geschehen, troh aller Verführungskünste Lolettes. So viel wuhte man auch im Dorfe. Als die letzten Garben unter Dach waren, bemerkte Lolette mit freudigem Schreck, daß ihr Gut noch einmal so viel trug, als sie bisher angenommen, und„die zu prästierende Arbeit" in der Halden Zeit das ihre getan hatte. Da der Rentmeister schon alt und etwas schwerfällig war und die Droben, als einstige Vertraute des Unterwegcr, die neue Wirt- schaft gewiß am liebsten wieder ins alte Geleise gebracht hätten, könnt es ihr nicht lang ein Geheimnis bleiben, wem sie diese Wendung eigentlich zu danken habe. Und in der Tat... sie mochte hinhorchen, wo sie wollte— überall scholl ihr das Lob des neuen Dieners entgegen. Anfangs tat sie ganz ungläubig:„Der? Den Hab ich ja nur so mitgeschickt'" „Aber er versteht's sür dreil" scholl es ihr aus dem Mund der Arbeiter entgegen. Nachdenklicher als sonst stieg sie in ihr Boudoir empor. Seit jenem wilden Tanz unter der..Hütt'n" ging ihr das Blut wie in einem Rausch. Aufschreien hätte sie oft mögen vor Sehnsucht, ihn an sich reißen, heiß, gierig, mit einem herrischen„Kommt" Aber— der Klamert war ein ganzer Mann, und da sie ein ganzes Weib war. fühlte sie sehr wohl, daß dies nicht die Art sei, ihn zu gewinnen. Er ver- achtete sie schon, wegen des andern. Wie nun erst, wenn sie selbst sich ihm an den Hals würfe? Der Unterweger hatte sie verführt. Aber der blieb stark! So sah sie keinen rechten Weg. der ans Ziel führte, und das Letzte wagte sie selbst nicht auszudenken. Ein Rest von Stolz war ihr doch geblieben, und nicht ohne eine gewisse Verwirrung merkte sie, daß gerade seine Art es war, die ihr diese Haltung gab. Nichtsdestoweniger hatte sie während dieser Tage und Wochen alle nur möglichen Versührungskünste spielen lassen. Sie beliebte lange, einsame Ritte... querfeldein, über Hecken und Gräben, oft im tollsten Galopp. Wenn sie endlich mit hochgeröteten Wangen, die Locken lang nachflatternd, einhielt — schlug das tiefe Schweigen des Waldes wie ein Meer um sie zusammen. Niemand bei ihr als er! Unter dem Vorwand, müde zu sein, hielt sie oft plötzlich ihr Pferd an und ließ sich von ihm herabhelfen. Ihre Augen blitzten ihn an. das vage Lächeln ihrer Lippen sollte ihm Mut machen. Mehr als einmal glaubte sie�zu merken, daß die Hand, auf die sie beim Herabgleiten die Spitze ihres zierlichen Fußes stellte, leicht erbebte. Aber seine Mienen blieben un- bewegt— sein Aug' sah Gott weiß wo hin. und kreuzte sein Blick den ihren, schien es immer bloß zufällig zu sein. Keine Bewegung an ihm, die nicht ganz äußere Ehrerbietung und Dienstbeflisienheit gewesen wäre. Nur sein Lächeln— sein Lächeln... das ihr den Mann wies, der sie verachtete und bändigte.„Er muß doch eine Geliebte haben", dachte sie bei solchen Gelegenheiten erbittert.„Eine, mit der er sich über mich lustig macht." Aber wen? So viel sie auch hinter ihm her war— nicht einmal noch hatte sie ihn bei irgendeinem Geschäker mit einer ihrer Mägde betroffen. Und Kammer- jungfer, Stubenmädchen und Stalldirnen beredeten es zuletzt selbst, daß der Karl ,.a gor hoakler" war. dem„so g'schwind koane recht is".„Vielleicht hat er im Dorf sein„Gespeanzl" (Geschäker). meinte sie zu ihrer Kammerjungfer. Aber auch die Antwort, die sie auf diese scherzhast ausholende Bemer- kung erhielt, hatte sie völlig beruhigt.„Wann kam er denn obi(herunter)? Wann er mit die Ross' sirti is' sitzt'r im Stoll und lest seine Büachl'n." Lolette mochte es sich noch heute nicht recht gestehen, aber der Tag. an dem sie das er- fahren, war einer drr glücklichsten ihres Lebens gewesen. „Er hält also auf sich", dachte sie.„Bloß deshalb bin ich ihm nicht gut genug." Nun... mit der.Zeit konnte das noch anders werden. .(Fortsetzung folgt.)! (Nachdruil vervolen.) 32] Die JVTeirterm. Von August Friedrich Krause . Und der Paul fühlte eine Gewalt in sich emporsteigen, die nicht aus ihm selbst stammte, eine fremde, unheimliche Gewalt, die alles Denken und Empfinden in ihm verbrannte und allen Willen lähmte, die Starrheit seines Nackens löste und ihn zwang, sich niederzu- beugen und der Mutter, deren Gehör schon stumpf zu werden schien, die Worte ins Ohr zu sagen, die sie zu hören begehrte:„Ich will alles tun, was Du willst!" Eo kam der letzte Abend, Alle wußten, daß es zu Ende ging, auch die Kranke. Sie wollte allein sein mit dem Sohne in dieser letzten Stund« und hatte darum die Anna heimgeschickt. Die alte Frau Schmidt mußte das Mädchen begleiten und sollte gleichfalls vor dem nächsten Morgen nicht wieber, kommen. Totenstill und trostlos öde war es in dem weiten Hause, nur der wilde Märzsturm pfiff um die Mauern und sang in diese Stille hinem sein wunderstarkes, eintöniges Lied vom Leben. Dem Paul zitterten die Kniee, als er hinter den Fortgehenden die Haustür geschlossen hatte und nun sich in den Lehnstuhl fallen ließ. Er war schon mehrere Nächte nicht aus den Kleidern gekom- men und hatte auch am Tage, um seine schweren Gedanken zu be- täuben, sich wenig Ruhe gegönnt. Die Seele war ihm völlig zer, rieben von dem stetigen Kampfe mit sich selbst und mit der Mutter. Er fühlte, wie die Sterbende, je näher sie ihrer Auflösung kam» immer mehr von ihm Besitz nahm, als ränne ihr« Seele in seine Seele über und vergewaltige sein Begehren und Wollen. Er wußte, daß es für ihn kein Entrinnen mehr gab. Die Kranke war. nachdem die Anna gegangen und sie mit dem Sohn allein war. ein wenig lebhafter und unruhiger geworden. Sie rief ,hn mit den Augen dicht neben sich, daß sein Ohr fast an ihrem Munde lag; denn ihre Worten waren nur noch ein Hauch und ein kaum vernehmbares Lallen. Er aber verstand doch, was sie.sagte: „Du... Du mußt... die Anna... heiraten!" Ter Paul schwieg; fest biß er die Lippen aufeinander. DaS Recht des Lebenden wurde ihm jäh bewußt: über sich selbst be» stimmen, sich unabhängig halten zu dürfen von fremdem Willen. Und er trotzte auf dieses Recht. „Die Anna!" Sie hob den Kopf mühsam und sah ihn an. Noch einmal flackerte der Widerstand in ihm auf: „Ich kann nicht. Mutter!" ichlnchzte er wild, verzweifelt,. „Du... mußt!... Mußt!" Ihr Blick, in dem alle Kraft ihrer Seele, die letzte, brannte. ließ nicht von ihm. „Ich geh... nich... in'n Himmel," hauchte sie,»ich bleib.,» dohier... hier auf... der Erde!... Bei Dir!" Ein eisiger Schauer lief ,hm über den Rücken, und er zitterte an allen Gliedern. „Bei Dir... bin ich immer?... Ich seh... all'S... was Du machst!" Tiefer senkte er den Kopf, er konnte ihren starren, schon halb gebrochenen, drohenden Blick nicht mehr ertragen. „Hörste... Paul!" Und als er immer noch sich abgewendet hielt: „Du mußt... mich... ansehn... daß ich seh... was Du sätzst!" Er hob den Kopf, aber sein Auge war stumpf und leert „Ich seh... Dich immer an... Du!" Rauh und rauher wurden ihre Worte, ruckweise kollerten sie über die schwer gewordene Zunge, als würden sie mit höchster An- strengung hinausgestoßen ins Leben. „Ich seh... D>ch... an! Im... Grabe!" Der Sohn sank wie geschlagen vor ihrem Bett auf die Knie. „Nich die... Augen zudrücken... Hörstel Offen lassen.., Hörste!" Sre lag eine Weile regungslos, als wäre sie schon gestorben; aber in ihren Augen flackerte noch Leben. „Bersprich mir... nicht zudrücken... Ich will... will Dich ... immer ansehn... können!" Er fühlte sich völlig vernichtet. „Ich... versprech's Dir. Mutter!" stammelt« er. Den letzten Rest ihrer verflackernden Kraft raffte sie noch zu- sammen. „Die Anna!" flüsterk« sie lauter.„Heiraten!" Er antwortete nicht. „Schwör's mir!" forderte sie. Er drückte den Kops hart auf die Bettkante und rührte sich nicht. Da zwang ihn ihr Schrei, hell und grell, anstdoll, verzweifelt. „Pauli" Der ganze Jammer ihres Lebens schrillte noch einmal darin auf. Die Angst jagte ihn auf und vom Bett; eine fremde Gewalt aber zog»hn unwiderstehlich dicht zu der Kranken. „Schwörs!" gellte es ihm ins Ohr. Und ihr Blick lag auf ihm wie eine Last. „Ich... ich... schwörs Dir... Mutier!" Jäh fiel alle Kraft in der Sterbenden zusammen, ein tiefeS» schweres Aufatmen ging durch den sich streckenden Körper und die Augen brachen. Sie hatie den Schwur des Sohnes mit hinüber genommen in die andere Welt. Starr aber hielt sie noch im Tode den Blick auf ihn gerichtet und ließ nicht von ihm. Ein unsägliches Grauen überlief ihn, und in wahnsinniger Angst schrie er auf: „Mutter!" Bor dem Totenbett brach er zusammen. Als er»ach Stunden sich erhob, sahen noch immer die Augen der Mutter ihn an: gebrochen, gläsern, starr, und doch mit zwin, gender Kraft. Nie mehr verlor der Paul diesen Blick aus der Seele.
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28 (18.10.1911) 202
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