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eiden Kleift in feinen Briefen.

Da fürchtete die Liesi sich und streďte rauh ihre beiden fräftigen Arme aus und gab dem tollen Erhard einen derben Stoß.

Der Erhard taumelte an bis Wand des Flurs und die Liesi schlüpfte, ohne mehr lange zu schauen, was weiter fomme, in ihr Zimmer und riegelte die Tür ab.

Draußen stand nun der Erhard und hinter der Tür die Liesi. Der Erhard mit heißem Kopf und toll, und die Liesi voll Angst und dennoch voll Verlangen.

Mach auf, Liesi", wisperte der Erhard heißer. " Nein", sagte die Liesi.

" Ich schlag Dir die Tür ein, wenn Du nicht aufmachst." Dann schrei ich Mordio!"

Da schwiegen beide wieder, der Erhard vor und die Liesi innen an der Tür.

Der Erhard überlegte, ob er den Krach riafieren und die Zür eindrüden dürfe.

Und die Liesi hatte drinnen die Hand am Riegel und war fest entschlossen, beim ersten Versuch des Erhard, die Tür ein­zutreten, den Riegel zurückzuschieben. Denn sie hatte den Erhard lieb, und so bang ihr davor war, ihn einzulassen, sie konnte ihn doch nicht der Schande preisgeben.

So überlegten die beiden, der Erhard und die Liesi, das eine vor, das andere hinter der Tür.

Und der Erhard wurde dieweil wieder nüchterner und fragte hinterm Ohr. Der Vater würde, im Falle er die Tür eintrat, feinen Leichten rauchen, dann gab es in Gutenburg noch andere Mädchen, soviel er wollte.

Darum sagte er: Warte, Du Luderliesi, ich bekomme Dich doch noch."

Drinnen hinter der Tür stand aber immer noch die Liesi, die Hand am Riegel, bereit zurückzuschieben.

Der Erhard aber ging weg zum Tanzboden und suchte sich ein anderes Mädchen. Aber dort waren alle versehen, nicht mit der legten Delung, wohl aber mit Burschen.

Der Erhard ging ärgerlich meg, dahin und dorthin. Aber an jedem Kämmerleinfenster fund er eine Leiter angelehnt und fam überall zu spät.

Der Merger stieg ihm immer mehr. Darum warf er alle die Leitern um. So richtete er natürlich tolle Sachen an und stiftete Ehen, denn die wenigsten Burschen konnten sich unge­schoren drücken und mußten zur Tür hinaus, wo sie doch so schön zum Fenster hereingekommen. Aber zur Tür heraus gings neben den Eltern der Mädchen vorbei, da die Mädchen­fammer wohlweise am sicheren Orte angebracht ist. Sie ist umfangen von elterlicher Wachsamkeit und flankiert von dem Keuschheitsfort ehelicher Schlafstuben von Vatern und Muttern, hinter welchen unüberwindlich die Zitadelle der Jungfräulichkeit wohl verschlossen liegt.

Der Erhard aber blieb an jenem Abend unbeweibt landete zum Schlusse im Adler.

und

Der Adlerwirt und der Schlüsselwirt waren nun feine großen Freunde. In seinem Aerger trank der Erhard zu viel, redete nicht wenig und flog, als sein Rausch groß genug war, zum Adler hinaus, um auf der Straße liegen zu bleiben. Die Nachtwächter brachten ihn noch Hause und am anderen Morgen ging er verfatert und zerschlagen und so leise und stille als möglich zum Schlüssel hinaus, um zwei Jahre lang Kommißbrot zu beißen.

Das Gefühl, mit dem man eines Dichters wie kleifts hunt­dert Jahre nach seinem Tode gedenken muß, zeigt eine unverkenn bare Abweichung von dem, das andere Erinnerungstage erfüllt; denn dieser Tod war ein, wenn auch freiwilliger, so doch gewalt­famer. Hier ist nicht nur, wie sonst. Anlaß zu Stolz, Bewunderung ein verzweifeltes Bermissen deffen, was ihm und uns über alles und Nacheiferung. Hier meldet sich noch immer eine dumpfe Trauer, Große hinaus sein Geschick Größeres nicht erfüllen wollte, eine traumhafte Hoffnung, im Geiste wenigstens und aus schattenhaften Möglichkeiten den Teil seines Lebens aufzubauen, den der Träger selbst als nicht mehr lebenstoert von sich geworfen hatte. Und aus diesem Geister- und Schattenspiel erhebt sich gleichzeitig die allzu­menschliche Frage nach der Schuld, die jene Schicksalsschwere be­faß, den Stamm einer unvergleichlich reichen Schöpferblüte zu fällen bor Ablauf der Zeit, die ihm ein natürliches Wachstum verbürgt zu haben schien.

Der Antworten sind viele und sie werden eifriger weitergereicht als geprüft. Man spricht bald von den kriegerfüllten, verworrenen Beitläuften im allgemeinen wie von der materiellen, zum Aeußer­sten gediehenen Not des Dichters im besonderen; bald von der sprö­den, eigensinngepanzerten Natur des Menschen Kleist  , der sich in die Dinge dieser Welt, wie sie einmal find, nicht schicken wollte, wie von dem sonnenhohen Fluge seines Dichtergenius, dem die Maulwurf­finne einer fleinlichen Zeit nicht zu folgen vermochten. Wie dem allem sei, zwei ineinandeer verflochtene Konflikte haben dieses Leben in Aufruhr gebracht, glänzen lassen und schließlich gesprengt: der ans Jrdische gebundene Mensch hatte gegen den in neugeschaffene Eigenwelten schweifenden Doppelgänger fein Gleichgewicht zu be­haupten oder sich von ihm erlösen zu lassen; der Einzelmensch, der sich als solcher souverän wie feiner fühlte, hatte gegen die Gemeinschaft seiner angestammten Sippe und seiner Wahl, seines Standes und feines Berufes, seines Landes und seiner Zeit anzufämpfen, um mit seinen fühnen Forderungen in ihren wohlverteidigten Besitz­stand Bresche zu legen oder von ihr blutig zurückgewiesen zu werden. Man weiß, daß in dem einen Kampfe der Dichter über den Men schen triumphierte, ohne ihn zu erlösen, daß im anderen das Indi­viduum zugrunde ging und auf diese Weise auch den Dichter, des Dichters Zukunft mit sich riß. Von einer Schuld im menschlichen Sinne zu sprechen, dürfte gleichwohl schwer halten, auch wenn, wie im folgenden versucht werden soll, der Verlauf dieser Kämpfe im einzelnen deutlicher gemacht wird.dot dros

Die Stimmung, in der sich Kleist seiner irdischen Hülle be mit einer frohen Inbrunst dem Kommenden näher, als daß er mit raubte, hatte etwas Sieghaftes und Hoffnungsvolles. Er fühlte sich Reue oder Bitterfeit ans Vergangene dachte. Es war kein Abschied für immer, der als solcher empfunden wurde. Nur ein neuer großer Schritt zu den vielen getanen, seinen innern raftlos strebenden Men­schen einer Bollkommenheit zuzuführen. Darum auch keine Sorge um den Nachruhm, um Klärung, Klage und Rechtfertigung des nun bald ewig Verlorenen. Die wenigen praktischen Anordnungen, die er trifft, find nicht andere als die vor einer Reise. Tied, der zehn Jahre nach Kleists Hingang sein Dichtergedächtnis vor der völligen Bergessenheit rettete, in die es seine poetischen und patriotischen Freunde hatten bersinken lassen, will wissen, daß Kleist kurz vor feinem Tode alle seine Papiere vernichtet hätte. Ein langer Auf­fat, der die Geschichte seines Innern enthielt, soll vorzüglich inter­effant gewesen sein." Kleist, der Mensch, spricht heute nur noch durch seine Briefe zu uns, soweit sie im Laufe der Jahre, nicht gerade in Ueberfülle, ans Licht gezogen werden fonnten. Den brei­testen Raum nehmen darunter die an die beiden ihm besonders nah berbundenen Frauen ein, an Wilhelmine   v. Benge, mit der er faum drei Jahre( 1800-1802) bersprochen war, und an seine ältere Stief schwester Ulrike, die bis in die letzte, vielleicht nicht allerlegte Zeit, mit aufopfernder Hingabe zu ihm hielt. In diesen Briefen finden sich die authentischen Dokumente seiner tiefften Kämpfe, die aus seinen Werken zu erschließen nur mittelbar möglich ist.

Die Liesi aber stand an jenem Abend noch lange hinter ihrer Tür und wartete und hoffte, der Erhard käme wieder. So fam ein Sinnen dunkel und verworren über sie, und als Von seinen Eltern, von denen wir nicht viel mehr als die es spät war, legte sie sich zu Bette. Aber schlafen konnte sie Namen wiffen, hören wir hier gar nichts. Auch von der weiteren erst mit dem ersten Hahnenschrei und hatte wirre Träume. Familie nicht genug, um irgendwelche entscheidenden Züge in Hein­Hot Der Schlüsselwirt aber beredete sich mit seiner Frau, als richs Anlage auf Bererbung zurüdführen zu können. Denn auch er davon erfahren, sein Erhard hätte mit der Liesi herum- feine feste Ueberzeugung war es, daß man durch künstliche Bildung getanzt. Sie wollten das Mädchen noch so lange im Dienst in eine Seele nichts hineinlegen fönnte, nur entwideln, was die Natur hineinlegte". Dagegen scheint in seiner förperlichen Ver­behalten, wie der Erhard beim Militär war, und dann, wenn faffung, soweit davon die Rede, manch wesentlicher Zwiespalt seines der Bursche wieder kam, entlassen. In der Zwischenzeit aber Innern finnfällig gemacht. Die Borstellung, die das einzig vorhan­sollte die Liesi ausgenügt werden bis zum Blut. Denn der dene Miniaturporträt Krügers von ihm aus dem Jahre 1801 in Schlüsselwirt hatte Grundsäte; einer war Nach uns die uns erweden mag, ist nach seinen eigenen Begleitworten etwas ins Sintflut" und der andere Geld zu Geld". Ehrliche, d. h. Ernstere zu berichtigen. Es liegt etwas Spöttisches darin, das mir nicht gefällt... Dir( der Braut) zu Gefallen habe ich fleißig während des Malens gelächelt." Ludwig Tied wiederum schildert ihn nach seiner Begegnung mit ihm im Sommer 1808 als ,, bon mittlerer Größe und ziemlich starken Gliedern, er schien ernst und schweigsam, keine Spur von vordringender Eitelkeit, aber viele Merkmale eines würdigen Stolzes in seinem Betragen. Er schien mir mit den Bildern des Torquato Tasso   Aehnlichkeit zu haben, auch hatte er mit diesem die etwas schwere Bunge gemein." Und Achim v. Arnim, der vor und nach dem Tode von Kleist  heutigen, parteiblinden Spezialforschung widersprechend merklich Distanz gehalten hat, ergänzt dieses Bild auf seine Weise zwei

Als der Simon seine Tochter wieder zu Hause brauchte, war dem Schlüsselwirt die Sache recht. Die zwei Jahre Gnadenfrist waren vorbei und die Liesi kam mit Schick und Fasson zum Schlüssel hinaus. Sie zog am Morgen zum Schlüssel aus und der Erhard nach seiner Militärzeit ein.

Aber treu war die Lieft geblieben, und die Sehnsucht war heiß und jung, wie sie dumm war und traute.

( Fortseburg folgt.)

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