Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 165.
Sonnabend den 26. August.
1911
Die Erzählung des Ingenieurs.ie wir sie heute ſahen; in den warmen ſchwefelwaſſerſtoff
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Von Otto Rung.
Ein Mann trat mit einem langen Stabe vor und schlug den Lehmpfropfen aus dem tutenförmigen Spundloch des Ofens, und mit einem plumpen Stoß sprang der Feuerstrahl heraus und ergoß sich pulsfest in den offenen Eisentrichter. Und der Raum lag in schwefelgelbe, fette Dämpfe gehüllt, wie bei einem mystischen Opferfest, die Luft war prickelnd und tropisch feucht wie in einem Treibhaus.
( Nachdruck berboten.) die Fabriken stehen, lag die römische Kolonie, in der die Sklaven in Weinbergen oder Schmieden arbeiteten eine fünftausend Mann starke Schar in blauen Leinenblusen, so stinkenden Badewannen lagen Millionäre und suchten Linde rung wie heutigentags, und ihre Sklaven waren ducnadig und robust wie die, die cben an uns vorüberzogen. Und sie veranstalteten Kämpfe und Wettrennen da unten in diesem amphitheatralischen Zale, und es war wohl auch unter ihren Weibern Mode, die zyklopischen Gliedmaßen der Gladiatoren zu bewundern und von ihren furzlinigen Jockeygesichtern zu träumen. Wiederholung, alles Wiederholung! Jene Kultur versant. Die Sklaven brachen ein und vernichteten sie. Die Plebejer zerstampften sie, als die Herren sentimental und christlich wurden und auch in ihrer Welt dem Fortschritt Eingang verschafften. Wir sind zu freigebig wir bewundern zu offen, zu plebejisch offen, die, welche die sicheren Beichen des Sieges an sich tragen. Auch in unseren Beiten hat ein Gladiator die größten Chancen, uns unsere Macht und namentlich unsere Frauen zu rauben und durch diese mehr als unsere Macht. Nein, ich sehe fein Vorwärts mehr, bloß unvermeidliche Kreisläufe, an denen ich nur mit Widerwillen teilnehme. Ich verteile keine Almosen mehr; übrigens befinde ich mich offenbar unter einer rapid zunehmenden Depression und aus einem anderen naheliegenden Grunde auf rascher Fahrt- bergab!"
Majory wandte ihr Antlig mir zu, und ich sah, daß Tränen in ihren Augen standen.„ Ach, Mr. Ziel," flüsterte fie, ach, Will! Keiner versteht meine grenzenlose Einſamkeit!"
Rasch entleerte die Fabrik ihre fünftausend Arbeiter durch alle Ausgänge. Ein langer Streif von Menschen, die in ihren blauen Blusen von weitem wandelnden, von je zwei schwarzen Kobolden getragenen Säden glichen, wurde durch die Alleen und über die Limmatbrücke hinausgestoßen gegen die langen, baradenartigen Kasernen des Arbeiterdorfes. Während wir heimgingen, gerieten wir in den Strom dieser ducknackigen, aber recht munteren Menschen; sie drehten die Gesichter über die Schulter, während wir sie einholten, und nickten Majory kameradschaftlich zu. Es lag eine leichte Nöte auf ihrem Gesicht; in freier und schöner Haltung schritt sie dahin in ihrer halb sportsmäßigen Tracht, einen Kittel aus Rohseide offen über den Schultern. Sie nickte den Leuten zurück, ihre Augen strahlten von Heiterkeit und Güte. Und Elliot Clyne, der nun wieder an meiner Seite war, machte mich darauf aufmerkſam:
Sehen Sie doch, wie leichtsinnig und vernunftwidrig die Frauen so kostbare Gaben verteilen wie ein Niden, ein Lächeln. Sie hat doch mit diesen Menschen nichts gemein! Ja, fie ist infolge ihrer Stellung und ihres Reichtums jogar ihr bitterster Feind. Aber was ist Stellung und Standpunkt für ein Weib! Ein Weib ist allein von seinen Organen abhängig und daher ein Glücksgut, dessen völliger Besiz für uns bernunftgehemmte Männer ganz unerreichbar ist. Sehen Sie, da ziehen diese Sllaven an ihr vorüber, geduct und abgebraucht, und sie lächelt ihnen zu!"
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Majory, die voranging, löste ihren Arm aus dem der Schwester, wandte sich um und fah Elliot Clyne lange an. Mon ami," sagte sie und lächelte mit einem Blick voll Schwermut und Güte. Sarah Lane nahm meinen Arm„ Ach, will," flüsterte sie,„ keiner ahnt, fciner versteht meine grenzenlose Einsamkeit!"
Als Elliot Clyne eines Vormittags, nachdem er bei Direktor Lane gefrühstückt hatte, zu mir fam und mir eine Bartie Billard drüben im Klubgebäude der Ingenieure vorschlug, begriff ich sogleich, daß er eine Gelegenheit suchte, mir neue Mitteilungen über seine intimen Angelegenheiten zu machen. Studien- und Wanderjahre hatten ihn von jedem engeren Seelenleben ausgeschaltet, ihn zum Spezialiſten in einem Zweig der Wissenschaft gemacht, ihn von allem übrigen Denken ausgeschlossen. Nun in der Ruhezeit durch die Nähe eines Weibes zu sich selbst zurückgezwungen, war er ungeübt und unvertraut mit der Schmerzlichkeit des Reflexionslebens. Worauf hoffen wir im Grunde," fuhr er fort, wir Er betrachtete in naiver Weise seine privaten seelischen ProMänner, die wir Zeit und Menschen fördern wollen? Acht zesse als allgemeinwichtig und war weit entfernt zu bemerken, Jahre arbeitete ich an einer Maschine, die im Dienste des daß ich ihn als Zuhörer insoweit verriet, als ich ihm beFortschritts zu wirken bestimmt ist. Ich sah ein ungeheuer obachtend und nicht bloß sympathisierend gegenübertrat. großes und menschliches Ziel vor meiner Arbeit. Und nun- nun sehne ich mich nur nach einem: nach einer Marmorvilla hoch über einem Abhang bei San Remo, mit sonnenheißen Terrassen hinab in das Mittelmeer , nach Frieden und Ruhe und fächelnden Palmen! Und keinen Menschen auf Erden gibt es für mich als Majory- Majory, die ich liebe und von der ich noch durch tausende Meilen der Dede geschieden bin!"
Wir näherten uns dem mauerumhegten Bark der Römer burg. Wir passierten die Kurhotels, deren grünschleimige Fundamentquadern sich aus dem Gischtsturz der Limmat er hoben. Mitten in den Wirbeln stiegen gelbe Rauchwölfchen auf aus den warmen Quellen, die in das Flußbett münden. Und die Promenaden daher famen die Kurgäste, Arm in Arm oder in Rollstühlen gefahren, herabgekommene und widerwärtige Typenalte, cefchminkte Damen, die ihre Gichtknoten an Nacken und Handgelenken unter Spizenschals verstedt hielten, rhachitische Kinder mit rokokoartigen Säbelbeinen, erblich belastete, leichenblaffe Schwächlinge mit ein gefallenem Nasenbein und Lebemänner aus Wien und Paris , die ihre Leiden in den warmen Schwefelbädern pflegten.
„ Sehen Sie," sagte Elliot Clyne, hier wandelten schon vor zwei Jahrtausenden dieselben hinfälligen harnsäurefranken Patienten oder andere, behaftet mit Ques und Rückenmarksleiden, die sie sich, bekränzt und mit einer Toga geschmückt, begleitet von ihrer Dienerschaft und den Auserwählten ihres Harems, in dem mondänen Leben des antifen Roms geholt hatten. Und da unten im Tale, wo'nun
Wir schritten im Gartensaale an Frau Lane vorüber, die, in Plaids berpact, auf einem Tropendiwan aus Bambus ruhte. Neben ihr kniete ihr Chinese vor einem niederen Schemel aus Goldlad, auf dem er den feinen öligfließenden Tee in zwei eierschaldünne Lassen geschenkt hatte: eine für seine Herrin, eine für sich selbst. Ihre ringbeschwerte weiße Hand lag träge rubend auf dem glattrasierten Scheitel des Dieners, deffen schiefe Katenaugen fich blitzschnell nach uns drehten, wie wenn der Riegel in einem Schloß überspringt.
Die beiden jungen Damen hotten wir an diesem Tage noch nicht zu Geficht bekommen, und Direktor Lane dachte in jener Zeit an nicht viel anderes als an sein elektrisches Selavier, das er zu seinem Brivatvergnügen fonstruiert hatte und nun tagelang, um die Wette mit dem Getöse der arbeitenden Schmieden, seine ohrenbetäubenden Mazurkas herunterhämmern ließ.
Wir durchschritten die Loggien der Römerburg. Die nackten Mauerkronen der Villa bissen mit ihren roten Zahnreihen hinauf in die blaue Luft. Unten in den Loggien und über die Terrassen hinab hing wilder Wein und Glyzinen in schweren Polstern, und die Parkwege entlang standen in schwarzen Säulenreihen die Zypressenstämme, die spißen Kronen gleich gigantischen Samtjahnen gegen den Himmel gezeichnet. Zu Füßen der Terrassen lagen die Karpfenteiche in ihrer weißen Steineinfassung wie quer durch die Erdscheibe in den leeren Raum geschlagene Löcher, und der intensive Duft der japanischen Kletterrosen und der Rosenhügel in den Beeten und der vollen Büschel bloßroter Monatsrojen längs