglücklicher Liebe nahmen, ander»fühlten? Die Traurigkeit war nun zwar nicht so seh»groß. Wenn der junge Meister einen Witz machte oder aufseine drollige Weise fluchte, konnte er ganz gut darüberlachen. Das mit der Schande war das schlimmste!——„Du solltest Dir eine Braut anschaffen!" sagte JenS.„Tie ist so weich wie ein junger Vogel und dann wärmt si»durch die Kleider und alles hindurch."Aber Pelle hatte was anderes vor: er wollte schwimmenlernen. Er wollte alles können, was die Stadtjungenkonnten und sich seinen Platz unter ihnen zurückerobern.Von einer Führerstellung träumte er nicht mehr. So hielter sich denn zu der Schar, zog sich ein wenig zurück, wennsie all zu arg stichelten und kam wieder; schließlich wurden siean ihn gewöhnt.Jeden Abend rannte er nach dem Hafen hinab, südlichvon dem großen Becken, das man nun leer zu pumpen be-schäftigt war; es wimmelte immer in der Dämmerung vonLehrlingen: sie sprangen nackend zwischen den Steinen herumund schwammen in schwatzenden Scharen nach Westen hin-aus. wo der Himmel noch vom Sonnenuntergang glühte.Weiter da draußen lag eine Klippe unter dem Wasser, wo siegerade gründen konnten. Dort ruhten sie sich aus, ehe sie denRückweg antraten: ihre dunklen Köpfe brüteten über demroten Wasser wie schwatzende Seevögel.Pelle schwamm mit hinaus, um sich an die Tiefe zu ge-wöhnen, die ihn noch immer an den Beinen herunterziehenwollte. Wenn das Meer blühte, war es, als schwimme manzwischen Rosen; der ganz« lichtschleimige Blütenslor. den dieGewächse der Tiefe auf die Oberfläche hinaufgeschleuderthatten, glühte im Abendschimmer und glitt lind um seineSchultern, und weit da draußen im Westen lag das Glücks-land, in einem mächtigen Lichttor oder mit goldenen Ebenen,die sich bis in die Unendlichkeit hineinerstreckten. Es lag daund leuchtet« mit einem eigenen Locken, so daß er die Be-grenzung seiner Fähigkeiten vergaß und weiter hinausschwamm, als es seine Kräfte gestatteten. Und wenn er dannumkehrte und mit zu heftigen Stößen die blühende Schichtbeiseite schob, glotze ihn das Wasser schwarz an und derSchrecken der Tiefe schlug über ihn zusammen.Eines Abends waren sie feindselig gegen ihn gewesenund einer von ihnen behauptet- man könne noch dieStriemen der Peitsche auf Pelles Rücken sehen.„Pelle hatteniemals was mit der Peitsche be.'ommen!" rief Mörlen cm-pört. Pelle selbst erwiderte nichts, sondern folgte dem„Ge-schwader", es lag etwas Verbissenes über seinem ganzenWesen.Es war ein wenig Seegang, der sie vielleicht auS derRichtung gebracht hatte, vielleicht war der Wasserstand auchhöher als gewöhnlich, sie konnten die Ruheklippe nicht finden.Eine Weile plätscherten sie suchend umher und setzten Kräftezu, dann lenkten sie den Kurs dem Lande zu. Pelle sah ihnenmit wunderlichen Augen nach.„Leg Dich auf den Rückenund ruh Dich aus!" riefen sie, als sie vorüber kamen unddann schwammen sie dem Ufer zu; ein klein wenig Panikwar über alle gekommen. Pelle versuchte zu ruhen, hatteaber keine Uebung darin, die Wellen schlugen ihm über dasGesicht; dann bemühte er sich, den andern zu folgen. AmStrande war gio* Aufregung; er dachte, was das wohl zubedeuten habe. Morien, der niemals am Baden Teil ge-nommen hatte, w- auf einen Stein gestiegen und stand daund rief.Einige von den ersten waren bereits in Sicherheit,„Hierkannst Du gründen!" riefen sie und standen mit in die Höhegestreckten Armen da, das Wasser bis an den Mund. Pellearbeitete unverdrossen weiter, war aber fest davon überzeugt.daß es ganz zwecklos sei. Er machte nur geringe Fortschritteund sank tiefer und tiefer. Jeden Augcnblick überrumpelteihn eine Welle und füllte ihn mit Wasser. Tie Schneidigstenkamen wieder hinaus, sie schwammen um ihn her und suchten