AnterhattltNgsMatt des vorwärts Nr. 184. Freitag, den 22. September. 1911 (Nachdruck»nSottn.) 16] Vor dem Sturm. Roman von M. E. 8 e ll e O r a z t fo Grüaß Gott, Jury!" Er hauchte es mit leiser Stimme, um nicht die.anderen zu stören: aber seine Augen leuchteten. Der Graf mußte dem Bruder die Strafe nachgesehen haben. Anders konnte er sich es nicht denken. Rasch ließ er sich nieder, die zum Gruß entgegengestreckte Hani des Bruders noch immer in der seinen.Also hob'n s' Dir's nochg'loss'n, die Straf'?" fragte er mit einem glücklichen Lächeln. Jury reckte sich hoch. Gott allein wußte, wie sehr er seinen Bruder liebte, aber diesmal wollte er ihm zeigen, was ein Mann sei. Nit einiganga bin i eahna!" lachte er leise. Hannes starrte ihn eine Weile an, ließ den Blick, wie nach Fassung suchend, zum Hochaltar gleiten, wo der Schullehrer im roten Mesnerkittel eben den Kronleuchter anzündete, schlug seinen .Himmlischen Palmgarten" auf und nachdem er eine Weile mit zitternden Fingern in dem vergilbten Gebetbuch hin und her geblättert, sprach er dumpf:Jüry woaßt denn a, was d'r do ong'fongt host?" D'rüber Hot mi der Schriftensteller von Schönboch auf- 'klärt," gab Jüry überlegen zurück. Hannes seufzte und schüttelte den Kohf.Js a g'scheiter Herr, der Gros Pernau . Ober in d e r Soch', Jüry, hätt'st unserm Herrgott folg'n soll'n, und der sogt..." Jüry glaubte selbst zu wissen, was unser Herrgott in dieser Sache sagte. Zlber das war es ja eben! Und mit der Ungeduld des Klügeren erwiderte er:I hob' long' g'nua d' ond're Wong'n a hing'holt'n. Drum red't a unser Herrgott irtzt amol wos onders." Dös war' mir neu," murmelte Hannes verstört in sein Gebetbuch hinein. Seid sanft wie die Tauben und klug wie die Schlangen!" zischelte Jüry in das Ohr des Bruders. Hannes wollte etwas erwidern. Aber in diosem Augen- blick riß der Ministrant an dem Strang der Sakristeiglocke, die Orgel setzte, Cyrill Weiß, der Pfarrer, trat im großen Ornat vor den Altar. So wurde aus dem, was Hannes sagen wollte, nur ein tiefer Blick seelenvollen Kummers, der wie in banger Ahnung eine ganze Weile auf dem geneigten Haupt des Bruders ruhte, und ein schwerer Seufzer, der sich wie ein leises Gebet in der Wolke von Andacht und Weihrauch auflöste, die zu Gott dem Herrn emporstieg. Wenn die Lorowitzer ihr Kirchtagsamt feierten, mußte der Schönbacher Schullehrer auf den Chor, denn so gut wie der Basti spielte doch keiner weit und breit. Das stand einmal fest! Und weil der Basti nicht bloß schön Orgel spielte, sondern auch ein trefflicher Geiger war, und wenn die Orgel aussetzen mußte, sich mit dem Sprung eines Tigers sofort auf die Violine warf, um auch die zweite Stimme zu Wort kommen zu lassen, waren die Lorowitzer Hochämter in ihrer Art wirklich etwas ganz Außergewöhnliches. DenSopran" sang Kathl, die Tochter eines Lorowitzer Bauers. Der Schön- bacher Schullehrer hatte sieausgeblidet", weil ihre Stimme wirklich nicht übel war. Leider konnte auch der Schönbacher Schullehrer nicht hindern, daß die Hilmer Kathl, die schlechte Zähne hatte, jedes Jahr eineLuck'n" mehr bekam. Dies gab ihrer Sprache ein paar unangenehme Zischlaute, die sie dadurch zu mildern glaubte, daß sie während des Singens das gefaltete Sacktuch an den Mund hielt eine Gewohnheit, die den gereizten Kapellmeister fast zur Verzweiflung brachte. Die größte Verlegenheit bereitete ihr jedesmal die Aus- spräche desC". Und weil der lateinische Text der hohen Messe von diesen unseligenE's" förmlich starrte, geriet sie immer wieder in Versuchung, ihrTüchl" an den Mund zu legen, so daß der gequälte Basti an solchen Tagen, trotz aller Andacht, selbst in der Kirchs außer Rand und Band kam. Auch der gute Cyrill Weiß, der unten mit der ganzen Hingebung des berufenen Seelsorgers für seine Gemeinde das Amt las,� konnte nicht hindern, daß einzelne dieser Kunst- pausen wie lustige Kobolde über den Weg seiner Andacht purzelten. Wußte er doch selbst, wie es bei solch einem musitalischen Amt" auf demfChor zuging. Und Basti war wieder einmal außer sich. Der Bursch, der ihm während' Le? Orgelspiels die Register ziehen mußte, tat es immer zu» unrechten Zeit. Auch die Gedanken der Hilmer Kathl wareik wohl schon mehr auf dem Tanzplatz als bei ihrerStimme". Bald nahm sie die Tempi zu rasch, bald verschleppte sie den Ton. Kurz, dem armen Schulmeister stand der Schweiß auf der Stirn. Susdpe deprecationem nostram..." Jetzt a tempo," zischelte Basti, während er mit einem Satz von der Orgel ans Notenpult sprang. Luscipe suseipe deprecationem nostram" hatte Kathl wiederholen sollen. Aber die vielenL"! So zischte sie alles wieder in ihr Tüchl hinein. Da herob'n schaut Dir nur unser Herrgott ins Maul! schrie Basti der eitlen Dirne ins Ohr. Umsonst! Beim nächstenC" machte sie es wieder so. Nun kam die große Pause der Wandlung. Orgel, Vio« line und Menschenstimme verhallten. Nur die Engel sangen! weiter in die Seele der Gläubigen. Die Stimme des silbernen Glöckchens schrillte durch die Stille, die Weiber sanken mit rauschenden Kitteln ins Knie, die Burschen mit einem leichten Gescharr. In blauen Wolken stieg der Weihrauch empor zog in schwelenden Ringeln durch die offene Kirchentür an die liebe Sonne hinaus, wo er wie ein duftiges Seraph- kleidchen im Frühlingswind zerflatterte. Wieder das Ge- schrill des Glöckleins, dem hoch vom Turm die Stimme de« Glocken den feierlichen Widerhall lieh. Endlich wandte sich der Pfarrer, die flimmernde Monstranze zwischen den Hän- den, der auf den Knien liegenden Gemeinde zu. Tantum ergo Sacra men tum!" Und der Weihrauch stieg höher und höher, wie ein mysti- scher Schleier, hinter dem sich alles barg, was die MenscheN in diesem Augenblick liebten und fürchteten. Steh' Du ihm bei, o Heiland," betete Hannes in diese Wolke hinein. Jüry aber dachte wieder an das Muttergottesbild am Weg. und klarer als je stand es vor seiner Seele, das; auch der Weg, den er beschritten, der richtige sei. Darauf glitt sein Blick zur Weiberseite hinüber, wo seine Resl kniete, mit Kindern und Kindeskindern. Wer weiß, ob er nicht doch den Arrest" abgesessen, wenn er allein gewesen wär'? Aber dort blühte ein neues Geschlecht auf, ein Geschlecht, dem es in allem besser gehen sollte als den Vätern. Da wollte auch er das Seine dazu tun. Sie würden ihn ja auch nicht gleich totschlagen mit dem ersten Stein, den er aus der alten Zwing- feste brach. Und endlich... Gott sei Dank! Einen Kaiser gab es ja auch noch! Als der Pfarrer den Segen gespendet hatte, schritten Hannes und Jüry Seite an Seite hinaus. Jedem war, als müsse er noch etwas sagen... Und doch fand keiner das richtige Wort. Mitten in dem festlichen Geräusch aber, das vor und hinter ihnen herging, legte sich plötzlich ein seltsamer Druck auf Jürys Herz. Eine Beklemmung, über die er sich keine Rechenschaft geben konnte und die doch wie ein Alp auf seiner Seele lastete, auf dieser Seele, die sich noch vor kurzem so stolz und frei gefühlt. Was war das? Vielleicht, wenn der Bruder jetzt gefragt hätte. Er selbst mochte sich keine Rechenschaft darüber geben. Und als sie draußen waren und von derHütt'n" her die ersten lustigen Weisen über das Grün der Gärten klangen, mitten in den Lärm des Tages hinein, der so hell und goldig über dem Dorf lag, da siel auch diese Last von seinem Herzen. Er sah nur mehr die sonnige Reihe der langen Stunden vor sich, die er im Kreise seiner Lieben verbringen durfte drei Tage lang!Ohne Spann- und Handdienst," wie es imRobotpatent" hieß. Noch vor einigen Jahren war es ihm eine liebe Gewöhn- heit gewesen, mit seinerOlt'n" beimKehraus" mitzu- tanzen. Seit erAehnl" geworden, hatten er und die Resl auch das aufgegeben, ohne ein Wort darüber zu verlieren? in der keuschen, herben Art dieses Volkes, dem mit den Jahren auch die Entsagung als etwas Selbstverständliches kommt. Aber heute heut' würde er seine Alte wieder einmal im Kreis herumschwenken! Bei einemG'strompft'n, versteht! sich! Oder bei einem Ländler, wie damals in Erdberg , wa er die Resl zum erstenmal gesehen! Er hatte all sein Leben lang wenig Zeit gehabt, den Erinnerlmgen seiner Jugend und