Anterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 214. Freitag den 3. November. 1911 (KachdruS tnsottn.) 46] Vor dem Sturm. Roman von M. E. d e l l e G r a z i e. Wieder fühlte er, daß Jury lächeln mußte, aus dem Ton seiner Worte und wie sie auf ihn zukamen.Dös schon dös schon. Wonn er's nit eing'frieren loßt. Hot er a Vernunft und freien Will'n, ffuer Hochwürd'n! I losf' mir's net ein- g'frier'nl" Er erhob sich und die bisher gebeugte Gestalt schien im Dunkel Plötzlich zu wachsen, wie aus einer geheimnis- vollen Kraft hinaus, die Cyrill Weiß mit Grauen empfand und doch nicht bannen konnte. Wieder blieb es eine Weile still. Resl mußte in der Küche Licht gemackst haben, denn daS Auf- und Niederzucken der brennenden 5tienfpanleuchte wurde auf dem Vorhang sichtbar, der die Glasfenster der Stubentür verhüllte, und warf durch das dünne Leinen auch in die Stube einen unsicheren Schein. Wenn Ihr Euch Eure Vernunft nicht trüben laßt, daß sie stets das Gottgewollte erkenne, und Euren Willen nie vom Böser versuchen wenn Ihr Euch wirklich so stark fühlt," sprach Cyrill Weiß mit bebender Stimme,dann wird auch der Herr immer mit Euch sein!" Langsam strich sich Jüry das weiße Gelock aus der Stirn. ließ die Hand wie ein Erwachender einen Augenblick auf den brennenden Augen ruhen. Vielleicht war es der plötzliche Licht- schein, der ihm wehtat vielleicht das Licht, das aus den Worten des Priesters in das Dunkel seiner zerquälten Seele brach und ihn anrief, feierlich und mächtig, mit der Stimme vergangener Tage. Seine Brust hob und senkte sich, die bebende Rechte suchte die Hand des Pfarrers:I donk' schön i donk' schön, Euer Hochwürd'n! Und was i no sog'n wollt'!.. Er stierte eine Weile vor sich hin, atmete endlich lang und tief auf:Glaub'n Euer Hochwürd'n jo nit, daß i der Mann bin. der sich vom Birron was weiß oder oder schwarz machen loßt. Nur a Monn bin i ollerweil g'west. Nix für unguat, Hochwürd'n." Durch die Fenster, die nach der Straße gingen, fiel ein kalter, zitternder Streifen. Es war der volle Mond, der draußen am nächtlichen Himmel emporstieg über all den Frost und das tote Schweigen, das die Erde in seinem Bann hielt. Gerade zwischen die beiden legte sich der blanke Strahl, lag da, wie vom Himmel selbst herabgeschickt, um die beiden zu trennen fremd und kalt. Der kommt über's Grab meiner Annaliese her!" dackste Jüry. Und wieder war ihm. als höre er ihre Stimme, die aus ihrer Einsamkeit nach ihm rief Tag und Nacht und Nacht und Tag:Vater!" Aber etwas im Ausdruck von Jürys Augen mußte dem Pfarrer doch aufgefallen sein. Ihr wolltet noch etwas sagen, Jilly-Vetter?" Nan, nan. Hochwürd'n... i hob nur g'moant, es ruft m'r wer..." Cyrill Weiß sah ihn hell und durchdringend an:Meint Ihr nicht, daß Ihr doch zu viel allein seid mit dem mit dem Schweren, das Euch betroffen. Jilly-Vetter? Da neulich ist mir Euer Bruder begegnet, der Hannes: der hat mir gesagt, daß Ihr ihm förmlich ausweicht Und Ihr wäret doch sonst immer ein Herz und eine Seele...?" Wieder fuhr sich Jüry über die welke Stirn, wie einer, der das Gewesene nicht mehr begreift und das Gegenwärtige noch nicht faßt.Oan Herz und oan See!'," murmelte er... Jo, jo, dös wor'n m'r amol. Euer Hochwürd'n. Amol  . Ober ... z'erst Hot uns die Resl ausanonderbrocht. Und irtzt..." sZr   stockte. Langsam und weich griff der Priester nach seiner Hand. ».Und jetzt? Was jetzt?" forschte er leise. Mein Gott," erwiderte Jüry.«Z'weni christfi bin i «ahm holt!" 'Das hätte der Hannes shich gesagt?" Nan, Euer Hocktwürd'n. Nit amol merk'n Hot er mir's lossin. Nur ma g'spürt's holt dol Und dös tuat am no amol so weh!" Dann liegt es doch an Euch. Meint Ihr nicht?" Vielleicht." nickte Jüry mit einem toten Lächeln. ».vielleicht. Nur»»» dös is so, Euer Hochwürd'n: dem oan'n lod't unser Herrgott oll's auf.,. die andern dürfen dabei- steh'n und zuaschau'n. Und weil s' dabeisteh'n därf'n, so glaub'n s' z'letzt. därf'n oam a no dreinred'n. Und so ruaf'n s' olle» weil: Trog's, trog's. Unser Herrgott Hot a sein 5?reuz trog'n! Ober..." und plötzlich glitt das unheimliche Lächeln seiner einsamen Stunden über Jürys Antlitz:Trog'n muaß's do an irder alloan, Euer Hochwürd'n!" Dann erlaubt, daß ich Euch dabei ein wenig helfe," er- widerte Cyrill Weiß. Und was sein Mund versprach, gelobte noch einmal sein Händedruck aber Jürys Rechts lag kalt und steif in der seinen. Und nun lebt wohl für heute!" Guate Nocht und schön' Donk, Euer Hochwürd'n." Da- mit öffnete Jüry die Tür, die in den Flur hinausführte. Er wollte es vermeiden, daß Resl noch einmal dazwischenkam. Auch die schwere, eichene Haustür riegelte er vor dem Pfarrer auf. Hier blieb er stehen mit gesenktem Haupt und ließ den Priester hinaustreten. Den Fuß schon auf der Straße, hielt Cyrill Weiß noch einmal an. Er war ein genauer Kenner des gestirnten Htm- mels und das Bild, das die blitzende Winternacht ihm ent- gegcnhielt, war von so überwältigender Größe und Schönheit, daß er wie verzückt stehen blieb:Schaut nur, Jilly-Vetter, schaut, wie herrlich! Und in dem allen ist Gott  !" Bewegt griff er zurück, faßte noch einmal Jürys Hand, froh, in diesem Augenblick einen Gefährten seines Entzückens zu finden, denn auch Jüry liebte die Sterne, er wußte es. Und in manch feierlicher Sommernacht hatte er sich von dem Priester die goldfunkelnden fernen Welten mit Namen nennen lassen. Auch jetzt sah Jüry empor stumm, lange.Wonn unser Herr- gott nur nit gor so weit war!" murmelte er tonlos vor sich hin. llnd während er dem rasch dahinschreitenden Pfarrer nachsah, nickte er müde.So weit, doß er nimmer z' uns find't und mir nimmer z' eahm... mit somt'm Pfarrer!" Langsam trat er ins Haus zurück, schob den Riegel vor. Als er sich aber wandte, um in die Stube zu schreiten, lag plötzlich ein zottiger Schatten auf dem Sand der Dielen. Breit und unbeweglich stand Birron unter der Tür. die in den Hof führte. Ein Anfall jähen Hasses packte den Bauer. Nun kam er ihm auch um diese Stunde! War es nicht genug, daß er sich täglich an seinem Tisch niederließ ungerufen? Mußte er auch im Dunkel daherschleichen... auf leisen Sohlen, wie der gespenstische Hüter einer bösen Tat?Nein, wie der Böse selbst!" dachte Jüry.Hund!" hätte er am liebsten aufge- schrien. Aber durfte er denn? Der lachende Blick des Zucht- Häuslers war sein Herr jetzt und für longo Immerhin reckte er sich höher.Was willst no do?" Hob' mir's denkt, hob' inir's denkt," grinste ihn Birron an.Der Pfosf wor do und irtzt moanst, Tu konst mi mit'n Weihwedl außijauk'n!" Jürys Zähne knirschten aneinander. Dem ankönnen! Ihm an die Gurgel fahren und so lange an dem hageren Kehlkopf herumwürgen, bis sein letzter Atemzug und sein letztes Drohen darin erstickten! Er schrak zusammen, griff sich wie besinnend an die pulsenden Schläfen. Was für Gedanken ihm kamen! Ihm siedend ins Bewußtsein schössen, daß ihm war, als spüre er daS Feuer der Hölle. Dazu die Angst, daß jeden Augenblick die Rdagd aus der Küche treten könue, oder der Knecht, die jetzt Feierabend hatten und unter müßigem Ge- schäker auf ihr Abendbrot warteten. Ter Blick von den beiden, wenn er mit dein alten Zuchthäusler aufs neue in die Küche träte... Zum zweitenmal, an einem Tag! Er atmete auf, knöpfte seine Joppe zusammen.Kimm übri, in'n Stall." sprach er gedämpft.Zeb'n san m'r irtzt alloan und können red'n!" Mein'tweg'n," erwiderte Virron.Ober Du nnraßt vor meiner geh'n!" Und Jüry ging voran, gehorsam wie ein Kneckst. 'Olsdann, was willst?" fragte er, als sie im Stall waren. Z'erst gib m'r was!". I hob' T'r schon g'sogt. daß r irtzt mt in die Kuchl  fonn!" Im Keller Host a wos z' essen!" Jürys Schultern sanken herab. Wortlos, willenlos machte er sich bereit, nach dem Keller zu schreiten,