Antcrhaltimgsblatt des Horwärts Nr. 183. Donnerstag, den 23. September. 1911 .(Nachdruck verdolen.) LVZ  Vor äem Sturm. Roman von M. E. delleGrazie, Damenwahl!" zuckte es durch den blonden Kopf Lo- lettens. Nun würde sie sehen! Und da stand er ja plötzlich in ihrer nächsten Nähe! Ob es Zufall war? Gleichviel! Mit zwei Schritten nahm sie den Raum, der sie von ihm trennte und warb um ihn! Um den Knecht, der sie bisher übersehen. Sein Blick sank in den ihren, die roten Lippen schürzten sich ein Zug unverkennbarer Genugtuung gab ihm einen Ausdruck von Ueberlegenheit, für den sie ihn am liebsten gepeitscht hätte! Mit derselben schlanken Gerte, mit der sie rechts und links von ihrem Weg immer die Blätter von den Bäumen hieb, wenn er so stumm und respektvoll hinter ihr her ritt. Als er aber den Arm um ihre Hüften legte, die Wärme seines Körpers in ihre Pulse hinüberschlug, die Hand, die sie führte, wie mit ehernem Griff ihr Gelenk umspannte, sein Mund dem ihren entgegenlächelte mit einer Gier, die sie nahm und doch auch wieder wegwarf den ganzen Mann fühlte sie. Und ob sie sich auch tausendmal sagte:Es ist bloß mein Reitknecht!" es war der Mann, den sie brauchte! Verachten hätte sie sich mögen für die Blicke, die sie ihm gab, die Blicke, die sie duldete die brutale Entschleierung ihrer Büste, die sein Blick suchte, wie früher das Mieder der Stallmagd. Genau so viel war sie ihm, nicht mehr! Sie spürte es und er ließ es sie spüren... Aber... Und sie beugte das Haupt zurück, gab ihm den lilien- weißen Hals preis und die halbentblößte Brust, das Gepoch ihrer Adern, die unter seinem Blick schwollen und glühten, wie er es wollte. Ihre Schleppe ließ sie fallen und er stampfte darüber hinweg, im rasenden Galopp derPolka schnell". Sein Atem hüllte sie ein wie eine Wolke, und hinter dieser Wolke gab sie sich hin. Weinen und schreien hätte sie mögen vor Schant und Qual, aber ihre Seele hatte keine Schleier mehr. Sie beugte das Haupt weit zurück, schloß die Augen. Er preßte sie förmlich an sich sie und ihre hochgehende Brust. Und zwischen ihm und ihr fielen leise, leise die Blüten des Apfelzweiges nieder, der sich um ihre Schläfen wand, fielen auf ihre nackte Brust, auf seine, wie lechzend geöffneten Lippen kühlten und peitschten doch auch zugleich das Blut auf mit einem Kitzel, der von Muskel zu Muskel sprang. Da verstummte die Musik, sein Arm gab sie frei. Als sie ihn mit einem erlöschenden Blick ansah, stand er unbewegt vor ihr und reichte ihr den entblätterten Kranz, der aus den blonden Locken gefallen war. Ganz Respekt und kühle Ver- achtung. Der entblätterte Kranz das war es! Tie Stallmagd hatte vielleicht noch ihrKranzl"! Und um das war sie dem gnädigen Fräulein" über selbst in den Augen des Reit- knechts! Mit einem bösen Blick sah sie ihn an und er lächelte. In der Schankstube des Predal hatten sich unterdes immer mehr Bauern zusammengefunden. Die Strafe, mit der die Herrschaft den alten Jilly belegt, hatte sich im Dorf herumgesprochen, nicht weniger sein Trotz. Nun trieben ihm Neugierde und Teilnahme alle zu. die sich während des Gottesdienstes nicht an ihn heranmachen konnten und doch schon brannten, den Mann zu sehen, der es zum zweitenmal wagte, den Nacken zu heben, den ein Jahrhunderte altes Joch wund und krumm gedrückt. Sie trugen ja alle an der gleichen Last! Und was heute sein Schicksal war, konnte morgen das ihre werden. Kein Zweiter unter ihnen hätte gewagt, was Jüry wagte. Aber daß einer von ihnen wirklich tat, wovon sie bisher nur in heimlichen Empörungen ge- träumt, die Faust im Sack, den Nacken immer gleich devot gebeugt, die Hand stets bereit für diezu prästierende Ar- beit" das machte sie froh und stolz und gab ihnen plötzlich eine Zuversicht, iiber die sie selbst staunten. Wenn Jüry auch noch kein Greis war saß nicht so mancher unter ihnen, der um vieles jünger, um vieles stärker war? Und was hatten sie gewagt während eines ganzen Lebens voll Arbeit und Erniedriguna? Nichts, gar nichts! Wenn es auf sie ankäme, gingen non) ihre Enkelkinder im gleichen Joch! Eine späte Scham loderte in allen Herzen auf. Die bäuerliche Kraft vergaß wenigstens einen Augenblick ihre jüngere Schwester die bäuerliche Schlauheit. Mit einem lautenRecht host" schlug jeder, der kam, den Jüry auf die Schulter, bis er sich gegen die allzu reich- liche Anerkennung wehrte. Nicht einmal an denrothaarigen Böhm" dachte man in der Freude der ersten Begrüßung. Host d's olso do'traut?" hieß es immer wieder. Und, Jüry, der unterdes auch dem Wein fleißig zugesprochen, nickte mit blitzenden Augen Bescheid. Monna(Leute), paßt's auf, dös wer'n bold Zeit'n!" blinzte der alte Hilmer seinen Kameraden an. Dann- ent- faltete er ein Blatt und gab es unter dem Tisch weiter. Aber was kümmerte man sich heute in Lorowitz, was diez'Wean" taten? Die Lorowitzer hatten jetzt auch ihren Helden! Und wo es den Bauer drückte, konnten diez'Wean" ja doch nicht wissen. Selbst helfen mußte man sich! Das meinte der alte Zöllner, und während er diese Meinung von sich gab, wagte er etwas, was bisher noch kein Zöllner vor ihm getan hatte er schlug auf den Tisch und rief ein lautes:Herrisches Poack dös!" Pst!" zischte der Ortsrichter. Er ivar ja im Grunde derselben Meinung. Nur wenn der Predal gerade vor- überging.... No und wia moant's denn, doß der Graf dös auf- nehma wird?" fragte der alte Hilmer. Dös is' nit unser Soch'," lachte ein anderer dazwischen. Der Jüry sitzt amoal do Punktum!" UndSollst leb'n, Jüry!" ging es wieder los. Wonn mir's so mocheten, wie in Galizien   drent," nahm ein besonders 5tühner das Wort auf.Jrtzt wird's grod a Johr... wißt's jo eh' no, wir's zeb'n den Gawlier'n mit- g'spielt hob'n? Verbrennt und derstoch'n und g'schund'n hob'n s's und sich Trummeln g'sponnt aus eahnere Häut'! Kruzi- türk'n, noamol!" Die Brutalität seiner bäuerlichen Phan- taste schien ihn so mächtig zu überkommen, daß er den Rest seiner heimlichen Wünsche mit einem Fluch im Glas ersäufte. No, no," wehrte ein Besonnerer ab.Mir san do ka soliche Nation! Und Christ'n san m'r a!" Weg'n den wos hilft's?" Und wos Hot die ganze Revolution g'holf'n, zeb'n drent, im Polnischen?" meinte der Ortsrichter.Geht's, geht's," er spuckte aus. Schaut's enk do dös kaiserliche Patent onl" Wos denn für an's?" fragte Hilmer. Der Ortsrichter rieb sich die Stirne rot.Jrtzt woaß i's nit glei. Ober in der G'moanstub'n hob i enk's jo vor- g'les'n. No und Du host's jo a umadum geb'n mit Dein'm Blattl!" Woaß schon, woaß schon," nickte Hilmer.Wißt'S Monna... er moant holt dös Hofkanzleidekret vom 18. De- zember 46." Jo, jo, dös moant'r!" Olso," nahm der Ortsricktcr wieder das Wort auf. Und wos hot's uns g'nutzt? gonzi Ramasurri, somt'n Dekret? Doß die gnädig'n Herrn mit dem Dekret irtzt a soliche Freud  ' hob'n, daß s' Sr. Majestät extra donken woll'n dafür!" Mos is' denn hernacher d'ring'stond'n?" fragte Zöllner. Schom di. daß d' es nimmer woaßt!" No woaßt du's'leicht?" Der Ortsvorstand würgte und würgte aber nein! Er wußte es auch nicht mehr! D'r Jüry wird's wiss'n!" riefen alle plötzlich wie aus einem Munde, doch auch der Held des Tages wußte es nicht. Und schließlich wozu sollte man sich etwas merken, das doch keinen Nutzen brachte? Selber für die Pollaken is's z'schlecht g'west," ergänzte der Ortsrichter mit Befriedigung.> Ober wos muß jo do drin g'stond'n sein?" Jrtzt follt's m'r ein." rief Hilmer. Und während er die Brillen aufsetzte und die Augen mit einem Ausdruck starr« /