Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 207.
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Mittwoch den 25. Oktober.
( Nachdruck verboten.)
Vor dem Gturm.
Roman von M. E. delle Grazie.
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1911
von der Seit'n nimmt, find's heut wirklich zit recht' kommen Denn für das, was ich mit dem Klamert in der nächsten Zeit vorhab', für das wollt' ich mir ohnehin Ihren Segen er bitten rist Der Graf fuhr wie gestochen empor... Meinen Segen für für Settleme überschlug sich. Aber lieber Gallenberg," tasto Rolette.
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Wenn S
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,, Liebe Gräfin ," begann er so ruhig als möglich, wie es mir geht, ist wenigstens in diesem Augenblicke gleich das so weitertreiben, trifft Shnen ja noa Schlag. Und gültig. Auch ist es, wie Sie wissen, sonst durchaus nicht wenn das in mein'm Boudoir g'schehet, nach ein- in fo meine Art, mich in die Angelegenheiten anderer einzumengen. intimen Szene... denken S, was die Leut' am Ende jager Wenn es sich aber um das Wohl und Wehe von Seelen Also Aber trinken's erst ein Glas Wasser, ja?" Sie nahm handelt, für die ich einmal verantwortlich bin, darf ich selbst die Karaffe, die auf dem Kamin stand und schenkte ihm ein... verständlich auch davor nicht zurückscheuen. Wenn ich also Heirat'n werd' ich den Klamert. Dann hab' ich Ruh', hat er heute gezwungen bin, mich Ihnen von einer anderen Seite Ruh' und Sie und der Dominikaner erst recht." zu zeigen, bitt' ich Sie, das nicht dem Grafen Gallenberg aufs Kerbholz zu schreiben, sondern es als das zu eftimieren, was es ist: meine seelsorgliche Pflicht!"
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Um Ihre eigene!"
Kurz, hart, laut flog es von seinen Lippen. Nun mußte sie endlich Rede stehen.
Lolette blieb eine ganze Weile stumm. Das fam ihr wirklich unerwartet! Wenn sich der gute Gallenberg auch schon ein halbes Jahr ferne gehalten, sein von Tag zu Tag fich immer voller rundendes Bäuchlein hatte ihr jede Sorge benommen, daß der Mensch emotionell" sei, oder jemals so unangenehm werden könnte. Und nun... Da hat man's! dachte sie. Alle möglichen und unmöglichen Ausflüchte wirbelten ihr eine Weile durch das erhitte Köpfchen. Klug und gefaßt war sie ja nie gewefen; immer so ganz das Geschöpf ihrer Laune, die Beute des eigenen Blutes. Im Innersten schwach und nachgiebig, wie alle Weiber ihrer Art. Aber, daß sie nun dastehen sollte und das anhören, in ihrem eigenen Haus, von ihrem eigenen Pfarrer...
Wenn jetzt der Klamert da wär!" flog es ihr durch den Kopf und merkwürdig: schon der bloße Gedanke seiner Nähe gab ihr plötzlich eine Haltung, die ihr alle Neden Miettes bis jetzt vergeblich zu suggerieren gesucht. Es war der Mann, der plötzlich an ihrer Seite stand und er war der Rechte, der einzige, den sie brauchte. Strich d'runter! entschied Lolette. Als sie dem guten Gallenberg wieder in das feiste Gesicht fah, wäre sie fast in ein Lachen ausgebrochen. Der fam gar ihrer Seele wegen!" Gemach, dachte sie, noch haben wir einer Leib! Und aus dem Lachen wurde ein Lächeln, als sie erwiderte: Wissen was, lieber Gallenberg? Meine Seel', die lassen S' meine Sorge sein. Und was Sie mir da sagen wollen und sich doch nicht recht trau'n, mir's zu sagen...denn schließlich" sie hob sich auf den Behen, um etwas größer zu erscheinen- ,, nit wahr, schließlich bin ich ja doch die Patronatsherrin? Na, also seh'n S'! Das alles hat mir der Dominikaner in Znaim viel ungenierter g'jagt."
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Ei ei" stieß Seine Hochwürden ganz verdutzt hervor. Und er hat sie absolviert?"
,, Weil er mich diesmal noch hat absolvieren dürfen," erwiderte Lolette mit einem Selbstbewußtsein, das um so stärker war, als es ihr zum erstenmal passierte, sich im Glanze der eigenen Zugend zu sonnen." Freilich"- und nun lachten ihre Schelmenaugen ihn allen Ernstes aus für's nächstemal fönnt' ich nit mehr qutsteh'n!"
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Seh'n Sie," fuhr Gallenberg los. Seh'n Sie!" Und mit einem Blick nach oben:" So bin ich also doch zur rechten Beit gekommen!"
" Pardon, mein lieber Gallenberg," lächelte Rolette amifiert, aber wenn Sie vielleicht mit diesem Surechtkomm" das„ Zurechtbeugen" meinen-
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Der Dechant hob wie beschwörend die Hände.„ Liebe Gräfin... wir sind ja unter uns, und so darf ich Ihnen sagen, daß mir nicht nur das Heil Ihrer Seele sondern auch das Schicksal Ihrer charmanten Bersönlichkeit nahegeht.... Wenn also nur ein Funke von Frauenstolz und Standesbewußtsein noch in Ihnen lebt-"
Dann nehm ich mir einen adeligen Teppen und lass' mir Schönbach ganz' runterbringen, nicht wahr?" höhnte Lolette. Nein, mein lieber Gallenberg. Und Seh'n S', wenn man's
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Seine Hochwürden hatten das Glas ergriffen, stellten es aber sofort wieder auf den Tisch zurück. Es wär' ihm sonst wohl entglitten, so sehr zitterten seine weichen, wohlgepflegten Patschhände." Heiraten Sie den..." Er mußte sich wieder setzen.
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Lolette aber schien förmlich zu wachsen, als sie erwiderte: Das, lieber Gallenberg, ist meine Sach'!"
" Pardon Pardon!" Es war doch wieder der Weltmann, der sich besann. Aber freilich, unter welchem Titel durfte er hier noch länger verweilen? Mit einem förmlichen Gruß empfahl er sich.
Als er draußen war, stedte Lolette den Kopf zum Fenster hinaus. Der Nebel hatte soeben zu spielen aufgehört, und da und dort standen die schäfernden Paare beisammen, näher als sonst, wie der Rausch dieser Nacht sie eben gepackt und zujammengeführt. Abseits von all den anderen aber lehnte dorb einer an der Mauer des Stalles und starrte zu ihren Fenstern empor. Er war's. Der Mond sah ihm gerade ins Gesicht. Wie ein Rausch packte es auch die junge Schloßfrau. " Der Klamert soll' rauffommen," rief sie zum Fenster hinab. Die Paare fuhren auseinander da und dort ficherte eine Dirne leise auf. Um die Sache so harmlos als möglich erscheinen zu lassen, begann der Nebel ein neues Tanzstück zu spielen.
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Auch der alte Breiner hatte den Ruf seiner Herrin gehört, und als der. Bursch bei Lolette eintrat, klopfte auch der Kammerdiener an die Tür... Ganz wie von ungefähr. " Frau Gräfin befehlen?"
Sie ließ einen spöttischen Blick über ihn gehen und erwiderte ruhig: Sag' er den Leuten, daß ich ein bisserl Kopfschmerzen spür' und gern Ruh' haben möcht'. Wenn's woll'n, können's beim Wirt unten weitertanzen. Ich zahl' heut alles."
Sie wird den Klamert entlassen," dachte der alte Diener und der Bursche erwartete im selben Augenblick nicht viel Besseres von seinem Schicksal. Natürlich... der Pfarrer war dagewesen.
Rasch und leise glitt der alte Preiner hinaus. Endlich! dachte er. Damit ging er zu den Leuten hinab. Das sollte heute ein sorgloser Schlaf werden. 7. Bauernfriedhof.
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Sommer und Herbst waren vergangen, aber im Dorf Jüry. Wortfarg schlich einer herum, der es kaum bemerkte oder stumm schritt er täglich an seine Arbeit, tat, was gerade getan sein mußte, ging zur Kirche, weil er es so gewohnt war, legte sich mit einem Gebet auf den Lippen zur Ruhe, weil es bei ihm daheim immer so Brauch gewesen und fühlte doch Sumpf, daß etwas in ihm sich gegen all dies empöre- imuner lauter, immer heftiger. Wie eine heimliche Bosheit war es, vor der er selbst erschrak, die ihn von Tag zu Tag störriger und unwirscher machte, ihn selbst in seinen Träumen nicht mehr zur Ruhe kommen ließ und um so quälender war, als er auch kein Wort darüber laut werden ließ, alles in sich hineinwürgte, in der keuschen Gewohnheit dieses tragischen Schweigens, das die Leiden des Volkes noch einmal so herb macht.
Und doch... wenn er alles so bei sich überdachte, was war denn eigentlich geschehen? Sie hatten ihm seine AnnaHieje tot ins Haus gebracht. Am Abend desselben Tages, ala fie ihm bei dem Gutsherrn die Freiheit erbeten hatte und er,