Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 186.

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Dienstag, den 26. September.

( Nachdruck berboten.)

Vor dem Sturm.

Noman von M. E. Selle Grazie.

Aber der ,, Kirritogstrunk" tat wieder das seine! Es war ein guter Tropfen, den Jürh seit einem Jahrzehnt im Keller hielt, nur selten ausließ und immer eigenhändig mit dem Tupfa" hervorholte, wie hierzulande der Heber genannt wurde. Dazu kam die kräftige Rindsuppe, auf der die Fett­augen nur so herumschwammen, die junge Schmorgans, die das ganze Haus mit ihrem Gruch'n" erfüllte, die hochauf­gefupften Schüsseln mit Bacht", die überall herumſtanden, wo fich nur irgendein Plätzchen fand. Jürys Töchter trugen die Speisen auf. Beide schöne, blondhaarige Dirnen, denen der Kirchtagsstaat ganz besonders saß. Annaliese, die Aeltere, furzweg Liesl genannt, war Braut und gehabte sich schon als folche. Ruhig, gefeßt, im sicheren Gefühl der Würde, die ihr nicht lange mehr ausbleiben konnte. Von Liebe war freilich auch bei diesem Verspruch" feine Rede. Man nahm sich, nicht etwa, weil das Blut in heißen Wellen zueinander drängte, sondern weil die Aussteuer der Braut und das Leh'n" des Bräutigams es gestatteten. Alles andere mußte sich von selbst finden. Und wie viele waren anders Mann und Weib ge­worden, hier herum?

Der Liesl freilich hatte die Sache anfangs weniger ge­fallen. Mit ihrem dicen, schweren Blondhaar, das ihr gelöst wie der Mantel uns'rer lieben Frau" über die Schultern fiel; dem dunklen Blauaug', in dem die lachende Jugend der Mutter noch einmal auferstand; der schlanken und doch ,, molleten" Gestalt, galt sie als die hübscheste Dirne des Ortes. Und so mancher Bursch hatte sich vor ihrer Kammer heiser wie ein Marzikater" geschrien, ohne daß die Schöne das Fenster!" geöffnet.

Trotz dieser scheinbaren Herbheit aber tochte heißes Blut in den Adern des Mädchens, das Blut der Mutter, deren Eltern aus den sonnigen Weinlanden Niederösterreichs ein­gewandert waren, und ihr Stolz war nicht ohne eine gewisse Stoketterie. Der leichte, fast damenhafte Wiegegang der Dirne, ihr herber und doch auch wieder leis' anlockender Blick und diese schweren armdiden Zöpfe, die wie zwei goldene Schlangen über die Schultern baumelten sie hatten es auch dem gnädigen Herrn von Lorowitz angetan, und wer weiß, ob die Alten ihr Kind so zur Ehe gedrängt hätten, wäre diese glei­Bende Gefahr nicht wie ein stetes Blendwerk des Teufels vor dem Aug' des schönen Mädchens gestanden. Ihres Kindes waren sie ja sicher. Aber konnte man wissen, was dem gnädigen Herrn einfiel, um seinen Willen zu haben? Und was ihm nicht einfallen mochte, dazu fand der Merikaner" den Weg. Ja, billig mußte man sich wundern, daß er ihn nicht schon ge­funden. Aber nun war er ja daran, wie die Qualereien zeigten, mit denen der gnädige Herr den Vater des Mädchens Heimsuchte. Schon darum war es gut, das Mädchen unter die Haube zu bringen und dem jungen Wüstling als ehrlicher Mann die Zähne zu zeigen, wie Jüry es tat.

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Auch bei Tisch wurde kein Wort über die Sache gesprochen. So wollte es die Mutter. Wenn der Alte schon seine Sorgen hatte das Essen wenigstens sollte ihm schmeden. Und es schmeckte ihm auch! Immer wieder langte er in die Schüssel, füllte er sein Glas. A wengerl gach trink'n tuat' r!" dachte Rest. Aber war das nicht auch gut heute? Der Wein brach nicht nur die Sorgen, er gab auch Mut und Kraft, und weiß Gott , wie bald ihr Alter die brauchen würde! Und je Länger er trant, je mehr seine Wangen fich röteten, seine Augen blizten, desto lieber sah sie ihn an. Ordentlich jung kam er ihr wieder vor, ihr Jüry!

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Richtig erwischte er sie bei einem solchen Blick. Wie ein Gruß aus alten Zeit war es, da sie aus ihrem Kammerfenster in Erdberg auf ihn herabgelächelt. Und weil er wußte, mit wie viel Summer und Sorgen sie sich die ganze Woche getragen, wollte er ihr all das mit einem lieben Wort zurückgeben, Mit einer Verheißung, in der auch noch etwas von den alten Beiten" wiederklang, die ihn aus ihrem verschämten Blick eben so innig angelächelt.

Rest, pass' auf, mir zwoa tong'n heunt' no!" rief er laut, rief es über die ganze Länge des Tisches herüber, vor Kindern

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und Kindeskindern und schlug dabei so vergnügt in den Tisch, daß Gläser und Schüsseln mit einem leisen Geklirr ant­worteten.

" War' nit aus," erwiderte Rest, halb erschrocken, halb erfreut. Und als ihre Kinder mit einem nachsichtigen Lachen einfielen, schlug sie die Schürze vor's Antlig und lief zur Tür hinaus.

,, So viel g'schami is s' no, Enfer Ahnl!" nidte Jüry be­friedigt. Ober's nutt ihr nir. Heunt muaß f' wieder amol d'ron. Justament heunt'!"

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Der junge Bauer blickte sein Weib an die Bäuerin den Gatten. Der Schwieger" wollte ihnen nicht recht ge­fallen heute. War es denn möglich, daß er sich so gar keine Sorgen machte? Wo er doch zum zweitenmal der Herrschaft Trop bot? Reines aber wagte ein Wort zu reden. Und als die Tanzlustigen drinnen zum Aufbruch drängten, erhob sich auch Jüry. Rämmt's, der Aehnl führt enk heunt zum Lezelter!" Die Kinder jauchzten auf, die Erwachsenen lächelten. hob g'moant, der Hannes wollt' a kämma?" fragte Rest, die eben wieder eintrat. Jüry dachte eine Weile nach. Jo so, der Hannes!" Eine Wolke glitt über sein Antlig.

,, No, er find't uns jo unter der Hütt'n a no!" entschied Nesl resolut. Während all' der Jahre ihrer Ehe hatte sie mit dem Bruder des Gatten einen heimlichen Krieg geführt. Aus purer Eifersucht," wie Hannes nachsichtig meint. Denn die Liebe der beiden Brüder war im ganzen Kreis sprichwört­lich geworden. War es doch eine Liebe, die nicht nur in den Worten lebte, die auch in schönen Taten, in einem wirklichen Opfer ihren reinen Ausdruck gefunden hatte. Als Jüry, der etwas brustschwach war, zum Militär sollte, erbot sich Hannes, für ihn zu dienen. Obwohl er seine eigenen Jahre schon längst hinter sich hatte. Alles in zarter Sorge um das Wohl des Jüngeren. Konnte ihm Jüry das jemals vergessen? Auch Rest hätt es ihm zu Dank wissen sollen. War es doch gerade diese schöne Brudertat, die es Jüry ermöglichte, seine Braut heimzuführen. Aber wia die Weiber schon san!" meinte Füry verlegen, so oft Hannes von der Abneigung der Schwägerin sprach. Sie wollte nun einmal ihren Füry mit niemanden teilen nicht einmal mit seinem Bruder. Und Hannes hatte sich im Laufe der Jahre dareingefunden, war immer seltener und seltener gekommen. Gerade nur die Sonn- und Festtage hatten sich die Brüder nicht nehmen lassen. Nun fette Real auch das durch, zum erstenmal! Jüry ging fort, ohne dem Hannes einen Kirritog" zuzutrinken. So ganz gehörte er ihr heute ihr allein!

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In seinem Innersten empfand Jüry sehr wohl, was er dem Bruder damit antat. Und ganz heimlich gestand er sich auch, daß er es weniger der Resl zulieb tat, als sich selbst. Er fürchtete den kummervollen Blick des Aelteren den stillen Vorwurf, der aus den treuen Augen des frommen Bru ders sah und ihn noch immer nicht zur Ruhe kommen ließ. So weit war ja alles gut. Das Essen hatte ihm geschmedt, der alte Wein ihm Kraft und Mut gegeben, aber... hatte er bei all dem fröhlichen Geschmaus und Getu' nicht doch immer wieder die Augen des Bruders gesehen? Groß und traurig auf ihn gerichtet, mit diesem Blick, in dem eine Angst lebte, die doch nichts anderes war, als die alte Liebe?!

Nun stieß ihn dieser Blick auch zum Hause hinaus. Er konnte ihm heute einfach nicht standhalten.

An jeder Hand ein Enkelfind, schritt er den Seinen voran. Mir gengan irkt um'n lebzeltenen Reider!" rief er den Weibsleuten zurück. Stellt's ös enf derweil unter der Hütt'n" auf!" Die Kinder lachten ihn an, von fern flang.die Musik.... Und den Tag hatte ihm die Herrschaft verderben wollen!" Justament!" dachte er wieder.

Schon begann sich die Jugend auf dem Tanzplatz zu sam­meln. Rechts standen die Burschen, links die Menscher", zwei blühende Halbkreise, die einen neuen Ring des Lebens schlossen. Weiter rückwärts stellten sich Mütter und Väter auf, oder wer sonst zuseh'n wollte, ohne mitzuhalten.

Der Predal, der es im Laufe der Jahre durchzusetzen gewußt, daß die Hütt'n" vor seinem Gasthaus aufgeschlagen wurde, strich an diesem Tag nur so das Geld ein. Es war wohl durchaus herrschaftliches Gebräu, das er bei solchen