Nur Simon hatte das gesehen.

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Dann schloß die Wittib die Augen für immer, der Tod hatte sie ganz und fachte in die Arme geschlossen und mild­tätig eingewiegt zum Schiafe, der nie enden soll und immer währet. Da begrub Simon die Mutter seines Weibes und bedachte fich, als er vom Kirchhof wegschritt, wie zu helfen wäre in Keinem Hause.

Er fand aber nur den einen Weg. Seine Aelteste, die achtzehnjährige Jungmagd im Schlüffel, mußte nach Hause und die Last auf ihre schwachen Kinderschultern nehmen. Es tat Simon wehe um das junge Blut. Und er fah der Zeit voraus: seine Aelteste wie ein Gespenst, gealtert, ab­geradert und eine Frucht des Todes.

Das fremde Brot, die Liesi und der Erhard. So fam Simons Aelteste, die Liesbet, nachdem sie einige Zahre seit ihrem zweiten Kommunizieren in fremden Häu­fern Brot gegessen hatte, wieder in das Vaterhaus zurück. Sie war dazumal in den besten Jahren, rund und jung, ein faftiges Dirnlein. Und gleich ihrem Körper war auch ihre Seele innig und verlangend nach Leben und Lust, da ihr Fleisch gesund war.-

Im Schlüssel war ihr Dienst gewesen seit Jahren. Vier­zehn Jahre alt war sie damals, als sie dort hinkam zum Dienen. Der Erhard, des Schlüsselwirts Sohn, war um wenige Monate früher auf dieser schönen Erde erschienen, als erst- und einziggeborener Bube des Schlüsselwirts. Die Bri­gitt, seine Schwester, kam ein Jahr danach und damit war der Storch im Wirtshaus zum Schlüssel in Gutemburg zu Ende mit seiner Kunst.

Die Liesi des Simon wuchs mit dem Erhard des Schlüffelwirts zusammen aus den Kinderjahren heraus in das ernste Leben hinein. Nur war ein kleines Apropos an diesem Herauswachsen der beiden. Die Liesi tat dies und ab fremdes Brot dazu und der Erhard eigenes. Swar bekam das Brot beiden, da der Schlüsselwirt fich an seinen Gästen rieb und Geld machte, sich daher auch gutes Brot leisten fonnte. Doch ist es immer zweierlei, ob einer das Brot beim Gesinde in der Küche ist oder drinnen in der Stube bei den Herrenleuten. Wenn das Brot auch dem Körper die gleiche Kraft gibt, ob Magd oder Herr, wenn es nur zur Genüge auf den Tisch kommt, bei der Seele des Essens ist es auf jeden Fall ein ander Ding. Wer das eigene Brot ist, bekommt davon ein Gefühl des Selbstherrlichen in sich, während das Dienstenbrot, wenn es auch nicht gerade hart im Magen liegen muß, immer das Gefühl der Abhängigkeit gibt, des Dankes oder des Neides, Grolls und Hasses, und auf alle Fälle die Ehrfurcht vor dem Brot und vielmal auch vor dem Meister, der das Brot zum Essen gibt.

CHEL

( Fortsetzung folgt.)

Zum bundertften Sterbetage Heinrich v. Kleifts.

( 21. November 1811/1911.)

Du Herrlicher: Nur einen Sommertag, Nur einen hellen Sommertag hindurch

Berlasse deines Himmels goldnen Saal

Und weil als hoher Gast in unfrer Mitte...

Wir alle wollen jenen Dichter schauen, Der Unvergängliches geschaffen hat.

In deinen Wollen zögerst du?... Wie. Die Hände hast du um die Stirn geschlagen, Die einst die fleine grane Kugel traf.

Lieber...

Und nun... die Rechte nimmst du weg vom Haupt Und zeigst abwehrend ihre Innenfläche Und wendest langsam dich von uns.

Was soll's?... Ach, nim erlenn' ich deine Schmerzgebärde: Du möchtest nicht zum zweitenmal berhungern In deinem Vaterlande.

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fram lefen wir den Sat: Gefekt, die Direktion täme auf den Einfall, die Goethefchen Stüde so zu geben, daß die Männer die Weiber- und die Weiber die Männerrollen spielten: falls irgend auf Kostüme und ziveckmäßige Karifatur einige Sorgfalt verwendet ist, so wette ich, man schlägt sich an der Kaffe um die Billetts, das Stud muß drei Wochen hintereinander wiederholt werden, und die Direktion ist mit einemmal wieder folvent"... Sonft aber zähle man Goethes Dramen, trog ihrer Bedeutenheit, nicht zu den Kaffen­magneten, bemerkt Kleist bitter.

Wie viel weniger erst fragte die Mitwelt nach ihm selber! Ja, sie verharrte in geistiger Blindheit noch lange nach seinem Tode; und erst einer späteren Zeit blieb es vorbehalten, dem Dichter den Kranz ber Unsterblichkeit zu spenden.

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Die Ursachen für Kleists Schicksal find nur aus seiner Natur und feinen Zeitzuständen zu erklären. Ein Hinblick auf Liliencron erleichtert solch Erkennen wesentlich. Dort wie hier das gleiche Milieu geburtsadliger Herkunft und eine auf die Offizierskarriere als Erwerbsquelle abzielende Erziehung. Nur der Zugang zur Biteratur wird von beiden anders genommen. Liliencron erwacht erst knapp vor der Schwabenaltersgrenze zum Lyriker. Sleift wird Boet in weit jüngeren Jahren. Er wird es jedoch nicht plöglich, sondern nach mancherlei Seelenhäutungen. Schöngeistige Triebe von ausgesprochener Färbung sind in seinem Elternhause er wurde als Sohn eines Hauptmanns zum Frankfurt a. d. Dder am 18. Oftober 1777 geboren faum bemerkbar. Jm träumerisch grübelhaften Hange des jungen Kleist fündigte sich doch schon etwas Besonderes an, das ihn auf eigene Wege wies. Wenn auch mit fünfzehn Jahren in die militärische Laufbahn geworfen, fann er's doch nicht über sich bringen, darin zu bleiben. Seine Abneigung gegen den Soldatenstand verschärft fich in dem Maße, wie sein Unabhängigkeitsgefühl Bewußtsein wird. Die ganze militärische Disziplin erscheint ihm als Popanzerei, als schändliches Mittel zur fagt also mit 22 Jahren dem Offiziersstande. Berillabung, als ein lebendiges Monument der Tyrannei". Er ent Ohne heftigen Widerstreit mit seinem Vormund und seiner Familie die Eltern waren mittlerweile gestorben ging das zwar nicht ab. Bor läufig foügt ihn aber ein fleines Vermögen vor Elend und Blöße; und so ist es ihm vergönnt, frei von jeder Spekulation auf Brot feiner heimlich genährten Neigung zu den Wissenschaften fich hinzugeben. An der vaterstädtischen Uni sophische und sprachliche Studien. Je tiefer er sich darin versenkt, versität betreibt er nun mit emfigem Eifer mathematische, philo besto inbrünstiger arbeitet er auf die vollkommene Ausbildung seines inneren Menschen hin. Rousseausche Glüdsideale fucht er an fich wirksam zu machen, freies Weltbürgertum mit höchsten Persönlich teitsrechten in fich zu vereinigen. Nicht der Verstand, nicht die trodene Vernunft, nein, die Rechte des Herzens müssen die Ober­berrschaft behaupten. So ist er ganz ein Kind seiner stürmischen Beittendenzen. Und so mußte er auch an der Kantschen Philosophie verzweifeln; so sehr verzweifeln, daß er mit einem Male vor aller toten Gelehrsamkeit einen unüberwindlichen Elel belam, um fich nunmehr der ihn umkreisenden Welt, der lebendigen Natur ans Herz zu werfen. Sie wird sein Lehrmeister.

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Bevor Kleist sich seiner ureigensten Bestimmung bewußt ge­worden, hat ihn feltsame Unraft vom Heimatboden hinweg­getrieben. Mit einem lieben Freunde ist er nach Würzburg ge= pilgert. Aber die ihm hier aufgehende Erkenntnis seiner dichte­rischen Triebfräfte ist gleichbedeutend mit bittersten Lebenstämpfen im Hinstreben zu höchsten fünstlerischen Zielen, die erst zwischen flüchtigen Siegeshoffnungen und wilden Werzweiflungsfrisen ge­wonnen werden sollten. Auf stürmischen Wanderfahrten durch Mitteldeutschland bis nach Paris und in die Schweiz erschließt sich ihm ein Stück Welt. Hier, inmitten der Alpen , möchte er sich mit dem Rest seines Vermögens dauernd anfiedeln, um, Rousseauscher Lehren voll, in funftschöpferisch beschwingter Einfachheit zu ver harren. Das war ja nur wieder ein furzes Glüdserträumen. Gleich wohl schoffen ihm gerade während seines schweizerischen Aufent halts die ersten fühnen Dramenteime( Die Familie Schroffen­ stein "," Robert Guisfard") auf. Und dann fommt er nach schwerer Krankheit wieder heim. Der idealische erdenfremde Schwung hat sich seines Wesens nur noch mächtiger versichert. Alles, was mit praktischen Existenzfragen zusammenhängt, blieb ihm unfaẞbar. " Bücherschreiben für Geld o nichts davon!" ruft er abwehrend aus. Hingegen seinem Genius alles zu opfern: Braut, Standes­borteile, jedes irdische Menschenglück, das dünfte ihm ein fleines. Weg mit allen Vorurteilen, weg mit dem Adel, weg mit dem Stande! Freilich, was sollt ers achten? Sein bißchen Erbteil war auf ein Nichts zusammengeschmolzen; er selber ein heim- und eri­Stenzlofer Boet, angewiesen auf schwesterliche Unterstützungen, ruhelos bald hierhin bald dorthin den Wanderstab sehend; bone fiebrisch brennenden Ehrgeiz berzehrt; heute als einer der Glück­lichsten fich wähnend, morgen voll Menschenverachtung, grenzen­losester Berzweiflung an seiner Schöpferkraft und brünstigem Todesverlangen...

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So hat Detlev v. Liliencron gefagt und gefungen. Und wahrlich: der heute nach hundert Jahren wieder heraufbeschworene Schatten Kleists wird nun allerorts, wo die Gestalten seiner Dramen überdeutsche Abermals nach Paris verschlagen, vernichtet Kleist allda seine Bühnen gehen, wie ein Anfläger durch seines Volkes Mitte wandeln. Manuskripte. Dann wandert er ohne Reisepaß in der Richtung Bielleicht, daß es da vom Donnergange seiner Worte und Gedanken auf Boulogne zu, des Willens, mit einer übrigens unausgeführt erschüttert, befeuert wird. Vielleicht aber fam es auch nur, um einen gebliebenen franzöfifchen Expedition gegen England zu ziehen und zum flüchtigen Scheindasein erweckten Dichter im Geiste vor sich dort irgendwo auf dem Schlachtfeld zu sterben. Indessen sollte es tanzen zu sehen? In leifts unmaßgeblicher Bemerkung" bei diesem wahnsinnigen Entschluß sein Bewenden haben; denn über den von Jiftand für fein Verliner Theater bevorzugten Boffen- ein ihm bekannter Militärarzt besorgte ihm schleunigst einen Bag,