AnterhaltungMatt des Vorwärts Nr. 190. Sonnabend, den 30. September. 1911 K&ichdrirf bccBoteiU 22] Vor dem Sturm» Roman von M. E. 8 e l l e Grazie, t Die Geschichte mit Jury hatte viel Staub aufgewirbelt, aber von all diesem Staub fiel auch nicht ein Körnchen ins Aug' des gnädigen Herrn von Lorowitz. Als ihm der Drab von der Einbringung des widerspenstigen Untertans Meldung erstattete, taten der Herr Graf ganz gleichgültig und eigentlich war's ja auch diesmal wieder der„Mexikaner" gewesen, der die Sache mit dem Verwalter betrieben hatte. Der Herr Graf wollten nicht weiter„aigriert und molestiert sein", wie der Mexikaner sagte. Im Grunde war auch das keine Lüge. Denn wann hätte sich jemals einer derer von Trampusch eines Bauern wegen die gute Laune stören lassen? Auch dies zu verhindern, bezahlte man schließlich seine Leute. Und Justiziär. Verwalter und Draben hatten bisher immer noch das Ihrige getan. Der gnädige Herr waren sogar bester Laune— hatten Heger und Förster doch nicht weniger als drei aufgebäumte Hähne gemeldet, die unweit die Oedung Petrowitz ihren Liebesruf hören ließen. Das war wieder einmal eine„hohe Jagd" und die Leidenschaft dafür lag denen von Trampusch nun einmal im Blute l Kein Wunder, daß der gnädige Herr gerade an diesem Tage besonders leutselig war. So leutselig. daß er sich sogar herabließ, die Walzer und Ländler naichzu- pfeifen, die ihm der Wind von der„Hütt'n" herüberwehte. Denn es war ja noch immer Kirchtag, drei Tage langl Wie er aber so in der Jagdkammer stand und die Läufe der Flinten nachprüfte, die ihm sein Jäger nie blank genug putzen konnte, hörte er plötzlich ein leises Lachen hinter sich. Daß dieses Lachen und der Mexikaner zusammengehörten, wußte der Graf aus langjähriger Erfahrung. Er nahm sich deshalb nicht einmal die Mühe, den Kopf zu wenden. „Na, Alter, was gibt's?" fragte er bloß. Da hörte er. daß der„Mexikaner" auch die Hände rieb. Rieb sein„maltre <Je plaisir" aber die Hände, war immer ein« besonders lustige Nummer in Sicht,©eine Gnaden stellten also die Flinte bei- feite und geruhten, den Mexikaner auch anzusehen. „Ich hab's ja gewußt," kicherte der in sich hinein.„Ich hab's ja gewußt. Sie ist gekommen und nun steht sie unten." Das Jägergeleucht' im Aug' Seiner Gnaden verriet, daß er sehr wohl wußte, welch ein Wild ihm zngetrieben wurde. Aber die von Trampusch waren viel zu traiuiert, um sich das sofort merken zu lassen. Weshalb der Herr Graf die Augen- brauen hochzog, ein leichtes Gähnen markierte und endlich ein Hab verwundertes, halb gelangweilteS:»Die— äh— welche?" hören ließen. „Du wirst schon höher steigen, mein lieber Bock," dachte der Mexikaner.„Man ist ja nicht umsonst zehn Jahre „maltre de plaisir", uni zuletzt nicht auch solche Mätzchen wegzuhaben. „Welche wird es denn sein?" kicherte er, noch immer händereibend.„Natürlich die Annaliesel Wir haben sie aber nicht vorgelassen. Weil Euer Gnaden weder„aigriert noch molestiert" sein wollen?" In die Augen des Grafen trat ein rötlicher Schein. Der kam von zwei Aederchen, die rechts und links in den Augäpfeln staken und sich sofort mit Blut füllten, wenn Seine Gnaden etwas heftig begehrten, ob es nun hinter einem Wild oder hinter einer Schürze herging. Die Koppel englischer Rüden, die der herrschaftliche Förster im Zwinger hielt, hatten den- selben„Schweiß" in den Lichtern, wenn sie zu„läuten" de- gannen. „Hohe Jagd," dachte der„mattre de plaisir";„hohe Jagd," wartete aber in aller Ehrfurcht, daß nun der Herr Graf etwas sage. „Was— was wollte sie denn?" stieß der Graf hervor. und der Blick, mit dem er den Mexikaner streifte, war durch- aus kein huldvoller. Der„maltre de plaisir" war nahe daran, wieder Pfifsig die Hände zu reiben, unterließ es aber noch zur rechten Zeit. „Was solche Leute immer wollen, bitten und betteln," gab er ruhig zurück.„Diesmal dringlich werden, wegen einer gnädigen Freilassung des Inhaftierten." Seine Gnaden geruhten zu lächeln.„Warum nicht, wenn sie recht dringlich geworden wäre?" Soweit hatten sich der Herr Graf bisher in der Gewaft gehabt. Aber plötzlich mußte ihm eine böse Laune über� die Leber laufen, denn Seine Gnaden rissen wieder die Ftfnte hervor, rieben wie besessen an dem ohnehin blanken Lauf herum und schrien endlich wütend:„Warum hast sie denn nicht verbellt?" „Siehst Du, mein Lieber," dachte der Mexikaner,„jetzt reden wir wieder deutsch." Und mit einem vergnügten Hände- reiben erwiderte er:„Weil man dem Wild nicht von der Windseite ankommen soll, wie Euer Gnaden wissen. Und weil Lorowitz doch nicht der— der richtige Anstand ist für ein solches Reh." „Was denn?" höhnte der Graf.„Vielleicht die Straße?"- „Die Straße wohl nicht," kam es ruhig zurück,„aber vielleicht die—„Jagdhütte" k" Wieder flog der rote Schein durch die Augen des Grafen. „Die Jagdhütte?" Er stieß es mühsam hervor— wie bedrängt von der Erinnerung all der Abenteuer, die er dort schon durchkostet, die ihm von dorther wieder zu winken schienen. Aber plötzlich stampfte er auf:„Die Schweighütte, ja? Da geht die Annaliese mir nach!" Der Mexikaner blinzelte.„Vielleicht nicht bis hinein-• aber draußen werden Euer Gnaden sie jedenfalls finden!"- j Seine Gnaden schienen befremdet.„Draußen? Aeh. wann denn?" „Morgen, mit dem frühesten. Auf der Oedung Petrowitz sind nämlich jetzt allerlei„Klaubungen" zu prästieren. Kümmel und Menthe blühen." „Und sie— hat sich— hinschicken lassen?" stieß der Graf hervor. - Der Mexikaner lächelte.„Erstens ist es eine untertänige Pflicht, wie Euer Gnaden wissen. Zweitens aber wollte sie durchaus vorstellig werden für ihren Vater. Da mußt' ich ihr doch in Gottes Namen einen Ort nennen, wo der Herr Graf zu treffen wären, ohne daß sie Gefahr lief, von den Bedienten hinausgefchmissen zu werden! Die Majestätsgesuche, die nicht durch die Kabinettskanzlei gch'n, werden ja auch oft in den allerhöchsten Wagen geworfen." „Und sie hat keine— Scheu gezeigt, wirklich?" „Auf freiem Feld? Da fühlt sich jede sicher. Auch Hab* ich ihr ja angedeutet, daß sie nicht allein sein wird"— „Du schickst mir doch nicht einen Elefanten auf die Bude?" fuhr der Graf auf. „Behüte! Das heißt, ich last' die Klaubung ansagen, schick' aber die Mitberufenen in aller Frühe auf die and're Seite hinüber. So finden Euer Gnaden alles in Ordnung. Und wenn es Euer Gnaden paßt," er rieb die Hände,„geh'n Euer Gnaden diesmal eben nicht auf den Hahn, sondern auf die Henne!" „Teufelskerl!" murmelt! der Graf zwischen den Zähnen, stellte die Flinte zur Seite, verschränkte die Arme und kniff die Augen ein. Der„maltre de plaisir" verstand, daß Seine Gnaden nunmehr allein sein wollten. „Oedung Petrowitz ..." Da lag sie vor ihm, die rötlich- gelbe Heide, auf der jetzt Kümmel und Menthe blühten, während rechts und links Ächte Wälder ihre nachtblauen Schatten über den bunten Vllltenteppich warfen und die Sonne um Mittag mit einer Einsamkeit buhlte, die nach dem Glauben des Volkes Gespenster heraufbeschwor am hellichten Tage. Gespenster! Er mußte lächeln. Wie es dort war, in schauernder Morgenfrühe, in schwüler Mittagsstunde und mondblauen Sommernächten— er wußte es besser! Der Spalt der eingekniffenen Augen wurde immer kleiner, immer enger. Wie ein Purpurgeleucht flammte es vor seinem Blick, durch das ein weißer Schimmer nackter Leiber brach. Eine Stille tat sich vor ihm auf, die wie ein Abgrund war, aus dem die Wollust heranfstöhnte und der heiße Rauch des sonnendurchwärmten Grases— der zu allen Fenstern der„Schweig- Hütte" hereinschlug! Das dumpfe Gesurr der wilden Bienen und Hummeln, das wie ein Gesumm ferner Tamburine in di« wollüstige Stille drang... Nein, er hatte noch keine Ge- spenster dort gesehen. Seine Lippen öffneten sich, die Zunge schlug mit einen» kurzen Schnalzlaut an den Gaumen, einmal— zweimal— dreimal, zwischen jedem Laut eine kleine Pause markierend,