Unterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 230 Dienstag den 28. November. 1911 tNacbdruck verdoleu.Z 11Z vie Guten von Gutenburg. Von Hermann Kurz . Wie der Simon das sagte, kam die Scham auf das neue an die Liesi mehr denn dort, als er den Erhard bei ihr ge- funden hatte. Aber auch ein herbes Gefühl kam an sie, eine Erkenntnis, ihr Vater trage schwerer als sie an ihrem Falle. Er lief den Leuten unter den Augen herum, auf ihn mußten sie mit Fingern zeigen. Die Schande! die Schande! über- kam es die Liest. Und da schaute sie mit einem langen Blicke zu ihrem Vater auf, scheu und voller Schuld. Und wie sie harrte in ihrer anklagenden Qual, wuchs in ihrem Herzen das Ver- langen nach Vergebung. Was hast Du, Liesi?" Da schrie die Liesi auf: Vater, die Schande! die Schande!" Verwundert schaute Simon auf seine Tochter. Er ver» stand nicht. Da wimmerte die Liesi: Vater, verzeih' mir, die Schande, die ich über Dich ge- bracht Hab'!" Simon strich seiner Aeltesten über die Haare. Für ihn war sie die gleiche. Sie hatte ja verloren, nur sie. Was da, Schande? Nichts da. Andre tun das gleiche, was die Liesi getan, nur hatte die Liesi Pech dabei gehabt. Das war alles. Wie er so dachte, zuckte ein leichtes Lächeln über sein Gesicht. Er sagte: Dummes Zeug, Liesi, laß das!" Aber das Mädchen dachte nun darüber nach. Bislang war sie durch die Ortschaft gegangen, ohne darüber zu sinnen. Und als sie tragenden Leibes gewesen, hatte sie das Gekicher gehört und nicht darüber nachgedacht und kein Arg gefunden. Und jetzt stand das Gespenst vor ihr. Die Schande! die Schande! Sie sagte weinerlich zu ihrem Vater: Ich kann ja nicht mehr durch das Dorf gehen, ich schäme mich zu Tode vor den Leuten." Da zeigten sich auf der Stirn des Simon zwei herbe Falten. Finster und grollend sagte er: Laß das, Liesi, sag ich Dir! Das geht Dich an und die Leut nichts! Verstehst Du, Liesi, Dich?" Verschüchtert schwieg das Mädchen. Der Simon ging voller Unrast in der Stube umher. Schande! Das fehlte gerade noch. Das war der Liesi ihre Sache. Aber das waren ja auch nicht die Leute. Das war die Liesi. Die hatte das Gespenst auf dem Herzen und Lngstete sich damit. Das durste sie nicht. Sie mußte ohne jede Regung tragen, was ihre Last war. Die Leute! Was wollten diese Leute denn? Die Liest fürchtete sich vor den Leuten, das war's. Sie kann nicht mehr durch das Dorf gehen, nicht mehr unter die Leute? Gerade das mußte sie, unter die Leute mußte sie. Dann würde das Gespenst vergehen und die Liesi würde tragen, was ihre Last war. Mit einem Ruck blieb er vor seiner Aeltesten stehen: Hör, Liesii, so geht's nicht! Jetzt mußt Du erst recht unter die Leute und den Kopf hochheben. Du wirst darum Dein. Kind selbst zur Taufe tragen." Die Liesi weinte und schluchzte als Antwort und wieder flosien die Gewässer ihres Gefühls ungehemmt durch Schleusen als Tränen über ihre Wangen. Aber das änderte nichts. Der Simon hatte seinen Kopf aufgesetzt und da mußte sie tun, was der Vater wollte. Darum weinte sich die Liesi in den Gedanken, daß es so sein mußte, hinein, und als sie einsah, daß da nichts vor war, versickerten die Gewäsier und ihr Gemüt wurde ruhig. Aber jedesmal, wenn sie an den Tag der Taufe dachte, gab's ihr einen Stich in das Herz. Doch auch die Taufe kam. Mit der Taufe des erstgeborenen Kindes des Erhard und seiner Ehestau Madlen, des Lächenfritzes Tochter, sollte die Taufe des Kindes der Liesi, das sie vom Erhard hatte, zu- sammenfallen. Die Liesi selbst wußte von alledem nichts. Sie verblieb alle die Tage über bis zum Taufakt zu Hause. Sie fürchtete sich mit heilloser Bangigkeit vor dem Taufgang. So fühlte sie, unter dem Banne ihrer Furcht stehend, nicht einmal groß die Mißachtung, welche in der Absage, Pate zu sein, lag, die von der Liesi besten Freundinnen kam. Da schaute sich Simon selbst nach Pate und Patin um> für das erste Enkelkind, den Bastard seiner Aeltesten. Ein Verwandter und eine alte Nachbarin taten um GotteS willen den Christendienst, das Kindlein vor dem Altar auf die Arme zu nehmen. Als der Erhard Wind bekam von dem Plan des Simon« kam ihm die Galle, und er besprach sich mit seinem Vater, Der alte Schlüsselwirt bohrte seinen Gegenschwäher, den Lächenfritz, an und da machten sich beide zusammen hinten den geistlichen Herrn. Aber der Simon war im Rechte. Nie« mand konnte ihm den Tag, den er wählte, verbieten. Da drohten die beiden Alten dem Pfarrer, wenn das nicht zu machen wäre, dann würden sie beide dafür sorgen, daß das nächste Mal keine Wahl zustand käme, wie sie dem geistlichen Herrn passe. Das wirkte. Der geistliche Herr versprach nach« zudenken und das mögliche zu tun. Doppelt feierlich wurde die Kirche an diesem Sonntag eingeläutet. Kam doch das Kind des Erhard zur Taufe. Nachher sollte allerdings auch noch der Bastard der Liest vom Waldhüter drankommen. Und die Leute hatten wichtige Blicke zu tauschen, und wenn sie gut Freund waren, auch! schadenfrohe Gesichter. Die aus dem Armenhaus, dieses un« angenehme, verlumpte Gesindel, hatten ein lautes Lachen. Und der Brenkert-Baschi sagte in seinem Rausche, den er mit zur Kirche brachte, die ganze Wahrheit gleich heraus. Aller- dings lallte er mit seiner schweren Zunge schon derart, daß man ihn kaum verstehen konnte. Aber da immerlin einige Gefahr vorhanden war, nahm ein guter Freund des Schlüssel« Wirtes den Brenkert-Baschi unter den Arm und ging in den Schlüsiel einige Schoppen mit ihm trinken. Und als der Brenkert-Baschi, dem das Mädchen am Schanktisch unter jeden Schoppen die Hälfte Schnaps mischte, so vollbesoffen war, daß er sich in nichts mehr von einem Tier unterschied, da gingen die Knechte des Schlüsselwirts und warfen ihn in einen leeren Saustall, auf den alten Mist, der drin lag. Dort sollte der Lump seinen Rausch ausschlafen, auch konnte ihn niemand hören, denn der Stall lag hinten im Hof und der Riegel zur Tür war geschoben. Als am anderen Tag der Brenkert-Baschi aber immer noch stille war, da fiel es einem Knechte ein, nach dem Säuf- ling zu schauen. Der Baschi lag da tot, wie nur einer toß sein kann, auf dem Saumist und sagte nichts mehr. Der Doktor meinte, der Mann sei am Rausche gestorben, gesoffen hätte der ja nicht wie ein Mensch. Mindestens einen Liter Schnaps müsse er in sich haben. Da wurde das Schank- mädchen bedenklich blaß. Aber ein Knecht sagte, ja, der Baschi hätte geschnapst im Schlüssel, das sei sicher. Da schrieb der Doktor den Totenschein und sie vergruben den Baschi auf dem Gottesacker. Der Freund des Schlüsselwirtes konnte sich aber nur zu gut daran erinnern, daß der Baschi nur Wein getrunken hatte, und zwar mit ihm selbst. Auch war ihm das kein Rätsel, wie der Schnaps zum Baschi kam. Der gute Freund war zwar schon verheiratet und hatte einige Kinder, aber er malte dem Schankmädchen aus, daß eigent- lich auch das vergiften hieße, wenn man einem Gast Schnaps unter den Wein mische, besonders wenn der Gast daran sterbe. Im Zuchthaus sei ß zwar nicht gerade schön, aber Zuchthaus bekomme jedweder für so was. Dem Schank- mädchen wurde bang zu Mute und der gute Freund sagte, entweder odctz Zuchthaus. Da sagte das Schankmädchen entweder" und hatte von dort ab alle Jahre ein uneheliches Kind, das je der Gemeinde zusiel, da kein Vater zu finden war und das Mädchen nicht genug aufbrachte zum Unterhalt, das elend schlechte Mensch das. Dieweil der Brenkert-Baschi im Schlüssel zu Tode ge« soffen wurde, ging der Gottesdiensf in der Kirche vor sich. Tie Leute vom Waldhütcrhaus und die Paten des Kindleins der Liesi saßen in der Sakristei und warteten, bis ihre Taufe drankam. Sie verwunderten sich', daß die Schlüsselwirtstaufs