Nnterhaltungsblatt des vorwärts Rr. 189. Freitag den 29. September. 1911 (Nachdruck verboten.) 21] Vor dem Sturm. Roman von M. E. d' e l l e G r a z i e« „Hat's eh' o Teuft vusg'sunna. So a recht Groß- schädleter holt." „Und dös mit die Kontributionsfonds, dös war erst's Rechte g'west," brummte der Ortsrichter.„Wonn mirs näm- lich wirklich ongnomma hätt'n, wia's im Dekret g'stond'n isl"—„Insoweit dies, ohne die Sicherstellung des unter- tänigen Samenbedarfes zu gefährden, gescheh'n könne," buch- stabierte Hilmer wieder von der Wand herab. „Gönz richti," nickte der Ortsrichter.„Wonn ma ober woaß, aus wia viel Soch'n sich so a Kontributionsfonds z'sommsetzt... Vom Körndl ong'fongt bis zu den Bo— ni— fi— ka— tionen für die Fuhr'n und Liefrung'n in Kriegs- zeit'n. Und dös oll's seit Maria Theresias Zeit'n her! Und doß an irder in der Gmoan so viel Recht dron Hot, ols er dozu b ei t r o g' n Hot. Und irtzt soll aner dovon wegnehma, um den oder an andern oz'lös'n... No, ös hätt's schöne G'sichter g'mocht, wenn i enk mit dem Durinonder kämma war. Und nachcr... bis ma an ird'n sein Onteil ausg'rechn't Hütt', bloß am Körndll Von Maria Theresias Zeit'n her... Monna — die gonze Gmoan hätt' bluatige Schädl kriagtl" „Wöhr isl Wer loßt sie denn wos nehma?" fiel Zöllner ein.„J— nit!" „I— eh a nit!" „Freili," nickte Jury mit blitzenden Augen. „Und d o liegt d'r Hos im Pfeffer! Durinonderhetz'n hob'n s' uns holt woll'n, die gnädig'n Herrn!" Als Jury dies sagte, trat der Wirt, der einen Augenblick am Fenster gestanden, rasch und wie angelegentlich an den Schanktisch, obwohl gerade jetzt niemand seine Dienste forderte, denn eben spielte die Musik zu einem„Steirischen " auf. Gleich darauf kam die Wirtin aus der Küche gelaufen und gab ihrem Gatten einen Wink. Der nicke ihr bloß zu und hantierte wieder weiter zwischen seinen Gläsern und Flaschen, hüstelnd und sichtlich beflissen, als handle es sich um durchaus geschäft- liche Angelegenheiten. War' nur nicht dieses Lächeln um seine Lippen gelegen! So ein Lächeln— heimtückisch und verkrochen. Dem Ortsrichter wollte es schon lange nicht ge- fallen, dieses Lächeln heute! Denn der„Böhm" gehörte noch immer zur Herrschaft, das wußte man und wenn„was los war", hatte auch der Predal immer seinen„Wind". Wenn es nur nicht so unangenehm gewesen wäre, jemandem die Freud ' zu verderben! Aber da saß der gute Jüry, freute sich des Weines und seiner Tat und ahnte sichtlich nichts Schlimmes. „Jedenfalls ist's gut, ich geh einen Augenblick hinaus und schau, wen„der Böhm' kominen g'seh'n," dachte der Orts- richter. Und ganz im geheimen dachte er noch:„Hinaus- geh'n brauch ich nacher a nit mehr, wenn wos los is, wenig- stcns is ma nit dabeig'west!" Er war eben auch nur ein armer verprügelter Bauer, der gute Ortsvorstand von Loro- Witz! Einen Augenblick später wurde die Tür der Gaststube aufgerissen. Gewehrläufe blitzten auf und die Goldkokarden an der Amtsmütze der herrschaftlichen„Draben". „Im Namen des Gesetzes!" Dem alten Hilmer, der eben zum Trunk angesetzt, fiel das Glas auf den Tisch. Die anderen erblaßten. Eine tiefe, atemlose Stille lagerte wie eine dunkle Wetterwolke über dem Raum, der noch vor kurzem vom Gelächter der Zechenden widergehallt. Leise, ganz leise kam unter dem Tisch das Ge- knister der Flugblätter hervor, die der alte Hilmer mit bebenden Händen in der Tasche seines langschößigen Rockes verschwinden ließ. „Georg Jilly!" rief der Gendarm mit fester Stimme in das Schweigen hinein. Eine tiefe Röte schlug in die Schläfen des alten Mannes und einen Augenblick griff er wie schwin- delnd um sich... W a s er auch getan— daß man ihm s o kommen, ihn s o wegholen würde, mitten aus dem Festjubel heraus, vor der ganzen Gemeinde! Er konnte es nicht fassen. suchte umsonst nach einem Wort und fand doch kaum den Atem, als sollte ihm das Herz in der Brust zerbersten, aus Scham und Zorn über die Schmach, die man ihm antat. „Oes seid's verhaftet!" sagte der"Gendarm, da Jüry noch immer nicht Miene machte, seinen Platz zu verlassen.„Geht's also gutwillig mit, widrigenfalls..." Jüry sah ihn bloß an. �„Widrigenfalls das Patrimonialgericht kraft landesherr- licher Befugnis ermächtigt ist, Enk mit Gewalt an Ort»1$ Stelle zu bringen!" In die Augen des alten Mannes trat plötzlich eine un- heimliche Heiterkeit. So ein Blick, der wie ein Lachen war und zugleich auch eine einzige Verachtung. Und während er diesen Blick erst über die feig verstummte Runde seiner Kameraden gehen ließ und von den Kameraden wieder nach dem Gendarmen zurück, der unterdes ganz dicht an ihn heran- getreten war, sprach er mit lauter Stimme:„Un Du holst mi ein � Du?! A— Bauernbua den Bauern?" Der Gendarm errötete, wollte etwas sagen, besann sich aber noch zur rechten Zeit. „Na freili," fuhr Jüry fort,„woann's amol so weit is — do bleibt wohl nix anders übri! Pfüat God," nickte er mit demselben Lächeln nach den Kameroden zurück,„und geht's brav weider im Kummet!" „Er hat nichts mehr zu reden," fuhr ein herrschaftlicher Drab dazwischen.„Hätt' er lieber seine Arbeit prästiert—" „Mit so an red' i überhaupt nix," erwiderte Jüry kurz. „Und irtzt— vorwärts!" Er erhob sich. „Nein, hint' umma," wehrte er sich noch, als ein Drab die Eingangstür öffnen wollte.„Eh' i mi on den Meinigen so vorüberführ'n loss', derstech i mi ehender!" Seine Hand fuhr nach einem Brotmesser, das auf dem Tische lag. Ter Gendarm gab den Draben einen Wink— es sollte genug sein! Darauf öffnete der Wirt wieder die Küchentür. Ueber den Hof und an den Ställen vorüber ging es zwischen den Gärten durch hinten hinaus. Und über die blühenden Hecken scholl die Musik und der Jubel des Festes, um das sich Jüry nicht brmgen lassen wollte. 4. O e d u n g P e t r o w i tz. Wenn der Frühling kam, hatte der gnädige Herr von Lorowitz immer gewaltig viel zu tun, so viel, daß Förster und Heger und Leibjäger„kaum die Hosen wechseln" konnten. wie man in Lorowitz sagte. Die Hast begann mit den Schnepfen. Wenn die so„um Okuli" heranzogen und der Schatten ihres„Strichs" auf die schlummernde Ebene fiel: die frühlingsgrünen Zweige des Waldes da und dort von einer knackten, die sich zu kurzer Rast wandermüde nieder- gelassen, durften die Heger kein Auge schließen.„Ich leg mich ja auch nicht auf's Ohr, wenn es drauf ankommt," pflegte der gnädige Herr von Lorowitz zu sagen. Daß er dafür ganze Tage verschlief, kam weiter nicht zur Sprache. Wohin käme die Welt samt dem lieben Gott, wenn kein Unterschied wäre? Das war die Meinung des gnädigen Herrn, und die anderen hatten sich einfach danach zu richten: wozu waren sie sonst da? Einige Wochen später ging es„auf den Hahn". Auch diese Racker hatten die üble Gewohnheit, meist in früher Morgenstunde zu balzen, und die kirchenstillen Wälder wider- hallten förmlich von ihren Liebesrufen. Ein Birkhahn wirkte weniger aufregend. Hatte man den ersten und sonst etwas Lustigeres vor, ließ man die anderen einfach„abschießen". Aber wenn der„große Hahn" laut wurde... Himmelsakra» ment! Der hielt auch den gnädigen Herrn in Atem. � Die uralten Eichen- und Buchenwälder, die sich wie eine grüne Schleppe über die schollenbraune Erde zogen, waren wie geschaffen für dieses brünstige Geheck und Gejaid. Tiefe Schatten, kaum begangene Pfade, nur selten eine Lichtung. Warum die Racker aber gerade jenen Teil so liebten, der gegen die„Oedung Petrowitz" strich— das wußr«- der Teufel!„Weil man ihnen dort nur von einer Seite ankann." meinten Heger und Förster. Die Meinung hatte etwas für sich. Denn die Wurzeln der uralten Buchen wurden hier von den glinsernden Wellen mächtiger Teiche bespült, die still und schilfumgrenzt in sich ruhten. Da glaubte sich das Geflügel geborgen. Erst
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28 (29.9.1911) 189
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