Auch dir Itiifunbige kann diesen Zusammenhang ohne weiteres Lbevsehen. Der Vorteil, den die Serumbchandlung der Dipkitherie gebracht hat, ist so gewaltig, daß die geringen Unbequemlichkeiten und Fehlresultate dieser Behandlung gegenüber der früher geübten überhaupt nicht in Betracht kommen. Je früher die Einspritzung des SerumS   erfolgt, desto günstiger find die Aussichten für den Kranken. In wissenschaftlichen ärzt- lichen Kreisen gilt es heute als ein Kunstfehler, wenn die Serum- bchandlung verabsäumt wird. Darum sollte sich niemand mehr von den kritiklosen Worten derer beeinflussen lassen, die ihre Un- kenntnis dazu benutzen, den Heilwert einer medizinischen Großtat herabzusetzen, die unendlich vielen Menschen das Leben gerettet hat. Freilich sind wir auch heute noch nicht imstande, mit der Serumbehandlung jeden Fall von Diphtherie zur Heilung zu bringen; das lehrt uns die Statistik ebenfalls. Die Sterblichkeit infolge Diphtherie   ist noch immer erheblich, sie übersteigt die vieler anderer Infektionskrankheiten, des Scharlachs, der Masern, des Typhus  ; sie ist aber so erheblich gegen früher zurückgegangen, daß wir immerhin mit diesem Erfolg ganz zufrieden sein können. Ein großer Teil der Diphtheriekranken, die ihrer Krankheit er- liegen, gehört zu denen, die erst sehr spät mit den, Heilserum be- handelt wurden, erst dann, wenn die Krankfysit schon erheblichen Schaden gestiftet hatte. Die Sterblichkeit wird sich also noch ver- mindern lassen, wenn die Scrumbchandlung allgcuicin recht früh- zeitig zur Anwendung kommt, wie es heute in allen Krankenhäusern geschieht; freilich lassen sich auch dann nicht alle Fälle mehr retten. So großartig wie die Erfolge der Schutzimpfung gegen Pocken, die bekanntlich bei uns gesetzlich eingeführt ist und die Pockenstcrb- lichkeit auf Null herabgesetzt hat, sind die Heilresultate der immuni- satorischen Diphtheriebchandlung allerdings nicht. Das hat aber einen ganz anderen, im Wesen der Impfung liegenden Grund. Die Schutzimpfung gegen Pocken, die früher kolossale Ver- heerungen angerichtet hatten, erfolgt, prophylaktisch, zur Fürsorge in einer Zeit, zu der das betreffende Individuum gar nicht erkrankt ist. Im Blute des Geimpften bilden sich nun Schutz- fftoffe gegen das Pockengift, die ihm für eine lange Zeit Immunität. Sicherheit gegen eine Pockeninfektion, gewähren. Der geimpfte Mensch muß die Stoffe in seinem Blute selbst bilden, sich aktiv an «der Produktion der Antistoffe, wie man sie auch zu nennen pflegt, beteiligen. Darum bezeichnet man diesen Vorgang auch als aktive Immunisierung. Die Impfung mit dem Diphtherie- Heilserum erfolgt nicht prophylaktisch, nicht vor der Krankheit, son- Siern erst dann, wenn die Diphtherie   das betreffende Individuum bereits befallen hat. Jetzt muß man natürlich dem geschwächten KörperjÄU Hilfe kommen, man kann ihm nicht mehr die selbständige, bie aktive Bildung der Schutzstoffe zumuten, sondern führt ihm mit dem Heilserum bereits fertige Antistoffe zu. Er hat also mit ihrer Bildung selbst nichts zu tun; deshalh nennt man diesen Vorgang -im Gegensatzdzu dem vorerwähnten passive Immunisierung. Die Diphtherie  -Antistoffe hat man sich vorher im Blute eines dazu ge- eigneten Tieres, etwa des Pferdes, bilden lassen und spritzt sie nun fertig dem erkrankten Menschen ein. Man wird gewiß fragen: Warum führt man nicht auch die prophylaktische Schutzimpfung gegen Diphtherie ähnlich wie gegen Pocken ein? Wenn nach der neuesten Staiistik von je IMOllv Ein- wohnern des Deutschen Reiches immer noch 24 an Diphtherie  sterben, so bedeutet das bei einer Einwobnerzahl von rund 60 Millionen einen alljährlichen Verlust von 14 000 Menschen. Da der überwiegende Teil dieser Todesfälle Kinder betrifft, also In- bividuen, die noch die Anwartschaft auf eine sehr lange Lebens- dauer haben, so ist unser Interesse sehr groß, die Diphtheriesterb- lichkeit zu vermindern, möglichst in dem Grade, den uns die im- »nunisatorische Bchandlung der Pocken gezeigt hat. Man hat aber deshalb von einer prophylaktischen Diphtherie- schutzimpfung Abstand genommen, weil die Empfindlichkett des ein- zclnen Menschen gegen die Diphthericbazillcn und das von ihnen erzeugte Gift, das Diphtherietoxin, sehr verschieden ist. Man ckann eine aktive Immunisierung, wie bei den Pocken, nur so er- zeugen, daß man dem betreffenden Individuum eine geringe Dosis Ses Giftes selbst einverleibt, also eine leichte Erkrankung damit hervorruft. Darauf reagiert der Körper im allgemeinen mit einer Produktion von Antitoxinen, eben den Schutzstoffen, die das Krank­heitsgift unschädlich zu machen suchen. Wir sind nun imstande. das Pockengift durch besondere Maßnahmen derart abzuschwächen. baß seine Einverleibung für den Menschen keinen Schaden mehr hat, nur die jedermann von. der Impfung wohlbekannten Er- fcheinungcn hervorruft; wir sind aber leider nicht in der Lage, auch die Diphthcricegifte derart zu verändern, derart abzuschwächen, daß ihre Einverleibung immer ohne schädliche Folgen bleibt. Des- halb müssen wir darauf verzichten, im Körper des Menschen selbst hie Diphtherie  -Antistoffe sich bilden zu lassen, sondern führen sie gleich fertig, wie sie im Blute des Pferdes gebildet sind, ein. Zu dem Zwecke werden geeignete Tiere, also meistens Pferde, mit all- mählich gesteigerten Dosen des DiphthericgifteS behandelt, sie werden dadurch immunisiert, d. h. zur Bildung der Antistoffe an- geregt. Die Prozedur wird bei demselben Tier öfter wiederholt, -um auf diese Weise ein recht hochwertiges Serum zu erhalten, ein Serum, von dem eine sehr kleine Menge zur Immunisierung des erkrankten Menschen genügt._ Berantw. Redakteur: Richard Barth  , Berlin. Druck u. Verlag: Die Stärke des Heilserums bcmißk man nach JmmunitStS« einheitcn. Zur Behandlung der Diphtherie spritzt man heute 3000 JmmunitätSeinheiten ein; in besonderen Fällen aber auch bedeutend mehr, ohne einen Schaden durch die große Menge des körperfremden Serums anzurichten. Im Gegenteil haben gerade die neuesten Erfahrungen gelehrt, daß auch die diphtherischen Lähmungen, die oft im Gefolge der Krankheit auftreten, das Schlucken behindern. Störungen der Augenmuskulatur hervor- rufen und dadurch das Sehen beeinträchtigen, in selteneren Fällen auch die Muskeln des Rumpfes und der Gliedmaßen in Mitleiden- schaft ziehen, durch sehr große Dosen des Heilserums noch günstig zu beeinflussen sind. Hervorgerufen wird die Krankheit durch einen besonders ge- formten Bazillus, den von dem Bakteriologen L ö f f l e r entdeckten Diphthe-riebazillus. Er wird durch direkte Berührung von einem Individuum auf das andere übertragen und siedelt sich dann im Munde auf den Mandeln, dem Zäpfchen, der Rachenwand an. Er bringt die oberflächliche Schleimhaut zum Schlund und bewirkt dann die Ausschwitzung eines besonderen, aus dem Blute stammen- den Eiweißkörpcrs, des Fibrins, das die grauen festsitzenden Diphthcriebeläge bildet. An diesen Belägen ist die Erkrankung leicht zu erkennen und auch von der gewöhnlichen Halsentzündung in der Regel gut zu unterscheiden. Außerdem gibt die bakterio  - logische Untersuchung des Belages, in dem die Bazillen zu Millionen angehäuft sind, in Zwcifelsfällen die Entscheiaung. Wir sahen schon eingangs an der Hand der statistischen Zahlen. daß die Sterblichkeit durch Diphtherieerkrankungen sehr im Rück- gang ist. Eine akute Lebensgefahr bildet namentlich für Kinder die in die tieferen Luftwege absteigende Diphtherie, die Beläge des Kehlkopfes und der Luftröhre, weil dadurch die Luftpassage in erheblicher Weise beeinträchtigt ist. Mit dem Stimmwechsel erweitert sich der Kehlkopf; deshalb verschließen die diphtherischen Membranen beim Erwachsenen nicht in so störender Weise wie beim Kinde den Luftraum. Ist die Luftpassage durch die Diphtherie gehindert, so droht die Erstickung; in diesem Falle wird bekanntlich der Luftröhrcnschnitt ausgeführt, der die akute Gefahr meist beseitigt. Auch das Herz wird durch das Diphthericgift zu­weilen geschädigt, und wie schon erwähnt wurde, nicht selten daS Nervensystem. Von den Nerven werden immer nur die niotorischen betroffen, also die Nerven, die die Bewegungen der Muskeln zu erzeugen haben, die sensiblen Nerven, die die Empfindungen des Schmerzes, der Kälte, der Wärme usw. nach dem Gehirn leiten» bleiben hingegen verschont. Auch die schweren Erscheinungen werden durch das Heilserum in der Regel noch zum Schwinven gebracht, so daß wir seinen Entdecker Behring   zu den größten Wohl- tätern zählen müssen. G. W« Kleines feuilleton* Psychologisches. Die(peiftige E n t io i ck e l u n g de? Kindes. Die seit einer Reihe von Jahren von der psychologischen Forschung durch- geführten Jntelligcnzprüfungen von Schulkindern baben eine Reihe beachtenswerter Resultate gezeitigt, die Otto Bobertag   in einem Aufsatz derGrenzboten" zusammenfaßt. ES ist besonders dem vor kurzem verstorbeneu franzöittchen Forscher Alfred Binet   zu verdanken, daß man die zunächst geübte Untersuchung anormaler Fälle gegen ein Studium der Durchschnitts- oder Normal- intelligenz der Kinder zurücktreten ließ. Aus Grund einer großen Anzahl von Prüfungen bei normalen Kindern gelang eS Bienet, einSlufenmaß der Intelligenz" sqstzustcllen, durch da? für bestimmte Altersstufen von VolkSschülkindern eine Art Normal- maß der Intelligenz angegeben wurde. Danach ergibt sich zum Beispiel: 1. Ein dreijährige? Kind reagiert auf ein ihm vorgelegtes Bild lediglich mit der Aufzählung einzelner Per- fönen und Gegenstände; ein siebenjähriges beschreibt, indem eS sagt, waS die Personen tun; ein zwölfjähriges erklärt, indem eS die Gcsamtsituation erfaßt; 2. ein fünfjähriges Kind erkennt, welches von zwei gleich aussehenden Kästchen daS schwerere ist; ein neun- jähriges kann eine Serie von fünf Kästchen ihrer Schwere nach in einer Reihe ordnen; ein sechsjähriges Kind definiert einen Begriff naiv durch Angabe des Zwecks(Puppe zum Spielen); ein nenn- jäbriges durch Angabe eines übergeordneten Begriffs(Spielzug für Mädchen); 4. einochtjährigesKiiidkann leichte, VerstandeSfragen''beant- Worten.(Was muß man tun. wenn man etwas entzivei gemacht hat. waS einem nicht gehört?); ein zwölfjähriges schwere VerstandeSfragen (WaS muß man tun. ehe man etwas Wichtiges unternimmt?); 5. ein achtjähriges Kind kann den Unterschied zwischen konkreten Gegen- ständen(Holz GlaS) angeben; ein elfjähriges abstrakte Begriffe (Neid, Mitleid) erklären. Diese Angaben gelten von Volksschulkindern. Die Leistungen von Kindern gebildeter Eltem waren bei der In- telligenzprüfung im allgemeinen besser als bei Kindern der Kreise der arbeitenden Bcvölkening. Der Unterschied ist aber auf den niederen Altersstufen, etwa zwischen drei und sechs Jahren. am größten. Er vermindert sich später immer mehr; der Borsprung der Schüler aus höheren Lehranstalten vor den Volksschülern wird immer geringer.______ vorwärtSBuchdruckeretu.VerlagsanstaltPaulSingerärEo..BerltnS1V.