-

708

heit als ein Stempel des Zornes der Götter und im Mittelalter svar der hilflose Blinde nur ein Gegenstand der Neugier und des Spottes. Erst die Jahrhunderte vermochten die mit der Blindheit berknüpften grausamen Vorurteile zu zerstören und dan it begann auch die Fürsorge der Gesellschaft für ihre unglücklichen Mitglieder, jene Enterbten des Lichtes, die nie der Sonne Schönheit schauen dürfen. Es ist heute allgemein bekannt, daß die meisten Blinden desen und schreiben können, aber nur wenig weiß die Außenwell von der Arbeit und dem Wirken der großen Blindenbibliothek, die in Paris in der Stille und buchstäblich im Dunkeln ihren segens reichen Zweck erfüllt. André Savignon schildert uns in der Na­ture" einen Besuch dieser Blindenbibliothek der Association Va­Tentin Haüy, die nicht allein die 40 000 Blinden Frankreichs mit Lektüre und Büchern versorgt, über denen diese Opfer der ewigen Nacht auf furze Zeit ihr tragisches Los vergessen dürfen. Denn die Blinden sind fast ausnahmslos eifrige, ja leidenschaftliche Bücherleser; seit der Erfindung der Braille- Schrift ist das Buch auch für den Blinden das willkommene Mittel geworden, an dem Geistesleben der Menschheit und an den Schöpfungen der Dichter teilzunehmen. Wir betreten die schlichten Räume der Blinden bibliothek, die heute über weit mehr als 10 000 Bände verfügt, und wir staunen doppelt über die peinliche Ordnung, wenn wir er fahren, daß die ganze Bibliothek ausschließlich von Blinden geführt und verwaltet wird. Schmale, dunkle Gänge winden sich durch die langen Gewölbe, in denen die Bücher bewahrt werden; hier tasten wir Sehende im Dunkeln und erhalten eine Vorahnung von dem Leben in ewiger Nacht: denn nirgends in diesen verschlunge­nen finsteren Gängen leuchtet ein Licht. Wozu auch? Die Männer, die hier wirken und arbeiten, würden es doch nicht sehen. Sie aber wandeln und gehen hin und her, als hätte kein grausames Schick­fal ihnen die Hilfe des Augenlichtes versagt; dort am Tische sitt der Bibliothekar und ordnet seine Zettelfästen, die Fingerspißen gleiten schnell über die für uns unlesbare erhabene Braille Schrift und hier im Lesesaale sizen an Tischen eine Reihe von Männern, große dicke Bücher vor sich und lesen mit den Händen. Die Blin­denbücher haben naturgemäß einen viel größeren Umfang als unsere gewöhnlichen Druckwerke. Ein Buch, das in gewöhnlicher Druckschrift vielleicht fünf Zentimeter did ist, würde nach der Ueber­sehung in die Blindenfchrift das Zehnfache des ursprünglichen Raumumfanges bedeuten, würde einen halben Meter dick sein und muß deshalb in mehreren Bänden verlegt werden. Unfer Rundgang führt uns dann in die Werkstätten der Bibliothek, in die Badkräume und in die Buchbindereien, wo blinde Buchbinder am Werke sind, die losen beschriebenen Braille- Blätter aneinander zu reihen und zu binden, und wo die Bakete an auswärtig woh­nende Benußer der Bibliothek zum Postversande fertig gestellt wer­den. In einer anderen Stube erledigen eine ganze Reihe blinder Sekretäre die Korrespondenz, die im Zusammenhang mit der Bücherverleihung notwendig wird. Denn die Bücher der Parijer Blindenbibliothek gehen auch ins Ausland und in regelmäßigen Zeiträumen werden ganze kleinere Wanderbibliotheken" ausge­sandt, die ihren Weg durch die kleinen Städte und Dörfer nehmen, wo nur einzelne Blinde leben und sehnsüchtig auf ihre Lektüre warten.

Aus der Vorzeit.

Fiöße als prähistorische Wohnstätten. Als menschliche Wohnstätten der älteren Steinzeit fannte man bisher fast ausschließlich die Höhlen, deren Ausgrabungen gerade in den Letzten Jahren so ungeheures Aufsehen auch in der Laienwelt er regt haben. Zeichnungen auf Felsen und Knochen ließen auch ver­muten, daß zeltartige Hütten dem Urmenschen nicht unbekannt ge­wesen sein dürften. In der jüngeren Steingeit tritt nun ganz un­vermittelt die Pfahlbauweise auf, die da urch gekennzeichnet ist, daß in den Boden der Seen, besonders im seichten Wasser in der Nähe des Ufers Pfähle eingerammt und auf einer darüber gelegten Balfendecke Holzhütten, teilweise mit Lehmbewurf, errichtet wurden. Erst die Funde der letzten Jahre haben es wahrscheinlich gemacht, daß das Wohnen in Pfahlbauten schon einen weit vorgeschrittenen Thp darstellt, der einen einfacheren voraussetzt, bei dem aber die geschüßte Lage im Wasser eine Rolle spielen mußte. Auch hier und da ausgegrabene künstliche Inseln, in geringer Wassertiefe oder in Sümpfen durch versenkte Verbände von Holz und Stein gebildet, deuteten auf eine weitere Vorstufe hin. Als solche können wir nun mit ziemlicher Gewißheit Holzflöße, die im Wasser verankert wur­ben, betrachten. Besonders der prähistorische Fundplatz in dem Moor Maglemose auf der dänischen Insel Seeland , der in der Prähistorischen Zeitschrift" beschrieben wird, hat diese Vermutung Bestätigt. In dem genannten Moor fanden sich unterhalb der Torf schicht eine große Anzahl von Werkzeug- und Knochenresten und andere Spuren menschlicher Kultur, so daß man auf eine vorzeit liche Ansiedelung an dieser Stelle aus dem Anfang der jüngeren Steinzeit schließen mußte. Damals war das Moor noch ein wenn auch nicht tiefes Seebecken, am Ufer besonders mit Kiefern bestan­den. Wenn nun die Ansiedlung auf Pfählen errichtet gewesen wäre, hätte sich mindestens der untere Teil des Pfahlrostes erhalten müssen oder die Löcher, in denen die Pfähle steckten, wären noch zu er­dennen gewesen. Nichts von alle dem war der Fall. Spuren von Herdfeuer, angebrannte Zweige, Steine und Knochen fanden sich dagegen vor. Anfangs wurde die Vermutung geäußert, daß es sich Berantw. Redakteur: Richard Barts, Berlin . Druck u. Verlag:

-

nur um eine Wintersiedlung handle, die in auf dem Eise erbauten Hütten bestanden hätte; die Kulturreste wären dann nach dem Auf­tauen der Eisdecke ins Wasser gefallen und hätten sich am Grunde angesammelt. Die Unrichtigkeit dieser Auffassung stellte sich her.. aus, als man die Mahlzeitreste untersuchte, die zu einem sehr großen Teil von jungen Jagdtieren und jungen Vögeln stammten; der= gleichen gibt es aber nur in den Sommermonaten. Zudem wäre es wenig wahrscheinlich, daß Jäger und Fischer gerade in der streng­sten Winterkälte das offene Eisfeld des Sees vorgezogen hätten, wo ihnen am Uufer durch den Wald Schuß und Schirm geboten wurde. Danach ist nur noch die Erklärung möglich, daß man da­mals auf einer schwimmenden Unterlage, auf einem aus Baum­stämmen zusammengefügten Floß wohnte. Das war leicht zu ver­fertigen, und daß es in den Ablagerungen sich bis jetzt nicht ge­funden hat, hat möglicherweise seinen Grund darin, daß es durch den Wind oder beim Eisgang anderswohin getrieben wurde. Diese Untersuchung des Maglemose hat zu einer erneuten Nachprüfung der Funde Anlaß gegeben, die in ehemaligen Seen auf Wohnpläzen chne Pfahlbauten gemacht wurden. So würden sich die Kulturreste von Taubach und von Schussenried , die noch aus der älteren Stein­zeit stammen, nach der eben beschriebenen Theorie viel leichter er­flären lassen, als wenn man, wie seither, einen Wohnplatz am See­ufer annimmt. In einem französischen Niedermoor bei Béarn haben sich sogar, gleichfalls aus der älteren Steinzeit, der sog. Renn­fierzeit, die Reste eines offenbaren Flosses erhalten. Eine ganze Anzahl anderer Funde besonders im norddeutschen Flachland und in Esthland gehören ebenfalls hierher. Nach all dem und nach Her­anziehung völferkundlicher Parallelen ist es wahrscheinlich, daß das Holzfloß mit einem primitiven Steinherd und einem Windschutz aus Fellen oder Zweigen darauf die Ausgangsform war für die und fünstlichen Inseln die Pfahlbauten. Die fünstlichen Inseln wurden dadurch hergestellt, daß Flöße aus Stämmen und Erde versenkt und und Neisigwerk mittels Steinen bis über den Wasserspiegel emporgeführt wurden. Und ein Floß jetzt jeder Pfahlbau voraus, da man auf etwas stehen mußte, wäh­rend die Pfähle eingerammt wurden. Wahrscheinlich ist es, daß der Beginn der Haustierzucht zu dem llebergang von dem Floß zu festen Wohnungen führte.

-

-

Physikalisches .

Weltallstemperaturen. Vor kurzer Zeit ist es dem Lehdener Physiker Kamerling geglüdt, eine Kältetemperatur von 270 Grad unter Null zu erzielen; mit dieser Leistung hat die Physik beinahe den absoluten Nullpunkt erreicht, der auf-273 Grad angesezt ist. Die Bedeutung dieses Ergebnisses begreift man am deutlichsten dann, wenn man bedenkt, daß die Temperaturskala nach unten hin begrenzt ist, während für die hohen Wärmetempe raturen eine Grenze nicht bekannt ist. Durch praktische physikalische Versuche hat man in neuester Zeit Temperaturen von mehr als 4000 Grad erreicht; dies ist aber noch lange nicht die höchste in der Natur existierende Wärme, vielmehr herrscht in der Sonne eine Temperatur, die Wilson und Grey mit 8000 Grad, Noselli mit 15 000 und Zöllner mit 28 000 Grad berechneten. Unvorstellbar hehe Temperaturen herrschen auf vielen Firfternen, aber damit ist die Stala nach oben hin immer noch nicht zu Ende; sie scheint viel­mehr überhaupt ins Unendliche zu gehen. Dagegen gibt es eine bestimmte Grenze für die Kältestala. Die Phyfit lehrt, daß in feinem Punkt des Weltalls eine Temperatur herrschen kann, die unter-273 Grad hinabgeht, weder innerhalb des Sonnen­systems, noch in den fernfien interplanetarischen Räumen.-273 Grad bedeutet den absoluten Nullpunkt, den absolut wärmelosen Zustand, bei dem die Moleküle dicht nebeneinander liegen und jede Bewegung aufhört. Oder, mit anderen Worten,-273 Grad ist der Tod der Materie". Bis auf 3 Grad ist nun die Physik durch Kamerlings Erfolg dieser untersten Grenze nahegekommen; noch vor 15 Jahren hätte man es faum für möglich gehalten, eine der­artige Temperatur praktisch zu gewinnen. Als damals, nach un­zähligen mißglückten Versuchen, durch die Verflüssigung der Luft sich eine Temperatur von-190 Grad ergab, schien das Menschen­möglichste schon geleistet.

Hygienisches.

Wie die Völker das Spuden bestrafen. Wir in Deutschland sind ja im allgemeinen so weit, daß wir keiner dra­lonischen Bestimmungen gegen das unleidliche Laster des Aus­speiens bedürfen. Aber in vielen anderen Stulturländern fennt man solche. In Liverpool gibt es Polizeibestimmungen, nach denen jeder, der öffentlich ausspeit, eine Strafe von 40 m. verwirkt hat; in Boston wird jeder Reisende, der in der Eisenbahn oder in der Elektrischen das Spuckverbot verlebt, mit 400 M. Geldstrafe be­legt; in Philadelphia steht gar eine Strafe von 800 M. und in New York eine solche von 2000 M. und Gefängnisstrafe von einem Tage bis zu sechs Monaten darauf. In Desterreich zahlt man 200 Kronen, und die Gefängnisstrafe schwankt zwischen 6 Stunden und 24 Tagen. Auch in Norivegen scheint man sich von der Unfitte des Ausspeiens noch nicht sicher zu fühlen, denn man liest dort sogar in vielen Kirchen den Anschlag: Nicht auf den Boden der Kirche spuden!"

VorwärtsBuchdruderei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin SW.