Anterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 227. Mittwoch den 22. November 1911 lNaSdruck becboten.) 8] Die Guten von Gutenburg. Von Hermann Kurz So war dies auch bei der Liest. Sie war noch ein Kind, als sie wegkam von zu Hause und das andere Teil vom Herrentum, das Niedrigsein des Dienenden, ging ihr in das Vlut über, wie sie so heranwuchs. Um sie kümmerte sich kein Mensch, das heißt, wenn das Arbeiten zu Ende war. Bei ihr hieß es: Vogel friß oder stirb. Füllte sie ihren Magen, war es recht, und sie nicht, war es wieder recht, denn da schaute niemand drauf. Auch wenn sie krank war. hieß es bei ihr das eigene Maul auftun: tat sie das nicht, dann tat ihr ja die Sache weh. So war es in allem, was das Leben bringt, bei der Liest vom Simon im fremden Dienst. Ganz anders war dieses Lied gestimmt, wenn es den Er- hard oder die Brigitt anging. Da hieß es immer:Fehlt dem Erhard auch nicht das und hat die Brigitt auch dies?" Und ging einem einmal ein Windlein um die Ohren oder kam es vom falschen Ort, gleich mußte der Doktor ins Haus.' Nun, auch der Doktor ist ein Mensch, und er hat Freude am sicheren Geld um wenig Mühe. So kam es denn, daß die Liest sich mit der Zeit nicht nur daran gewöhnte, sondern auch die Ueberzeugung bekam, die Herrenleute seien aus anderem Mörtel aufgebaut als die Knechte und armen Leute. Und es kam auch gerade so weit, daß die Liest, ehe sie an sich dachte, immer darauf ausging, daß der Erhard und die Brigitt ihre Sache hatten und den beiden ja nichts abging. Sie gewöhnte sich an die Sorge um ihre Herrschaft und um sich selbst kümmerte sie sich wenig cder gar nicht. Ihr war wohl genug, wenn den Meisters- leuten wohl war, und weher als ihnen, wenn diesen etwas fehlte. Nebenbei wurde auch der Erhard ein hübscher Bengel, dem Aeußeren nach, besonders da die Kleider auch etwas zu- oder wegtun, je nachdem. Sie sah den Erhard gern, ohne daß sie das wußte oder irgend etwas dachte dabei. Und während all den Jahren arbeitete sie und rackerte ihre Jugend bestmöglichst zugrunde zum Wohle des Schlüsselwirts. Dies ist landauf landab so Sitte. Je lieber sie aber den Erhard sah-, desto gleichgültiger war sie dem. Nickt etwa, daß der Erhard ein Ausbund von Tugend gewesen wäre. Beileibe nicht, im Gegenteil! Er hielt es in frühen Jahren schon mit dem Sprichwort: Ein rechter Mann macht, was er kann, noch ehe er eigentlich ein Mann war. Er lief jeder Schürze im Orte nach, wenn die Schürze hübsch war. Denn dieses war seine Hauptbedingung in der Liebe: proper und gut angezogen. Die Liest war nun weniger hübsch anzusehen, wenn sie so ihrer Arbeit nachlief: denn Seidenschürzen und gute Röcke waren nicht gang und gäbe, wenn man den Stall zu misten hatte und die Säue fütterte. Und am Sonntag hatte die Liest genug zu tun in der Kücke. Denn der Schlüsselwirt nützte seine Leute. Er war nicht von dort her, wo es Sitte ist, dem Gesinde den Lohn umsonst zu zahlen. Allerdings des Morgens um fünf Uhr am Sonntag, da war die Liest ein gerade so sauberes Mädchen wie die anderen, das war in der Zeit der Frühmesse jeden Sonntag. Jeden Sonntag ging die Liest in die Frühmesse um fünf Uhr morgens, da hatte der Schlüsselwirt nichts dagegen: denn der geistliche Herr und der Kaplan waren Stammgäste im Schlüssel. Zu dem wußte der Schlüsselwirt nur zu gut, daß man weiser tut, in Frieden mit der Kirche zu leben als in Fehde und Streit. Auch verlor er nicht viel dabei, in der Herrgotts frühe, ob die Liest schlief oder zur Kirche lief. Der Erhard hatte jeden Abend bis spät in die Nacht hinein solch wichtige Geschäfte im Orte herum, besonders da, wo es sich zu zweit gut sein ließ und recht dunkel war, daß er erst dann zum Barschem kam, wenn die Liest längst ihr gutes Zeug von sich getan hatte und im alten berumhantierte. So ging es bis zur Taufe des Findlings. Aber an diesem Tage hatte der Schtüsselwirt in sich eine unerklärliche Wallung wie Großmut. Er gab der Liest zum ersten Male nach Jahren einen freien Tag. Er wollte der Liest auch einmal eine Freude gönnen: sie sollte den Rummel mit« machen. Und da kam die Liest zum ersten Male auf den Tanz- boden. Tanzen konnte sie zwar gerade so gut wie ein junger Elefant, dafür aber sah sie ganz{ ut aus. Auch hatte sie eine große Freude und glänzende Augen vor Lebenslust und Jugend. Wie sie so auf dem Tanzboden stand und in die herum» hopsenden Paare schaute und lachte, wenn irgend etwas dazu da war, kam der Erhard vom Schlüssel auch zum Tanze. Und wie die'Liesi sah, welch Donnerwetter ihr junger Meister- söhn war mit Hei und Juchhe, da gab es ihr unter dem Für- tuch einige Schläge: es schien, ihr Herz hopse nach dem Takte der Tanzmusik. Und wie ihr da erst wurde, als der Erhard sie verwundert anschaute, umkehrte, lachte und immer wieder anschaute, das ist nicht zum sagen. Aber als der Erhard die Liest zum erstenmal, wie es schien, gesehen hatte, da leckte er die Lippen, denn er wußte, was er wußte. Denn der Erhard war ein Kerl wie der Teufel, und heute da, morgen dort, war ihm die Hauptsache. Tanzen konnte nun die Liest nicht schön noch gut: aber dies war dem Erhard auch nicht die Hauptsache. Früh genug gingen sie nach Hause. Unterwegs faßte der Erhard die Liest um und drückte sie leicht an sich. Aber sie sagte nichts. Er wollte alles zar rechten Zeit schon richtig machen: dafür war ihm nicht bange. Und jedesmal, wenn er die Liest auf das neue anschaute und ihr warmes, junges, weiches Fleisch fühlte, freute er sich unbändig, noch zur rechten Zeit gekommen zu sein. Denn morgen mußte er weg, in die Garnison einrücken zum Militärdienst. Und wer konnte wissen, was in zwei Jahren mit Tuiem solchen jungen Blute geschehen konnte? Ein anderer konnte leicht ebenso klug sein wie er. Auch geschieht es oft, daß im Verlauf von zwei Jahren das schönste Roß zum Schindanger und das jüngste Weib, wenn auch nicht in den Himmel, so doch auf den Fried- hos kommt. Und die Liest war glücklich, wie sie so daherging neben dem stolzen Erhard. Glücklich ttxr sie, glücklich: weiter wußte sie nichts und dachte sie nichts. So kamen sie zur Salzgasse zum hinteren Eingang des Schlüssels, wo nur die eigenen Leute ein- und ausgingen. Galant und sittlich führte der Erhard die Liest in das Haus bis zum obersten Flur, wo die Diensten schliefen. Und als die Liest aufgeklinkt hatte und in ihr Zimmer wollte, da gab sie dem Erhard, ohne daß sie wußte warum, die Hand. Sie war ja so glücklich, die Liest. Und der Erhard nahm die Hand der Liest in die seine und drückte sie leicht und blickte mit eigenen Augen die Liest an. Da wurde der Liest so angst und wohl zumute, und wie gelähmt war sie und auch in ihren Augen ging das eigene Feuer aus, das in gewissen Augerblicken im Leben der Mcn- schen ausloht und verzehrend brennt. Da wußte der Erhard was lands, und langsam und leise zog er die Liest zu sich. Und die Liest wußte nicht mehr, was war vor Glück, Verlangen und Bangen. Aber als der Erhard sie an sich preßte und küßte, da war ihr, als flute Vergehen durch ihren st'örper und heißes Ver- langen und Trachten nach Fremdem, das sie nicht kannte. So hielt sie stille und der Erhard kiißte sich satt und toll, so daß auch in seinem Haupte das Fetier zusammenschlug und er nicht mehr wußte, was er tat. Stürmisch wollte er mit der Liest in das Zimmer ein» dringen. Da erwachte die Liest und sie begann sich zu ängsten und fürchten und wußte nicht weswegen und liebte den Erhard noch gleich wie zuvor. Aber die Furcht und die bange Angst vor etwas, das sie nicht kannte, übernahm sie und sie vergaß alles andere und hatte nur noch einen Trieb, den Erhard zu fliehen. Und je mehr der Erhard in das Zimmer drängte, um so banger wurde ihr zu Gemüt. Und als der Erhard sie unterfassen und in- seiner Brunst auf das Bette werfen wollte, da nahm das Mädchen alle Kraft zusammen und riß sich los. Der Erhard aber war voll Glut und Feuer und wollte sein Fressen nicht kalt werden lassen: er ging wild auf die Liest zu.