Damit ging er hinaus in den Wald, denn jetzt hatte er strengen Dienst. Die Bärbel aber drehte sich, als ihr Mann weg war. gegen die Wand und weiv e bitterlich. Wieder stritt in ihr das Muttergefühl. Aber ehe sie sich beruhigt hatte und recht angezogen war, stand der Fremde in der Stube. Bärbel, die nächste Woche um die Zeit denk dran, datz Du, wenn der Simon draußen steht, in den Wald kommen mußt! Ich wart' von elf Uhr an bis zum Morgengrauen I" Und ehe die Bärbel etwas sagen konnte, ging der Fremde weg. Da wußte die Bärbel dennoch, daß sie tun mußte, was der Fremde wollte. Sie dachte an den Fluch, wenn sie nicht tat, was sie versprochen hatte, und sie dachte an den Segen, wenn sie es tat. Und sie wollte tun, was Gott   befohlen hatte, und wollte auch Reichtum und Glück für ihre Kinder haben. Aber ehe sie ihre eigenen Kinder aufweckte, ging sie zu dem Findling hin, nahm ihn aus seinem Korb und küßke und herzte ihn. Sie drückte ihn an sich, wie sie das nie mit dem eigenen Fleisch und Blut getan. Dann legte sie den Knaben wieder hin, und abermals weinte sie und das Herz war ihr schwer. Aber es mußte fein. Gott   wollte es. Als sie daran dachte, leuchtete wieder in ihren Augen der aberwitzige Funken auf. und sie sprach ein heißes Gebet zur Ehre Gottes. Am Dienstag in der ersten Adventwoche begruben sie in Gutenburg das erste von Baschis Kindern. Beinahe alle Frauen waren zurLeiche" gekommen. Und alle beteten sie ihre Leier, wie sie schon vielmal getan. Die Bärbel aber stand am Grabe und bat das Kind, bei der Mutter des Findlings um Vergebung zu bitten. Aber auch w ward ihr Herz nicht leicht und sie konnte ihr Gemüt von trüben Gedanken nicht befreien. Die Zeit der Erlösung und des Kindesopfers kam. Simon Haubensack war geg m Abend in den Wald gegangen, erst gegen Morgen wollte er wiederkommen. Gutenburg lag im Schlafe und nur noch da oder dort blinkte ein schwaches Licht, um abzusterben in der mondlosen Schneenacht. Da ging aus der Tür des Waldhüters leise die Bärbel mit hurtigem eiligen Schritt dem Walde zu. Ein Bündel fest an sich gepreßt trug sie auf dem Arme. Leise knirschte der Schnee unter ihren Tritten. Aber das Geräusch verlor sich allgemach und auch die Bärbel ent- schwand. Der Wald nahm sie auf und über allem lag die stille Nacht. Nur am Himmel trieben die grauen Schnee- Wolken ihren Weg. lForlsetzung folgt.) DeKmels Hbfticcf. _ Mit unerbittlich grausamer Gesetzmäßigieik vollzieht sich das Schicksal der modernen Dichter. Ihre Tragik ist eG. daß sie samt und sonders auf dem schwauienden und umerböhlten Boden einer Klaffe stehen, die keine Zukuust mehr vor sich hat. So vermcffen sich wohl die besten unter ihnen, in trovigem Anlauf die Tore zu sprengen, hinter denen die Lösung aller Ledensrärsel liegt, aber auf halbem Wege gebt ihnen der Arem und der Trotz aus, und sie ver- lieren sich aus blühenden Wiesen abseits des Pfades, um bunte Blumen zu pflücken, oder lassen sich unier schartigen Bäumen nieder, um indischen Weisen gleich ihren Nabel zu bestarren. Die lite- rarische Revolution der achtq ger Jahre des letzten Jahrhunderts, die mit einem ehrlichen Wirklichkeitsdrang die Dinge dieser Welt anpackte, ist längst versandet in Seuchtbeutelei und Spielerei, in Symbolik und Duplik. in Aesthetentum und Formalismus. und manches Haupt, das über jener Revolution leuchtete, geialbt mit einem Tropfen sozialen Oels, verschwindet heute in den dichtesten Urwclwebeln. Nicht nur die kleineren Beisier haben sich diesem Schicksal beugen müffen; es hat auch.ie größeren und kräftigeren Talente nicht verschont, wie Gerhart Hauptmann  , der von der Rebellen» stimmung seiner.Weber* schließlich in die wesenlose Phanrastik derPippa* hineingeriet und dessen völligen dichterischen Zusammen» bruch die letzten Stücke schmerzlich bekundet haben. Jetzt wirkt sich diese Tragik auch an linen. de eiget.willigsten und eigentümlichsten deutschen Dichter aus, dessen Bedeutung für die neuere Lyrik der Hauptmanns für die neuere Dramatik gleichkommt: an R i ch a r d Dehm e l. Aus seinem lyrischen Heimatland hat er sich auf das Theater Verirrt und mit einer eben in Hamburg   aufgeführten Komödie »Michel Michael* für seinen Teil dargetan, daß nur der starke Rhythmus einer kämpfenden und borwärtsstrevendm Klasse den Dichter emporzuheben vermag und daß ihn jede andere Spekulation in weglose Niederungen herabzieht. Dehmels Wandlung kommt, von ihrem typischen Einschlag abgesehen, gewiß nicht überraschend. Er gehört jener Generation an, von der Hermann Bahr   einmal spricht: jungen Leuten, die aus kleinbürgerlichen guten Stuben und einer wohlbehüteten Gymnafiastenzeit plötzlich in die Strudel der Großstadt hineingeworfen wurden. Sie, denen in der Kleinstadt das Leben wie ein dünnes Bächlein verlaufen war. standen aus einmal vor dem tosenden und brausenden Meer in all semer Unübersehbarkeit. Diese jungen Dichter sahen, wie in der Großstadt Mitmensch an Mitmensch kalt und fremd vorübertrieb, wie jeder von jedem zerstampft wurde, und sie hörien die Not jammern und das Elend schreien. Aber in diesem gewaltigen Stein« meer und in dieser elektrischen Lust formierte auch die Arbeiterklasse ihre Kampsbaiaillone, um die Zukunft zu erobern. Was die jungen Dichter in der geistigen Welt ersehnten, den Durchbruch aus der Finsternis zum Licht, das erkämpfte bier eine gewaltige, nach Millionen zählende Schicht. Kein Wunder, datz die ganze Generation mitgerissen wurde und datz soziale Probleme me so .liieraiurfähig* waren wie in dem Jahrzehnt zwischen 1880 und 1890. Auch des jungen Dehme! glühendes Herz wurde ergriffen von den Leiden und Kämpfen der proletarischen Massen. Damals, in seinen besten Tagen, empfand er, wie nichtig es war und wie be« schämend, sich in eigene verwickelte Seelenschinerzen hineinzubohren, da Hunderttausende kein Brot hatten. Berlin  , das Sehnsuchtsziel aller Jüngstdeulschen, erschien ihm da mit seinen Dächern, seinen Türmen, Schornsleinen, Schloten, Kuppeln, Ruhmessäulen. heraufgebaut ins fable Blau, als langte aus ihrem Grabe scheintot eine Riesin und reckt« alle Finger bettelnd hoch: nur leben will ich. leben, atmen, essen! Und wimmern hört ich Milliarden Wünsche, die ungestillten, unter allen Mauern, wie Wünner einer schattenvollen Gruft; hörte den Hunger, der mit dürren Knöcheln ins Grab sich trommelte auf nackter Diele, die Rot.   die schamlos durch die Straßen lief, das Elend, das im Flittcrputz sich narrte. Und ich erschrak, wie nichtig meine Not. Damals schuf er die Gedichte, die ihn sozialistischem Empfinden und Denken sehr nahe brachten, wie.Ein Märtyrer*..Zu eng*. .Der Arbeitsmonn*. Aber nicht nur das Mitleid flebte, auch die Berheitzung erklang in starken Akkorden aus seiner Poefie wie m dem.Erntelied*: Es fegt der Sturm die Felder rein, es wird kein Mensch mehr Hunger schrein. Mahle, Mühle, mahle! Und In dem bekannten Maifeierlied verkündet Dehme! sogar schlechthin den Sieg des Sozialismus. Aber der Dichter vermochte nicht in dieser größten Macht» und Knlturbewegung aller Zeiten aufzugehen. Wie die Katze immer auf ibre Füße fällt, fiel er stets auf fein eigenes bourgeoises Ich. den Individualismus, zurück. Schon in dem Gedicht.An mein Volk* steckte er sich weite Ztele und betonte, datz seine Stirn zehn Völkern .ihr bißchen Hirn* schulde, aber er machte bei der sehr individna- listischen Erkenntnis Halt, daß der Mensch den Zwecken der Mensch- heil am besten diene, wenn er sich hinaufirelvl über die anderen und wie ein Baum über das Mittelholz hinauswächst. Darin, daß er den eylremsten Individualismus als ein Stück Menschheilserziehnng verkündete und den Men'chen völlig entfesseln wollte, um ihn zu beflügeln, berührte sich Dehmel mir Nietzsche  . dem feurigen Hasser aller Gleichheit und allen sozialistischen.Herden- iriebeö* und dem ekstatischen Vorkämpfer des.lledermenschen*. Aehnlich wie Nietzsche   riet auch Dehmel dem Menschen. nicht nur alles Lichte, Helle, Freudige wie beiße Lavaquellcn aus sich heraus» brechen zu lassen, sondern auch dem Bösen, Dunklen. Lichiabgewandlen Spielraum zu gewähren. Nur indem man sich auch mit den Teuteln seines Inneren bcrumichlägt, gelangt man zur Lebens» klarheit und LebenSsicherheir. .Roch hat keiner Gott erflogen, der vor Gottes Teufeln flüchtet*. Such die schlimmen Triebe sind eben GotteS Teufel, die natürliche Ergänzung derer, die im landläufigen Sinne als gute gelten! All das war noch Zwecksetzung, wie sich Dehmel immer als ein zwar individualistischer, ober doch'ein Zweckdichler darstellte. Keiner sprach lieber von Zielen als er: In allen Tiefen mußt du dich prüfen, zu deinen Zielen dich klar zu fühlen. AVer bald lernte er sich Ziel und Zweck gänzlich entfremden. Er gestand: