Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 232.
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Donnerstag den 30. November.
( Nachdruck berboten.)
Der Tod war aber im Nu im Schlüssel bei der Madlen. Nur wollte ihm nicht gefallen, daß im Waldhüterhaus so innig um das Leben der Madlen gebetet wurde. Das wußte er, solche Dinge bedeuten immer etwas Uebles, nie Gutes.
Als er vor dem Bette der Madlen stand, tat ihm das Herz web wie schon lange nicht mehr.
Kaum hatte er das junge Weib mehr erkannt. Blaß und schmal war sie geworden. Die ehedem so vollen Wangen waren eingefallen und harte Knochen drückten an die Haut und färbten diese Stellen weiß. Um die Augen lag die Farbe des Wehs und der Schwäche. Die Haare waren ausgefallen und in den Augen flehte ein Gebet zu Gott und zum Tod: Laß mich meinem Kinde leben!" und bang ging die rechte Hand über das Bettuch hinweg. Die linke Seite und Beine waren gelähmt und keuchend flog der Atem. Schmerz quälte den Schlaf hinweg.
Und neben dem Bette stand der Gatte der Madlen. Mochte der so gut sein wie er wollte, in diesem Augenblid tat ihm das Herz zum Springen weh. Er hätte alles auf sich genommen, was sein Weib da litt. Dies hätte er getan, das sah der Tod.
Aber er sah auch das kleine Kindlein unter der Tür stehen, bangen Blides auf das Bett schauend, denn es war so verlassen, seit die Mutter da lag.
Und als der Tod all diese Zerstörung sah, da wollte auch er anfangs einstimmen in das Gebet:" Gott, Gott!"
Aber als er überall hingeschaut hatte durch die Wände, überall hin, da konnte er nirgends einen Gott der Menschen sehen.
Und als er noch immer zögerte, da wuchsen die Schmerzen der Madlen.
Da raffte er sich auf.
Das dumme einfältige Mitleid warf er weg und wurde hart.
Zu helfen war nicht mehr. Dies war gewiß. Darum legte er Schlaf über die Augen der Madlen und ein Traum gaufelte ihr Schönes und Liebes vor. Als über ihren Mund das Lächeln des Glückes huschte, kam er leise, unhörbar näher und löschte den schwachen Funken Licht mit zarter Hand aus, und als das Leben im Körper der Madlen stille war, da legte der Tod im letzten Aufwallen seines weichen wehen Gefühles seine Hand fachte und leise auf ihre Augenlider und schloß diese selbst für immer.
Und als das Wehklagen anging, der Jommer und Weheschrei aus dem Menschenherzen um das Tote, da schlich der Tod still hinaus.
Draußen im Hausflur traf er auf das Kind der Madlen. Er blieb vor dem verwaisten Wesen stehen und strich ihm kosend über die Haare, und dann nahm er das Mädchen auf den Arm und gelobte sich, wohl acht zu haben auf dieses Kindlein und rasch zu sein, wenn Weh und Gift der Welt über dessen Haupt zusammenschlagen sollten.
Dann trat er vor das Haus hinaus.
Als er weiter feiner Straße wollte, traf er auf den Doktor. Da fam ihn großer Zorn an und als der Doktor dies sah, fiel er auf die Knie nieder und flehte um Vergebung. Aber der Tod war böse und zornig und dennoch voller Berachtung auf diesen bettelnden Mann da vor ihm, der ohne Gefühl viele Hunderte aufs Totenbett geliefert hatte.
Darum gab er dem Doktor einen Fußtritt, beachtete ihn nicht weiter und ging hurtig dem südlichen Paradiese zu, allwo das Morden beginnen sollte. Er fragte sich darum ein wenig an seinem fahlen Schädel und brummte, er hätte zuviel Zeit bergeudet unterwegs. Dann aber lächelte er wieder ein recht fatales Lächeln. Das bedeutete:" Mir geht ja doch keiner verloren."
Der Doktor aber follerte in den Straßengraben, der den Weg entlang lief, und brach das Genic. Des andern Tags fand ihn der Straßenwart. Da
1911
sagten die Leute, der Doktor wär im Rausche hinuntergefallen und sei elend umgekommen.
Aber dem ist nicht so.
Die Leute von Gutenburg wußten es eben nicht besser, denn fie glaubten an Himmel und Hölle; aber den Tod in seiner Macht und Majestät haben sie noch nie gesehen. So oft er auch an ihnen vorbeigeht, sie sagen nie:„ Der Tod war da", immer nur:„ er ging zu Gott ein", denn zur Hölle" wäre unhöflich.
Als zwei Stunden nach dem Versterben der Madlen die Totenglocke das Sterbezeichen läutete, wußten sie alle in Gutenburg, wem das galt.
Da ging es an ein Zusammenstehen und Erzählen. Wo ein Weibsbild ein zweites traf, wurde stehengeblieben und das dritte und vierte war bald zur Stelle. Auch die Männer gingen den Reden nach.
Ihre Klagehallen waren an jenen Orten, wo der Meßner hinterm Schanktisch steht und mit den Schoppen und Biergläsern zusammenläutet.
Aber ob Mann ob Weib, auf eins fam es überall heraus. Da redeten sie und wußten dieses und jenes und ficherten was dazu oder schimpften. Gegen den Schluß machten sie dann gottesfürchtige Gesichter und die Weichherzigen zerdrückten ein paar Tränen, seufzten auf, und irgendeine Bas sagte im Tone wahrer Christenliebe:
" Ja, ja, ich sag's ja. Man soll nur Gutes über die Toten
reden!"
„ Amen!" machten da alle und zerstreuten sich, um an der nächsten Ecke ihr Wässerlein aufs neue zu trüben und zu reinigen. Zwei Tage darauf war die Beerdigung.„ Die Leiche" sagen die Leute in Gutenburg.
Um drei Uhr auf die Minute läutete die Glocke auf dem Kirchturm zum ersten Male. Da war eben der geistliche Herr in den Schlüssel eingetreten. Dann trugen sie die Madlen im Totenschrein auf der Bahre zur Tür hinaus. Bur selbigen Tür, allwo sie vor weniger denn drei Jahren im Glücksgefühl des jungen Eheweibes eingetreten war.
Und dann kamen der Erhard, der Pfarrer und die Leute mit den Totenkerzen und die Mädchen, die sangen, und die Chorbuben mit den Fahnen.
Fürwahr, es war eine schöne Leiche, die der Madlen. Diese Leiche durfte sich sehen lassen in ihrem Bomp und Ge pränge. Da war alles, was es gab ums Geld. Der alte Schlüsselwirt hatte das Seine getan und der Lächenfriß, der Vater der Madlen, hatte sich auch nicht lumpen lassen.
Das sei so Sitte in Gutenburg bei den reichen Leuten, sagten sie in der Umgegend, wenn sie darüber sprachen.
Der Erhard aber wußte von dem wenig. Sein Leid war diesmal tiefer. Er hatte in den Jahren der Ehe sein Weib liebbekommen. Denn die Madlen war eine nachgiebige Frau gewesen. Jederzeit gut und nie böse, wenn der Erhard ihr ein rauhes Wort gab. Sie war flug und wußte, daß das Männerart sei.
Und so hatte denn alle die Tage über der Erhard am Totenbett gesessen und vor sich hingestarrt, und so ging er auch hinter dem Sarge her.
Ohne sich umzusehen, tat er den Weg. Ihm fehlte irgendwo etwas, das war alles, was er empfand und dachte. Nur als der Leichenzug an dem Waldhüterhaus vorbeifam, zudte er unmerklich zusammen. Dann ging er weiter, dem Sarge nach.
Und als die Madlen in die Erde gesenkt wurde, da schrat er wieder zusammen. Er dachte da, daß er selbst ebensogut jebt zur Erde gebettet werden könnte wie sein Weib. Und da wachte feine Eigenliebe auf, und er war froh, noch das Licht des Tages zu sehen und zu leben.
Und als er aus dem Kirchhoftor trat, um nach Hause zu gehen, rang sich ein Seufzer aus seiner Brust heraus. Er fühlte sich leichter und war froh, daß alles hinter ihm lag.
Und ehe er noch zu Hause war, begann er zu denken, was nun weiter fommen sollte. Dieses Denken aber galt ihm und seiner Zukunft. Daß sein Eheweib ihr junges Leben weit vor der Zeit verloren hatte, daran dachte er nicht So fand er sich rasch in seine Witwerschaft hinein.